AO § 370, § 374, § 19 TabStG - Tabaksteuer Zigarettenschmuggel

AO § 370, § 374, § 19 TabStG - Tabaksteuer Zigarettenschmuggel  

BGH, Urt. v. 02.02.2010 - 1 StR 635/09

Zur Frage, wer Steuerschuldner i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG ist.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Februar 2010 für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 9. Juli 2009

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass in den Fällen 1, 2, 3, 4, 6 und 7 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung entfällt, insoweit wird die Angeklagte freigesprochen;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass die nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und wegen Steuerhinterziehung in jeweils sechs Fällen sowie wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ihre auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Nach den Feststellungen des Urteils erwarb die Angeklagte zwischen März 2007 und Juni2007 insechs Fällen von dem gesondert verfolgten W. bzw. von anderen Personen, die einer Tätergruppierung um W. angehören, in einer Lagerhalle in H. Zigaretten der Marke "Jin Ling". Die Zigaretten waren zuvor zunächst aus Russland und der Ukraine unter Verstoß gegen die Gestellungspflicht gemäß Art. 40 Zollkodex von anderen Personen nach Polen verbracht und dort zur Vorbereitung des Weitertransportes gelagert worden. Im Anschluss daran wurden sie von Mitgliedern der Tätergruppierung um W. übernommen und entgegen § 12 Abs. 1 TabStG ohne deutsche Steuerzeichen in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht. Die Verbringer der Zigaretten gaben dabei in Deutschland nicht gemäß § 19 Satz 3 TabStG unverzüglich eine Steuererklärung ab. Die Zigaretten wurden in der vorgenannten Lagerhalle, die allein von W. genutzt und verwaltet wurde und zu der keine anderen, außerhalb der Tätergruppierung stehenden Personen Zutritt hatten, bis zum Weiterverkauf der Zigaretten durch W. oder andere Personen, die der Tätergruppierung angehörten, gelagert. Neben dem Erwerb von Zigaretten unterstützte die Angeklagte in einem Fall W. bei der Anlieferung von Zigaretten in einem Zwischenlager, indem sie auf dessen Bitte die Umgebung beobachtete und verdächtige Ereignisse über Mobiltelefon mitteilte.

II.

1. Die Sachrüge bleibt erfolglos, soweit die Angeklagte in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt wurde, sowie im Fall 5 der Urteilsgründe insgesamt. All dies hat der Generalbundesanwalt, auch schon in seinem Antrag vom 7. Dezember 2009, zutreffend ausgeführt. Hierauf nimmt der Senat Bezug.

2. Dagegen kann der Schuldspruch wegen (jeweils tatmehrheitlich begangener) Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 keinen Bestand haben. In diesen Fällen war die Angeklagte nicht verpflichtet gemäß § 19 Satz 3 TabStG unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben, da sie - unbeschadet ihrer Haftung gemäß § 71 AO - nicht Steuerschuldner i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG war. Daher hat sie den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt.

a) Nach § 19 Satz 1 TabStG entsteht die Tabaksteuer, wenn - wie hier - Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 TabStG) verbracht oder versandt werden, mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Allein diese Steuerschuldner sind nach § 19 Satz 3 TabStG verpflichtet, unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben.

b) Die Angeklagte war weder Verbringer noch Versender. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war sie auch nicht Empfängerin der vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbrachten Tabakwaren i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG. Gemäß § 19 Satz 1 TabStG knüpft das Entstehen der Tabaksteuerschuld an das Verbringen oder Versenden der Tabakwaren aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland an. Aus dem Wort-laut und der Systematik der Vorschrift ergibt sich, dass als weiterer Steuerschuldner neben dem Verbringer und dem Versender allein derjenige "Empfänger" der Ware in Betracht kommt, der im Rahmen des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs selbst den Besitz an den Tabakwaren erlangt. Dies bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Empfänger im Sinne dieser Vorschrift kann aber nicht mehr sein, wer den Besitz an den Tabakwaren erst dann erlangt, wenn der Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang bereits beendet ist. Beendigung in diesem Sinne ist - ebenso wie z.B. bei der Einfuhr i.S.v. § 21 Satz 1 TabStG - dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und "zur Ruhe gekommen" sind (vgl. insoweit für Fälle der Einfuhr BGHSt 3, 40, 44; BGH wistra 2007, 262; 2000, 425). Dies ist auch beim Verbringen oder Versenden i.S.v. § 19 Satz 1 TabStG erst dann der Fall, wenn die Tabakwaren die "gefährliche" Phase des Grenzübertritts passiert haben und der Verbringer bzw. Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat (vgl. BGH aaO). In der Regel wird das Verbringen oder Versenden erst dann beendet sein, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben (vgl. auch BGH NStZ 2007, 590, 592; wistra 2000, 425).

c) Nach diesen Grundsätzen kommen in den vorliegenden Fällen als Empfänger allein der gesondert verfolgte W. und die Personen, die seiner Tätergruppierung angehören, in Betracht. Denn diese Personen nahmen die Zigaretten in der Lagerhalle in Empfang, wodurch die Zigaretten bestimmungsgemäß zur Ruhe kamen. Der sich anschließende Weiterverkauf der Zigaretten an die Angeklagte war nicht mehr Teil des Verbringungsvorgangs. War die Angeklagte aber nicht Empfängerin der Zigaretten, geht der konkurrenzrechtliche Hinweis der Strafkammer auf den anders gelagerten Fall, der dem Beschluss des Senats vom 28. August 2008 (1 StR 443/08 = wistra 2008, 470) zu Grunde lag, ins Leere.

3. Im Hinblick darauf, dass das Landgericht zwischen der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und der von ihm zu Unrecht angenommenen Steuerhinterziehung jeweils Tatmehrheit angenommen hat, lässt der Senat nicht lediglich den fehlerhaften Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung entfallen, sondern spricht zur Klarstellung die Angeklagte teilweise - nämlich vom Vorwurf der Steuerhinterziehung - frei.

4. Der Wegfall der Schuldsprüche wegen Steuerhinterziehung führt zu-gleich zum Entfallen der hierfür jeweils verhängten Einzelstrafen (zwischen sechs und zehn Monaten) und zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Die Auffassung, dass darüber hinaus zugleich die in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verhängten Einzelstrafen (jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe) aufzuheben seien, um bei insgesamt im Tatgeschehen gleich bleibendem Gesamtschuldgehalt für die einzelnen Taten höhere Einzelstrafen zu ermöglichen, teilt der Senat nicht.

a) Anhaltspunkte dafür, dass die Einzelstrafen für die Fälle der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei zum Nachteil der Angeklagten von der fehlerhaften Verurteilung wegen Steuerhinterziehung beeinflusst worden sein könnten, bestehen nicht.

b) Der Senat ist auch nicht der Ansicht, dass diese Einzelstrafen deshalb aufzuheben seien, weil sie - vergleichbar Fällen einer Schuldspruchänderung wegen abweichender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei gleich bleibendem Schuldumfang (z.B. in Fällen sog. Bewertungseinheit vor allem bei Rauschgifthandel, vgl. BGH NStZ 1996, 93; NStZ-RR 1999, 218; vgl. auch die Nachw. b. Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 30) - unbeschadet § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO bis zur Summe der jeweiligen Einzelstrafen erhöht werden könnten. Eine solche Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats nicht vor. Es geht hier nicht nur um eine Änderung der Konkurrenzverhältnisse. Da die Angeklagte in den in Rede stehenden Fällen keine Steuerhinterziehung begangen hat, kann sich auch nicht die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der abgeurteilten gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung stellen. Es verbleibt daher bei den auch sonst ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten gebildeten Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 sowie wegen Beihilfe zu gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung im Fall 5 der Urteilsgründe.

5. Ausgehend von ihrer rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die bei der Verbringung der Zigaretten in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland hinterzogene deutsche Tabaksteuer nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer auch auf den durch die Taten verursachten Gesamtsteuerschaden abgestellt. Hierzu bemerkt der Senat: Bei der gegebenen Sachlage bedarf es hier keiner Entscheidung, ob das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die in Polen und die in Deutschland verkürzten Verbrauchsteuern auf Tabakwaren der Angeklagten kumulativ hätte zur Last legen dürfen. Für den tatbestandlichen Schuldumfang in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe bestehen gegen die kumulative Heranziehung dieser Abgaben keine Bedenken, weil der Steuerhehlerei gemäß § 374 AO jeweils zwei Vortaten zugrunde lagen. Einerseits ist dies die Hinterziehung der bei Einfuhr der Zigaretten nach Polen angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer. Andererseits ist dies die beim dem Verbringen der Zigaretten in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland hinterzogene deutsche Tabaksteuer. Die in Polen verkürzten Abgaben sind auch nicht nachträglich durch das Verbringen der Zigaretten nach Deutschland entfallen. Allerdings ist im Blick zu behalten, dass das gemeinschaftsrechtliche Verbrauchsteuersystem - jedenfalls für den Fall normgemäßen Verhaltens - davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundsätzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Gemeinschaftsrecht sieht deshalb die Möglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor (vgl. Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [ABl. EG Nr. L 76/1 - "Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie"] sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG sowie die dortigen Erwägungsgründe Nr. 12, 30 und 31; ABl. EU 2009 Nr. L 9/12). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, in zukünftigen, dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fällen der Steuerhehlerei oder Steuerhinterziehung die Strafverfolgung hinsichtlich der verkürzten Abgaben gemäß §§ 154, 154a StPO auf die bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Einfuhrabgaben Zoll und Einfuhrumsatzsteuer sowie die bei dem Verbringen in das deutsche Verbrauchsteuergebiet hinterzogene deutsche Tabaksteuer zu beschränken. Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwendung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer (vgl. insoweit BGH NStZ 2007, 595; siehe auch Jäger NStZ 2008, 21, 24).

6. Der Senat verweist die Festsetzung der allein noch zu bildenden neuen Gesamtstrafe gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO in das Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO. Somit obliegt die Bildung der Gesamtstrafe dem gemäß § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (auch) zulässig, wenn - wie hier - eine neue Gesamtstrafe wegen eines im Revisionsverfahren erfolgten Teilfreispruchs gebildet werden muss (vgl. BGH, Beschl. vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 377/06).

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