StPO § 302 Abs. 2 § 145a – Vollmacht mit (widerrufener) ausdrücklicher Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmittel

StPO § 302 Abs. 2 § 145a – Vollmacht mit (widerrufener) ausdrücklicher Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmittel  

BGH, Beschl. v. 05.06.2013 - 1 StR 168/13 - BeckRS 2013, 12151
Zum Widerruf einer bei Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung eingeräumten allgemeinen Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete Revision ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. 
I. 
1. Gegen das am 11. Januar 2013 in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil haben für diesen Rechtsanwalt E. am 17. Januar 2013 (Bl. 4151 der Sachakten) sowie Rechtsanwalt Dr. En. am 18. Januar 2013 (Bl. 4155 der Sachakten) Revision eingelegt. Beide Revisionsschriften rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nachdem das schriftliche Urteil am 6. Februar 2013 der den Angeklagten vor dem Landgericht verteidigenden Rechtsanwältin C. zugestellt worden war (Bl. 4227 der Sachakten), hat Rechtsanwalt E. die Sachrüge mit einem am 5. März 2013 eingegangenen Schriftsatz näher ausgeführt (Bl. 4295 der Sachakten). 
2. Damit ist die Revision des Angeklagten zulässig eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel ist nicht durch einen am 13. März 2013 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. En. (Bl. 4305 der Sachakten) wirksam zurückgenommen worden. Zum Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung fehlte diesem die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten zur Rücknahme der Revision. 
a) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob Rechtsanwalt Dr. En. ursprünglich im Rahmen der Mandatserteilung aufgrund des Inhalts der von dem Angeklagten unter dem Datum vom 18. Juli 2011 unterzeichneten Vollmachtsurkunde (dort Ziffer 11; Bl. 795 der Sachakten) eine solche ausdrückliche Ermächtigung eingeräumt worden war. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine - wie hier - bei Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung eingeräumte allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln als ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht für genügend erachtet worden (BGH, Beschluss vom 2. August 2000 - 3 StR 284/00, NStZ 2000, 665; näher auch zu abweichenden Auffassungen Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 302 Rn. 51 mwN). 
b) Selbst wenn aber eine solche formularmäßig und vor Ergehen der später angefochtenen Entscheidung erklärte Ermächtigung den gesetzlichen Anforderungen genügen sollte, hat der Angeklagte die Ermächtigung gegenüber Rechtsanwalt Dr. En. wirksam und rechtzeitig widerrufen, bevor die Rücknahmeerklärung bei dem Landgericht eingegangen ist. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde: 
aa) Unter dem Datum vom 25. Februar 2013 richtete Dr. En. ein Schreiben an den Angeklagten, in dem der Verteidiger mitteilte, auftragsgemäß Revision eingelegt zu haben (Bl. 4335 der Sachakten). Weiterhin wies Dr. En. auf eine Zusage des Angeklagten hin, 1.500 Euro als Honorar zu entrichten, was bislang nicht geschehen sei. Der Verteidiger kündigte in dem Schreiben unter Hinweis auf die ausgebliebene Zahlung und die fehlende Reaktion des Angeklagten an, innerhalb der nächsten vier Tage die Revision zurücknehmen zu wollen. Mit einem weiteren, auf den 1. März 2013 datierten Schreiben an den Angeklagten führte Dr. En. aus, ein Telefonat mit dem Angeklagten mit äußerster
Verärgerung zur Kenntnis genommen zu haben, weil jener in dem Telefongespräch bestritten habe, ihn (Dr. En.) mit der Einlegung der Revision beauftragt und die Zahlung von 1.500 Euro zugesagt zu haben (Bl. 4337 der Sachakten). Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „… so gehe ich davon aus, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Ich werde daher die Revision am 6. März 2013, 16.00 Uhr gegenüber dem Landgericht in Heidelberg zurücknehmen, sollte bis dahin dieses Missverständnis nicht dadurch geklärt werden, indem Sie mir die für den Fall der Einlegung der Revision zugesagten € 1.500,-- überwiesen haben“. Rechtsanwalt Dr. En. hat in einem Telefonat mit dem Berichterstatter des Senats (vgl. Vermerk Bl. 4339 und 4341 der Sachakten) diesen Ablauf bestätigt und weiter erklärt, eine Zahlung des Angeklagten sei ausgeblieben, so dass er (Dr. En. ) mit Schriftsatz vom 7. März 2013 die Revision zurückgenommen habe. 
bb) Bei dieser Sachlage hat der Angeklagte eine etwaige, in der Vollmachtsurkunde vom 18. Juli 2011 erklärte ausdrückliche Ermächtigung widerrufen. Ein solcher Widerruf ist dem Angeklagten grundsätzlich jederzeit und unabhängig von dem Fortbestehen des Mandatsverhältnisses gestattet (BGH, Beschluss vom 15. November 2006 - 2 StR 429/06, NStZ-RR 2007, 151; Cirener in Graf, StPO, 2. Aufl., 2012, § 302 Rn. 28 mwN). Da eine bestimmte Form für die Widerrufserklärung im Gesetz nicht vorgesehen ist, kommt ein solcher auch durch schlüssiges Verhalten in Betracht (OLG München, NStZ 1987, 342). Adressaten des Widerrufs können sowohl das Gericht als auch der Verteidiger sein (BGH aaO). Der Widerruf hebt die zuvor erteilte ausdrückliche Ermächtigung auf, wenn die entsprechende Widerrufserklärung zeitlich vor dem Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem zuständigen Gericht den Adressaten erreicht (BGH aaO; BGH, Beschluss vom 8. März 2005 - 4 StR 573/04, NStZ-RR 2005, 211; vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt auch BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 - 3 StR 190/12, NStZ-RR 2012, 318). So verhält es sich hier. Das Gesamtverhalten des Angeklagten mit dem von Rechtsanwalt Dr. En. selbst berichteten Bestreiten, diesen überhaupt mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt und ein Honorar versprochen zu haben, sowie das Ausbleiben einer Zahlung selbst nach der Ankündigung des Verteidigers, die Revision zurückzunehmen, stellen sich als konkludente Widerrufserklärung dar. Das gilt jedenfalls angesichts des weiteren Umstandes, dass der Angeklagte nach dem Ergehen des landgerichtlichen Urteils Rechtsanwalt E. mit der Einlegung der Revision beauftragt hatte (vgl. Bl. 4329 und Bl. 4331 der Sachakten), die dieser dementsprechend auch am 17. Januar 2013 erhoben und am 5. März 2013 zur Sachrüge näher begründet hat. Angesichts dessen kommt dem Schweigen des Angeklagten (vgl. dazu auch im Zusammenhang mit § 302 Abs. 2 StPO OLG Oldenburg StraFo 2010, 347) auf die mit der Ankündigung der Rücknahme verbundene Aufforderung zur Zahlung des Pauschalhonorars ein eindeutiger, den Widerruf der Ermächtigung beinhaltender Aussagegehalt zu. Es kann deshalb offen bleiben, ob bereits allein der Umstand der Mandatierung eines anderen Verteidigers (hier: Rechtsanwalt E.) als Widerruf der dem früheren Verteidiger erteilten ausdrücklichen Ermächtigung zu werten ist (vgl. Frisch in Systematischer Kommentar zur StPO, 3. Aufl. 16. Lfg., § 302 Rn. 75). Der konkludente Widerruf der Ermächtigung hat Rechtsanwalt Dr. En. auch vor dem erst am 13. März 2013 erfolgenden Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem Landgericht erreicht. Denn der Widerruf liegt gerade in dem dem Verteidiger sogar vor dem Absenden der Rücknahmeerklärung bekannt gewordenen Gesamtverhalten des Angeklagten. 
3. Da die Revision des Angeklagten nicht wirksam zurückgenommen worden ist, erweist sich der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 13. März 2013, mit dem ihm wegen der durch Rechtsanwalt Dr. En. (unwirksam) erklärten Rücknahme des Rechtsmittels die dafür entstandenen Kosten auferlegt worden sind, als gegenstandslos. Da die Rücknahme unwirksam war, ist die Sache bei dem Senat anhängig (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2009 - 1 StR 61/09), so dass dieser mit der Gegenstandslosigkeit des landgerichtlichen Beschlusses befasst ist. 
4. Wegen der zulässig erhobenen und nicht wirksam zurückgenommenen Revision sind der Antrag des Angeklagten vom 2. April 2013 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur sofortigen Beschwerde gegen den genannten Beschluss des Landgerichts sowie die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ebenfalls gegenstandslos (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2011 - 1 StR 381/10, wistra 2011, 315). 
II. In der Sache bleibt die Revision des Angeklagten ohne Erfolg. Aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwaltes vom 6. Mai 2013 genannten Gründen enthält das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. 
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