WÜK Art. 36 Abs. 1 b Belehrung des Ausländers muss überprüfbar sein
WÜK Art. 36 Abs. 1 b Belehrung des Ausländers muss überprüfbar sein
LS: Die Beachtung der Rechte, die einem Ausländer nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen zustehen, muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar sein. Die Belehrung des Ausländers über diese Rechte, seine Reaktion hierauf und, sofern verlangt, die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung von der Inhaftierung sind daher aktenkundig zu machen.
BGH, Beschluss vom 18. November 2010 -V ZB 165/10 -LG Hannover AG Hannover Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2010 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. April 2010 und der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 27. Mai 2010 ihn in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden - auch hinsichtlich der Vorinstanzen - nicht erhoben. Der Beteiligte zu 2 trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen aller Instanzen. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen jedenfalls aufgrund des nach der Kostenentscheidung begründeten Erstattungsanspruchs nicht vorliegen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober oder November 2008 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde 2009 bestandskräftig zurückgewiesen. Trotz entsprechender Aufforderungen reiste der Betroffene nicht aus. Am 14. April 2010 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht am 15. April 2010 gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko bis längstens 14. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Nach der Belehrung, dass das für ihn zuständige Konsulat bzw. die Botschaft von seiner Inhaftierung informiert werde, wenn er dies wünsche, bat der Betroffene um eine entsprechende Unterrichtung und um Benachrichtigung seiner Schwester. Die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der inzwischen aus der Haft entlassene Betroffene die Feststellung erreichen, dass die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II. Die - ungeachtet der Erledigung der Hauptsache statthafte (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB172/09, NVwZ 2010, 726, 727 Rn. 9) und auch im Übrigen zulässige -Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rechte des Betroffenen aus Art. 36 Abs. 1 Buchst. b WÜK nicht gewahrt worden sind. Dies stellt einen grundlegenden Verfahrensmangel dar, der die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 f.; BVerfG, NJW 2007, 499, 500 f.). Nach der genannten Vorschrift sind die konsularischen Vertretungen des Heimatstaates eines Betroffenen auf Verlangen unverzüglich von dessen Inhaftierung zu unterrichten (Satz 1); auf dieses Recht ist der Betroffene unverzüglich hinzuweisen (Satz 3). Das Gericht hat deshalb neben der Belehrung des Betroffenen sicherzustellen, dass eine von diesem verlangte Unterrichtung der konsularischen Vertretung unverzüglich erfolgt. Da es sich bei den Rechten aus dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen um Verfahrensgarantien handelt, muss deren Beachtung für die Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar sein und daher aktenkundig gemacht werden. Die Belehrung des Betroffenen, seine Reaktion hierauf und die unverzügliche Unterrichtung der konsularischen Vertretung (sofern verlangt) sind zudokumentieren. Unterbleibt dies, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensgarantien des Wiener Übereinkommens gewahrt worden sind; dies wirkt zugunsten des Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 für den Haftantrag). So verhält es sich hier. Ausweislich des Protokolls über die Anhörung des Betroffenen vom 15. April 2010 ist dieser von dem Amtsgericht zwar über sein Recht belehrt worden, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen. Dass die von ihm verlangte Unterrichtung erfolgt ist, lässt sich der Verfahrensakte dagegen nicht entnehmen; diese enthält keinen Hinweis auf eine schriftliche oder telefonische Kontaktaufnahme mit dem Konsulat. Lediglich hinsichtlich der Bitte des Betroffenen um Benachrichtigung seiner Schwester findet sich in einer Protokollabschrift ein Erledigungsvermerk; dass sich dieser auch auf die Benachrichtigung des Konsulats beziehen soll, ist nach seiner räumlichen Anordnung auszuschließen. Der Verstoß gegen Art. 36 WÜK ist nicht dadurch geheilt worden, dass die marokkanische Botschaft im späteren Verlauf des Verfahrens Kenntnis von der Inhaftierung des Betroffenen erhalten hat. Das Recht auf konsularische Hilfe kann nur dann effektiv in Anspruch genommen werden, wenn die Vertretung des jeweiligen Heimatlandes, wie in Art. 36 Abs.1 Buchst. b Satz 1 WÜK vorgeschrieben, unverzüglich von der Inhaftierung unterrichtet wird (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 Rn. 17 aE).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19).
Ihr Anwalt Hamburg - Kanzlei Rechtsanwälte Lauenburg & Kopietz