JGG § 7 Abs. 2 Satz 1 Vorbehaltene Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht

BGH, Urt. v. 12.01.2021 – 4 StR 280/20

Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG (amtl. LS).

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Januar 2021 gemäß Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO analog beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 7. Januar 2020

a) im Strafausspruch dahingehend ergänzt, dass der Angeklagte unter Einbeziehung des Strafbefehls des Amtsgerichts Herne vom 11. April 2019 und – unter Aufhebung des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Herne vom 29. August 2019 – des Urteils des Amtsgerichts Herne vom 28. August 2018 sowie des Strafbefehls des Amtsgerichts Herne vom 29. Januar 2019 zu einer Einheitsjugendstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt ist,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit

aa) die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten und 

bb) die Vollziehung der Einheitsjugendstrafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung angeordnet worden ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Diebstahl sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und bestimmt, dass die verhängte Einheitsjugendstrafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu vollziehen ist. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 239 € angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Ergänzung des Urteilstenors und zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:

In der Nacht zum 1. Juli 2017 kamen der Angeklagte und ein anderweitig verfolgter Mittäter überein, dem ihnen nur flüchtig bekannten Nebenkläger gewaltsam Wertsachen, insbesondere Betäubungsmittel wegzunehmen. Nachdem sich der Nebenkläger dem Angeklagten zunächst widersetzt hatte, wurde er von diesem zu Boden gebracht. In der Folge schlugen und traten der Angeklagte und sein Mittäter auf den Nebenkläger ein. Um den Nebenkläger zu bestrafen, schlug der Angeklagte mit seinem Gürtel derart heftig auf dessen Oberkörper und Kopf, dass der Gürtel riss. Nachdem sich sein Mittäter bereits entfernt hatte, nahm der Angeklagte einen Schritt Anlauf und trat dem Nebenkläger mit voller Wucht frontal in das Gesicht. Sodann entnahm er aus dessen Tasche  bezahlen wären, um es für sich und seinen Mittäter zu behalten. Der Nebenkläger erlitt durch den Tritt des Angeklagten ein schweres offenes Schädel-Hirn-Trauma mit mehreren Brüchen des Gesichtsschädels. Er musste sich einer neunstündigen Notoperation unterziehen. Ein Auge des Nebenklägers ist seit der Tat so stark beeinträchtigt, dass es mittels eines Keramiknetzes in Position gehalten werden muss, um ein unkontrolliertes Wegdrehen des Augapfels zu verhindern. Er war lange Zeit arbeitsunfähig und konnte eine geplante Ausbildung nicht antreten. (Tat II. 1 der Urteilsgründe) In der Nacht zum 5. Mai 2019 wurde der Angeklagte auf dem gemeinsamen Heimweg von der ihm nicht näher bekannten, erheblich alkoholisierten Nebenklägerin in deren Wohnung eingelassen, um die dortige Toilette benutzen zu können. In der Wohnung fasste er den Entschluss, mit der Nebenklägerin notfalls unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr auszuüben. In der Folge stieß er die Nebenklägerin auf eine Couch und schlug ihr ins Gesicht. Trotz ihrer Gegenwehr gelang es ihm, die Nebenklägerin zu entkleiden und mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen. Dabei fixierte er sie mit einer Hand. Um Hilferufe und Befreiungsversuche zu unterbinden, schlug der Angeklagte der Nebenklägerin mehrfach mit erheblicher Wucht ins Gesicht. Diese erlitt hierdurch unter anderem einen Nasenbeinbruch und eine Schädelprellung mit massiven Schwellungen im Gesicht. Auch zerrte der Angeklagte einmal an dem Schal der Nebenklägerin, sodass diese in Luftnot kam und unter Todesangst litt. Schließlich versuchte der Angeklagte die Nebenklägerin durch kräftige Bisse in verschiedene Körperstellen (Brust, Gesicht, Hals u. a.) von weiterer Gegenwehr abzuhalten. Nachdem der Angeklagte mit der Nebenklägerin auch den Analverkehr vollzogen und ihr dabei eine stark blutende Verletzung im Rektalbereich zugefügt hatte, verlangte er von ihr die Ausführung des Oralverkehrs. Da sich die Nebenklägerin immer wieder von ihm wegdrehte, ließ der Angeklagte schließlich von ihr ab und verließ die Wohnung. Zuvor entwendete er ihr Mobiltelefon sowie eine Packung Zigaretten. Die Geschädigte leidet seit der Tat unter Panikattacken und meidet öffentliche und private Veranstaltungen. Ihre Familie nimmt sie als vollkommen verändert wahr (Tat II. 2 der Urteilsgründe). Bei beiden Taten war die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Das Landgericht hat die Taten als besonders schweren Raub (§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Buchst. a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) und besonders schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und mit Diebstahl (§ 242 StGB) gewertet.

II.

Der Schuldspruch und der Strafausspruch weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Jedoch war der Urteilstenor wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ergänzen. Nach den Urteilsgründen hat das Landgericht sowohl den Strafbefehl des Amtsgerichts Herne vom 11.April 2019 (Gesamtgeldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung), als auch das Urteil desselben Amtsgerichts vom 28. August 2018 (Gesamtgeldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen) und den Strafbefehl desselben Amtsgerichts vom 29. Januar 2019 (Gesamtgeldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen) – letztere nach Aufhebung des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Herne vom 29. August 2019 ‒ gemäß § 105 Abs. 2, § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG mit rechtsfehlerfreien Erwägungen in sein Urteil einbezogen. Jedoch hat es versehentlich unterlassen, diese Einbeziehungsentscheidung in den Tenor aufzunehmen. Dies holt der Senat nach.

III.

Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls stand. Insbesondere begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 49 Euro hinsichtlich der bei der Tat II. 1 der Urteilsgründe erbeuteten Betäubungsmittel angeordnet hat. Der Angeklagte hat das geraubte Marihuana im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt. Da das Marihuana nicht mehr vorhanden ist, unterfällt der ersparte Einkaufspreis der Wertersatzeinziehung nach § 73c Satz 1 StGB. Der Umstand, dass das Marihuana auch Tatobjekt einer – hier nicht ausgeurteilten – Betäubungsmittelstraftat war und deshalb auch als deren Beziehungsgegenstand nach § 33 Satz 2 BtMG, § 74 Abs. 2 StGB einziehbar gewesen wäre, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2019 – 2 StR 561/18, NJW 2019, 2182 Rn. 23; Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 37/15, NStZ 2016, 618 mwN).

IV.

Die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG kann dagegen nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass die formellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a) JGG erfüllt sind. Die nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist aber nicht tragfähig begründet. 

1. Die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG liegen vor.

a) Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten werden, wenn der Jugendliche zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder nach § 251 StGB, auch in Verbindung mit § 252 StGB oder § 255 StGB, verurteilt wird, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist. Die unter II. 2 der Urteilsgründe festgestellte besonders schwere Vergewaltigung ist ein Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und damit eine Katalogtat im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG. Zudem hat das Tatopfer durch die Tat des Angeklagten schwere seelische und körperliche Schäden erlitten. Die vom Landgericht auch wegen dieser Tat festgesetzte Einheitsjugendstrafe übersteigt die Grenze von sieben Jahren.

b) Der Umstand, dass es sich bei dieser Strafe um eine einheitliche Jugendstrafe im Sinne von § 31 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 JGG handelt, mit der neben der Katalogtat sowohl tateinheitlich, als auch tatmehrheitlich begangene Nichtkatalogtaten geahndet worden sind, steht dem nicht entgegen.

aa) Der Wortlaut der Vorschrift („wegen oder auch wegen...“) erfasst sowohl den Fall, dass wegen einer Katalogtat und einer hierzu in Tateinheit stehender Nichtkatalogtat eine Jugendstrafe verhängt wird, als auch den Fall, dass es zu einer Ahndung von zueinander in Tatmehrheit stehenden Katalog- und Nichtkatalogtaten im Wege einer einheitlich festgesetzten Jugendstrafe gemäß § 31 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 JGG kommt (vgl. Eisenberg/Kölbel, JGG, 21. Aufl., § 7 Rn. 45a; Ostendorf, JGG, 10. Aufl., § 7 Rn. 22; Rössner in Meier/Rössner/ Trüg/Wolf, JGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 20; Diemer in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl., § 7 Rn. 31). 

bb) Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Die Vorgängerregelung des heutigen § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG, die bis zum 31. Mai 2013 geltende – die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung regelnde – Bestimmung des § 7 Abs. 2 JGG aF enthielt bereits dieselbe Formulierung. Dazu war im zugehörigen Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgeführt worden, dass hier auch eine Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG ausreichend sein könne (vgl. BT-Drucks. 16/6562, S. 9). Obgleich die Literatur diese Regelung mit dem Argument kritisiert hatte, die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung werde dadurch von der Dauer einer verhängten Jugendstrafe abhängig gemacht, die zumindest teilweise gar keine Reaktion auf eine der genannten Anlasstaten sei (vgl. Nestler/Wolf, NK 2008, 153, 157; Kreuzer/Bartsch, GA 2008, 656, 662; Kreuzer, NStZ 2010, 473, 475; Ostendorf/Petersen, ZRP 2010, 245, 246), behielt der Gesetzgeber diese Formulierung in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG bei. Dabei vertrat die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren wiederum den Standpunkt, dass auch die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe den Anwendungsbereich der Regelung eröffne und wies die Kritik der Literatur hieran zurück (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung, BTDrucks. 17/9874, S. 23).

c) Eine dahingehende einschränkende Auslegung, dass in Fällen, in denen die verhängte (einheitliche) Jugendstrafe auch zur Ahndung von Nichtkatalogtaten festgesetzt worden ist, in den Urteilsgründen ausgewiesen werden muss, dass eine die Mindestdauer von sieben Jahren übersteigende Jugendstrafe auch schon allein mit Rücksicht auf die begangene Katalogtat verhängt worden wäre, ist nicht geboten (so aber Kinzig, ZJJ 2008, 245, 246; MüKoStGB/Laue, 3. Aufl., § 7 JGG Rn. 28).

aa) Der Wortlaut der Vorschrift sieht dies nicht vor. Der Gesetzgeber hat für eine entsprechende Einschränkung des Gesetzestextes keine Veranlassung gesehen, weil durch das zusätzliche Erfordernis, dass das Opfer durch die Anlasstat seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder zumindest einer solchen Gefahr ausgesetzt worden sein müsse, sichergestellt werde, dass die dem Katalog entsprechende Anlasstat auch von prägender Bedeutung für die Bemessung der verhängten (einheitlichen) Jugendstrafe gewesen sei. Zudem bestehe in der besonders qualifizierten Gefährlichkeitsprognose des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG eine weitere gewichtige und einschränkende Anordnungsvoraussetzung, sodass hinreichend gewährleistet sei, dass die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung auf die schwersten Fälle begrenzt bleibe (vgl. BT-Drucks. 17/9874, S. 23).

bb) Die zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und § 66a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt“ entwickelte Rechtsprechung, wonach eine sowohl für Katalogals auch für Nichtkatalogtaten verhängte einheitliche Jugendstrafe dieses Merkmal nur dann erfüllt, wenn zu erkennen ist, dass entweder schon allein für die Katalogtat als Einzeltat eine Jugendstrafe von drei Jahren oder eine solche jedenfalls nur für Katalogtaten verhängt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2019 – 1 StR 470/19, NStZ-RR 2020, 74; Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05, BGHSt 50, 284, 293 f.; siehe dazu auch BGH, Urteil vom 25. April 2019 – 4 StR 478/18 Rn. 22 [in NStZ 2020, 84 nicht - 603 - abgedruckt]), ist auf § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG nicht übertragbar, weil sich die tatbestandlichen Voraussetzungen in beiden Vorschriften soweit unterscheiden, dass keine vergleichbare Regelungslage besteht.

(1) In § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB wird das Gewicht der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderlichen Vorverurteilung(en) nicht nur durch die abstrakte Zugehörigkeit zum Katalog, sondern gerade durch die Höhe der tatsächlich für diese Tat(en) verhängten Strafe von mindestens drei Jahren bestimmt („wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten“). Ein Bezug zum konkreten Tatbild wird nicht hergestellt. Die Rechtsprechung hat aus der Gesetzesfassung des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB abgeleitet, dass eine Vorverurteilung im Sinne dieser Vorschrift dann vorliegt, wenn für eine einzelne Katalogtat eine Strafe (auch Jugendstrafe) von wenigstens drei Jahren verhängt wurde. Auch eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe in entsprechender Höhe genügen diesen formellen Voraussetzungen, sofern ihnen nur Katalogtaten zugrunde liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2015 – 4 StR 309/15; Urteil vom 13. November 2002 – 2 StR 261/02, BGHSt 48, 100, 103 ff.). Bei einer Vorverurteilung zu einer aus Einzelstrafen für Katalog- und Nichtkatalogtaten gebildeten Gesamtstrafe sind diese Voraussetzungen dann erfüllt, wenn wenigstens eine Katalogtat mit einer Einzelstrafe von mindestens drei Jahren geahndet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2004 – 2 StR 123/04, StV 2004, 481) oder eine fiktive Gesamtstrafenbildung ergibt, dass allein aus den jeweils mit Einzelstrafen unter drei Jahren geahndeten Katalogtaten eine Gesamtstrafe von mindestens drei Jahren gebildet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2006 – 1 StR 238/06, StV 2007, 574 m. Anm. Kinzig; Harrendorf in SSW-StGB, 5. Aufl., § 66 Rn. 42). Wurden Katalog- und Nichtkatalogtaten mit einer einheitlichen Jugendstrafe von mindestens drei Jahren geahndet, bedarf es – in Übertragung dieser Grundsätze – der zusätzlichen Feststellung, dass schon allein für eine Katalogtat als Einzeltat eine Jugendstrafe von drei Jahren verhängt worden wäre (grundlegend BGH, Urteil vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05, BGHSt 50, 284, 293 f.).

(2) Im Gegensatz zu § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB lässt § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG als Anlasstat(en) nur Tat(en) genügen, die über die abstrakte Zugehörigkeit zum Katalog hinaus auch tatsächlich bei dem Opfer zu schweren seelischen oder körperlichen Schädigungen oder zumindest einer entsprechenden Gefahr geführt haben. Gleichzeitig wird die Verbindung zu der erforderlichen Sanktion von mindestens sieben Jahren Jugendstrafe insoweit gelockert („auch“), als es nicht mehr darauf ankommt, dass diese Jugendstrafe ausschließlich für die Katalogtat(en) verhängt sein muss. Die in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG geforderte Mindeststrafe hat damit – anders als im Fall des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB in Bezug auf die Vorverurteilungen – nicht die Funktion, allein durch die Höhe den Schweregehalt der dem Katalog zugehörigen Anlasstat(en) und der sich daraus ableitenden Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Täters abzubilden. Stattdessen treten bei § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG die konkreten schweren Tatfolgen oder zumindest die hohe konkrete Gefährlichkeit der Tat(en) als bestimmendes und zugleich einschränkendes Merkmal in den Vordergrund. Diese Erweiterung der Bewertungsmaßstäbe rechtfertigt es, im Fall der Verhängung einer (einheitlichen) Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren für Katalog- und Nichtkatalogtaten nicht auch noch die an sich systemfremde Feststellung zu fordern, dass allein für die Katalogtat(en) eine diese Grenze überschreitende (einheitliche) Jugendstrafe verhängt worden wäre. 

cc) Die Notwendigkeit einer solchen Einschränkung kann auch nicht aus der Regelung zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht gegen Heranwachsende in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG hergeleitet werden. § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG eröffnet die Möglichkeit, gegen einen Heranwachsenden, bei dem das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist, die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorzubehalten, wenn dieser wegen eines oder mehreren der in dieser Vorschrift genannten Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wird und das Opfer durch diese Taten seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist. Zwar wird in dieser für altersgemäß entwickelte Heranwachsende geltenden Vorschrift das Gewicht der Anlasstat(en) neben der Katalogzugehörigkeit und den konkreten Tatfolgen auch durch die Höhe der allein für diese Taten verhängten (Einzel-) Strafe(n) definiert. Dies führt aber nicht dazu, dass dann, wenn es aus den Gründen des § 105 Abs. 1 JGG zu einer Anwendung von Jugendstrafrecht gegen den Heranwachsenden kommt, eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG – in Abweichung vom Gesetzestext – notwendig auch von einer streng auf die Anlasstat(en) bezogenen Kumulation von Katalogzugehörigkeit, konkreten Tatfolgen und tatbezogener Strafhöhe abhängig gemacht werden müsste. Soweit dies unter Hinweis auf eine sonst drohende Schlechterstellung vertreten wird (vgl. Bartsch, ZJJ 2013, 182, 186; Kreuzer/ Bartsch, GA 2008, 656, 662), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn die in § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG normierten formellen Voraussetzungen für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sind in ihrer Gesamtheit nicht niedriger, als die Bedingungen, unter denen § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zulässt. So stellt § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG auf eine geringere Strafe (fünf Jahre Freiheitsstrafe) als § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JGG ab. Auch ist davon auszugehen, dass der in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG festgelegten strikten Bindung der Strafhöhe an die Katalogzugehörigkeit keine die formellen Anforderungen entscheidend erhöhende Bedeutung zukommt. Denn auch die Bemessung einer für Katalog- und Nichtkatalogtaten verhängten einheitlichen Jugendstrafe von sieben und mehr Jahren, wie sie in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG vorausgesetzt ist, wird in aller Regel maßgeblich durch die zugrunde liegenden Katalogtat(en) geprägt sein (vgl. dazu BTDrucks. 17/9874, S. 23). 

dd) Eine einschränkende Auslegung ist schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots angezeigt. Denn dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in § 7 Abs. 2 JGG neben der Beschränkung auf den eng begrenzten Katalog von schwerwiegenden Anlasstaten, die Erforderlichkeit besonders qualifizierter Tatfolgen, das bei einer jugendstrafrechtlichen Ahndung sehr hohe Mindeststraferfordernis und insbesondere durch die – nachfolgend dargestellten – hohen Anforderungen an die Gefahrenprognose (hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Katalogtaten) ausreichend Rechnung getragen. Dadurch ist gewährleistet, dass im Jugendstrafrecht der Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung als ultima ratio nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 ‒ 2 BvR 749/08, NJW 2009, 980 Rn. 38 ff. [zu § 66b StGB aF]; Rössner, JGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 18).

2. Die Gefährlichkeitsprognose gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG hält jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. 

a) Die für eine Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Gesamtwürdigung des Jugendlichen und seiner Tat oder seiner Taten ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG bezeichneten Art begehen werde.

aa) Der Begriff „hohe Wahrscheinlichkeit“ in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JGG entspricht der Gefährlichkeitsstufe für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einer Maßregelerledigung gemäß § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB. Diese liegt über der Gefährlichkeit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB, § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG und der Erwartung erheblicher Straftaten gemäß § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB (vgl. BT-Drucks. 15/2887, S. 13 [zu § 66b StGB]; BGH, Urteil vom 9. März 2010 – 1 StR 554/09, NStZ 2010, 381; Rössner, JGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 18; MüKo-StGB/Drenkhahn/Morgenstern, 4. Aufl., § 66b Rn. 51; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 66b Rn. 18 mwN) und kann nur angenommen werden, wenn ein „hohes Maß an Gewissheit“ (Prognosesicherheit) über die Gefahr besteht, dass der Täter neue Katalogtaten begehen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2009 – 5 StR 21/09, BGHR StGB § 66b Abs. 1 S. 2 Voraussetzungen 2; siehe dazu auch BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12, NJW 2013, 3151 Rn. 75, 78 ff. [zu § 1 ThUG]). Dass lediglich überwiegende Umstände auf eine entsprechende künftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten, reicht dafür nicht aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 ‒ 2 BvR 749/08, NJW 2009, 980 Rn. 41 [zu § 66b StGB aF]).

bb) Dabei sind an Inhalt und Qualität der Prognose höchste Anforderungen zu stellen (BTDrucks. 16/6562 S. 9; BGH, Urteil vom 9. März 2010 – 1 StR 554/09, NJW 2010, 1539 Rn. 31). Die positiv zu treffende Prognoseentscheidung muss auf einer Gesamtwürdigung der Person des Betroffenen, seiner Taten und seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung getroffen werden und die vorhandenen Prognosemöglichkeiten ausschöpfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 2 BvR 749/08, NJW 2009, 980 Rn. 41 mwN [zu § 66b StGB aF]). Die Beurteilung hat sich dabei – nicht anders als bei anderen qualifizierten Gefährlichkeitsprognosen auch – darauf zu erstrecken, ob und welche Katalogtaten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz) und welche Schäden den bedrohten Rechtsgütern drohen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 2 BvR 2256/17, NStZ-RR 2019, 272, 273 [zu § 67d Abs. 2 StGB]; BGH, Beschluss vom 25. März 2009 – 5 StR 21/09, BGHR StGB § 66b Abs. 1 S. 2 Voraussetzungen 2 [zu § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB aF]; BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 4 StR 43/19, NStZ-RR 2019, 373 mwN [jeweils zu § 63 StGB]). Zudem muss die spezifische Gefährlichkeit im Hinblick auf die Begehung von Anlasstaten in der Persönlichkeit des Täters angelegt sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2010 – 1 StR 554/09, NJW 2010, 1539, zu § 7 Abs. 2 JGG aF).

b) Diesen hohen Anforderungen wird die Gefährlichkeitsprognose der Strafkammer nicht gerecht. Denn aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, welche konkreten dem Katalog des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG unterfallende Taten der Angeklagte in Zukunft begehen und warum es dabei zu schweren Schädigungen der Opfer kommen wird. Das Landgericht hat angenommen, dass die von dem Angeklagten begangene Katalogtat, nämlich das Sexualdelikt in Fall II. 2 der Urteilsgründe, nur teilweise dem bisherigen kriminellen Verhaltensmuster des Angeklagten entspricht und deshalb in Bezug hierauf eine Wiederholungsgefahr verneint. Soweit es dann aber – dem Sachverständigen folgend – davon ausgegangen ist, dass von dem Angeklagten in Zukunft „schwere Körperverletzungen ohne Rücksicht auf den Zustand und die Verletzungen seiner Opfer“ (UA 91) zu erwarten seien, fehlt es an einer hinreichend konkreten Darstellung der zu erwartenden Tatbilder und einer sich daran anschließenden Zuordnung zum Katalog des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG. Ohne eine nähere phänomengebundene Schilderung der zu erwartenden Delikte bleibt offen, ob mit der von dem Sachverständigen gewählten und von der Strafkammer ohne weitere Ergänzung übernommenen Formulierung „schwere Körperverletzungen“ tatsächlich Taten im Sinne von § 226 StGB und damit Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JGG gemeint waren, durch welche das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt wird.

3. Die Aufhebung der Maßregelanordnung zieht die Aufhebung der Anordnung der Vollziehung der verhängten Einheitsjugendstrafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 JGG nach sich.