EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1 Tatprovokation als Verfahrenshindernis
BGH, Urt. v. 10.06.2015 – 2 StR 97/14 – BGHSt 60, 276; NStZ 2016, 52
Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom 6. Mai 2015 in der Sitzung am 10. Juni 2015 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Februar 2013 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird eingestellt.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Gründe:
1 Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und angeordnet, dass bei beiden Angeklagten vier Monate Freiheitsstrafe wegen „rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen“ als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richten sich sowohl die Revisionen der Angeklagten als auch die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens.
A. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
I. 1. Im Rahmen von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Aachen gegen D. wegen des Verbleibs des Lösegelds aus der R. -Entführung ergab sich im Jahre 2009 ein Verdacht, dass sich die Angeklagten B. und J. wegen Geldwäsche strafbar gemacht haben könnten. Im Zug eines im Mai 2009 gegen beide eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde durch richterlichen Beschluss eine längerfristige Observation des Angeklagten J. sowie die Überwachung der Telekommunikation des Angeklagten B. angeordnet. Im Rahmen der Observationsmaßnahmen wurde festgestellt, dass sich D. sowie die Angeklagten
B. und J. am 13. Juni 2009 in Br. (Niederlande) mit A. trafen, gegen den in den Niederlanden mehrfach, wenn auch ergebnislos, wegen internationalen Rauschgifthandels ermittelt worden war. Ein weiteres Treffen fand möglicherweise am 6. August 2009 statt. Am 10. September 2009 wurde auf Grund einer inzwischen ebenfalls richterlich angeordneten Fahrzeuginnenraumüberwachung ein Gespräch zwischen dem Angeklagten J. und D. aufgezeichnet, in dem sich die beiden über „MDMA“ unterhielten. Aus Äußerungen des Angeklagten B. gegenüber einem unbekannten Dritten in einem in spanischer Sprache geführten Telefonat am 27. Oktober 2009 über „Figürchen“ mit einer Qualität von „fast 100 %“, „reinrein“, die der Gesprächspartner „hierher mitgebracht“ hatte, zogen die Ermittlungsbehörden den Schluss, dass der Angeklagte B. zwischen seinem Gesprächspartner und A. ein Amphetamingeschäft vermittelt habe. Eine nach einem Treffen der Angeklagten mit A. Ende April 2010 bei der Wiedereinreise aus den Niederlanden durchgeführte Zollkontrolle blieb erfolglos. Im Oktober 2010 leitete die für den Wohnsitz des Angeklagten B. zuständige Staatsanwaltschaft Bonn ein Ermittlungsverfahren gegen beide Angeklagte wegen des Verdachts von Betäubungsmittelstraftaten ein, nachdem sie von der Staatsanwaltschaft Aachen über die gewonnenen Erkenntnisse informiert worden war, die aus ihrer Sicht den Verdacht einer aktiven Verstrickung der Angeklagten in den internationalen Rauschgifthandel begründeten. Tatsächlich waren seit der Zollkontrolle Ende April 2010 keine verdächtigen Gespräche mehr aufgezeichnet worden. Aus Sicht der Polizei war damit auch nicht mehr zu rechnen, da „unterstellt werden könne“, dass der Angeklagte B. seitdem andere Kommunikationswege nutze, um mit den Mittätern in Spanien und in den Niederlanden in Kontakt zu treten. Aus diesem Grund beantragte die Staatsanwaltschaft am 29. November 2010 den Einsatz Verdeckter Ermittler, den das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2010 gestattete. Die befristete Genehmigung wurde in der Folge jeweils durch richterlichen Beschluss bis zur Festnahme der Angeklagten am 10. August 2011 verlängert. Auf Grund eines Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft genehmigte die Staatsanwaltschaft Rotterdam mit diversen Anordnungen zwischen dem 16. März und dem 9. August 2011 die Durchführung verdeckter Ermittlungen durch deutsche und niederländische Ermittler. Darüber hinaus wurde mit Beschlüssen vom 1. Dezember 2010 die Observation der Beschuldigten und die Überwachung ihres Fernmeldeverkehrs gestattet; auch diese Beschlüsse wurden bis zur Festnahme der Angeklagten verlängert.
2. Beginnend ab dem 13. Januar 2011 besuchten die deutschen Verdeckten Ermittler „N. “ und „Da. “ als Gäste mehrmals das vom Angeklagten B. in Bo. betriebene Lokal, nahmen Kontakt zu diesem auf und intensivierten diesen allmählich. Am 10. Februar 2011 machten „N. “ und „Da. “ den Angeklagten B. mit ihren Freunden, den niederländischen Verdeckten Ermittlern „Ap. “ und „K. “, bekannt. In den nachfolgenden Wochen trafen sich die Beteiligten in unterschiedlichen Besetzungen, „N. “ und „Da. “ wurden zu Stammgästen im Lokal des Angeklagten B. . Schließlich kam es zu folgenden, für das Verfahren bedeutsamen Zusammenkünften:
Bei einem Besuch in seinem Lokal am 5. April 2011 fragte „Ap. “ den An- geklagten B. , dessen Vorstrafen wegen Betäubungsmitteldelikten ihm aus einem früheren Gespräch bekannt waren, ob dieser ihm nicht einen seiner daraus herrührenden niederländischen Kontakte vermitteln könne. Er – „Ap.“ – habe große Probleme mit seinen Lieferanten; diese würden sich noch vergrößern, wenn er – was zu befürchten sei – ein Geschäft in den Niederlanden in der nächsten Woche nicht abwickeln könne. Der Angeklagte B. lehnte jegliche Beteiligung an diesen Geschäften ab. Anlässlich eines von „N. “ initiierten Treffens am 11. April 2011 fragte „Ap. “ den Angeklagten B. nach „Koks“ für den Abend, woraufhin der Angeklagte B. ihn daran erinnerte, nichts mit Drogen zu tun haben zu wollen. Am selben Abend erzählte „Ap.“ dem Angeklagten B. , dass ihn sein Lieferant tatsächlich versetzt habe. Die erneute Bitte des „Ap.“, ihm seine niederländischen Kontakte zu Drogenlieferanten zu vermitteln, lehnte der Angeklagte B. wiederum ab. Er forderte „Ap. “ zudem auf, nicht mehr nachzufragen, da sich sein Standpunkt nicht ändern werde. Am 14. oder 15. April 2011 berichtete „Ap. “ dem Angeklagten B. , dass seine serbischen Abnehmer „rasend vor Wut seien“, da das Geschäft mit ihnen nicht zustande gekommen sei. Sie hätten „K. “ aufgelauert und bedroht, weshalb er seine Telefonnummer gewechselt und zusammen mit „K. “ seinen bisherigen Wohnort verlassen hätte und bei Bekannten untergekommen wäre. „Ap.“ bat den Angeklagten B. nochmals um Hilfe und erklärte, er würde jeden Preis zahlen, der Angeklagte müsse nichts weiter unternehmen. Der Angeklagte B. lehnte auch diese Bitte ab. Bei einem Treffen am 30. Mai 2011 erklärten „N. “ und „Ap.“ dem Ange- klagten B. , dass sich die Situation weiter zugespitzt habe und die serbischen Abnehmer nun auch „N. “ mit Konsequenzen
gedroht hätten. Beide baten den Angeklagten B. erneut, ihnen einen Kontakt mit Drogenlieferanten in Holland zu vermitteln. Der Angeklagte B. erklärte wiederum, dass er mit Rauschgiftgeschäften nichts zu tun haben wolle; er stehe unter Bewährung und habe sich eine Existenz aufgebaut. Auf weiteres Drängen des „Ap.“ erklärte sich der Angeklagte B. schließlich doch dazu bereit, einen Freund zu fragen, ob dieser „N. “ und „Ap.“ helfen könne, und setzte sich noch am selben Tag mit dem Angeklagten J. in Verbindung. Dieser wusste aus Erzählungen des Ange- klagten B. , dass „Ap.“ (scheinbar) Probleme mit seinen Abnehmern hatte, wobei bei dem Angeklagten J. der Eindruck entstand, es handele sich um eine Sache von „Leben und Tod“. Er ließ sich dazu überreden, Kontakt zu einem niederländischen Betäubungsmittellieferanten herzustellen. Dieser erklärte bei einem Treffen am nächsten Tag in den Niederlanden, kein Interesse zu haben, verwies den Angeklagten J. aber an einen anderen Lieferanten, der sich interessiert zeigte und ein Treffen in V. (Niederlande) vorschlug.
Am 6. Juni 2011 trafen sich die Angeklagten mit „N. “ und „Ap.“ in V. , um mit den Lieferanten die Modalitäten des Rauschgiftgeschäfts zu besprechen, wobei der Angeklagte J. als einziger Beteiligter direkten Kontakt mit dem Lieferanten hatte und den anderen dessen Nachrichten überbrachte. „Ap.“ drängte wegen seiner bedrohlichen Situation auf eine schnelle Lieferung von 40.000 Ecstasy-Pillen, die schließlich für den nächsten Freitag vereinbart wurde, wobei der exakte
Kaufpreis offen blieb. Am 10. Juni 2011 gegen 12.00 Uhr trafen sich „Ap.“ und der Angeklagte J. mit dem als Kurier für den Lieferanten fungierenden gesondert Verfolgten W. auf einem Parkplatz in V. . W. übergab „Ap.“ und dem Angeklagten J. 40.000 Ecstasy-Pillen mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 20,5% MDMA-Base, also mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 3.004 g MDMABase. Da vor Ort der Preis pro Pille auf 1,20 Euro festgesetzt wurde, entnahm „Ap.“ von den bereitgestellten 50.000 Euro Kaufgeld einen Betrag von 2.000 Euro, bevor er das restliche Geld W. übergab. Der Angeklagte J. kontrollierte den Betrag, stieg in den Pkw des gesondert Verfolgten W. und fuhr mit diesem zum Lieferanten, dem das Geld übergeben wurde. Der Angeklagte B. und „N. “ befanden sich zum Zeitpunkt der Übergabe ebenfalls in V. , waren aber am eigentlichen Drogengeschäft nicht beteiligt. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass die Angeklagten für ihre Tätigkeit eine Vergütung erhielten oder jedenfalls erhalten sollten. 4. Am 10. Juni 2011 bedankte sich „N. “ bei den Angeklagten für deren Hilfe und erklärte, „Ap.“ habe wieder Ruhe, er stünde tief in ihrer Schuld für deren großen Gefallen. Am 19. Juni 2011 trat „N. “ erneut an den Angeklagten B. heran und berichtete vom Wunsch des „Ap.“, den Lieferanten zum Zweck eines neuen Rauschgiftgeschäftes persönlich zu treffen. Der Angeklagte B. , der sich darüber zwar wunderte, erklärte sich gleichwohl damit einverstanden, den Angeklagten J. zu kontaktieren. Zugleich machte er deutlich, dass er mit weiteren Geschäften nichts mehr zu tun haben wolle. In der Folge scheiterten mehrere durch den Angeklagten J. vermittelte Versuche eines Treffens zwischen „Ap.“ und dem Lieferanten. Im Rahmen der vielen Gespräche zwischen den Beteiligten teilte „N. “ dem Angeklagten B. Anfang August 2011 u.a. mit, „Ap.“ müsse den Deal durchführen, sonst würden ihn die „Jugos“ wohl killen.
5. In der Folge wurde über den Angeklagten J. eine erneute Ecstasy-Lieferung vereinbart. Am 10. August 2011 holte der gesondert Verfolgte W. mit seinem Pkw 250.000 Ecstasy-Pillen mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 19% MDMA-Base, also mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 17.334 g MDMA-Base, bei dem niederländischen Lieferanten ab und begab sich mit dem Rauschgift zu einem Parkplatz in Ke. (Niederlande). Neben „Ap. “ und J. war ein weiterer Verdeckter Ermittler der niederländischen Polizei mit der Legende „F. “ anwesend. Nachdem der deswegen irritierte W. J. J. im Anschluss W. die Tasche mit dem vermeintlichen Kaufgeld übergab, erfolgte der polizeiliche Zugriff. Der Angeklagte B. , der sich nicht vor Ort befand, wurde in Bo. festgenommen. Der Angeklagte J. sollte für seine Hilfe bei diesem Geschäft von „N. “ 5.000 Euro erhalten; ob der Angeklagte B. ebenfalls eine Vergütung erhalten sollte, konnte
das Landgericht nicht feststellen. Als „Ap. “ vom Angeklagten J. beruhigt worden war, zeigte er „Ap. “ und die Pillen und packte die Kartons in einen Einkaufswagen. „Ap.“ und verbrachten diese sodann mit Hilfe des „F. “ in ihr Fahrzeug. “
II. Das Landgericht hat sich von der Glaubhaftigkeit der Aussage des Verdeckten Ermittlers „N. “, der aufgrund einer teilweisen behördlichen Sperrung lediglich unter akustischer Abschirmung im Wege einer audiovisuellen Übertragung vernommen werden konnte, schon mangels eines persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung nicht überzeugen können. Darüber hinaus haben sich aus fehlender bzw. unklarer Dokumentation der Einsätze der Verdeckten Ermittler sowie aus mangelnder Stimmigkeit der Angaben durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des „N. “ ergeben. Aus diesem Grund hat die Strafkammer der Verurteilung allein die nicht widerlegten Einlassungen der Angeklagten zu Grunde gelegt. Vor diesem Hintergrund wertete das Landgericht das Verhalten der Angeklagten bei beiden Taten jeweils als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, da diese lediglich fremde Umsatzgeschäfte vermittelt und begleitet hätten, ohne dass sie eigenen Einfluss auf die Mengen, die Preise oder den Weiterverkauf gehabt hätten, zumal eine
Vergütungszusage nicht feststellbar bzw. die zugesagte Höhe der Vergütung in Anbetracht des Gesamtumsatzes vergleichsweise gering gewesen sei. Bei der Strafzumessung wertete das Landgericht hinsichtlich beider Angeklagter als strafmildernd, „dass der Anstoß für die beiden Drogengeschäfte von den beiden Verdeckten Ermittlern N. und Ap. kam und von diesen sinngemäß erklärt wurde, für die Angeklagten bestehe kein Risiko, da die Betäubungsmittelgeschäfte in den Niederlanden erfolgen würden und ein Weitertransport nach Deutschland nicht geplant sei“. Weiter berücksichtige es als strafmildernden Umstand, „dass der Einsatz der Verdeckten Ermittler angesichts der massiven Vorstrafen gerade noch verhältnismäßig war“.
B. Die Revisionen der Angeklagten führen zur Einstellung des Verfahrens. Es liegt eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vor, die zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis führt.
I. Die Urteilsgründe belegen die Voraussetzungen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verletzenden rechtsstaatswidrigen Tatprovokation.
1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) liegt eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende Tatprovokation vor, wenn sich die beteiligten Ermittlungspersonen nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass sie zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie ohne die Einwirkung nicht begangen hätte, und zwar mit dem Zweck, diese Straftat nachzuweisen, also Beweise für sie zu erlangen und eine Strafverfolgung einzuleiten. Der Grund für dieses Verbot liegt darin, dass es Aufgabe der Ermittlungsbehörden ist, Straftaten zu verhüten und zu untersuchen, und nicht, zu solchen zu provozieren (vgl. EGMR, Entscheidung vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 [Furcht gegen Deutschland], JR 2015, 81, 84 mit Anm. Petzsche = StraFo 2014, 504, 506 mit Anm. Sommer und Anm. Hauer NJ 2015, 203; Mey- er/Wohlers JZ 2015, 761 ff.; Pauly StV 2015, 411 ff.; Sinn/Maly NStZ 2015, 379 ff.). Im Rahmen der Prüfung, ob die Ermittlungen „im Wesentlichen passiv“ geführt wurden, untersucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sowohl die Gründe, auf denen die verdeckte Ermittlungsmaßnahme beruhte, als
auch das Verhalten der die verdeckte Maßnahme durchführenden Ermittlungspersonen:
Insoweit stellt der Gerichtshof zunächst darauf ab, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Betroffene bereits an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung von Straftaten zugeneigt war. Dabei spielt es eine Rolle, ob der Betroffene vorbestraft ist (was aber für sich allein noch kein ausreichendes Indiz darstellt) und bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Darüber hinaus kann im Rahmen dieser Prüfung, je nach den Umständen des konkreten Falles, nach Ansicht des Gerichtshofs Folgendes für eine Tatgeneigtheit sprechen: die zu Tag getretene Vertrautheit des Täters mit den im illegalen Betäubungsmittelhandel üblichen Preisen, seine Fähigkeit, kurzfristig Drogen beschaffen zu können, sowie der Umstand, dass er aus dem Geschäft einen finanziellen Vorteil ziehen würde. Bei der Prüfung des Verhaltens der Ermittlungspersonen untersucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ob auf den Betroffenen Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. In Betäubungsmittelfällen können nach Ansicht des Gerichtshofs folgende Verhaltensweisen dafür sprechen, dass die Ermittlungsbehörden den Bereich des passiven Vorgehens verlassen haben:
das Ergreifen der Initiative beim Kontaktieren des Betroffenen, das Erneuern des Angebots trotz anfänglicher Ablehnung, hartnäckiges Auffordern zur Tat, Steigern des Preises über den Durchschnitt oder Vorspiegelung von Entzugserscheinungen, um das Mitleid des Betroffenen zu erregen (vgl. EGMR aaO mwN; siehe auch EGMR, Entscheidung vom 4.November 2010 – 18757/06 [Bannikova gegen Russland], Rn. 37 ff.; Urteil vom 18. Oktober 2011 – 21218/09 [Prado Bugallo gegen Spanien], NJW 2012, 3502, 3503; Urteil vom 5. Februar 2008 – 74420/19 [Ramanauskas gegen Litauen], NJW 2009, 3565, 3566 f.; Urteil vom 9. Juni 1998 – 44/1997/828/1034 [Teixeira de Castro gegen Portugal], NStZ 1999, 47, 48).
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine staatliche Tatprovokation vor, wenn ein Verdeckter Ermittler (oder eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson) über das bloße „Mitmachen“ hinaus in Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Sie ist nur zulässig, wenn diese gegen eine Person eingesetzt wird, die in einem den § 152 Abs. 2, § 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47 f.; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336 f.). Eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person darf hingegen nicht in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet werden. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, wenn die Einwirkung auf die Zielperson im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist (vgl. BGH, Ur- teil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 279; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 346 f.; Senat, Urteil vom 21. September 1983 – 2 StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79); im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 - 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 346 f.; Senat, Urteil vom 21. September 1983 - 2 StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79).
3. An beiden Maßstäben gemessen überschritt das Verhalten der Verdeckten Ermittler die durch den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Rechtsstaatsprinzip gezogenen Grenzen.
a) Der Einsatz der Verdeckten Ermittler beschränkte sich nicht auf eine weitgehend „passive Strafermittlung“, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für zulässige Einflussnahmen auf den Täter voraussetzt, sondern stellt sich als eine massive aktive Einwirkung auf die Angeklagten dar, die dazu führte, dass sie sich nur deshalb an den begangenen Straftaten beteiligten.
aa) Bei der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erforderlichen Prüfung der Gründe, auf denen die verdeckte Maßnahme beruhte, ist in den Blick zu nehmen, dass beide Angeklagte wegen Drogendelikten vorbestraft waren. Doch begründen Vorstrafen für sich allein weder einen Anfangsverdacht für die Begehung weiterer Straftaten noch geben sie auch nur einen (ausreichenden) Anhalt für die Annahme möglicher Tatgeneigtheit. Andernfalls wäre die Resozialisierungswirkung der Vorstrafe generell in Frage gestellt. Zu berücksichtigen ist im konkreten Fall zudem, dass sich auch nach der erfolgten Verleitung zu Straftaten eine tatsächliche Einbindung der Angeklagten in das Drogenmilieu zu Beginn des Einsatzes der Verdeckten Ermittler nicht feststellen ließ. Der Angeklagte B. hatte selbst keine einschlägigen Kontakte mehr und musste den Mitangeklagten J. für die Suche nach Betäubungsmittelhändlern gewinnen. Dieser sprach zunächst eine ihm fremde Person an, die aber kein Interesse an einem Drogengeschäft hatte und ihn an einen anderen Lieferanten weiterverwies. Auf Grund der im Zug des Ermittlungsverfahrens wegen Geldwäsche gewonnenen Erkenntnisse haben die Ermittlungsbehörden allerdings (noch) rechtlich vertretbar einen Anfangsverdacht hinsichtlich von Betäubungsmittelstraftaten bejaht und im Oktober 2010 ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieser Verdacht war aber nicht sonderlich gewichtig und stützte sich nur auf wenige, zudem vage Umstände. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich nach den im Oktober 2009 aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnissen, bei denen von „Figürchen“ mit einer Qualität von „fast 100%“, „reinrein“ die Rede war und aufgrund derer die Ermittlungsbehörden von der Vermittlung eines Amphetamingeschäfts durch den Angeklagten
B. ausgegangen sind, keine weiteren Hinweise auf eine kriminelle Verstrickung der Angeklagten ergeben hatten. Eine PKW-Kontrolle im April 2010 nach einem Treffen der Angeklagten mit A. , gegen den in den Niederlanden wegen des Verdachts der Teilnahme am internationalen Drogenhandel – allerdings ergebnislos – ermittelt worden war, brachte keine neuen Erkenntnisse. Die Annahme der Ermittlungsbehörden, dass der Angeklagte B. eben andere Kommunikationswege
nutze und sich deshalb keine weiteren Ermittlungsergebnisse ergeben hätten, stellt sich letztlich als eine bloße Spekulation dar, die ohne weitere Anhaltspunkte für eine allgemeine kriminelle Verstrickung auch nicht durch kriminalistische Erfahrung gedeckt ist. Die auf die beschriebenen Umstände gestützte richterliche Gestattung des Einsatzes Verdeckter Ermittler im Dezember 2010 mag – unter Berücksichtigung des ermittlungsrichterlichen Beurteilungsspielraums – noch von den gesetzlichen Vorschriften getragen gewesen sein; zu berücksichtigen ist allerdings, dass damit nicht ohne Weiteres auch die Zulässigkeit einer Tatprovokation einhergeht, zumal es für diese konkrete Maßnahme selbst keine spezialgesetzliche Regelung gibt (vgl. § 110 c StPO). Für die Beurteilung des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen kommt es zudem auf die Verdachtslage zum Zeitpunkt der Einwirkung des Lockspitzels auf die Zielperson an. Je stärker
der Verdacht ist, desto nachhaltiger kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch die Einflussnahme sein (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 49). Je geringer der Tatverdacht aber ist, umso weniger an Stimulierung ist erlaubt. Schließlich ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn sich trotz Beobachtung und Versuchen der Einflussnahme gerade keine weiteren belastbaren Anhaltspunkte für eine (unabhängig von der Tatprovokation) geplante oder durchgeführte Tatbegehung ergeben. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass zwar aus der Sicht der Ermittlungsbehörden noch hinreichende Gründe für die Anordnung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gegeben waren, dem provozierenden Tätigwerden aber mit Blick auf die Stärke des geringen Tatverdachts von Anfang an enge Grenzen gesteckt waren.
bb) Bei der weiteren nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs notwendigen Erörterung, ob und in welcher Weise durch die Verdeckten Ermittler Druck auf die Angeklagten ausgeübt wurde, sind die konkreten Umstände in den Blick zu nehmen, wie es zur Tatverleitung der Angeklagten gekommen ist. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass Verdeckte Ermittler aus den Niederlanden in Deutschland tätig geworden sind, ohne dass zu jedem Zeitpunkt eine Genehmigung hierfür vorgelegen hätte. So waren „Ap.“ und „K. “ erstmals am 10. Februar 2011 in Deutschland im Einsatz, eine Genehmigung ist aber erst am 16. März 2011 erteilt worden. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass sich der Angeklagte B. zahlreichen Anfragen des „Ap. “ nach Vermittlung seiner Drogenkontakte in den Niederlanden seit Anfang April 2011 widersetzte, bevor er dem ständigen und immer intensiverem Drängen am 30. Mai 2011 schließlich nachgab. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, dass dem Angeklagten B. wahrheitswidrig vorgespiegelt wurde, „Ap. “ und auch „N. “ würden von serbischen Abnehmern, die „rasend“ vor Wut seien, bedroht, weswegen „Ap.“ zusammen mit „K. “ schon seinen bisherigen Wohnort gewechselt habe. Erst als ihm erklärt wurde, dass sich die Situation noch weiter zugespitzt habe, erklärte sich der Angeklagte B. , der wiederholt betont hatte, mit Rauschgiftgeschäften nichts zu tun haben zu wollen, dazu bereit, einen Freund zu fragen, ob dieser helfen könnte. Dabei verfügte der Angeklagte B. nicht über eigene Kontakte; deshalb schaltete er den Angeklagten J. ein, bei dem durch vorangegangene Erzählungen der Eindruck entstanden war, es handele sich um eine Sache von
„Leben und Tod“. Er ließ sich deshalb zur Tatbeteiligung überreden, konnte aber nicht auf einen bestimmten Lieferanten zurückgreifen, sondern musste einen solchen erst suchen. Die Tathandlungen der Angeklagten waren dabei geprägt und bestimmt davon, „Ap. “ und „N. “ einen Gefallen zu tun, ihr Handeln beruhte zu keinem Zeitpunkt auf eigenem Antrieb und ging auch nicht auf eigenes Gewinnstreben zurück. Es handelte sich um ein ganz und gar fremdnütziges Verhalten, zu dem es nicht gekommen wäre, wären der Angeklagte B. und mittelbar auch der Mitangeklagte J. nicht durch die Verdeckten Ermittler unter „Druck“ gesetzt worden. Dies gilt in gleicher Weise für das zweite Geschäft, nicht nur für den ohnehin weitgehend unbeteiligten Angeklagten B. , der zwar den Angeklagten J. über die „Notwendigkeit“ eines zweiten Geschäfts informierte, aber zugleich deutlich machte, damit nichts mehr zu tun haben zu wollen. Es betrifft auch den Angeklagten J. , der zwar aufgrund der vorgetäuschten Bedrohungslage bereit war, einen Kontakt zum Lieferanten herzustellen, aber ansonsten mit dem Geschäft auch nichts zu tun haben wollte. Dies alles gilt umso mehr, als nach Durchführung der ersten Tat aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden, deren Ziel die Aufklärung von Straftaten und nicht deren Herbeiführung ist (vgl. BVerfG NJW 2015, 1083, 1084), kein legitimer Grund mehr bestand, unter erneutem Hinweis auf eine Gefahr für Leib und Leben des „Ap. “ eine zweite Tat zu initiieren. Mit diesem Verhalten der Verdeckten Ermittler gegenüber den Angeklagten haben die Ermittlungsbehörden in beiden Fällen die ihnen bei Ermittlungen nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens
vorgegebene passive Haltung bei der heimlichen Aufklärung von Straftaten verlassen. Sie haben vielmehr – unter Außerachtlassung des ohnehin nur geringen Tatverdachts gegen die Angeklagten und der ständigen, zu einer weiteren Handlungsbegrenzung führenden Weigerungen des Angeklagten B. , sich an einem Betäubungsmittelgeschäft eines anderen zu beteiligen – ihre Einflussnahme im Laufe der Zeit immer weiter verstärkt und damit letztlich erst die Beteiligung
der Angeklagten an ihrem eigenem Geschäft veranlasst. In beiden Fällen liegt damit nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich beider Angeklagter eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende polizeiliche Tatprovokation vor.
b) Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im vorliegenden Fall eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation gegeben. Die Handlungen der Verdeckten Ermittler erschöpften sich nicht darin, die Angeklagten lediglich ohne sonstige Einwirkung angesprochen oder eine offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung weiterer Straftaten ausgenutzt zu haben. Sie waren vielmehr – trotz wiederholter Weigerung, sich an Betäubungsmittelgeschäften beteiligen zu wollen – darauf gerichtet, gerade doch eine solche Beteiligung erreichen zu wollen, und stellen damit ohne Weiteres auch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine staatliche Tatprovokation dar. Diese war auch unzulässig, auch wenn sie sich gegen Personen richtete, gegen die ein wenn auch geringer Tatverdacht bestand. Zwar ist bei diesem Personenkreis eine über das bloße „Mitmachen“ hinausgehende Initiierung oder Steigerung des (eigentlichen) Tatentschlusses grundsätzlich nicht unzulässig, doch bestehen auch hier rechtsstaatliche Grenzen eines Lockspitzeleinsatzes. Die Einwirkung auf eine
verdächtige oder tatgeneigte Person darf im Verhältnis zum Anfangsverdacht nicht „unvertretbar übergewichtig“ sein. Genau dies war hier aber der Fall. Es bestand – wie oben ausgeführt – allenfalls ein vager Anfangsverdacht gegen die Angeklagten, die sich erst bereit erklärten, an den Betäubungsmittelgeschäften
mitzuwirken, nachdem die Verdeckten Ermittler über Monate hinweg das Vertrauen des Angeklagten B. gewonnen hatten und diesem vorgespiegelt worden war, sie würden von serbischen Abnehmern des Rauschgifts bedroht. Es liegt ein deutliches Missverhältnis zwischen dem bestehenden Anfangsverdacht einerseits und den wiederholten, massiven Einwirkungshandlungen der Verdeckten Ermittler andererseits vor.
c) Sowohl nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch derjenigen des Bundesgerichtshofs ist demnach eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation anzunehmen. Der Senat braucht deshalb an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob – wie der 1. Strafsenat meint (Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544) – die die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK prägenden Kriterien der Tatprovokation in der Judikatur des Bundesgerichtshofs abgebildet werden oder ob nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in ihren Voraussetzungen zur Annahme einer rechtsstaatlichen Tatprovokation enger ist (Verbot lediglich „unvertretbarer übergewichtiger“ Einwirkungen bei verdächtigen oder tatgeneigten Personen) und deshalb an die (wohl) weitergehende Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Wesentlichen „passive Strafermittlung“) anzupassen wäre (vgl. dazu Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 769).
II. Der danach gegebene Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK führt im vorliegenden Fall zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.
1. Zwar entspricht es der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine unzulässige Tatprovokation kein Verfahrenshindernis nach sich zieht, sondern nur im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14, juris Rn. 7, insoweit in NStZ 2015, 226 nicht abgedruckt; Urteil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 280; Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44,
47; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 324 ff.; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 348 ff.).
2. An dieser „Strafzumessungslösung“ hält der Senat angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (nachfolgend a) nicht mehr fest. Die gebotene Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (nachfolgend b) führt nach Ansicht des Senats dazu, dass jedenfalls in den Fällen der vorliegenden Art ein Verfahrenshindernis zur Kompensation der Konventionsverletzung erforderlich ist (nachfolgend c).
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung Furcht gegen Deutschland vom 23. Oktober 2014 (54648/09, Rn. 47, JR 2015, 81, 84 = StraFo 2014, 504, 506), mit der erstmals die Strafzumessungslösung der deutschen Rechtsprechung unmittelbar überprüft und als Mittel der Kompensation des Konventionsverstoßes verworfen wurde, erneut betont, das öffentliche Interesse an der Verbrechensbekämpfung rechtfertige nicht die Verwendung von Beweismitteln, die als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnen wurden, denn dies würde den Beschuldigten der Gefahr aussetzen, dass ihm von Beginn an kein faires Verfahren zu Teil wird. Der Entscheidung lag eine Fallkonstellation zu Grunde, in der zum maßgeblichen Zeitpunkt des
Herantretens der Verdeckten Ermittler an den Betroffenen bereits keine objektiven Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass dieser in kriminellen Rauschgifthandel verwickelt oder der Begehung von Straftaten sonst zugeneigt war. Zwar hatte der Betroffene in der Folge die Möglichkeit eines Rauschgiftverkaufs selbst vorgeschlagen. Da aber der Verdeckte Ermittler nach der Erklärung des Betroffenen, an einem Rauschgiftgeschäft nicht mehr interessiert zu sein, erneut Kontakt mit diesem aufgenommen und ihn überredet hatte, mit der Organisation des Rauschgifthandels fortzufahren, kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Schluss, dass der Einsatz über eine rein passive Ermittlungstätigkeit hinausging und einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründete. In Zusammenhang mit der Frage, ob dem Betroffenen durch die vom Landgericht vorgenommene erhebliche, wenn auch nicht bezifferte Strafmilderung eine ausreichende Kompensation für den Konventionsverstoß gewährt wurde, wiederholte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte,
dass alle als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden müssen oder ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen gewählt werden muss, damit das Verfahren fair im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK ist (EGMR, aaO, Rn. 64, 68). Alle anderen Maßnahmen können danach nicht als ausreichend angesehen werden, um eine angemessene Wiedergutmachung für eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu leisten. Aus diesem
Grund kam der Gerichtshof nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung des durch die unzulässige Tatprovokation gewonnenen Beweismaterials für den Beweis der Schuld zu dem Schluss, dass selbst eine erhebliche Milderung der Strafe nicht als „ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen wie der Ausschluss der angegriffenen Beweismittel“ angesehen werden könne (EGMR, aaO, Rn. 68 f.).
b) Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof bei der Bestimmung der Rechtsfolge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation zu berücksichtigen.
aa) Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle – soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind – im Range eines Bundesgesetzes. Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfGE 111, 307, 317; 128, 326, 366 f.). Eine besondere Bedeutung für das Konventionsrecht als Völkervertragsrecht haben die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Protokolle widerspiegelt (BVerfGE 111, 307, 319). Zur Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört daher die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen
des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung des innerstaatlichen Rechts. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische "Vollstreckung" können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen (BVerfGE 111, 307, 323 f.; BVerfG NJW 2015, 1083, 1085). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist danach auch auf der Ebene des einfachen Rechts möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen (vgl. BVerfGE 111, 307, 327; 128, 326, 371).
bb) Danach kommt die Strafzumessungslösung, deren Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Schrifttum von Anfang an umstritten war (vgl. statt vieler Imme Roxin, Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, 4. Aufl., 2004, S. 179 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 148a, beide mwN) als Konsequenz rechtsstaatswidriger Tatprovokation nicht mehr in Betracht
(so auch Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 769; Sommer, StraFo 2014, 508; Petzsche, JR 2015, 88, 89; Pauly, StV 2015, 411 f.; Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 381 f.). Zwar muss das nationale Rechtssystem nicht zwingend dem dogmatischen Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgen (siehe BVerfG, NJW 2015, 1083, 1085). Denn solange die inhaltlichen Anforderungen, die Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK an die Fairness des Strafverfahrens stellt, erfüllt sind, überlässt es der Gerichtshof den nationalen Gerichten zu entscheiden, wie die Anforderungen der Konvention in die jeweiligen nationalen Strafrechtssysteme
zu integrieren sind. Der Gerichtshof betont dementsprechend im Allgemeinen, dass die Frage der Zulässigkeit und Würdigung einzelner Beweise vornehmlich der Regelung des nationalen Rechts vorbehalten bleibe, wohingegen seine Aufgabe darin bestehe festzustellen, ob das Verfahren als Ganzes, einschließlich der Art und Weise der Beweisaufnahme, fair war (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09 [Furcht gegen Deutschland], JR 2015, 84; Urteil vom 9.
Juni 1998 – 44/1997/828/1034 [Teixeira de Castro gegen Portugal], NStZ 1999, 47, 48; Urteil vom 5. Februar 2008 – 74420/19 [Ramanauskas gegen Litauen], NJW 2009, 3565, 3566, jew. mwN). Dementsprechend hält der Gerichtshof auch ein Verfahren mit ähnlichen Konsequenzen grundsätzlich für geeignet, eine ausreichende Wiedergutmachung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu gewährleisten. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber nunmehr – nachdem der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit wiederholt die Strafzumessungslösung als ausreichend zur Kompensation angesehen hatte – ausdrücklich festgestellt hat, führt auch eine erhebliche Milderung der Strafe nicht zu Konsequenzen, die einem Ausschluss sämtlicher durch die konventionswidrige Tatprovokation des Staates erlangten Beweismittel vergleichbar sind. Die Strafzumessungslösung, soweit sie nicht zu einem vollständigen Absehen von Strafe führt (dafür Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 383) stellt damit auch keine vollständige Wiedergutmachung im Sinne des Art. 41 EMRK dar (vgl. Imme Roxin aaO S. 181 f.). Die Einhaltung der Mindeststandards der Konvention in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 1, 19 EMRK) wird durch die Strafzumessungslösung daher nicht gewährleistet (vgl. aber BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 - 1 StR 128/15, Rn. 7 f., wo die abschließenden Konsequenzen aus der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Strafzumessungslösung allerdings nicht ausdrücklich erörtert werden).
c) Die danach gebotene Neubewertung der staatlichen Tatprovokation führt bei der erforderlichen schonenden Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das nationale Rechtssystem im vorliegenden Fall zur Annahme eines Verfahrenshindernisses.
aa) Die Wendung des Gerichtshofs, wonach alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden müssen oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen eingreifen muss, damit das Verfahren – auch als Ganzes – als fair angesehen werden kann, könnte zwar für die Annahme eines umfassenden Beweisverwertungsverbots sprechen. Ein solches Beweisverwertungsverbot stünde, wie der Bundesgerichtshof bereits dargelegt hat, indes mit grundlegenden Wertungen des deutschen Strafrechtssystems nicht ohne Weiteres in Einklang und führte zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. schon BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 334 f.; Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 355). So betrifft ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich nur die unmittelbare Verwertung von bestimmten, rechtswidrig erlangten Beweismitteln zur Feststellung der Schuldfrage (vgl. BVerfG, NJW 2015, 1083, 1085; BVerfG, NJW 2011, 2417, 2419; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Einl. Rn. 55; KK- StPO/Senge, 7. Aufl., Vor § 48 Rn. 82; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl., § 24 Rn. 21). In den Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation betrifft das rechtswidrige, gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende Handeln des Staates dagegen nicht erst die Erlangung von Beweismitteln, sondern es hat die Tat als solches zur Folge (vgl. auch Tyszkiewicz, Tatprovokation als Ermittlungsmaßnahme, 2014, S. 223 ff.; Gaede/Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286). Insofern greift die Überlegung zu kurz, es seien die durch die Tatprovokation „gewonnenen“ Beweise zu eliminieren. Im Übrigen stellt sich die spätere Erhebung dieser Beweise im Strafverfahren jedenfalls nicht als von vornherein rechtswidrig dar. Die Beweiserhebung durch den Tatrichter ist vielmehr zunächst regelmäßig geboten, um die tatsächlichen Umstände einer behaupteten Tatprovokation klären und die daraus folgenden Konsequenzen prüfen zu können. Umso weniger erscheint, was den Umfang eines möglichen Verwertungsverbotes angeht, eine Differenzierung zwischen „unmittelbar“ und „mittelbar“ durch die Tatprovokation erlangten Beweisen durchführbar (hierfür aber wohl BVerfG, NStZ 2015, 1083, 1086). Dies wird exemplarisch in den Fällen deutlich, in denen – wie hier und in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde liegenden Fall – die Verurteilung der Angeklagten im Wesentlichen auf deren Geständnis beruht. Wie der Bundesgerichtshof unter Bezugnahmen auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bereits entschieden hat, könnte die erforderliche Beschränkung der Zulässigkeit polizeilicher Tatprovokation nicht erreicht werden, wenn darauf abgestellt würde, ob die Angaben des Verdeckten Ermittlers (oder der Vertrauensperson) das wichtigste Beweismittel darstellen. In vielen Fällen sind deren Angaben zur eigentlichen Überführung des Provozierten nicht notwendig, weil häufig auch Polizeibeamte die Rauschgiftübergabe
beobachten und dabei unter Sicherstellung von Drogen und Festnahme der Täter zugreifen, so dass es für die Beweiswürdigung häufig nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Angeklagte später – bedingt durch die erlangten Ermittlungsergebnisse oder um geltend zu machen, zur Tat provoziert worden zu sein – ein Geständnis ablegt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 331 f.). Allein der Ausschluss der Angaben der Lockspitzel von der Beweisführung gewährleistet nicht, dass am Ende ein Verfahren stehen könnte, welches im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in seiner Gesamtheit „fair“ sein könnte (so auch: Meyer/Wohlers, JZ 2015, 761, 765; ebenso wohl auch Sinn/Maly, NStZ 2015, 379, 383). Die Nichtverwendung aller auch in mittelbarer Weise erlangten Beweismittel liefe auch der Sache nach auf ein Verfahrenshindernis hinaus (so auch Meyer / Wohlers, JZ 2015, 761, 769: „Bestrafungshindernis“; vgl. auch Pauly, StV 2015, 411, 413).
bb) Demgegenüber fügt sich die Annahme eines Verfahrenshindernisses „schonend“ in das deutsche Strafrechtssystem ein und genügt den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
(1) Die Anerkennung eines Verfahrenshindernisses knüpft an die provozierte Tat selbst und daher – anders als ein Beweisverwertungsverbot – an der unmittelbaren Folge des rechtsstaatswidrigen Handelns an. Es führt zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich dieser Tat (§§ 206a, 260 Abs. 3 StPO) und damit zu vergleichbaren Konsequenzen wie der Ausschluss sämtlicher als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnener Beweismittel (so auch Petz- sche JR 2015, 88, 89; Gaede/ Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286).
(2) Gegen die Annahme eines Verfahrenshindernisses als Folge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation bestehen auch keine durchgreifenden dogmatischen Einwände nach dem System des nationalen Rechts. Diese Lösung wurde bereits früher von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senat, Urteil vom 6. Februar 1981 – 2 StR 370/80, NJW 1981, 1626; Beschluss vom 13. November 1981 – 2 StR 242/81, NStZ 1982, 126; Beschluss vom 23. Dezember
1981 – 2 StR 742/81, NStZ 1982, 156) und wird auch heute noch von Teilen der Literatur (vgl. etwa Tyszkiewicz aaO S. 225 ff.; Gaede/ Buermeyer, HRRS 2008, 279, 286; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 178; Sinner/Kreuzer, StV 2000, 114, 117; Küpper, JR 2000, 257; s. auch LR/Erb, StPO, 26. Aufl., § 163 Rn. 72) befürwortet. Die Rechtsfigur des Verfahrenshindernisses ist unbeschadet der Tatsache, dass sie in der Strafprozessordnung nicht allgemein definiert ist, eine anerkannte dogmatische Kategorie und stellt daher – anders als etwa die Annahme eines gesetzlich nicht geregelten Strafausschließungsgrunds (hierfür etwa I. Roxin aaO S. 220 ff.) – eine aus dem Blickwinkel der innerstaatlichen Rechtsordnung schonende Möglichkeit der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar. Dem steht auch nicht die Notwendigkeit entgegen, das Vorliegen des Verfahrenshindernisses aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu prüfen. Diese Notwendigkeit kann sich im Einzelfall auch bei der Prüfung anderer Verfahrensvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse ergeben, so etwa bei der Frage einer rechtsstaatswidrigen
Verfahrensverzögerung (vgl. Senat, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 ff.) oder etwa beim Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eines relativen Antragsdelikts, des Nichteintritts der Strafverfolgungsverjährung oder des Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes. Auch ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein Verfahrenshindernis erst nach umfangreicher Sachverhaltserforschung ergibt (aA Imme Roxin aaO S. 210 mwN), beispielsweise in den Fällen des Strafklageverbrauchs. Der Gesichtspunkt, dass Verfahrenshindernisse in der Regel – wenngleich nicht stets – an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen und nicht Ergebnis wertender Abwägungen sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 – 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 351), muss im Übrigen zurücktreten, wenn feststeht, dass für eine solche Abwägung aufgrund des Gewichts des Verstoßes kein Raum bleibt, wie sich hier aus den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt. Der Annahme eines Verfahrenshindernisses als regelmäßige Folge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation kann auch nicht entgegengehalten werden, die unterschiedslose Behandlung aller davon erfassten Fälle würde den großen Unterschieden insbesondere hinsichtlich des Umfangs des späteren schuldhaften Verhaltens des Provozierten nicht gerecht (so aber noch BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 333). Zum einen dürften etwa Fälle wie diejenigen eines zufälligen Ansprechens eines bislang unverdächtigen Rauschgifthändlers, der daraufhin eigene, umfangreiche Aktivitäten zur Durchführung eines Betäubungsmittelgeschäfts entfaltet, schon keine Konstellation sein, die als rechtsstaatswidrige Tatprovokation anzusehen ist, obwohl sie vielfach als Beispiele dafür angeführt werden, dass für solche Fälle die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht angemessen sei. Zum anderen stellt das in diesem Zusammenhang bemühte Argument, im Hinblick auf die Intensität der anfänglichen Verdachtslage, die Hartnäckigkeit des Verdeckten Ermittlers sowie die Schuld des durch diesen zur Tat Provozierten
gebe es weit auseinander liegende Fallgestaltungen, die eine Differenzierung erforderten (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 333 f.), eine Behauptung dar, die jedenfalls mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht (mehr) in Einklang zu bringen ist. Mit der Annahme der Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation müssen alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel
ausgeschlossen werden oder aber es muss ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen eingreifen, damit das Verfahren – auch als Ganzes – als fair angesehen werden kann. Dies schließt weitere Differenzierungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten aus.
(3) Ein Verfahrenshindernis widerspricht auch nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bislang offengelassen, ob aus einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden kann; es hat dies aber jedenfalls in Ausnahmefällen für möglich erachtet, wenn sich ein tatprovozierendes Verhalten gegen einen (bis dahin) gänzlich Unverdächtigen richtet, der lediglich „als Objekt der staatlichen Ermittlungsbehörden einen vorgefertigten Tatplan ohne eigenen Antrieb ausgeführt hat“ (vgl. BVerfG, NJW 1987, 1874; NJW 1995, 651, 652; Beschluss vom 18. Mai 2001 – 2 BvR 693/01; NJW 2015, 1083, 1084). Damit ist verfassungsrechtlich die Annahme eines Verfahrenshindernisses aber nicht schon auf Ausnahmefälle beschränkt. Insbesondere erfolgt auch die Herleitung der bisherigen „Strafzumessungslösung“ nicht aus der Verfassung selbst; sie ist einfachrechtlich begründet. Eine andere Reaktion auf die rechtsstaatswidrige Tatprovokation wäre, worauf das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2014 (NJW 2015, 1083, 1086) ausdrücklich hingewiesen hat, daher von Verfassungswegen zulässig. Soweit das Bundesverfassungsgericht
darüber hinaus die Strafgerichte aufgefordert hat, zukünftig ein Verwertungsverbot bezüglich der unmittelbar durch die rechtsstaatswidrige Tatprovokation gewonnenen Beweise (insbesondere bezüglich der unmittelbar in die Tatprovokation verstrickten Zeugen) zu erwägen, stellt sich dies als ein – jedenfalls nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen gewonnener – Hinweis dar, der im Übrigen im Rahmen der Nichtannahmeentscheidung der Kammer eine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfG nicht entfaltet (vgl. BVerfGE 92, 91, 107).
3. Danach folgt aus der festgestellten rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis, obwohl im vorliegenden Fall mit Blick auf den gegen die Angeklagten bestehenden Tatverdacht die Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses von Verfassungswegen nicht gegeben sind. Es kann dahinstehen, ob in allen Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation – was angesichts der strikten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nahe liegt – die Annahme
eines Verfahrenshindernisses aus menschenrechtlicher Sicht geboten ist (so wohl Meyer/ Wohlers, JZ 2015, 761, 770) oder ob in besonderen Ausnahmefällen eine Kompensation der Verletzung des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auf andere Weise als durch die Einstellung des Verfahrens denkbar ist, denn angesichts des festgestellten Gewichts des tatprovozierenden Verhaltens kam hier die Annahme eines Ausnahmefalls nicht in Betracht.
III. Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Nachdem die angeklagte Tat von vornherein auf eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zurückgeht, sah der Senat keinen Anlass, von der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO Gebrauch zu machen (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 467 Rn. 18 mwN). Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist vom Landgericht zu treffen, weil Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen ohne weitere Feststellungen und ohne weitere Anhörung der Beteiligten nicht abschließend zu bestimmen sind.
C. Revision der Staatsanwaltschaft
Aus den unter B. dargelegten Gründen war das Urteil auch auf die – insoweit zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO) wirkende – Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben und das Verfahren einzustellen.
D. Eines Anfrage- und Vorlageverfahrens gemäß § 132 GVG bedurfte es nicht.
1. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 23. Oktober 2014 (54648/09 [Furcht gegen Deutschland]) eröffnete die Möglichkeit und begründete zugleich die, die aus der Konvention herrührende Pflicht, die fachgerichtliche Rechtsprechung zu den Folgen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ohne Bindung an bisherige Rechtsprechung zu überprüfen. Zwar kommt den Entscheidungen des Gerichtshofs keine den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) oder des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Art. 267 AEUV) vergleichbare Bindungswirkung zu, die eine Vorlagepflicht ohne Weiteres entfallen ließe (vgl. KK- StPO/Hannich, StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 8). Nach Art. 46 EMRK sind die beteiligten Vertragsparteien lediglich im Hinblick auf einen bestimmten Streitgegenstand an das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden (vgl. BVerfGE 111, 307, 320). Indes haben sich die Vertragsparteien der Konvention mit der Ratifikation verpflichtet sicherzustellen, dass ihre innerstaatliche Rechtsordnung mit der Konvention übereinstimmt (vgl. Art. 1 EMRK); sie haben die „wirksame Anwendung aller Bestimmungen“ der Konvention in ihrem innerstaatlichen Recht zu gewährleisten (vgl. Art. 52 EMRK). Wie bereits unter B.II.2.b dargelegt, haben die deutschen Gerichte daher die Konvention – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Von daher kann sich auch aus einer Entscheidung des Gerichtshofs im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 34 EMRK ein zwingender Neuregelungsbedarf für die deutsche Rechtsprechung ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – die Bundesrepublik Deutschland Verfahrensbeteiligte ist und die bisherige Rechtsprechung eine Rechtsfigur des deutschen Richterrechts als nicht ausreichende Kompensation einer Konventionsverletzung im Sinne von Art. 41 EMRK angesehen wurde und deshalb eine erneute Verurteilung der Bundesrepublik zu besorgen ist. Diese aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte resultierende Pflicht, die bisherige insoweit „überholte“ Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu überprüfen und anzupassen, trifft alle Strafsenate unmittelbar und gleichermaßen. Bei dieser Sachlage war ein Anfrage- und Vorlageverfahren gemäß § 132 GVG nicht veranlasst.
2. Der Senat war auch mit Blick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 19. Mai 2015 (1 StR 128/15) nicht gehindert, ohne Durchführung eines Anfrage- oder Vorlageverfahrens zu entscheiden. Abgesehen davon, dass der im schriftlichen Verfahren nach § 349 Abs. 2 StPO gefasste Beschluss, dessen Gründe erst am 21. Juli 2015 und damit mehr als einen Monat nach der Veröffentlichung der Presseerklärung über die Urteilsverkündung im hiesigen Verfahren auf die Geschäftsstelle des 1. Strafsenats gelangten und erst am 30. Juli 2015 auf der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlicht wurden, dem Senat bei seiner Urteilsverkündung am 10. Juni 2015 nicht bekannt war, stellen sich die dortigen Erwägungen, mit denen der 1. Strafsenat die Annahme eines Verfahrenshindernisses ablehnen möchte, letztlich als nicht tragende Überlegungen dar, von denen abzuweichen es ein Verfahren nach § 132 GVG nicht voraussetzt. Die Frage eines Verfahrenshindernisses kann sich erst stellen, wenn eine unzulässige Tatprovokation festgestellt ist. Der 1. Strafsenat befasst sich in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2015 aber losgelöst von einer solchen Feststellung allgemein mit der Frage nach den Folgen einer möglichen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation, deren Vorliegen er im konkreten Fall aber ersichtlich verneint. Denn es fehlen – so der 1. Strafsenat im dort zu entscheidenden Fall – nicht nur jegliche Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise aus verfassungsrechtlicher Sicht zum Verfahrenshindernis führende
polizeiliche Tatprovokation. Der 1. Strafsenat geht zudem davon aus, dass sämtliche Betäubungsmittelstraftaten auf den bereits ohne polizeiliche Intervention gefassten Tatentschluss zurückgegangen seien. Schließlich lassen die Ausführungen des 1. Strafsenats zur Verfahrensrüge wegen Verletzung von Art. 6 EMRK bzw. Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG deutlich erkennen, dass er das Vorliegen einer Tatprovokation auf Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen
verneint. Denn der Senat bemängelt den im Rahmen der Verfahrensrüge erfolgten unzureichenden Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers, der ihn nicht in die Lage versetze zu prüfen, ob eine unzulässige Tatprovokation gegeben sei. Diese Ausführungen wären nicht verständlich, wäre der 1. Strafsenat bereits auf der Grundlage der im Urteil getroffenen tatrichterlichen Feststellungen von einer unzulässigen Tatprovokation ausgegangen.
3. Dass die zeitlich nachfolgende Entscheidung des 1. Strafsenats vom 9. Juli 2015 (1 StR 7/15), die in ihrer Begründung ohnehin lediglich das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls, wonach bei einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (aus verfassungsrechtlicher Sicht) ein Verfahrenshindernis angenommen werden könne, verneint, dem am 10. Juni 2015 verkündeten und durch eine Presseerklärung am selben Tag