StPO § 136 StPO – Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung ab wann Beschuldigter?
StPO § 136 StPO – Verwertungsverbot bei unterlassener Belehrung ab wann Beschuldigter?
Liegen keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte für eine erfolgte Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 S. 2 StPO bei einer Vernehmung vor, und kommt hinzu, dass ein Aktenvermerk im Sinne von Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht gefertigt wurde, so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. April 2006 a) im Fall II. 4 der Urteilsgründe mit den Feststellungen, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln (Fälle II. 1 bis 3) sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 4) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 4 und des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.
I. Die Verfahrensbeschwerde, mit der die Revision rügt, das Landgericht habe eine vom Angeklagten zum Fall II. 4 ohne Belehrung über sein Schweigerecht gemachte Aussage zu einer sichergestellten Gaspistole verwertet (Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO), hat Erfolg.
1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde: Im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung wurde im Zimmer des Angeklagten in einem Schuhkarton eine größere Menge Marihuana gefunden. In Griffweite zum Schuhkarton wurde darüber hinaus in einer Schachtel, die sich in der unteren Schublade des Nachtkästchens befand, eine funktionstüchtige Gaspistole sichergestellt. Die Waffe war zwar ungeladen, es befanden sich jedoch in der Schachtel auch zu der Waffe passende Pfefferkartuschen, mit denen die Waffe jederzeit hätte geladen werden können. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung das Drogengeschäft im Fall II. 4 ebenso eingeräumt wie in den Fällen II. 1 bis 3. Zu der gefundenen Gaspistole hat er sich dahin eingelassen, er habe nicht gewusst, dass sie sich im Nachtkästchen befunden habe. Das Nachtkästchen sei von seiner Schwester ein paar Tage vor seiner Festnahme aus einer Kammer im Dachgeschoß auf seine Bitte hin in sein Zimmer getragen worden, um dort den Wecker abzustellen. Er habe nie hineingeschaut. Die Strafkammer hat diese Einlassung durch die glaubhaften Angaben der Polizeibeamten M. , W. und K. als widerlegt angesehen. Der Zeuge M. hat ausgesagt, der bei der Durchsuchung anwesende Vater des Angeklagten habe nach Auffinden der Gaspistole geäußert, diese sei ein Erbstück und er sei verwundert, wie die Waffe in das Zimmer seines Sohnes gelangt sei. Der Angeklagte habe „sinngemäß geantwortet, er habe sie eine Woche zuvor geholt“. Diese Aussage des Angeklagten haben die Polizeibeamten K. und W. bestätigt. Der Verteidiger hat der Verwertung dieser Äußerung des Angeklagten widersprochen, weil der Angeklagte zu Beginn der Ermittlungshandlungen nicht - wie nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschrieben – belehrt worden sei. Die Strafkammer hat die drei Polizeibeamten dazu vernommen, ob eine Belehrung erfolgt sei. Dazu gab der Zeuge M. an, er habe den Angeklagten „spätestens bei der [anschließenden] Durchsuchung seiner Person, als in seiner Hosentasche 4,76 g Marihuana aufgefunden wurden, belehrt. Ob er ihn zuvor belehrt habe, könne er nicht mehr sagen“. Der Polizeibeamte K. sagte aus, er selbst habe den Angeklagten nicht belehrt, „er vermute, dass eine Belehrung durch POM M. erfolgte. Wo diese stattgefunden hat, könne er nicht mehr sagen“. Der Polizeibeamte W. gab an, „keine Angaben darüber machen zu können, ob der Angeklagte belehrt worden sei“. Die Strafkammer hat die Aussage des Angeklagten verwertet. Da sich nicht klären lasse, ob vor seiner Aussage zu der Gaspistole durch die Beamten eine Belehrung erfolgt sei, dürfe nach den Grundsätzen aus BGHSt 38, 214, 224 der Inhalt der Einlassung verwertet werden. Dem Angeklagten könne die Waffe aufgrund der Bekundungen der Polizeibeamten im Sinne eines bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zugerechnet werden.
2. Die freibeweisliche Würdigung der Strafkammer zu dem Vorliegen der Belehrung ist nicht tragfähig. Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Strafkammer durch die Vernehmung der drei Polizeibeamten zu klären versucht, ob die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bezeichnete Belehrung erteilt worden ist oder ob es Hinweise dafür gibt, dass die Belehrung versäumt worden ist. Die vom Landgericht mitgeteilten Bekundungen der Polizeibeamten legen nahe, dass keiner der Beamten eine konkrete Erinnerung daran hatte, ob die vorgeschriebene Belehrung vor der Einlassung des Angeklagten zu der Gaspistole erfolgt ist. Anders als in den Fällen in BGHSt 38, 214, 224 und BGH NStZ 1997, 609, in denen es jedenfalls Hinweise für eine erfolgte Belehrung gab, die sich nicht näher aufklären ließen, gibt es hier aufgrund der Aussagen der Polizeibeamten keine Anhaltspunkte für eine Belehrung. Es ist auch nicht festgestellt, dass einer der Polizeibeamten, den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 45 Abs. 1 RiStBV) entsprechend, eine Belehrung aktenkundig gemacht hat. Liegen somit keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte für eine erfolgte Belehrung vor, und kommt hinzu, dass ein Aktenvermerk im Sinne von Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht gefertigt wurde, so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden.
3. Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Verurteilung im Fall II. 4 der Urteilsgründe; er erfasst auch die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Senat sieht davon ab, hinsichtlich des Schuldspruchs auf unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch zu entscheiden. Mit der Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 4 entfällt auch die Gesamtstrafe. Zur Strafzumessung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass im Fall II. 4 bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG vorliegt und gelangt sie auch zu einem minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG, so wird sie die Sperrwirkung des Strafrahmens des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu beachten haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH NJW 2003, 1679).
II. Die Überprüfung des Urteils in den Fällen II. 1 bis 3 aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Ihr Anwalt Hamburg - Kanzlei Rechtsanwälte Lauenburg & Kopietz