StPO § 100g, TKG §§ 113a, 113b Vorratsdaten trotz BVerfG verwertbar
StPO § 100g, TKG §§ 113a, 113b Vorratsdaten trotz BVerfG verwertbar
BGH, Urt. v. 13.01.2011 -3 StR 332/10 - NJW 2011, 1827
LS: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08 u.a.) hat der Erhebung von Telekommunikationsdaten und deren Übermittlung zum Zweck der Strafverfolgung während der Geltungsdauer und nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 nicht nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen. Die Verwendung solcher Daten im Strafverfahren durch ihre Einführung in die Hauptverhandlung und Verwertung im Rahmen der Urteilsfindung bleibt auch nach dem 2. März 2010 rechtmäßig.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar 2011 für Recht erkannt:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 23. April 2010 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dessen hiergegen gerichtete Revision rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Sie bleibt ohne Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge, das Landgerichthabe Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten zu Unrecht zu seinen Lasten verwertet; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 2. November 2009 nach 19.00 Uhr in die Wohnung des kurzzeitig abwesenden Zeugen E. in S., wo er mit dessen Einverständnis bis zum Vortage gewohnt hatte. Er wollte die Wohnung durch Brandlegung zerstören. Um fahrlässiges Handeln des Zeugen vorzutäuschen, schaltete er in der Küche eine Herdplatte an, auf die er einen nicht mehr feststellbaren Gegenstand legte. Sodann setzte er in der Schlafecke des Wohnraums neben dem Bett Materialien unbekannter Beschaffenheit in Brand. Das Feuer griff, wie vom Angeklagten beabsichtigt, auf das Bett über; Hitzeschäden und Rauchgasablagerungen machten die gesamte Wohnung unbenutzbar. Um 19.39 Uhr verständigte eine Nachbarin die Feuerwehr. Während der Löscharbeiten erschien der Angeklagte und erklärte einem anwesenden Polizeibeamten, er sei gekommen, um Medikamente zu holen, die er bei seinem Auszug zurückgelassen habe.
2. Der Angeklagte, der nach seinem Auszug aus der Wohnung des Zeugen ein Hotelzimmer in Hannover bezogen hatte, hat sich dahin eingelassen, er sei erstmals nach Beginn der Löscharbeiten am Gebäude eingetroffen. Um die von ihm benötigten Medikamente zu holen, habe er die Bahn um 18.55 Uhr ab Hannover genommen, könne also nicht schon zur Zeit der Brandentstehung in S. gewesen sein. Diese Einlassung hat das Landgericht für widerlegt gehalten. Dabei hat es sich unter anderem darauf gestützt, dass das Mobiltelefon des Angeklagten bereits ab 19.00 Uhr mehrfach an einem zwischen der Wohnung des Zeugen und dem Bahnhof S. stehenden Funkmast eingeloggt war, und zwar um 19.00 Uhr und 19.02 Uhr in einem Abstrahlbereich in Richtung Bahnhof und um 19.36 Uhr und 19.37 Uhr in einem Abstrahlbereich, der die Wohnung des Zeugen erfasst.
3. Die Erhebung der beim Diensteanbieter (§ 3 Nr. 6 Buchst. a TKG) gespeicherten Verkehrsdaten des Mobiltelefonanschlusses hatte das Landgericht durch Beschluss vom 15. Februar 2010 mit der Begründung angeordnet, der Angeklagte sei einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s StPO verdächtig. Ohne die Datenerhebung, welcher der Angeklagte zugestimmt habe, werde die Aufklärung seines Aufenthalts zur Tatzeit wesentlich erschwert. Aus den mitgeteilten Daten fertigte die ermittelnde Polizeidienststelle eine Tabelle, die in der Hauptverhandlung am 26. Februar 2010 in Augenschein genommen und, soweit hier von Bedeutung, verlesen wurde. Im Fortsetzungstermin am 4. März 2010 ordnete der Vorsitzende die Vernehmung der für die Datenauswertung zuständigen Beamten an. Unter Hinweis auf das am 2. März 2010 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu §§ 113a TKG, 100g StPO (1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833) widersprach die Verteidigerin nunmehr der Verwertung der erhobenen Daten. Durch nachfolgenden Gerichtsbeschluss bestätigte das Landgericht die Anordnung des Vorsitzenden und führte zur Begründung aus, die Datenerhebung sei von der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. März 2008 -1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1; im Folgenden bis zur Entscheidung in der Hauptsache [Urteil vom 2. März 2010 -1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833] verlängert) gedeckt gewesen. Gegenstand des Verfahrens sei eine schwere Straftat, so dass das Strafverfolgungsinteresse Vorrang vor dem Schutz des Grundrechts des Angeklagten aus Art. 10 GG habe.
II. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Landgericht die Verkehrsdaten des Mobiltelefonanschlusses zu Recht verwertet. Die Gewinnung der Beweise weist keinen Rechtsfehler auf (1.); die auf dieser rechtmäßigen Grundlage beruhende Beweisverwendung durch Einführung der Daten in die Hauptverhandlung und deren Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht zu beanstanden (2.).
1. Die am 15. Februar 2010 angeordnete Erhebung der Verkehrsdaten des Mobiltelefons des Angeklagten und damit einhergehend deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden durch den Diensteanbieter war rechtmäßig (§ 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO; § 113a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c, Abs. 5 TKG).
a) Allerdings hat sich der Senat nach Einsicht in die vom Anbieter auf Anordnung des Landgerichts erteilte Auskunft im Wege des Freibeweises davon überzeugt, dass dieser - entsprechend der begleitenden Mitteilung - jedenfalls die Standortdaten lediglich noch aufgrund seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 113a TKG vorgehalten und für eigene Zwecke nicht mehr benötigt hat; hierfür spricht auch bereits der Zeitablauf (vgl. KMR/Bär, StPO, Vor § 100a Rn. 24, 26a [Stand: August 2010]). Ebenso ergibt die Überprüfung der mitgeteilten Datensätze, dass diese, anders als vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angenommen, nur im Zusammenhang mit Kommunikationsvorgängen gespeichert waren (§ 113a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c, Abs. 5 TKG).
b) Zutreffend ist das Landgericht indes davon ausgegangen, dass die besonderen Voraussetzungen, an die das Bundesverfassungsgericht in seiner einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) die Übermittlung von allein nach § 113a TKG gespeicherten Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) geknüpft hatte, vorliegend erfüllt waren. Gegenstand des Verfahrens ist eine Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. s StPO. Nach den Tatumständen wiegt sie auch im Einzelfall schwer (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Nicht zu beanstanden ist auch die vom Landgericht im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 366 f.) gewonnene Einschätzung, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert gewesen wäre (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO).
c) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 hat der Erhebung solcher Daten und deren Übermittlung zum Zwecke der Strafverfolgung während der Geltungsdauer und nach Maßgabe der einstweiligen Anordnung vom 11. März 2008 nicht nachträglich die Rechtsgrundlage entzogen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Hauptsacheentscheidung vom 2. März 2010 zwar die §§ 113a, 113b TKG insgesamt und § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG für nichtig erklärt, als danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden dürfen. Dadurch wird jedoch die Rechtmäßigkeit des von der einstweiligen Anordnung gedeckten, in der Datenerhebung und -übermittlung liegenden und insoweit abgeschlossenen Grundrechtseingriffs nicht berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 404/10, Rn. 18 [nicht tragend]; OLG Hamm, Beschlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 -2 Ws 404/10; KMR/Bär, § 100g Rn. 40a StPO [Stand: August 2010]; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524, 527 f.; Volkmer, NStZ 2010, 318, 319 f.; aA, allerdings ohne nähere Begründung, Blankenburg, MMR 2010, 587, 590; Gercke, StV 2010, 281, 283). Einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, die gesetzliche Regelungen vorläufig aussetzt, außer Kraft setzt oder modifiziert, kommt aus der Natur der Entscheidung Gesetzeskraft zu (Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, BVerfGG, § 32 Rn. 173, 190 [Stand: Juli 2002]); sie wird dementsprechend im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (vgl. hier BGBl. I 2008, 659, 2239; 2009, 3704). Ungeachtet dessen, dass eine nachfolgende Feststellung der Nichtigkeit der Norm (§ 78 BVerfGG) auf den Zeitpunkt deren Inkrafttretens zurückwirkt(vgl. Löwisch, JZ 1961, 731 f.), schafft eine solche einstweilige Anordnung gesetzesvertretendes Übergangsrecht und regelt die Rechtslage für die Zeit ihrer Geltung endgültig (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, aaO § 32 Rn. 8 f.). Rechtsakte auf der Grundlage und während der Geltung einer vom Bundesverfassungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung behalten deshalb unabhängig vom Inhalt der späteren Hauptsacheentscheidung grundsätzlich ihren rechtlichen Bestand (aaO Rn. 175). Dies findet auch Bestätigung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Wahlen, die auf der Grundlage einer die Vorschriften des Wahlrechts modifizierenden einstweiligen Anordnung stattfinden, auch für den Fall einer abweichenden Hauptsacheentscheidung als gültig erachtet werden (BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1990 - 2 BvE 6/90 u.a., BVerfGE 82, 353, 370; Urteil vom 12. Oktober 1989 -2 BvF 2/89, BVerfGE 81, 53, 56).
2. Die Verwertung der rechtmäßig gewonnenen Beweise durch die Strafkammer erweist sich mit Blick sowohl auf das verfassungs- als auch das ein-fachrechtliche Regelungsgefüge ebenfalls als rechtsfehlerfrei (im Ergebnis ebenso OLG Hamm, Beschlüsse vom 13. April 2010 - 3 Ws 140/10 u.a.; OLG München, Beschluss vom 27. Mai 2010 -2 Ws 404/10; KMR/Bär, StPO, § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]; Marlie/Bock, ZIS 2010, 524, 527 f.; Volkmer, NStZ 2010, 318, 320). Die Einführung der übermittelten Daten in die Hauptverhandlung sowie deren Verwertung im Rahmen der Urteilsfindung waren insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil nach neuerem verfassungsrechtlichen Verständnis jede weitere Verwendung erhobener Daten als eigenständiger Grundrechtseingriff zu werten und die Rechtsgrundlage für die Erhebung und Übermittlung der Daten zum Zeitpunkt der Beweisverwertung vom Bundesverfassungsgericht durch seine Hauptsacheentscheidung vom 2. März 2010 für nichtig erklärt worden ist. Im Einzelnen:
a) Selbst bei rechtswidriger Beweisgewinnung ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz dahin fremd, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Vielmehr ist in diesen Fällen über die Verwertung der Beweise je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts - den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind - einschränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87 mwN).
b) Diese Grundsätze beanspruchen erst recht und in verstärktem Maße Geltung, wenn - wie hier - die Gewinnung der Beweise rechtmäßig war. Auch in diesem Fall scheidet deren Verwertung im Strafverfahren ausnahmsweise allenfalls dann aus, wenn eine ausdrückliche Vorschrift dies gebietet oder im Einzelfall übergeordnete wichtige Gründe entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
aa) Eine ausdrückliche gesetzliche Norm in Form eines selbstständigen Beweisverbots (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Einl. Rn. 50), welche die Beweisverwertung hier verbietet, ist nicht ersichtlich.
bb) Sonstige übergeordnete Gründe stehen einer Verwertung ebenfalls nicht entgegen.
(1) Werden Telekommunikationsdaten eines Beschuldigten für ein gegen ihn geführtes Strafverfahren herangezogen und genutzt, so erschöpft sich der Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG allerdings nicht schon in der Erhebung der Daten beim Diensteanbieter und in deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden. Vielmehr sind auch sämtliche nachfolgenden Verwendungen und Verwertungen der durch die Datenerhebung gewonnenen Informationen nach neuerer verfassungsrechtlicher Dogmatik nicht mehr nur als Fortsetzung des Ersteingriffs, sondern als neue Grundrechtseingriffe zu bewerten, die jeweils einer eigenen gesetzlichen Ermächtigung bedürfen und an diesem Grundrecht zu messen sind (Maunz/Dürig/Durner, GG, Art. 10 Rn. 61, 87 [Stand: Januar 2010]; BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833, 835 f.). Dies gilt auch für deren Einführung in die Hauptverhandlung nach den strafprozessualen Regeln über die Beweisaufnahme sowie deren Verwertung bei der Urteilsfindung (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64, 68).
(aa) Es kann dahinstehen, ob die fortdauernde Wirkung der die Beweiserhebung rechtfertigenden einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts auch die Beweisverwertung legitimiert (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 13. April 2010 -3 Ws 140/10 u.a.; ähnlich KMR/Bär, StPO, § 100g Rn. 40a [Stand: August 2010]). Dies könnte zweifelhaft sein, weil die §§ 113a, 113b TKG, § 100g Abs. 1 StPO allein die Erhebung und die Speicherung der Daten beim Diensteanbieter und deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden regeln. Es ist deshalb fraglich, ob sie nach Wortlaut und Zweck als Grundlage weiterer selbstständiger Grundrechtseingriffe in Betracht kommen können. Wie bei jedem im Ermittlungsverfahren unter rechtmäßigem Eingriff in ein Grund-recht gewonnenen Beweismittel ist Rechtsgrundlage für die Einführung der Verkehrsdaten in die Hauptverhandlung - und damit für die erneute Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG - jedenfalls die in § 244 Abs. 2 StPO statuierte Pflicht des Gerichts, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auf alle im Verfahren gewonnenen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die rechtliche Legitimation für die Verwertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Daten zur Urteilsfindung - dem nochmaligen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG - liefert dagegen § 261 StPO, der dem Tatrichter gebietet, sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu bilden, mithin insbesondere die dort erhobenen Beweise zu würdigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937, 2938; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1979 - 3 StR 281/79, BGHSt 29, 109, 110; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 11 mwN).
(bb) § 244 Abs. 2 und § 261 StPO legen Anlass, Verwendungszweck und Grenzen des weiteren Grundrechtseingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar fest (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 1430/88, BVerfGE 85, 386, 403 f.; Maunz/Dürig/Durner, GG, Art. 10 Rn. 138 [Stand: Januar 2010]). Nicht etwa ist es hierzu erforderlich, alle denkbaren Beweismittel, die im Ermittlungs-, Zwischen- oder Hauptverfahren außerhalb der Hauptverhandlung durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte unter Beeinträchtigung eines Grundrechts rechtmäßig gewonnen wurden, in die Vorschriften über die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung und die Verwertung der hierbei gewonnenen Beweisergebnisse für das Urteil (nochmals) enumerativ aufzuzählen, um die weitere Verwendung der Beweismittel gesetzlich zu legitimieren. Derartiges würde vielmehr zu einer Gesetzesverästelung und -aufblähung führen, ohne dass hierdurch dem betroffenen Grundrechtsträger tatsächlich ein Mehr an Grundrechtsschutz und Rechtssicherheit gewährleistet wäre.
(2) Im Übrigen ist ein Beweisverwertungsverbot zwar bereits von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind und deshalb nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 -2 BvR 2101/09, wistra 2011, 61, 64). Jedes Beweisverwertungsverbot schränkt allerdings die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen ein und beeinträchtigt so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung; auch von Verfassungs wegen stellt es mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme dar (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 2 BvR 2438/08, NJW 2010, 287; vom 20. Mai 2010 - 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937, 2938). Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor. Bei der insoweit gebotenen Abwägung der Strafverfolgungsinteressen mit den betroffenen Individualinteressen fällt ins Gewicht, dass der mit der weiteren Verwertung der Daten verbundene Eingriff in das Grundrecht des Angeklagten aus Art. 10 Abs. 1 GG nicht besonders schwer wiegt; insbesondere wird der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht tangiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die §§ 113a, 113b TKG zwar in der vom Gesetzgeber gewählten Fassung für nichtig erklärt worden sind, eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für eine Verwendung im Rahmen der Strafverfolgung, wie sie diese Vorschriften vorsahen, mit Art. 10 GG jedoch nicht schlechthin unvereinbar ist (BVerfG, Urteilvom 2. März 2010 -1 BvR 256/08 u.a., NJW 2010, 833, 837). Im Übrigen beschränkt sich der Eingriff auf die Feststellung des Aufenthalts des Angeklagten; die Inhalte seiner Telekommunikation sind davon nicht betroffen, sondern allenfalls deren Umstände. Die inhaltlichen Voraussetzungen, an die das Bundesverfassungsgericht eine Verwendung von Vorratsdaten für Zwecke der Strafverfolgung knüpft, sind vorliegend gewahrt. Gegen den Angeklagten besteht ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat, deren Qualifizierung als schwer in der Strafnorm -insbesondere durch deren Strafrahmen - einen objektivierten Ausdruck findet (vgl. BVerfG aaO 841). Wie bereits dargelegt, wiegt die dem Angeklagten vorgeworfene Straftat auch im Einzelfall schwer (vgl. aaO); deren weitere Aufklärung wäre ohne die Verwertung der Daten wesentlich erschwert. Die Effektivierung der Strafverfolgung ist ein legitimer Zweck, der einen Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis grundsätzlich rechtfertigen kann. Denn auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Januar 2009 -2 BvR 2044/07, NJW 2009, 1469, 1474; vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, wistra 2011, 61, 64).
(3) Der Senat sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestätigt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 2. März 2010 lediglich die Löschung von den Diensteanbietern noch nicht übermittelter Vorratsdaten angeordnet, sich indes zur Frage der Verwertbarkeit nach Maßgabe seiner einstweiligen Anordnung erhobener sowie bereits an die Strafverfolgungsbehörden übermittelter Daten nicht verhalten und damit deren weitere Verwertung im Strafverfahren nicht ausgeschlossen hat. Der genannten Entscheidung kann deshalb nicht die Intention des Bundesverfassungsgerichts entnommen werden, dass die im Ermittlungsverfahren rechtmäßig gewonnenen Daten im weiteren Strafverfahren einschließlich der Urteilsfindung nicht mehr verwertet werden dürfen; auf diese Weise würde im Übrigen der Regelungsgehalt der in ihrer Wirkung fortbestehenden einstweiligen Anordnung letztlich konterkariert und der Verwertung rechtmäßig gewonnener Beweise in systemwidriger Weise nachträglich der Boden entzogen.
(4) Die Unzulässigkeit der Einführung der Daten in die Hauptverhandlung und ihrer Verwertung im Rahmen der Beweiswürdigung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 folgt auch nicht aus dem Grundsatz, wonach bei einer Änderung des Strafverfahrensrechts anhängige Verfahren nach der neuen Rechtslage fortzuführen sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2008 - 3 StR 342/08, BGHSt 53, 64, 67; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 354a Rn. 4 je mwN). Selbst wenn man diesen Grundsatz entsprechend auf die hier vorliegende Konstellation überträgt, dass das Bundesverfassungsgericht eine strafprozessuale Frage im Wege einer einstweiligen Anordnung vorübergehend regelt und der Inhalt der Entscheidung in der Hauptsache zu derjenigen der einstweiligen Anordnung in Widerspruch steht, führt dies nicht zur Unverwertbarkeit der erhobenen Daten. Denn wie bereits dargelegt befassen sich hier sowohl die einstweilige Anordnung als auch das Hauptsacheurteil vom 2. März 2010 allein mit den Vorschriften der §§ 113a, 113b TKG, § 100g StPO zur Speicherung der Daten beim Diensteanbieter sowie deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden und damit mit einem zur Zeit der Hauptverhandlung und Urteilsfindung beendeten prozessualen Geschehen. Sie betreffen dagegen nicht die für die Verwertung der Beweise im weiteren Strafverfahren relevanten § 244 Abs. 2, § 261 StPO. Diese Bestimmungen sind vielmehr durch das genannte Urteil unberührt geblieben und waren deshalb vom Landgericht in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsfindung ohne Einschränkung zu beachten.
3. Nach alldem bedarf es keiner näheren Erörterung, ob das vom Angeklagten zunächst zu der ursprünglichen Datenabfrage erklärte Einverständnis auch unabhängig von obigen Erwägungen die Beweiserhebung über die Verkehrsdaten in der Hauptverhandlung und deren Verwertung bei der Urteilsfindung rechtfertigte oder ob der Angeklagte dieses Einverständnis nicht zumindest nach der Verkündung des verfassungsgerichtlichen Urteils vom 2. März 2010 wirksam zurückziehen konnte. Keiner Betrachtung bedarf auch die Frage, ob es von rechtlicher Bedeutung ist, dass die Verkehrsdaten als solche schon vor dem 2. März 2010 im Wege des Urkundenbeweises verlesen worden waren, während nach diesem Tag allein noch deren Auswertung durch die Vernehmung der zuständigen polizeilichen Ermittlungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.