StGB § 130 Volksverhetzung, Beleidigung, Verwendung des Judensterns

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.03.2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Leitsatz: Die Verwendung des Judensterns unter Ersetzung des Worts Jude durch die Wörter nicht geimpft , AFD Wähler , SUV Fahrer und Islamophob in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB und stellt auch keine Beleidigung der unter nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Juden dar.


In pp.

1. Die (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichterin - Saarbrücken vom 30. Juli 2020 wird als unbegründet
verworfen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die der Angeklagten in diesem entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Strafrichterin – Saarbrücken hat die Angeklagte mit Urteil vom 30. Juli 2020 vom Vorwurf der Volksverhetzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 31. Juli 2020 – beim Amtsgericht per Telefax eingegangen am selben Tag – Rechtsmittel eingelegt, das sie nach am 18.08.2020 erfolgter Zustellung des Urteils an sie mit am 14.09.2020 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 11. September 2020 zur Revision bestimmt und mit der ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft, von der die Revision vertreten wird, hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Saarbrücken zurückzuverweisen. Der Verteidiger hat die Verwerfung der Revision beantragt.

II.

Die zulässige (Sprung-)Revision, als welche die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel innerhalb der Revisionsbegründungsfrist wirksam bestimmt hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 335 Rn. 2 ff.), ist unbegründet.

1. Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die pp. Jahre alte Angeklagte ist in Teheran geboren. Im jugendlichen Alter floh sie mit ihrer Mutter aus dem Iran. Sie besitzt neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Etwa seit dem Jahr 2015 betätigt sie sich politisch in Deutschland und arbeitet in der Stadtratsfraktion der AfD in ....

Im Oktober 2019 veröffentlichte die Angeklagte von ihrem Wohnort aus auf ihrem Facebook-Profil einen für jedermann sichtbaren, aus einem Text und einem Bild bestehen Beitrag.

Der Text lautete:
„Während einer schlaflosen Nacht sah ich eine Reportage über das grosse Feuer von London.
Hilflos und am Ende ihrer Kräfte zog der wütende Mob durch die Gassen und suchte DEN Schuldigen.
Eine Frau, so wurde erzählt, trug ihre gelben Kücken in ihrer zusammen gefalteten Schürze, oder Rock und versuchte das Wenige was sie hatte, vor dem Feuer zu retten.
In der festen Überzeugung den Verursacher gefunden zu haben, sollen sie ihr die Brüste abgeschnitten und sie bestialisch ermordet haben, hielt man doch die gelben Küken in der Dunkelheit der Nacht für Feuerbälle.“
Unter diesem Text postete die Angeklagte ein Bild, auf dem vier Mal der von Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu tragende „Judenstern“ abgebildet war, wobei allerdings die damals eingefügte Inschrift „Jude“ jeweils durch die folgenden, in gleicher Schriftart dargestellten Wörter ersetzt war: „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“.
Die Angeklagte wollte hierdurch darauf aufmerksam machen, dass die Genannten heute genauso ausgegrenzt würden wie die Juden im „Dritten Reich“.
Dieser Beitrag wurde entweder bei Facebook oder auf der Webseite der Gruppe „#dieinsider“ von Nutzern kritisch kommentiert.

2. Rechtlich hat das Amtsgericht die getroffenen Feststellungen im Wesentlichen wie folgt gewürdigt:

Der festgestellte Sachverhalt erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB nicht. Zwar habe die Angeklagte durch die Verwendung des „Judensterns“, der „eine der letzten Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Vorbereitung und vor Beginn der Deportationen“ des jüdischen Volkes symbolisiere, unter Ersetzung des Begriffs „Jude“ durch die Begriffe „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ einen Vergleich zwischen der gesellschaftlichen Kritik an den zuletzt Genannten und „den Gräueltaten“, denen sich das jüdische Volk in der Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt sah, hergestellt, was eine Bagatellisierung von Art, Ausmaß und Folgen der Gewaltmaßnahmen der NS-Zeit und damit eine Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art i. S. des § 130 Abs. 3 StGB darstelle. Es fehle jedoch an der nach dieser Vorschrift zudem erforderlichen Eignung der Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens. Insoweit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich, dass die Meinungsäußerung mittelbar auf Realwirkungen angelegt sei und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen könne. Diese Grenze sei vorliegend nicht überschritten. Der von der Angeklagten veröffentlichte Text ziele erkennbar darauf ab, eine ungerechtfertigte und vorschnelle Verurteilung Unschuldiger anzuprangern. Er sei gerade nicht darauf gerichtet, zu etwaigen Gewalttaten anzustacheln. Im Gegenteil solle der Leser auf die Seite der beschriebenen unschuldigen Frau gezogen werden. Dass die Angeklagte eine Außenwirkung erzielen wollte, mit der sie ihre Leser zum Rechtsbruch auffordern oder die Hemmschwelle zur Begehung von Handlungen mit rechtsgutgefährdenden Folgen herabsetzen wollte, könne auch der Verwendung der „Judensterne“ weder objektiv entnommen noch der Angeklagten nach ihrer glaubhaften Einlassung nachgewiesen werden. Dass die Grenze zur Friedensstörung nicht überschritten sei, ergebe sich auch aus der Art der Veröffentlichung der Äußerung, die jedem Internetnutzer zur offenen und vor allem kritischen Auseinandersetzung, von der auch Gebrauch gemacht worden sei, zugänglich gewesen sei.

3. Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat die Angeklagte den ihr zur Last gelegten Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB bereits in objektiver Hinsicht nicht begangen. Auf die von der Generalstaatsanwaltschaft gegen die Verneinung auch der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erhobenen Einwendungen kommt es daher nicht an.

Das Amtsgericht hat jedenfalls die Eignung der festgestellten Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens, die in der hier allenfalls vorliegenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens – anders als in den Fällen der Billigung und der Leugnung, in denen die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist – eigens festzustellen ist (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 ff. – juris Rn. 23; OLG Celle, Beschl. v. 16.08.2019 – 2 Ss 55/19, juris Rn. 39), entgegen der Auffassung der Revision mit Recht verneint.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in dem vom Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Kammerbeschluss vom 22.06.2018 (1 BvR 2083/15, NJW 2018, 2861 ff. und juris) im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) einschränkende Anforderungen für das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens aufgestellt. Danach ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt, nicht tragfähig (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 26). Ebenso wenig ist der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte ein Eingriffsgrund (vgl. BVerfG, a. a. O.). Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 27). Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.; ebenso OLG Celle, a. a. O., juris Rn. 40; LK-StGB/Krauß, 13. Aufl., § 130 Rn. 138). Ob dies der Fall ist, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände festzustellen (vgl. LK-StGB/Krauß, a. a. O., § 130 Rn 77), bei der insbesondere die Art, der Inhalt, die Form und das Umfeld der Äußerung zu berücksichtigen sind, aber auch – je nach den Umständen des Einzelfalls – die Stimmungslage in der Bevölkerung und die politische Situation eine Rolle spielen können (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 130 Rn. 13a, 32; LK-StGB/Krauß, a. a. O., § 130 Rn. 77, 138).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Amtsgericht die Eignung der Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei verneint.

aaa) Das Amtsgericht hat unter Berücksichtigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äußerung mit einer nicht zu beanstandenden Begründung angenommen, dass die Äußerung ausgehend von dem Inhalt des veröffentlichten Textes unter Einbeziehung der verwendeten „Judensterne“, des Mediums, über das die Veröffentlichung erfolgte, sowie der vor allem auch kritischen Reaktion des von der Angeklagten angesprochenen Publikums gerade nicht darauf gerichtet gewesen sei, zu etwaigen Gewalttaten anzustacheln, zu sonstigem Rechtsbruch aufzufordern oder die Hemmschwelle zur Begehung von Handlungen mit rechtsgutgefährdenden Folgen herabzusetzen.

bbb) Die Schwelle einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne der Infragestellung der Friedlichkeit der Auseinandersetzung – etwa durch die Verherrlichung von Gewalt, die Hetze auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder eine aggressiv emotionalisierende Präsentation – wird daher nicht erreicht. Dass die Angeklagte den „Judenstern“, also eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (vgl. https: //de.wikipedia.org/wiki/Judenstern) und somit ein Symbol für diesen, für ihre Kritik an der Art und Weise des gesellschaftskritischen Umgangs mit Impfgegnern, AfD-Wählern, SUV-Fahrern und Islamkritikern instrumentalisiert hat, begründet für sich allein noch keine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens.

ccc) Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nämlich nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr selbst offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 ff., juris Rn. 29). Das besagt nicht, dass derartige Äußerungen als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 30), wie dies im vorliegenden Fall nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auch geschehen ist. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Das ist hier nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall.

ddd) Soweit die Staatsanwaltschaft und – ihr folgend – die Generalstaatsanwaltschaft bei der Prüfung der Eignung der Äußerung der Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens durch das Amtsgericht eine Würdigung der Stimmungslage der Bevölkerung und der politischen Situation – angeführt werden insoweit eine spätestens seit Ende des Jahres 2015 in hohem Maße durch das Schüren von rassistischen und antisemitischen Ressentiments, die insbesondere auch durch die AfD verbreitet würden, geprägte gesamtgesellschaftliche Stimmungslage sowie die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Entwicklung der Internetplattform Facebook zu einem Hort der verbalisierten Hasskriminalität – vermissen, verhilft dies der Revision schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die Berücksichtigung dieser Umstände lediglich – wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft auszugehen scheint – dazu führen könnte, in der Äußerung der Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen. Soweit darüber hinaus die Staatsanwaltschaft mit näheren Ausführungen auf „eine gewisse kommunalpolitische Relevanz“ der Angeklagten und die Generalstaatsanwaltschaft darauf abstellt, dass die Angeklagte „Mitglied und Mandatsträgerin“ der AfD sei, verkennen sie, dass Grundlagen der revisionsrechtlichen Nachprüfung auf die Sachrüge hin allein die Urteilsurkunde und die Abbildungen, auf die in dieser nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen worden ist, sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 337 Rn. 22 m. w. N.). Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich insoweit indes lediglich, dass die Angeklagte „in der Stadtratsfraktion der AfD in S.“ arbeitet.

b) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft unterliegt das angefochtene Urteil auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Amtsgericht dadurch, dass es nicht geprüft hat, ob – was erstmals von der Generalstaatsanwaltschaft mit deren Zuschrift vom 7. Januar 2021 geltend gemacht wird – sich „die Angeklagte durch ihre Veröffentlichung auf Facebook eines Vergehens der Beleidigung gemäß § 185 StGB zum Nachteil der jüdischen Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland strafbar gemacht hat“, seiner Kognitionspflicht nicht nachgekommen sei.

aa) Die umfassende Kognitionspflicht (§ 264 StPO) gebietet es, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft und demgemäß der festgestellte Sachverhalt unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten geprüft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss bzw. – wie hier – dem an dessen Stelle tretenden Strafbefehl (vgl. KK-StPO/Maur, 8. Aufl., § 408 Rn. 6 m. w. N.) zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2018 – 2 StR 253/18, juris Rn. 5; Urt. v. 12.09.2019 – 4 StR 146/19, juris Rn. 19; KK-StPO/Ott, a. a. O., § 260 Rn. 17; KK-StPO/Kuckein/Ott, a. a. O., § 264 Rn. 27 f.). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. BGH, a. a. O.; KK-StPO/Kuckein/Ott, a. a. O., § 264 Rn. 28, 50).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Amtsgericht hat dadurch, dass es nicht geprüft hat, ob sich die Angeklagte wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB strafbar gemacht hat, nicht gegen die ihm obliegende umfassende Kognitionspflicht verstoßen. Eine solche Prüfung drängte sich nämlich nicht auf.

aaa) Da die Beleidigung grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt wird (§ 194 Abs. 1 Satz 1 StGB), ein Strafantrag aber nicht gestellt wurde, kämen als Verletzte einer Strafverfolgung von Amts wegen gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB nur solche Personen in Betracht, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen ihrer jüdischen Abstammung verfolgt wurden und Teil der inländischen Bevölkerung sind (vgl. BGHSt 40, 97 ff., juris Rn. 28; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, StGB, 30. Aufl., § 194 Rn. 5). Dass der Verletzte als Nachkomme der unmittelbar Betroffenen beleidigt wurde – was die Rechtsprechung für die heute in der Bundesrepublik Deutschland lebenden, erst nach 1945 geborenen Juden beim Leugnen der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung angenommen hat (vgl. BVerfGE 90, 241 ff.; BGHZ 75, 160 ff.) – genügt für eine Strafverfolgung von Amts wegen mithin nicht (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O.; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 194 Rn. 17).

bbb) Ebenso wie eine Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB mit einer Beleidigung nach § 185 StGB tateinheitlich zusammentreffen kann, wenn ein Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung angegriffen wird (vgl. LK-StGB/Krauß, a. a. O., § 130 Rn. 179), kann zwar, wenn der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB – wie hier – mangels Vorliegens des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ausscheidet, die Äußerung grundsätzlich die Voraussetzungen des Beleidigungstatbestands nach § 185 StGB erfüllen (vgl. MünchKomm.StGB, 3. Aufl., § 130 Rn. 86). Das ist jedoch vorliegend auf dem Boden des vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalts nicht der Fall.

(1) Unter einer Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe von Nicht-, Gering- oder Missachtung zu verstehen (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/ Schittenhelm, a. a. O., § 185 Rn. 1 m. w. N.). Erforderlich ist, dass dem Verletzten der sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen wird (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O., § 185 Rn. 2 m. w. N.). Die Missachtung der Persönlichkeit stellt daher nur dann eine Beleidigung dar, wenn der andere damit gerade in seiner Ehre im Sinne seines sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswerts getroffen werden soll (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O.). Hierzu ist der objektive Sinngehalt der Äußerung durch Auslegung unter Berücksichtigung der Gesamtheit der äußeren und inneren Umstände zu ermitteln (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O., § 185 Rn. 8). Soweit es sich um Äußerungen im politischen Meinungskampf oder um Beiträge zur öffentlichen geistigen Auseinandersetzung handelt, müssen hierbei die Gesichtspunkte und Maßstäbe, mit deren Hilfe der Inhalt der Äußerung ermittelt wird, mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar sein; unzulässig ist danach eine weite Auslegung im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes und das Abstellen auf den flüchtigen Leser (vgl. BVerfGE 43, 130 ff.; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O., § 185 Rn. 8a). Zudem müssen straffreie Deutungsvarianten mit einer überzeugenden Begründung ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW-RR 2017, 1001 f., juris Rn. 17 m. w. N.; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, a. a. O., § 185 Rn. 8).

(2) Ausgehend hiervon ist der Tatbestand der Beleidigung hier offensichtlich selbst dann nicht erfüllt, wenn man die Deutung der Äußerung der Angeklagten durch das Amtsgericht als eine Bagatellisierung von Art, Ausmaß und Folgen der Gewaltmaßnahmen der NS-Zeit und damit eine Verharmlosung einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art i. S. des § 130 Abs. 3 StGB als allein mögliche Auslegung ansehen wollte. Denn auch in diesem Fall sind die Äußerung und ihre Begleitumstände nicht geeignet, das Verfolgungsschicksal der betroffenen Juden, welches Teil ihrer persönlichen Würde ist (vgl. BGHZ 75, 160, 162 f.; BGHSt 40, 97 ff., juris Rn. 31), verächtlich zu machen. Am Gebrauch von das Verfolgungsschicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus herabwürdigenden Formulierungen, etwa der Verwendung von Ausdrücken wie „Gaskammermythos“, „astronomische Zahlen“ (vgl. BGHSt 40, 97 ff., juris Rn. 31) oder „Ausschwitzlüge“ (vgl. BVerfGE 90, 241 ff.; BayObLG NStZ 1997, 283 ff.), fehlt es ebenso wie an hierauf hindeutenden Begleitumständen der Äußerung, etwa einer öffentlichen Bezichtigung der Lüge (vgl. BGHSt 75, 160 ff.). Die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgten Juden sollten nach dem objektiven Sinngehalt der Äußerung der Angeklagten nicht in ihrem sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert getroffen, sondern lediglich auf eine nach Ansicht der Angeklagten ungerechtfertigte Ausgrenzung der in den verwendeten „Judensternen“ bezeichneten Personen in der heutigen Gesellschaft hingewiesen werden. Dass dies mittels eines jeder tatsächlichen Grundlage entbehrenden Vergleichs mit dem Verfolgungsschicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geschah, stellt jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen ebenso wenig wie die bloße, als solche nicht verbotene Verwendung des „Judensterns“ einen Angriff auf das einzigartige Verfolgungsschicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus und damit auf deren Ehre dar. Die in Rede stehende Äußerung der Angeklagten richtete sich gerade nicht gegen diese. Vielmehr reiht sie sich in eine Vielzahl gerade in jüngster Zeit verstärkt zu beobachtender Beiträge ein, in denen im Rahmen der öffentlichen geistigen Auseinandersetzung – oftmals mit Erfolg – versucht wird, durch Holocaustvergleiche die Aufmerksamkeit des angesprochenen Publikums zu erregen und sich, anstatt sich öffentlicher Kritik an der eigenen Handlung, Haltung oder Meinung zu stellen, zum Opfer zu stilisieren.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.