AufenthG § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; § 22, § 30 Abs. 1 StGB: Einschleusen

BGH, Beschl. v. 06.06.2012 - 4 StR 144/12 - NJW 2012, 2821 

LS: 1. Die Strafbarkeit wegen Versuchs des Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bestimmt sich nach den §§ 22 ff. StGB.  2. Für die Prüfung des unmittelbaren Ansetzens kann die Rechtsprechung zur versuchten Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB herangezogen werden.  3. Darauf, ob auch zur unerlaubten Einreise selbst unmittelbar angesetzt worden ist, kommt es nicht an. 
1. Die Revision des Angeklagten K. M. gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 12. Dezember 2011 wird als unbegründet verworfen. 
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 

Gründe: 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Einschleusens von Ausländern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Verurteilung wegen versuchten Einschleusens von Ausländern gemäß den § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG wird in allen sieben Fällen von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen. 
1. Durch § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Tatbestandsalternative des Hilfeleistens werden sonst nur nach den all-gemeinen Regeln (§ 27 StGB) strafbare Beihilfehandlungen zu Taten nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 1 Auf-enthG zu selbstständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Gehilfe zugleich eines der in § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unter den Buchstaben a) oder b) genannten Schleusermerkmale erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2006 – 2 StR 157/06, NStZ 2007, 289, 290; Urteil vom 11. Juli 2003 – 2 StR 31/03, NStZ 2004, 45; Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409; GK-AufenthG/Mosbacher, § 96 Rn. 1; Schott, Einschleusen von Ausländern, S. 175 f., 209). Als ein (täterschaftliches) Hilfeleisten im Sinne dieser Vor-schrift kommen deshalb grundsätzlich alle Handlungen in Betracht, die nach § 27 StGB und den zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätzen als Beihilfe zu der jeweiligen Bezugstat erfasst werden (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, NJW 2005, 2095, 2099; BayObLG, Beschluss vom 20. Dezember 2004 – 4 St RR 184/04, BayObLGSt 2004, 154, 158; GK-AufenthG/Mosbacher, § 96 Rn. 5; MüKoStGB/Gericke, § 96 AufenthG Rn. 10; Renner, AuslR, 9. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 6). Geht es – wie hier – um die Unterstützung der unerlaubten Einreise eines oder mehrerer Ausländer gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, fällt damit jede Handlung unter den Tatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die den unerlaubten Grenzübertritt eines Ausländers in irgendeiner Weise objektiv fördert (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, NJW 2005, 2095, 2099; Urteil vom 26. Mai 1999 – 3 StR 570/98, BGHSt 45, 103, 105; Steiner in Minthe, Illegale Migration und Schleusungskriminalität, S. 141, 144 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, S. 174 ff. jeweils mit vielen Beispielen). Dabei muss die Hilfeleistung nicht unmittelbar zum Grenzübertritt geleistet werden. Schon eine Unterstützung im Vorfeld der Einreise (z. B. Beschaffung und Weiterleitung von Informationen zum Grenzübertritt, Organisation von Reisemöglichkeiten, Beschaffung von gefälschten Reisedokumenten, Anwerbung von Transithelfern) ist ausreichend, wenn sie den Grenzübertritt ermöglicht oder erleichtert (BGH, Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04, NJW 2005, 2095, 2099 mwN). Nach den Grundsätzen zur sog. Kettenbeihilfe (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410; Heine in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 28 Rn. 18 mwN), die an dieser Stelle ebenfalls Anwendung finden (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409, 410), kann ein täterschaftliches Hilfeleisten im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auch dann gegeben sein, wenn sich die Unterstützungshandlung auf die Förderung der Hilfeleistung eines anderen Schleusers (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) oder Gehilfen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 StGB) beschränkt. Findet die unerlaubte Einreise nicht statt oder wird sie nur versucht, kommt beim mit Schleusermerkmalen handelnden Unterstützer eine Strafbarkeit wegen versuchten Hilfeleistens nach § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 AufenthG in Betracht (BGH, Beschluss vom 12. September 2002 – 4 StR 163/02, NJW 2002, 3642, 3643). Dabei gelten die allgemein zur Versuchsstrafbarkeit entwickelten Grundsätze (§§ 22 ff. StGB). Für die Prüfung des unmittelbaren Ansetzens kann ergänzend die Rechtsprechung zur versuchten Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409 f.; Schott, Ein-schleusen von Ausländern, S. 229; MüKoStGB/Gericke, § 96 AufenthG Rn. 39). Daher beginnt die Strafbarkeit wegen versuchten Hilfeleistens nach § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 AufenthG, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, mit der er nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zu einer Förderung der präsumtiven Bezugstat – hier der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG – ansetzt. Angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen, die dem Begriff des Hilfeleistens unterfallen, bedarf das Kriterium der Unmittelbarkeit dabei regelmäßig einer wertenden Konkretisierung im Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2006 – 3 StR 28/06, NStZ 2006, 331 f.). Maßgebend ist, wie der Bundesgerichtshof zur versuchten Gefangenenbefreiung in der hier vergleichbaren Alter-native des Förderns gemäß § 120 Abs. 1 Alt. 3, Abs. 3 StGB entschieden hat, wie weit sich der Täter bereits dem von ihm anvisierten Unterstützungserfolg angenähert und durch sein Handeln eine Gefahr für das betroffene Rechtsgut begründet hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1955 – 2 StR 282/55, BGHSt 9, 62, 64; MüKoStGB/Bosch, 2. Aufl., § 120 Rn. 37; LK/Rosenau, 12. Aufl., § 120 Rn. 68). Darauf, ob auch die Bezugstat in das Versuchsstadium eingetreten ist, kommt es dagegen nicht an (BGH, Beschluss vom 26. März 2012 – 5 StR 86/12 mwN). 
2. Diese Voraussetzungen sind in allen abgeurteilten Fällen erfüllt. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat der Angeklagte dem syrischen Staatsangehörigen B. dessen Schleusung über Griechenland nach Deutschland zugesagt. Nach Zahlung eines Vorschusses nahm er mit einem türkischen Mittelsmann Kontakt auf und versorgte B. mehrfach mit benötigten Informationen. Alle diese Handlungen haben unmittelbar dazu gedient, die beabsichtigte, aber nicht sicher festgestellte unerlaubte Einreise des B. zu fördern. Nach den Feststellungen zu Fall II. 2. der Urteilsgründe leistete der Angeklagte dadurch Hilfe, dass er nach dem Erhalt von 750 Euro zur Vorbereitung der geplanten unerlaubten Einreise des syrischen Staatsangehörigen D. gefälschte Einreisestempel in dessen Pass anbringen ließ, ihm dies über einen Gewährsmann mitteilte und ihn dazu aufforderte, sich bereitzuhalten. Wie sich aus den Feststellungen zu Fall II. 3. der Urteilsgründe und der zugehörigen Beweiswürdigung ergibt, hat es der Angeklagte gegenüber dem um die Organisation der unerlaubten Einreise von drei Syrerinnen bemühten A. G. übernommen, die benötigten Flugtickets zu buchen. Dabei forderte er A. G. auf, ihm die notwendigen Daten zu übermitteln. Bei der anstehenden Einreise der drei Frauen, die in China von anderen Schleusern zurückgelassen worden waren, sollten Gewährsleute des Angeklagten Hilfe leisten. Dies ist nach den Grundsätzen über die Kettenbeihilfe als Hilfeleistung zu der geplanten unerlaubten Einreise der drei Syrerinnen zu werten. Dabei ist das Versuchsstadium bereits erreicht, weil der Angeklagte unmittelbar mit der Förderung des Unterstützungsvorhabens des Helfers A. G. begonnen hat. In den übrigen Fällen hat der Angeklagte unmittelbar wirksame Unterstützungshandlungen vorgenommen, indem er Transportfahrer organisiert (II. 4., 5., 6. und 7.), die Transitrouten festgelegt und gefälschte Einreisepapiere besorgt hat (II. 4., 6. und 7.). Die Tatsache, dass die Feststellungen des Landgerichts in den Fällen II. 3. und 5. nur eine Gewinnerwartung und damit keinen Fall des § 96 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG belegen, beschwert den Angeklagten nicht, weil die Schleuser-merkmale des § 96 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG (wiederholt und zugunsten mehrerer Ausländer) vorliegen.