StPO § 244 Abs. 2 kein Beweisverwertungsverbot bei Handyaufnahmen
StPO § 244 Abs. 2 kein Beweisverwertungsverbot bei Handyaufnahmen
BGH, Urt. v. 07.01.2016 – 2 StR 202/15 – BeckRS 2016, 05059
Ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung bestehen an der Zulässigkeit der Beweisverwertung keine Bedenken. Die Audio-, gegebenenfalls auch die Videodateien dokumentieren unmittelbar die dem Angeklagten zur Last liegende Tat, deren vollständige Aufklärung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ist durch eine solche Verwertung nicht berührt, weil das öffentliche Interesse an einer umfassenden Aufklärung der Straftat überwiegt. Bei dieser Sachlage scheidet die Annahme eines Beweisverwertungsverbots aus.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 7. Oktober 2015, in der Sitzung am 7. Januar 2016 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 12. Dezember 2014 mit den zugehörigen Feststellungen
a) in den Fällen 2, 4 bis 16 der Anklageschrift vom 8. August 2014 sowie in den Fällen 1 bis 20 der Nachtragsanklage vom 19. November 2014,
b) im Strafausspruch im Fall 25,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 2 und 25 der Anklageschrift vom 8. August
2014,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen "Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, gefährlicher Körperverletzung in zwei weiteren Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sieben weiteren Fällen sowie wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 33 Fällen" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt und eine isolierte Fahrerlaubnissperre von einem Jahr angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge sowie die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts den Schuldspruch im Fall 2 der Anklageschrift vom 8. August 2014 und die Rechtsfolgenaussprüche angreift. Die Revision des Angeklagten hat einen Teilerfolg und führt zur Aufhebung der Verurteilungen in den Fällen 2, 4 bis 16 der Anklageschrift vom 8. August 2014 sowie der Fälle 1 bis 20 der Nachtragsanklage vom 19. November 2014 und zur Aufhebung des Strafausspruchs im Fall 25 der Anklageschrift vom 8. August 2014. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls einen Teilerfolg und führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 2 und 25 der Anklageschrift vom 8. August 2014. Im Übrigen ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet.
Der Erfolg der Rechtsmittel entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
II.-III. […]
IV. 1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision konkludent auf die Verurteilungsfälle beschränkt und den Teilfreispruch von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich des Falles 2 der Anklageschrift vom 8. August 2014 bereits mit der Aufklärungsrüge Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des Strafausspruchs.
a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Die Zeugin N. hielt das Tatgeschehen im Fall 2 der Anklageschrift vom 8. August 2014 mit ihrem Handy in insgesamt vier Audio- bzw. Videodateien fest, deren akustischen Inhalt die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift im Einzelnen wiedergegeben hat. Diese Dateien wurden als Beweismittel beschlagnahmt. Nach einem Widerspruch des Verteidigers lehnte die Strafkammer eine Verwertung der Dateien durch Beschluss vom 5. Dezember 2014 ab, weil es
sich um eine heimlich gefertigte Aufnahme handele und daher grundsätzlich ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Eine Verwertung wegen Vorliegens besonderer Umstände scheide vorliegend aus, weil der Angeklagte ein Geständnis abgelegt habe.
b) Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Verfahrensrüge eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO). Die Audio-/Videodateien seien nicht heimlich, sondern in Kenntnis des Angeklagten hergestellt worden. Eine Verwertung scheide auch bei unterstellter und rechtlich bedenklicher Beweiserhebung nicht aus, weil es sich um ein Beweismittel zur Aufklärung einer schweren Straftat handele. Zwar habe der Angeklagte ein Teilgeständnis abgelegt und nach anfänglichem Leugnen auch gestanden, auf den Geschädigten uriniert zu haben. Er habe das Tatgeschehen und seine eigenen Tatbeiträge jedoch bagatellisiert. Die Strafkammer sei von einer Aussage-gegen- Aussagekonstellation ausgegangen und habe sich nicht in der Lage gesehen, die Angaben des Angeklagten zu widerlegen. Bei dieser Beweislage habe sie sich zur Verwertung des Beweismittels gedrängt sehen müssen.
c) Die Aufklärungsrüge hat Erfolg. Es kann dahin stehen, ob es sich bei den Audiodateien - wie vom Landgericht angenommen - tatsächlich um heimlich gefertigte Aufnahmen handelte. Gegen diese Annahme spricht, dass die Zeugin N. , die sich in der Hauptverhandlung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht berief, das Tatgeschehen ersichtlich aus nächster Nähe filmte. Darüber hinaus forderte die im Lager des Angeklagten stehende Zeugin N. den Angeklagten während der
Aufnahme dazu auf, auf den Geschädigten K. zu urinieren. Dieser Aufforderung folgte der Angeklagte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme der Strafkammer, es habe sich um heimlich gefertigte Aufnahmen gehandelt, nicht nachvollziehbar. Ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung bestehen an der Zulässigkeit der Beweisverwertung keine Bedenken. Die Audio-, gegebenenfalls auch die Videodateien dokumentieren unmittelbar die dem Angeklagten zur Last liegende Tat, deren vollständige Aufklärung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ist durch eine solche Verwertung nicht berührt, weil das öffentliche Interesse an einer umfassenden Aufklärung der Straftat überwiegt (vgl. dazu Senat, Urteil vom 22. Dezember 2011 - 2 StR 509/10, BGHSt 57, 71). Bei dieser Sachlage scheidet die Annahme eines Beweisverwertungsverbots aus. Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung des vom Angeklagten abgelegten Teilgeständnisses nicht auszuschließen, dass das Urteil im Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruht. Die Verwertung der Audiodateien könnte - wie von der Staatsanwaltschaft vorgetragen - Anhaltspunkte dafür erbringen, dass der Angeklagte den Geschädigten über die bereits festgestellten Tathandlungen hinaus während des Tatgeschehens massiv mit dem Tode bedrohte und ihm suggerierte, dass sein weiteres Schicksal allein von seinem Gutdünken abhänge. Darüber hinaus könnte sich aus der Verwertung des Beweismittels ergeben, dass der Angeklagte auf den Geschädigten einschlug, während der gesondert verfolgte B. ihn von hinten festhielt. Bei dieser Sachlage vermag der Senat ein Beruhen des Strafausspruchs auf dem Aufklärungsmangel nicht auszuschließen. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
3. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat auch hinsichtlich des Strafausspruchs im Fall 25 der Anklageschrift vom 8. August 2014 Erfolg. Die Begründung, mit welcher das Landgericht diese Taten als minder schwere Fälle der gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1, 2. Alt. StGB angesehen hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte während des Tatgeschehens "passiv-deeskalierend"
gewirkt habe, ohne dass diese Wertung von den Feststellungen getragen wird. Der Senat vermag ein Beruhen des Strafausspruchs auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).
4. Die Urteilsaufhebung entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Sie lässt den Maßregelausspruch jedoch unberührt.
5. Im Übrigen erweist sich die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet.