StPO § 100g Beweisverwertung nach Vorratsdatenspeicherung – „Normvertretendes Übergangsrecht“
StPO § 100g Beweisverwertung nach Vorratsdatenspeicherung – „Normvertretendes Übergangsrecht“
BGH, Beschl. v. 18.01.2011 – 1 StR 663/10 - NJW 2011, 1377
LS: Telekommunikationsdaten, die vor dem 2. März 2010 auf der Grundlage der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 im Verfahren 1 BvR 256/08 (BGBI. I 2008, 659, wiederholt und erweitert mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 - BGBI. I 2008, 2239 -, zuletzt wiederholt mit Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BGBI. 2009, 3704) rechtmäßig erhoben und an die ersuchenden Behörden übermittelt wurden, bleiben auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 zu §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO (1 BvR 256/08 u.a. - BGBI. I 2010, 272) in einem Strafverfahren zu Beweiszwecken verwertbar.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und Beihilfe zum Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der mit Blick auf das am 2. März 2010 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 -1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833) ein Verwertungsverbot von Telekommunikationsdaten geltend gemacht wird.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte an zwei Einbruchdiebstählen beteiligt, bei einer der Taten hat er möglicherweise zu deren Förderung „lediglich ‚Schmiere’“ gestanden. Die Überzeugung von der Tatbeteiligung des Angeklagten hat die Strafkammer insbesondere aus Verbindungsdaten eines dem Angeklagten zugeordneten Mobiltelefons gewonnen, nämlich betreffend den jeweiligen Standort des Telefons sowie zu Zeitpunkt und Dauer geführter Telefongespräche und zu den daran beteiligten Anschlüssen. Die Verbindungsdaten wurden auf der Grundlage mehrerer - von der Revision nicht im Einzelnen mitgeteilter - ermittlungsrichterlicher Beschlüsse, datierend zwischen 12. August 2009 und 1. Februar 2010, erhoben, die sich auf einen gegen den Angeklagten bestehenden Verdacht des schweren Bandendiebstahls (§ 244a StGB) und als Rechtsgrundlage auf §§ 113a, 113b TKG, § 100g StPO stützten. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte am 21. Juni 2010 Widerspruch gegen die Verwertung der gewonnenen Daten erhoben, der durch Beschluss der Strafkammer vom gleichen Tag zurückgewiesen wurde. Die Standort-und Verbindungsdaten hat das Landgericht dann am 14. Juli 2010 in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Revision macht Folgendes geltend: Die Erhebung der zum Tatnachweis herangezogenen Daten und deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden erfülle zwar die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht mit einstweiligen Anordnungen vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08) und - diese erneuernd und erweiternd - vom 1. September 2008, 28. Oktober 2008, 22. April 2009 und 15. Oktober 2009 aufgestellt habe. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833) stehe der Verwertung der Daten aber ein „grundgesetzliches Beweisverwertungsverbot“ insoweit entgegen, als die §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO für nichtig erklärt worden waren. Die erhobenen Daten hätten von den Behörden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts unverzüglich gelöscht und von der Strafkammer nicht als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen.
II. Die Verfahrensrüge ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Rüge ist in der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben. Zwar teilt der Revisionsführer nicht die der Erhebung der Daten und deren Übermittlung zugrunde liegenden Beschlüsse mit (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10). Diese können jedoch keine den hier geltend gemachten Mangel begründenden Tatsachen enthalten, deren Vortrag § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO fordert. Die Revision wendet sich ausschließlich gegen die Verwertung von Verkehrsdaten aus Telekommunikationsvorgängen bezogen auf den Zeitraum nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, deren Erhebung und Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden sie nicht beanstandet. Diese Angriffsrichtung bestimmt aber den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07, NStZ 2008, 229, 230; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; Cirener/Sander JR 2006, 300). Der Prüfung des Senats unterliegt daher nicht die Rechtmäßigkeit der Beweisgewinnung auf der Grundlage der dieser zugrunde liegenden Beschlüsse, so dass es auch eines Vortrags hierzu nicht bedurfte. Da der Angeklagte - wie die Revision auch vorgetragen hat - gegen die Verwertung der Telekommunikationsdaten Widerspruch eingelegt hat, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob ein Angeklagter bei einer Änderung der Rechtslage nach Beweiserhebung ein sich seiner Ansicht nach daraus ergebendes Beweisverwertungsverbot durch Widerspruch geltend machen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR 316/05, NStZ 2006, 402) oder ob das Tatgericht in einem solchen Fall -ausnahmsweise - auch ohne Widerspruch gehalten ist, die in die Hauptverhandlung einzuführenden Beweismittel auf ihre Verwertbarkeit zu prüfen.
2. Die Rüge ist unbegründet. Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 im Verfahren 1 BvR 256/08 (BGBl. I 2008, 659, wiederholt und erweitert mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 - BGBl. I 2008, 2239 -, zuletzt wiederholt mit Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BGBl. I 2009, 3704) ist fortwirkende Legitimationsgrundlage für die vor dem 2. März 2010 abgeschlossene Beweiserhebung (a). Ein Beweisverwertungsverbot mit der Folge, dass die auf dieser Grundlage rechtmäßig erhobenen und an die Strafverfolgungsbehörden übermittelten Telekommunikationsdaten nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme und der Urteilsfindung gemacht werden dürften, besteht nicht (b).
a) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Rechtmäßigkeit der Beweismittelgewinnung nicht rückwirkend dadurch entfallen, dass durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 die Nichtigkeit der §§ 113a und 113b TKG (in der Fassung des Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007) sowie des § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO (in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des vorbenannten Gesetzes), soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden dürfen, festgestellt wurde. Die einstweilige Anordnung verliert ihre staatliche Eingriffe legitimierende Kraft nicht mit der Entscheidung in der Hauptsache. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt: „Zwar hat dieses Urteil Gesetzeskraft (BGBl. I 2010, 272); die Nichtigkeitserklärung wirkt ex tunc. Die ex tunc-Wirkung erfasst jedoch nicht die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008, die ebenfalls in Gesetzeskraft erwachsen ist (BGBl. I 2008, 659; s. auch Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG 29. Aufl. § 32 Rdnr. 173; Mitarbeiterkommentar-Berkemann BVerfGG 2. Aufl. § 32 Rdnrn. 359, 368 m.w.N.), so dass im Zeitraum zwischen deren Er-lass und der Hauptsacheentscheidung durchgeführte Datenerhebungen jedenfalls dann gesetzlich legitimiert sind, wenn - wie vorliegend - der Verdacht einer Katalogtat im Sinn des § 100a Abs. 2 StPO gegeben war (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 13. April 2010 - 3 Ws 156/10 -; OLG München, Beschl. v. 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10 -; Volkmer NStZ 2010, 318 ff.; BeckOK-Hegmann StPO Stand: 15. Oktober 2010 § 100g Rdnr. 17a). Denn die inzwischen erfolgte Beendigung des Hauptsacheverfahrens und die rückwirkende Nichtigerklärung der betreffenden Gesetzesnormen lässt die während der Anordnungsdauer gegebene selbständige Legitimierungsfunktion der einstweiligen Anordnung unberührt. Diese teilt gerade nicht das Schicksal der rückwirkend für nichtig erklärten Normen, sondern schafft als 'normvertretendes Übergangsrecht' eine zwar befristete, aber doch endgültige Ordnung (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge a.a.O. § 32 Rdnr. 8, 190; Volkmer a.a.O.; Berkemann a.a.O. § 32 Rdnr. 396 f. m.w.N.; OLG Hamm a.a.O.). Daher haben alle Rechtsakte, die während der Geltung der einstweiligen Anordnung auf deren Grundlage durchgeführt wurden, ungeachtet des Inhalts der späteren Hauptsacheentscheidung fortdauernden rechtlichen Bestand“. Dem schließt sich der Senat an (vgl. ebenso BGH, Beschluss vom 4. November 2010 -4 StR 404/10 [nicht tragend]; OLG Hamm, Beschlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10, 3 Ws 156/10 und 3 Ws 166/10; OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524). Das Bundesverfassungsgericht hat hier von seiner sich aus § 32 Abs. 1 BVerfGG ergebenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig zu regeln. Es hat die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, sich die angegriffenen Normen aber gleichwohl als verfassungswidrig erwiesen, gegen die Nachteile abgewogen, die durch eine vorläufige Nichtanwendung dieser Normen entstehen würden, und dabei festgestellt, dass einer Datenerhebung und -übermittlung unter engen Voraussetzungen der Vorrang vor der Nichterhebung einzuräumen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 2008, Rn. 152 ff.; Beschluss vom 28. Oktober 2008, Rn. 100 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei den einstweiligen Anordnungen nicht darauf beschränkt, die Nichtanwendung der zur Überprüfung gestellten Normen anzuordnen, sondern hat, auf der Grundlage der Vorschrift des § 32 BVerfGG, als „Interimsnormgeber“ - im Bundesgesetzblatt veröffentlichte -Regelungen zur Übermittlung von auf der Grundlage von § 113a TKG gespeicherten Telekommunikations-Verkehrsdaten geschaffen. Damit enthalten die einstweiligen Anordnungen für die Zeit ihrer Geltung eine endgültige Regelung mit Gesetzeskraft, die nicht mit der Entscheidung in der Hauptsache rückwirkend entfällt. Aus der Funktion des Rechtsinstituts der einstweiligen Anordnung und dem mit ihr verfolgten Sicherungszweck ergibt sich, dass die auf der Grundlage und während der Geltung der erlassenen einstweiligen Anordnungen vorgenommenen Rechtsakte rechtlichen Bestand haben müssen (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 28. August 2003 - 2 BvR 1012/01, NJW 2004, 279; BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1990 - 2 BvE 6/90, 2 BvE 7/90, NJW 1990, 3005; BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1989 -2 BvF 2/89, NJW 1989, 3147; Ben-da/Klein, Verfassungsprozessrecht 2. Aufl. Rn. 1229), zumindest wenn es sich - wie hier hinsichtlich der Übermittlung der gespeicherten Daten an die Strafverfolgungsbehörden -um einen vor der Entscheidung in der Hauptsache abgeschlossen Vorgang handelt. Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst. Es hat dort (Urteil vom 2. März 2010 - 2 BvR 256/08, Ziffer 3 des Tenors) ausdrücklich angeordnet, dass die aufgrund der einstweiligen Anordnungen von Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste im Rahmen von behördlichen Auskunftsersuchen erhobenen Daten unverzüglich zu löschen sind, soweit sie nicht bereits an die ersuchenden Behörden übermittelt worden sind. Einer solchen Regelung mit Gesetzeskraft (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG) hätte es nicht bedurft, würde der auf der Grundlage der einstweiligen Anordnungen durchgeführten Datenspeicherung und -übermittlung durch die Hauptsacheentscheidung ipso iure die Rechtsgrundlage entzogen. Ein Löschungsgebot hinsichtlich bereits übermittelter Daten hat das Bundesverfassungsgericht dagegen nicht statuiert und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Ergebnisse der bereits vollzogenen Ermittlungsmaßnahmen nicht rückwirkend beseitigt werden sollen, sondern vielmehr weiter verwendet werden dürfen. Anderes ergibt sich - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - auch nicht aus dem Grundsatz, dass bei einer Änderung strafprozessualer Bestimmungen für das weitere Verfahren auf die neue Rechtslage abzustellen ist. Denn die Änderung erfasst das Verfahren in der Lage, in der es sich bei Inkrafttreten der veränderten Rechtslage befindet. Für ein – wie hier hinsichtlich der Speicherung der Daten und deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden – bereits beendetes prozessuales Geschehen gilt eine Verfahrensänderung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 1969 - 4 StR 357/68, NJW 1969, 887, OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. März 2007 - 3 Ws 240/07 mwN, NStZ-RR 2007, 180). b) Die weitere strafprozessuale Verwendung der rechtmäßig erhobenen und übermittelten Telekommunikationsdaten ist gesetzlich erlaubt; ein selbständiges Verwertungsverbot, das dem entgegenstehen könnte, besteht nicht.
aa) Zwar besteht der Schutz durch Art. 10 Abs. 1 GG nicht nur gegenüber dem ersten Zugriff, mit dem die öffentliche Gewalt von Telekommunikationsvorgängen und -inhalten Kenntnis nimmt. Vielmehr erstreckt sich seine Schutzwirkung auch auf den Gebrauch der erlangten Kenntnisse, also auch auf jede Auswertung oder sonstige Verwendung durch die öffentliche Gewalt (BVerfG, Beschluss vom 2. März 2010 - 2 BvR 256/08 u.a., Rn. 190 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. November 2008 -3 StR 342/08, NJW 2009, 791). Der mit der Einführung der erhobenen Verbindungsdaten in die Hauptverhandlung und deren Verwertung bei der Urteilsfindung verbundene Grundrechtseingriff ist jedoch rechtlich zulässig. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob bereits die hier die Beweiserhebung rechtfertigende - normersetzende -einstweilige Anordnung zugleich die Rechtsgrundlage für die spätere Verwertung ist. Hierfür spricht, dass Beweise - gleich ob be-oder entlastend -nur deshalb erhoben werden (dürfen), damit sie im weiteren Verfahren Verwendung finden können. Der Zulassung der Beweiserhebung ist somit die spätere Verwertung immanent. Jedenfalls rechtfertigt der (ergänzende) Rückgriff auf die Vorschrift des § 244 Abs. 2 StPO die Verwertung rechtmäßig erlangter Beweismittel. Denn nach dieser Vorschrift ist das Gericht zur Erforschung der Wahrheit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1983 - GSSt 1/83, NJW 1984, 247). Das Tatgericht kann dem zentralen Anliegen des Strafprozesses, nämlich der Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2003 - 2 BvR 1337/03, NStZ-RR 2004, 18), grundsätzlich nur gerecht werden, wenn es rechtmäßig erlangte Erkenntnisse seiner Entscheidung auch zugrunde legt.
bb) Der Verwertung der von der Strafkammer herangezogenen Verbindungsdaten steht auch kein Verwertungsverbot entgegen. Eine - einfachrechtliche - nachträgliche Bemakelung rechtmäßig erhobener Daten kennt die Strafprozessordnung nicht (vgl. Graf in BeckOK-StPO, Stand 15. Oktober 2010, Edition 9, § 100a Rn. 119). Ein Verwertungsverbot kann daher nur verfassungsrechtlicher Natur sein. Ein solches ist aber nicht gegeben. Vielmehr belegt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833), dass die bis zu diesem Tag den ersuchenden Stellen übermittelten Daten als rechtmäßig gewonnene Beweismittel verwertet werden können, verfassungsrechtliche Bedenken also insoweit nicht bestehen. Indem das Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfG) anordnet, dass (nur) solche Daten unverzüglich zu löschen sind, die nicht bereits übermittelt sind, regelt es - im Umkehrschluss -, dass Einschränkungen hinsichtlich der Verwertbarkeit der bereits übermittelten Daten nicht bestehen sollen; ein Verwertungsverbot für bereits übermittelte Daten wurde gerade nicht ausgesprochen. Die Normierung eines Verwertungsverbots hinsichtlich der auf der Grundlage der einstweiligen Anordnung rechtmäßig übermittelten Daten war vom Bundesverfassungsgericht erkennbar auch nicht gewollt (so auch OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 - 2 Ws 404/10). Es hält nämlich eine anlasslose Speicherung der hier in Rede stehenden Telekommunikationsdaten nicht für schlechthin unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG. Vielmehr hält es verfassungsrechtlich für zulässig, dass der Gesetzgeber eine Speicherungspflicht für Verkehrsdaten für einen Zeitraum von sechs Monaten normiert und unter den im Urteil des Bundesverfassungsgerichts genannten Voraussetzungen auch Zugriffsregelungen schafft. Die Maßgaben im Urteil entsprechen -von höheren Anforderungen an die Datensicherheit und erweiterten Anforderungen an die Datensicherheit abgesehen - im Wesentlichen den Vorgaben der einstweiligen Anordnung. Auch dies zeigt, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen die strafprozessuale Verwendung der auf der Grundlage der einstweiligen Anordnungen bereits übermittelten Daten nicht gegeben sind. cc) Ein Verwertungsverbot ergäbe sich selbst dann nicht, wenn man aufgrund der ex-tunc-Wirkung der Nichtigerklärung der §§ 113a, 113b TKG, 100g StPO ein rückwirkendes Beweiserhebungsverbot annehmen wollte. Es besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass ein Beweiserhebungsverbot in jedem Fall ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Vielmehr wäre bei der nach gefestigter Rechtsprechung in einem solchen Fall gebotenen Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen und dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Strafrechtspflege und effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 -2 BvR 2101/09 – Rn. 43 ff., NStZ 2011, 103; BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2008 -2 BvR 784/08, NJW 2008, 3053; BVerfG, Beschluss vom 27. April 2000 - 2 BvR 1990/96, NJW 2000, 3556; BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, NStZ 2010, 44 mwN; Nack in KK-StPO, 6. Aufl. 2008, vor § 94 Rn. 10) auch in den Blick zu nehmen, dass jedes Beweisverbot die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt; ein Beweisverwertungsverbot stellt von Verfassungs wegen mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 2 BvR 2438/08, NJW 2010, 287 mwN; BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 2 BvR 2225/08, wistra 2009, 425). Zwar begründet eine anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten und folglich auch deren Verwertung einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (BVerfG, NJW 2010, 833 ff., Rn. 212). Beweiserhebung und -verwertung greifen hier indes nicht in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung ein. Der Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis kann durch die damit verfolgten Zwecke (Effektivierung der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste) gerechtfertigt sein. Art. 10 Abs. 1 GG verbietet nicht jede vorsorgliche Erhebung und Speicherung von Daten überhaupt, sondern schützt vor einer unverhältnismäßigen Gestaltung solcher Datensammlungen und hierbei insbesondere vor einer entgrenzenden Zwecksetzung (BVerfG aaO Rn. 206 f.). Hier erfolgte die Datenerhebung und -verwertung in einem Ermittlungs-bzw. Strafverfahren und war auf den Verdacht einer Straftat nach § 244a StGB gestützt, die als schwer zu qualifizieren ist. Auch beschränkte sich der Eingriff auf Standortdaten eines benutzten Mobiltelefons und den Umstand, dass gewisse Telefonate geführt wurden, obwohl sogar eine Telekommunikationsüberwachung mit Aufzeichnung der Gesprächsinhalte auf der Grundlage von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j StPO zulässig gewesen wäre. Schließlich wäre bei einer Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen, dass eine Tataufklärung und ein Tatnachweis ohne die bereits erhobenen Daten - deren Erhebung zum Zeitpunkt ihrer Speicherung und Übermittlung von einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt war -nicht oder zumindest nur wesentlich erschwert möglich gewesen wären.
Ihr Anwalt Hamburg - Kanzlei Rechtsanwälte Lauenburg & Kopietz