StPO § 154, 154a, 274 Hinweis auf Verwertung ausgeschiedener Teile bei Beweiswürdigung und Strafzumessung

StPO § 154, 154a, 274 Hinweis auf Verwertung ausgeschiedener Teile bei Beweiswürdigung und Strafzumessung 

BGH, Beschl. v. 29.06.2010 – 1 StR 157/10 - wistra 2010, 409

Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher Hinweis auf die beabsichtigte Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Straf­zumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 29. Oktober 2009 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.  Gründe: Der Angeklagte wurde wegen Diebstahls in 19 Fällen und versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ver­urteilt. Seine auf die zu einer Tat näher ausgeführte Sachrüge und auf zwei den Strafausspruch betreffende Verfah­rensrügen gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. In einem Fall haben der Angeklagte und ein Mittäter aus einem fremden Pkw arbeitsteilig mehrere Geräte ausge­baut und unter sich aufgeteilt. Der Angeklagte hat demgegenüber angegeben, er habe zwar in Kenntnis aller Um­stände den Mittäter zum Tatort gefahren, dessen Tatbegehung abgesichert und einen Teil der Beute bekommen, aber nichts selbst ausgebaut. Es kann offen bleiben, ob diese im Urteil und von der Revision eingehend behandelte Diffe­renz für den Strafausspruch oder sogar für den Schuldspruch bedeutsam sein könnte, da die Beweiswürdigung entge­gen der Auffassung der Revision rechtsfehlerfrei ist. Die Feststellungen beruhen auf den Angaben des Mittäters, dessen Angaben sich auch in einem anderen vom Angeklagten nicht eingeräumten Fall im Blick auf die Aussagen eines weiteren Mittäters als zutreffend erwiesen haben. Soweit ergänzend ausgeführt ist, der Angeklagte sei nicht der „Typ“, der abseits des Tatorts wartet, ist mit dieser umgangssprachlich formulierten Erwägung offensichtlich auf die zu den übrigen Taten gewonnenen Erkenntnisse verwiesen. Auch sonst ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei. 

2. Gleiches gilt für den Strafausspruch. Zum Revisionsvorbringen bemerkt der Senat: Hinsichtlich der dem Ange­klagten in mehreren Fällen tateinheitlich zum Diebstahl zur Last gelegten Sachbeschädigung wurde in der Hauptver­handlung gemäß § 154a StPO verfahren. Die vom Angeklagten verschuldeten Schäden sind trotzdem ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt. In diesem Zusammenhang macht die Revision mehrere Mängel geltend: 

a) Der Angeklagte sei nicht auf die mögliche strafschärfende Bewertung der Sachschäden hingewiesen worden. 

b) In zwei Fällen seien die Schäden näher festgestellt und quantifiziert worden. Sachbeschädigung habe dem Ange­klagten aber nicht nur in diesen, sondern auch in weiteren Fällen zur Last gelegen; da die Schäden strafschärfend berücksichtigt seien, sei zu besorgen, dass dies sämtliche gemäß § 154a StPO behandelten Schäden betreffe, auch soweit sie in den Urteilsgründen nicht überprüfbar dargelegt seien.

3. Dieses Vorbringen bleibt erfolglos.

a) Der Vortrag zu dem unterbliebenen Hinweis ist widersprüchlich (1); der Hinweis wurde erteilt (2).

(1) Bei den Ausführungen zur unzulänglichen Darlegung der Schäden in den Urteilsgründen heißt es, dieser Mangel sei „unabhängig davon, ob bzw. d a s s (Hervorhebung hier vorgenommen) die Kammer hinsichtlich der ausge­schiedenen Tatteile einen solchen Hinweis <gemeint: auf die mögliche strafschärfende Bewertung> gegeben hat“. Es ist als sowohl vorgetragen, dass der Hinweis nicht erteilt wurde, als auch, dass er doch erteilt wurde. In tatsächlicher Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Revisionsbegründung - sei es auch in unterschiedlichen Zu­sammenhängen - kann aber schon im Ansatz nicht Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (BGH NStZ 2008, 353; b. Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1). Die auf den angeblich unterbliebenen Hinweis gestützte Rüge geht daher fehl, ohne dass es auf weiteres noch ankäme.

(2) Die Rüge bliebe aber auch sonst erfolglos. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich zu dem Hinweis nichts, im Urteil heißt es, der Vorsitzende habe den Hinweis erteilt. Die Revision ist im Kern darauf gestützt, ein solcher Hinweis sei als wesentliche Verfahrensförmlichkeit gemäß § 274 StPO nur durch das Hauptverhandlungspro­tokoll beweisbar (so ohne nähere Begründung auch OLG München NJW 2010, 1826, 1827; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 368; Beulke in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 154 Rdn. 59), nicht aber durch die Urteilsgründe (BGH NJW 1976, 977, 978; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 274 Rdn. 3 m.w.N.). Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher (vgl. BGH NStZ 2004, 277, 278 m.w.N.) Hinweis auf die beabsich­tigte Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Strafzumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit. Er betrifft die Tatsachengrundlage des Urteils. Bei einem anderweit erforderlichen Hinweis auf wesentliche Änderungen in tatsächlicher Hinsicht (§ 265 StPO) handelt es sich regelmäßig nicht um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit (vgl. zusammenfassend Stuckenberg in KMR § 265 StPO Rdn. 57, 61 ff. m.w.N.). Für den hier in Rede stehenden, ebenfalls Tatsachen betreffenden Hinweis kann nichts anderes gelten (vgl. Rieß NStZ 1987, 134, 135 <Anm. zu BGH aaO 134>; Schimansky MDR 1986, 283; im Ergebnis ebenso Pelchen JR 1986, 166, 167). Auch wenn die Aufnahme eines solchen Hinweises in das - zur Doku­mentation von Verfahrensgeschehen eher als das Urteil geeignete - Hauptverhandlungsprotokoll dennoch zweckmä­ßig ist (vgl. Schimansky aaO 284), ist dieses also nicht das einzig zulässige Beweismittel. Angesichts der Urteils­gründe ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zweifelhaft, dass der Hinweis hier erteilt wurde.

b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass im Urteil weder dem Grunde noch der Höhe nach festgestellte Schäden straf­schärfend berücksichtigt wurden. Allein daraus, dass dem Angeklagten nicht nur in den Fällen, in denen Schäden festgestellt sind, ebenfalls gemäß § 154a Abs. 2 StPO behandelte Schäden zur Last lagen, folgt dies nicht. Erhärtet wird dies dadurch, dass die ausdrücklich am jeweiligen Beutewert orientierten Einzelstrafen trotz einer gegenüber sonstigen Taten nicht wertvolleren Beute in den Fällen etwas höher sind, in denen zusätzlich noch Schäden aus­drücklich festgestellt und strafschärfend bewertet sind. 

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