GVG § 76 Abs. 2 Korrektur der reduzierten Besetzung

BGH, Urt. v. 31.08.2010 -5 StR 159/10 - NStZ 2011, 54

Das Gericht darf die mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossene Reduzierung der Strafkammerbesetzung auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung überprüfen, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt und daher abzuändern war.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August 2010 für Recht erkannt: Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 11. November 2009 werden verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision. 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten, einen vorläufig suspendierten Polizeibeamten, – unter Freisprechung im Üb­rigen – wegen unerlaubten Handeltreibens mit Waffen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit (zweifachem) unerlaubtem Waffenbesitz und mit (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen uner­laubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in drei Fällen und wegen Bestechlichkeit zu einem Jahr und zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung und zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt; vier Monate der Freiheitsstrafe und 30 Tagessätze der Geldstrafe hat es wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt angerechnet. Nach dem auf eine Verständigung zurückgehenden Urteil bleibt die mit punktuellen sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den Teilfreispruch, die Behandlung mancher Konkurrenzfra­gen, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums, die Strafzumessung und die Bemessung der Vollstre­ckungsanrechnung gerichtete, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ebenso erfolglos wie die mit einer Besetzungsrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten. 

1. Die Besetzungsrüge versagt. Mit ihr wird die nach dreieinhalb Monaten in zeitlichem Zusammenhang mit der Terminierung erfolgte Abänderung der mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossenen Reduzierung der Straf­kammerbesetzung nach § 76 Abs. 2 GVG beanstandet. Ob die Rüge bereits – was der Senat entgegen BGHR GVG § 76 Abs. 2 Verfahren 2 schon im Blick auf den Charakter der einzig zum Zwecke der Schonung von Justizressourcen nach der Wiedervereinigung geschaffenen und wiederholt verlängerten Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 GVG für naheliegend hält (vgl. BTDrucks 12/1217 S. 46 ff.; BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Tz. 18, zur Veröffentlichung in BGHR GVG § 76 Abs. 2 bestimmt; sowie zur Gesetzgebungshistorie im einzelnen Rieß in Fest­schrift für Heinz Schöch 2010 S. 895, 897 ff.) – daran scheitern muss, dass die Verhandlung in der Regelbesetzung den Angeklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschweren kann (vgl. auch das unveränderte Schutzquo­rum des § 263 Abs. 1 StPO), bedarf hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rüge, wie der Gene­ralbundesanwalt meint, deshalb erfolglos bleibt, weil sich der Angeklagte vor der Strafkammer verständigt und damit seinen Besetzungseinwand schlüssig zurückgenommen oder verwirkt hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation BGH StV 2010, 470; vgl. bereits BGHR StPO § 338 Revisibilität 1). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Nicht anders als auf einen entsprechend begründeten Besetzungseinwand (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspiel­raum 2) durfte die Strafkammer die Verbindlichkeit der Besetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Haupt­verhandlung überprüfen. Dass eine Besetzungsreduktion schon bei Annahme schlichter Fehlerhaftigkeit in den Re­gelfall korrigiert werden kann, liegt dabei nicht fern, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die Besetzungsent­scheidung durfte jedenfalls darauf überprüft werden, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt und daher abzuändern war (vgl. Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 6, 10; Haller/Janßen NStZ 2004, 469, 471; wohl noch weitergehend Rissing-van Saan in Festschrift für Volker Krey 2010 S. 431, 439; vgl. zu den Grenzen der Unabänderlichkeit der Besetzungsreduktion auch BGHSt 53, 169). Dass dies hier der Grund für die Abänderungsentscheidung war, hat die Strafkammer zwar nicht – was vorzugswür­dig gewesen wäre – in einer Begründung jener Entscheidung ausgeführt, indes noch rechtzeitig und mit hinreichen­der Deutlichkeit in dem den entsprechenden Besetzungseinwand zurückweisenden Beschluss: Darin heißt es, die Besetzung mit drei Berufsrichtern sei hier „zwingend notwendig“. Die Annahme „objektiver Willkür“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG war angesichts des Umfangs der Anklage mit 48 fast durchweg nicht alltäglichen Ankla­gevorwürfen, mit 44 benannten Zeugen, vier Sachverständigen und einer Vielzahl sachlicher Beweismittel, der die Anberaumung von zunächst zehn Hauptverhandlungstagen veranlasste (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Tz. 19), mindestens vertretbar, damit ihrerseits willkürfrei und folglich als Grundlage für die abän­dernde Besetzungsentscheidung im Rahmen von §§ 222b, 338 Nr. 1 StPO verbindlich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 76 GVG Rdn. 8).

2. Die im Wesentlichen an den gleichzeitigen Besitz von Waffen anknüpfende Beurteilung der Konkurrenzen ist jedenfalls sachlich vertretbar. Die Ablehnung mittelbarer Falschbeurkundung, die Strafrahmenwahl und Strafzumes­sung sowie die Erwägungen im Zusammenhang mit einer angenommenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzöge­rung sind rechtsfehlerfrei, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums ist im Blick auf die Gesamtverhältnis­se des sehr weitgehend zu Waffenbesitz befugten Angeklagten als nicht durchgreifend bedenklich hinnehmbar.

3. Der Gesamttatzeitraum und die Gesamtzahl der Waffendelikte rechtfertigen im Zusammenhang mit dem Blick auf die Gesamtsumme der vom Angeklagten erzielten Taterlöse bereits die Annahme gewerbsmäßigen Verhaltens. Auch sonst enthält das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

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