EMRK Art. 6 Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
BGH, Urt. v. 19.08.2020 – 1 StR 216/20
Im Rahmen der Bemessung der Höhe der Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist die Erwägung, dass die Höhe der Kompensation nur ausnahmsweise bei deutlich gravierenden individuellen Belastungen die Dauer der anrechenbaren Untersuchungshaft erreichen oder überschreiten darf, rechtsfehlerhaft.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. August 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO, § 354 Abs. 1 StPO analog beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Februar 2020 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und bestimmt, dass vier Monate davon als bereits vollstreckt gelten. Die auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2StPO.
1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils lässt zum Schuld- und zum Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
2. Der Kompensationsentscheidung legt das Landgericht rechtsfehlerfrei zugrunde, dass es in den einzelnen Verfahrensabschnitten insgesamt zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von vier Jahren gekommen ist. Neben zutreffenden Erwägungen zur Bemessung der Höhe der Kompensation stellt die Wirtschaftsstrafkammer jedoch rechtsfehlerhaft in ihre Begründung ein, dass die Höhe der Kompensation nur ausnahmsweise bei deutlich gravierenden individuellen Belastungen
die Dauer der anrechenbaren Untersuchungshaft (vorliegend vier Monate und 20 Tage) erreichen oder überschreiten darf.
3. Um weitere Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, bestimmt der Senat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - 1 StR 308/15), dass insgesamt sechs Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Eine noch weitergehende Kompensation ist vorliegend nicht geboten.