Privatgutachten, Kostenerstattung, Höhe der SV-Kosten, Verfahrenseinstellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stuttgart, Beschl. v. 28.12.2020 – 20 Qs 21/20

Leitsatz:
Beruht eine Verfahrenseinstellung auf einem vom Betroffenen eingeholten Privatgutachten sind die Aufwendungen des Betroffenen für die private Ermittlungsmaßnahme ausnahmsweise dem Grunde nach als notwendige Auslagen einzuordnen.


20 Os 21/20

Landgericht Stuttgart

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
wegen OWi-StVO
hier: Beschwerde des Betroffener.

hat das Landgericht Stuttgart - 20. Große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 28. Dezember 2020 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 24.09.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 17.09.2020 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Die dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 3.071,82 Euro festgesetzt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Staatskasse und der Betroffene je zur Hälfte. Die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte der Staatskasse auferlegt, zur Hälfte trägt er sie selbst.

Gründe:

1.

Am 19.04.2017 erließ das Regierungspräsidium Karlsruhe gegen den Beschwerdeführer einen Bußgeldbescheid in Höhe von 188,50 Euro (inklusive Verwaltungskosten) wegen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h. Zudem wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und sollten zwei Punkte in das Verkehrszentralregister eingetragen werden.

Hiergegen legte der vom Beschwerdeführer bevollmächtigte Rechtsanwalt mit Schreiben vom 24.04.2017 Einspruch ein.

Nach Abgabe der Sache an das Amtsgericht Stuttgart kündigte der Verteidiger am 17.11.2017 die Einholung eines Privatgutachtens über die vorgenommene Messung an, welches mit Schreiben vom 04.12.2017 dem Gericht zugeleitet wurde.

Daraufhin stellte das Amtsgericht Stuttgart am 14.02.2018 das Verfahren gegen den Beschwerdeführer gem. § 47 OWiG ein.

Am 15.03.2018 beantragte der Verteidiger die Festsetzung der Verfahrenskosten in Höhe von 5.837,75 Euro. Im Einzelnen machte er dabei geltend:

- Grundgebühr Bußgeldverfahren (Nr. 5100 VV RVG): 100,00 Euro
- Verfahrensgebühr Verwaltungsbehörde (Nr. 5103 W RVG): 160 Euro
- Gebühr Mitwirkung Entbehrlichkeit Hauptverhandlung (Nr. 5115, 5101 W RVG): 160 Euro
Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG): 20,00 Euro
- Dokumentenpauschale (s/w) (73 Kopien) (Nr. 7000 la W RVG): 28,45 Euro
Aktenversendungspauschale (13.04.2017): 12,00 Euro
Aktenversendungspauschale (08.11.2017): 12,00 Euro
= Nettobetrag: 492,45 Euro
19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 W RVG): 93,57 Euro
= Zwischensumme: 586,02 Euro
- Sachverständigenkosten gem. Rechnung vom 31.12.2017 (29,5 Stunden ä 145 Euro zzgl. Nebenkosten sowie 19% Mehrwertsteuer hieraus): 5.251,73 Euro
= Gesamtbetrag: 5.837,75 Euro
Nachdem die Akte mehrere Monate unauffindbar war, setze das Amtsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 17.09.2020, welcher am 23.09.2020 zugestellt wurde, die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen in Höhe von 586,02 Euro fest. Abgesetzt wurden die Kosten für das privat in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten in Höhe von 5.251,73 Euro. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kosten des Gutachtens seien keine notwendigen Auslagen, da dem Gericht vor der Einholung des Gutachtens keine Gelegenheit gegeben wurde, selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben.

Am 24.09.2020 legte der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 17.09.2020 ein.

2.

Die sofortige Beschwerde ist gem. § 464b Satz 3 StPO, § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 311 Abs. 2 StPO zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdegegenstand die
Grenze von 200,- Euro und sie ging innerhalb der Zweiwochenfrist des § 464b Satz 4 StPO ein.

Sie hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg.
Es besteht ein Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten als notwendige Auslagen im Sinne des § 464a StPO jedenfalls dem Grunde nach. Die Höhe der Vergütung bemisst sich jedoch nach den JVEG-Sätzen und beträgt vorliegend 85,- Euro pro Stunde (entsprechend Honorargruppe 5 des § 9 Abs. 1 JVEG, Sachgebiet 38 Verkehrsregelungs- und —überwachungstechnik).

Zwar entspricht es nahezu einhelliger Meinung, dass private Ermittlungen im Regelfall nicht als „notwendig" i.S.v. § 464 Abs. 2 StPO anzusehen sind, da Privatgutachten aufgrund der grundsätzlichen Verpflichtung der Ermittlungsbehörden zur umfassenden Sachaufklärung — auf die die Verteidigung durch die Stellung von Beweisanträgen und —anregungen Einfluss nehmen kann —aus ex-ante-Sicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich sind. Dies gilt auch für Bußgeldverfahren, da auch dieses als Amtsermittlungsverfahren schon auf der Ebene der Ermittlungen auf alle dem Betroffenen günstigen Umstände zu erstrecken ist und es somit zumutbar ist, auch ex-ante notwendig erscheinende Ermittlungen erst dann selbst zu veranlassen, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht diese abgelehnt hat.

Im vorliegenden Fall beruhte die Verfahrenseinstellung allerdings final auf dem Privatgutachten des Betroffenen, weshalb die Kosten der sich tatsächlich zugunsten des Betroffenen entscheidungserheblich ausgewirkten privaten Ermittlungsmaßnahme ausnahmsweise dem Grunde nach als notwendige Auslagen einzuordnen sind.

Die Erstattungsfähigkeit privater Sachverständigenkosten beruht hier auf dem Gedanken, dass das Gericht die privat veranlasste Beweiserhebung durch einen Sachverständigen auf entsprechenden Vortrag oder Antrag des Betroffenen selbst hätte veranlassen müssen. Maßgeblich hierfür ist letztlich sowohl der Umstand, dass der private Gutachtenauftrag für das konkrete Verfahren zielführend ist, als auch dass die dadurch veranlassten Kosten nicht höher als die bei gerichtlicher Beauftragung angefallenen wären (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 07.10.2009 — 5 Qs 73/09).

Daraus folgt aus Sicht der Kammer, dass die Höhe der erstattungsfähigen Kosten auf Grundlage des JVEG zu bestimmen ist, da die Kosten nur in Höhe der JVEG-Sätze als notwendig angesehen werden durften. Es ist nicht einzusehen, wieso der durch den Beschwerdeführer beauftragte Sachverständige über die Abrechnung nach § 464a StPO eine höhere Vergütung erlangen sollte, als er aus der Staatskasse für die gleiche Leistung verlangen kann (so etwa auch LG Wuppertal, B. v. 13.04.2015 — 23 Qs 43/15).

Die Kammer verkennt hierbei den privatrechtlichen Charakter der zugrundeliegenden Honorarvereinbarung nicht, erachtet es allerdings als zumutbar, die Kosten für das Sachverständigengutachten lediglich in der Höhe zu erstatten, die der Staatskasse ohnehin bei Einholung des Gutachtens durch das Gericht entstanden wären. Es sind keine Umstände erkennbar, die es ausnahmsweise erforderlich erscheinen lassen, einen Gutachter unter Vereinbarung eines höheren Stundenlohns zu beauftragen, da insbesondere kein Zeitdruck aufgrund eines etwa zu befürchtenden Beweismittelverlust bestand. Der Beschwerdeführer war somit nicht aufgrund einer drohenden Verschlechterung seiner Prozesslage gezwungen, den Sachverständigen für eine höhere Vergütung selbst zu beauftragen; die Einholung eines Gutachtens hätte zunächst förmlich beim Gericht beantragt werden können.

Die Höhe des Honorars bestimmt sich vorliegend nach Honorargruppe 5 des § 9 Abs. 1 JVEG, dadie Nachprüfung einer Geschwindigkeitsbestimmung mit einem Lasermessgerät durch Geschwindigkeitsmessgeräte, derer sich die Polizei zur präventiven und repressiven Kontrolle des Verkehrsraumes bedient, seit der Änderung des JVEG durch Art. 7 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23.07.2013 (KostRModG, BGBl. I S. 2586) dem Sachgebiet 38 zugeordnet wird (vgl. etwa KG, Beschluss vom 10.09.2015 —1 Ws 47 + 67/15).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. Abs. 1, Abs. 4 StPO, § 46 OWiG.

 


Einsender: RA A. Ziegler, Biberach

Anmerkung: Das LG hat mit Beschluss vom 18.02.2021 den Tenor des Beschlusses vom 28.12.2020 dahingehend berichtigt, dass die dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen auf insgesamt 3.731,45 € (dreitausendsiebenhundertundeinunddreißg Euro und fünfundvierzig Cent) festgesetzt werden.