StGB § 238 § 46 Abs. 3 StGB Folgen beim Opfer als Straferschwerungsgrund

BGH, Beschl. v. 28.09.2010 - 4 StR 307/10 - BeckRS 2010, 27749

Der objektive Tatbestand des § 238 StGB setzt gravierende und ernstzunehmende Folgen für das Opfer voraus, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Le­bensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. Der straferschwerenden Berücksichti­gung dieses Umstandes sind daher schon im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Grenzen gesetzt.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. September 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum beim Amtsgericht Recklinghausen vom 27. Januar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Straf­kammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vor­sätzlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, wegen Verleumdung, Hausfriedensbruchs und Betruges, Urkundenfälschung in zwei Fällen sowie wegen versuchter Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg; einer Erörterung der Verfahrensrügen be­darf es daher nicht.

I.

1. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben, weil es in mehrfacher Hinsicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt. Nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erach­teten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das bedeutet, dass der festgestellte Sachverhalt – in einem geschlossenen Abschnitt – so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des Gerichts abgespielt hat; zum inneren und äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisions­gericht die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH, Urteil vom 19. Mai 1987 – 1 StR 159/87, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1; Beschluss vom 23. Juni 1993 - 5 StR 326/93). Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann im vorliegenden Fall zwar noch entnommen werden, dass sich der Ange­klagte der in der Urteilsformel genannten Straftaten schuldig gemacht haben kann. Durch welche konkreten Hand­lungen welcher Tatbestand erfüllt sein soll, bleibt jedoch insbesondere im Hinblick auf die Tatvorwürfe zum Nach­teil der Geschädigten T., G. und Ge. unklar. Dabei wird die rechtliche Überprüfung nicht nur durch eine teilweise unzureichende Konkretisierung der einzelnen, von der Strafkammer festgestellten Lebenssachverhalte erschwert, es fehlt vor allem an einer nachvollziehbaren rechtlichen Zuordnung zu den als erfüllt angesehenen Straftatbeständen. Die rechtliche Würdigung beschränkt sich vielmehr auf eine bloße Wiederholung der Urteilsformel (UA 42). Eine Subsumtion unter die infrage kommenden Tatbestände hat das Landgericht nicht vorgenommen; sie wird auch durch die im Rahmen der Strafzumessung in die Urteilsgründe aufgenommene tabellarische Auflistung (UA 44) nicht er­setzt.

2. Zu diesen grundsätzlichen Mängeln des angefochtenen Urteils kommen weitere Rechtsfehler hinzu: a) Im Fall II. 2 der Urteilsgründe (Taten zum Nachteil der Geschädigten G. ) hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte in der Kanzlei der Bevollmächtigten der Nebenklägerin anrief und diese zu sprechen wünschte, ande­renfalls er in seinem Besitz befindliche Nacktfotos der Geschädigten flächendeckend verteilen und anderweitig ver­öffentlichen werde. Am nächsten Tag rief er erneut an und wiederholte der Kanzlei angestellten Ty. gegenüber seine Drohung, woraufhin diese einen Aktenvermerk anfertigte. Dass die Geschädigte von dem Inhalt des Anrufs in Kenntnis gesetzt wurde, ist nicht festgestellt. Ob damit der objektive Tatbestand der versuchten Nötigung hinrei­chend dargetan ist, wie der Generalbundesanwalt meint, kann letztlich dahinstehen. Jedenfalls belegen die Urteils­gründe nicht, dass der Angeklagte auch in der Vorstellung handelte, die Kanzleiangestellte, die das Telefonat entge­gennahm, werde dessen Inhalt unmittelbar an die Geschädigte G. weiterleiten.

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 3 der Urteilsgründe (Taten zum Nachteil der Geschädigten Ge. ) nur wegen versuchter und wegen vollendeter vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat, steht dies nicht in Übereinstimmung mit den getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte die Geschädigte nicht nur im Oktober 2007 bei einem Streit schlug und zu Boden warf, sondern sie auch im Januar 2008 in den Rücken boxte, obwohl sie im achten Monat schwanger war, und es darüber hinaus am 21. Januar 2008 zu dem Versuch einer weiteren Miss­handlung kam, der von der Zeugin D. verhindert werden konnte (UA 28). Zudem ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich, ob das Landgericht die Absendung eines gefälschten Telefax-Schreibens an die Sparkasse V. (UA 30)oder die Fälschung eines Überweisungsträgers der Sparkasse B. (UA 31) rechtlich als Urkundenfälschung im Sinne des § 267 StGB gewürdigt hat.  c) Das Urteil des Landgerichts begegnet auch hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Betruges zum Nachteil der Bun­desagentur für Arbeit (Fall II. 4 der Urteilsgründe) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer teilt in den Feststellungen lediglich mit, dass der Angeklagte für einen Zeitraum von etwa zwei Monaten Arbeitsentgelt erhalten und deshalb Arbeitslosenunterstützung in Höhe von 1.411 Euro zu Unrecht bezogen habe. Diesem nur um­risshaft mitgeteilten Geschehen ist nicht zu entnehmen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Zahlungen der Bun­desagentur für Arbeit erfolgten, ob der Angeklagte möglicherweise nur gesetzlich vorgesehene Hinzuverdienstmög­lichkeiten ausgeschöpft hat und welchen genauen Inhalt ihn gesetzlich treffende Mitteilungspflichten hatten. Was der als Zeuge gehörte Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit in der Hauptverhandlung dazu ausgesagt hat, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Auch die subjektive Seite des Betrugstatbestandes im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB ist nicht hinreichend belegt. Die Strafkammer beschränkt sich insoweit auf die Feststellung, der Angeklagte habe es „vorsätzlich“ und „pflichtwidrig“ unterlassen, der Agentur für Arbeit die Arbeitsaufnahme anzuzeigen. Die bloße Benennung gesetzlicher Merkmale kann die Darlegung der zugrunde liegenden Tatsachen zum äußeren und inneren Tatgeschehen jedoch nicht ersetzen. Die gebotene rechtliche Überprüfung im Revisionsverfahren ist dem Senat so nicht möglich.

II. Für den Fall, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer erneut zu einer Verurteilung des Ange­klagten wegen Nachstellung im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB gelangen sollte, wird sie die durch den Angeklagten jeweils verwirklichte Tatbestandsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB genau zu bezeichnen haben. Sie wird hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Geschädigten Ge. in den Blick nehmen müssen, dass die Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bei diesem als Erfolgsdelikt ausgestalteten Straftatbestand kausal durch die jeweilige Nachstel­lungshandlung herbeigeführt werden muss und lediglich bei § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch der Versuch der Kontakt­aufnahme (mit Telekommunikationsmitteln) ausreicht. Sie wird ferner bedenken müssen, dass bereits der objektive Tatbestand gravierende und ernstzunehmende Folgen für das Opfer voraussetzt, die über durchschnittliche, regelmä­ßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der straferschwerenden Berücksichtigung dieses Umstandes sind daher schon im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Grenzen gesetzt. 

III. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). 

Ihr Anwalt Hamburg - Kanzlei Rechtsanwälte Lauenburg & Kopietz