StGB § 15 Zurechnung bei Alternativvorsatz – Strafbefehl und Verfahrensverbindung, BGH, Urt. v. 14.01.2021 – 4 StR 95/20

a) Zur rechtlichen Bewertung eines Alternativvorsatzes, wenn sich dieser auf die Verletzung höchstpersönlicher
Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger bezieht.
b) Die Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens zu einem erstinstanzlichen landgerichtlichen Verfahren
gemäß § 4 Abs. 1 StPO hat zur Folge, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl nicht mehr zurückgenommen
werden kann (amtl. Leitsätze).
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2021 aufgrund der Verhandlung vom
17. Dezember 2020 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 28. Oktober
2019 im Strafausspruch im Fall II.B.1 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem
Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der
Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 13. Februar 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung
getroffen. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision
des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im
Übrigen ist es unbegründet.
I.
Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher
Körperverletzung im Fall II.B.1 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte am 11. März 2019 mit einem Hammer in
Richtung der Nebenklägerin und ihres unmittelbar hinter ihr stehenden Bruders. Dabei hielt er es
für möglich, dass der Hammer eine der beiden Personen treffen und verletzen könnte. Dies nahm
er billigend in Kauf. Die Nebenklägerin und ihr Bruder konnten den Schlag so weit ablenken,
dass der Hammer den Bruder der Nebenklägerin leicht am Kopf traf.
2. Die Strafkammer ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der
Tatausführung im Hinblick auf jedes der beiden Tatopfer mit einem bedingten Körperverletzungsvorsatz
handelte und sich deshalb in Bezug auf die Nebenklägerin einer versuchten
gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) und hinsichtlich
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ihres Bruders einer (vollendeten) gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
schuldig gemacht hat. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).
a) Die Tatsache, dass der Angeklagte den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem
der beiden Tatopfer für möglich hielt, nicht aber einen Erfolgseintritt bei beiden (sog. Alternativvorsatz),
steht der Annahme von zwei bedingten Körperverletzungsvorsätzen nicht entgegen.
aa) Der Bundesgerichtshof hat – soweit ersichtlich – noch keine Entscheidung dazu getroffen,
wie miteinander verbundene, auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge bei verschiedenen Opfern
gerichtete bedingte Vorsätze zu behandeln sind. Das Urteil des Senats vom 15. September
2005 (4 StR 216/05), das in der Literatur zum Teil als Entscheidung zu einem Fall sich gegenseitig
ausschließender bedingter Vorsätze angesehen wird (so Bosch, JA 2006, 330), betrifft eine
Konstellation, in welcher der Angeklagte den Tod eines der beiden Opfer anstrebte und daneben
den Tod des zweiten Opfers billigend in Kauf nahm. Beide bedingten Vorsätze schlossen sich dabei
also nicht gegenseitig aus, sondern konnten nach der Vorstellung des Täters nebeneinander
verwirklicht werden (sog. kumulativer Vorsatz; vgl. Zaczyk in NK-StGB, 5. Aufl., § 22 Rn. 20;
Satzger, JK 3/06, StGB § 24/35). In einem Beschluss vom 24. Juli 1989 (4 StR 356/89, JZ 1990,
297) hat der Senat in einem Fall, bei dem der Täter mit einem Pkw in eine Menschengruppe fuhr
und dabei wusste, dass er eine Person aus der Gruppe anfahren und verletzen konnte, auf die Revision
des Angeklagten eine Verurteilung wegen (eines) versuchten Totschlags in gefährliche
Körperverletzung abgeändert. Das tatrichterliche Urteil enthielt keine konkreten Feststellungen
zu der Zahl der möglichen Alternativopfer und zu einem darauf bezogenen Vorsatz des Täters
(JZ 1990, 297 m. Anm. Joerden). Der Senat war daher nicht gehalten, sich zu der Frage eines sogenannten
Alternativvorsatzes zu äußern.
Für das Verhältnis zwischen einem mit bedingtem Tötungsvorsatz begangenen Totschlagsversuch
und einer für den Fall des Überlebens alternativ zumindest für möglich gehaltenen schweren
Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1, Abs. 2 StGB zum Nachteil desselben Opfers ist allerdings
bereits anerkannt, dass sich nach der Vorstellung des Täters gegenseitig ausschließende Folgen
(sofortiger Tod oder Weiterleben mit schweren Folgen) Gegenstand von zwei nebeneinander bestehenden
Vorsätzen sein können (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 1995 – 1 StR 213/95, NStZ
1995, 589; Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233, 234 [jeweils zu § 225
Abs. 1 aF]; Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 327/00, NJW 2001, 980, 981 m. abl. Anm.
Joerden JZ 2002, 414; Urteil vom 25. Juni 2002 – 5 StR 103/02, BGHR StGB § 226 Abs. 2
schwere Körperverletzung 2; Beschluss vom 3. Juli 2012 – 4 StR 126/12, Rn. 4 [jeweils zu § 226
Abs. 2 StGB]).
In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass in den Fällen des sogenannten Alternativvorsatzes
nur einer der beiden Vorsätze zurechenbar sein könne, weil es der Täter ausgeschlossen
habe, mehr als eines der in Rede stehenden Delikte zu vollenden (vgl. Joerden, ZStW
95 [1983], 565, 589 ff.; ders., Dyadische Fallsysteme, S. 60 ff.; ders., JZ 1990, 298; ders., Logik
im Recht, S. 41 ff.; Zaczyk in NK-StGB, 5. Aufl., § 22 Rn. 20; Vogel/Bülte in LK-StGB, 13.
Aufl., § 15 Rn. 136; Lampe, NJW 1958, 332; Duttge in Dölling/Duttge/ König/Rössner, Gesamtes
Strafrecht, 4. Aufl., § 15 Rn. 10; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 29 mwN).
Demgegenüber nimmt die Literatur mehrheitlich eine handlungseinheitliche Verwirklichung beider
Vorsätze an und will sich hieraus ergebende Wertungsprobleme erst – mit unterschiedlichen
Ergebnissen – auf der Konkurrenzebene lösen (vgl. Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., §
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13 I. 2. d); Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, § 12 Rn. 94; Stein in SK-StGB, 9. Aufl., § 16 Rn. 58 ff.;
Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 91; Gaede in MRStGB,
2. Aufl., § 15 Rn. 28; Puppe in NKStGB, 5. Aufl., § 15 Rn. 115; Jakobs, AT, 2. Aufl., 8.
Abschn. Rn. 33; Rengier, AT, 11. Aufl., § 14 Rn. 52; Wessels/Beulke/Satzger, AT, 50. Aufl., Rn.
350 ff.; vgl. auch die Darstellungen bei M. Fischer, Wille und Wirksamkeit, S. 11 ff. und
Schmitz, ZStW 112, 301, 304 ff. jeweils mwN).
bb) Der Senat geht entsprechend der überwiegenden Meinung in der Literatur davon aus, dass der
Angeklagte mit zwei ‒ ihm zurechenbaren ‒ bedingten Körperverletzungsvorsätzen gehandelt
hat.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des
erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet (vgl. BGH, Urteil
vom 20. September 2012 – 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76; Urteil vom 22. März 2012 – 4
StR 558/11, BGHSt 57, 183 mwN).
Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen sowohl hinsichtlich der Nebenklägerin als
auch in Bezug auf ihren Bruder erfüllt. Für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz
besteht kein Grund. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor, denn auf sich gegenseitig
ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze können miteinander verbunden werden, solange sie –
wie hier – nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand haben (vgl. Jakobs, Strafrecht
AT, 2. Aufl., 8. Abschn. Rn. 33; ders., Die Konkurrenz von Tötungsdelikten mit Körperverletzungsdelikten,
S. 147; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., § 13 I. 2. d); Roxin, Strafrecht
AT, Bd. 1, § 12 Rn. 94; v. Heintschel-Heinegg, JA 2009, 149, 150; im Ansatz auch Lampe,
NJW 1958, 332).
b) Auch hat die Strafkammer das Konkurrenzverhältnis zutreffend beurteilt. Jedenfalls dann,
wenn sich alternative Vorsätze des Täters – wie hier – auf höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener
Rechtsgutsträger richten und einer der erwarteten Erfolge eintritt, stehen das vollendete
und das versuchte Delikt zueinander in Tateinheit (§ 52 StGB).
aa) In Rechtsprechung und Lehre ist anerkannt, dass von einer sogenannten gleichartigen Tateinheit
(Idealkonkurrenz) auszugehen ist, wenn der Täter durch eine Handlung denselben Tatbestand
mehrfach verwirklicht und dabei höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger
betroffen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2011 – 3 StR 316/11, NStZ 2012, 389;
Urteil vom 28. April 1992 – 1 StR 148/92, BGHR StGB § 253 Konkurrenzen 2 mwN). Andernfalls
wäre eine erschöpfende Erfassung des verwirklichten Tatunrechts zum Nachteil aller Geschädigten
im Schuldspruch nicht sichergestellt und würde dessen Klarstellungsfunktion nicht
vollständig Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1992 – GSSt 1/92,
BGHSt 39, 100, 108; Beschluss vom 27. November 2018 – 2 StR 481/17, BGHSt 63, 253 Rn. 24
und 32; Urteil vom 24. September 1998 – 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 199; Urteil vom 5. September
1974 – 4 StR 354/74, BGHSt 25, 373, NJW 1974, 2098; Urteil vom 3. Mai 1963 – 4 StR
131/63, NJW 1963, 1413, 1414; v. Heintschel-Heinegg in MüKo-StGB, 4. Aufl., vor § 52 Rn. 17
und 26 mwN).
bb) Daran gemessen ist auch im vorliegenden Fall von (gleichartiger) Tateinheit auszugehen.
Denn der Angeklagte hat sowohl die zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Nebenklägerin
als auch die zum Schutz der körperlichen Integrität ihres Bruders aufgestellten
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Verhaltensnormen verletzt und in Bezug auf beide ein Delikt verwirklicht bzw. unmittelbar dazu
angesetzt (vgl. Stein in SK-StGB, 9. Aufl., § 16 Rn. 58). Obgleich er davon ausgegangen ist, dass
allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit eine größere Tatschuld auf
sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist (vgl. Sternberg-Lieben/
Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 91). Dieser Schuldgehalt wird erst
mit der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zum
Nachteil der Nebenklägerin neben der Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung
zum Nachteil ihres Bruders erschöpfend abgebildet und klargestellt.
Der Senat kann dabei offenlassen, ob diese Erwägungen in Fällen des Alternativvorsatzes generell
gelten oder ob – wie in der Literatur teils gefordert – in bestimmten Konstellationen das versuchte
Delikt im Wege der Gesetzeseinheit konsumiert wird.
II.
Die im Fall II.B.1 verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe können jedoch nicht bestehen
bleiben.
1. Der Strafausspruch im Fall II.B.1 ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei der Bemessung
der Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe aus dem Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB
für die zum Nachteil des Bruders der Nebenklägerin begangene vollendete gefährliche Körperverletzung
die in Tateinheit stehende versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der
Nebenklägerin uneingeschränkt strafschärfend gewichtet hat, ohne den aufgrund des Alternativvorsatzes
des Angeklagten verminderten Handlungsunwert zu berücksichtigten. Unter den hier
gegebenen Umständen hätte die Tatsache, dass der Angeklagte seinen Angriff in Bezug auf einen
der beiden möglichen Taterfolge für einen Versuch hielt, der ähnlich einem untauglichen Versuch
nicht zur Vollendung führen konnte, erkennbar Berücksichtigung finden müssen. Insoweit verhält
es sich anders als beim kumulativen Vorsatz, bei dem der Täter ein Zusammentreffen beider Erfolge
für möglich hält.
2. a) Bereits der Wegfall der im Fall II.B.1 festgesetzten Einzelstrafe entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe
die Grundlage.
b) Die Gesamtstrafenbildung erweist sich jedoch auch für sich genommen als durchgreifend
rechtsfehlerhaft, weil die Voraussetzungen für eine nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe unter
Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigshafen vom 13. Februar
2019 nicht vorlagen.
aa) Dem angefochtenen Urteil ging folgendes prozessuale Geschehen voraus: In einem weiteren
Strafverfahren erließ das Amtsgericht Ludwigshafen am 13. Februar 2019 gegen den Angeklagten
einen Strafbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung (Tatzeit: 23. September 2018) über
eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Der Angeklagte
legte gegen den Strafbefehl rechtzeitig am 25. Februar 2019 zunächst unbeschränkt Einspruch
ein. Am 27. Februar 2019 beschränkte er den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch.
In vorliegender Sache erhob die Staatsanwaltschaft am 11. Juli 2019 Anklage zum Landgericht
Frankenthal und beantragte zugleich, das Strafbefehlsverfahren des Amtsgerichts Ludwigshafen
zum landgerichtlichen Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.
Mit Eröffnung des Hauptverfahrens übernahm die Strafkammer antragsgemäß mit Beschluss vom
1. August 2019 das amtsgerichtliche Verfahren und verband es „zur gemeinsamen Verhandlung
und Entscheidung“ zu dem bei ihr anhängigen Verfahren. Noch vor Beginn der
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Hauptverhandlung am 28. Oktober 2019 nahm der Angeklagte mit Schreiben vom 5. August
2019 den Einspruch gegen den Strafbefehl zurück.
bb) Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der Strafe aus dem Strafbefehl kam bei diesem
Verfahrensgang nicht in Betracht. Der Einspruch gegen den Strafbefehl konnte nach dessen Verbindung
zu dem Verfahren des Landgerichts nicht mehr zurückgenommen werden; der Strafbefehl
ist deshalb nicht vollständig in Rechtskraft erwachsen. Er war im Zeitpunkt des Erlasses des
angefochtenen Urteils mithin keine einbeziehungsfähige frühere Verurteilung im Sinne des § 55
Abs. 1 StGB.
(1) Die Verbindung der beiden Verfahren durch die Strafkammer ist rechtswirksam gemäß § 4
Abs. 1 StPO erfolgt, da die Strafsachen in die erstinstanzliche Zuständigkeit von Gerichten verschiedener
Ordnung fielen und zwischen ihnen ein persönlicher Zusammenhang im Sinne des § 3
StPO bestand. Die durch die Einspruchsbeschränkung eingetretene Teilrechtskraft des Strafbefehls
stand der Wirksamkeit der Verfahrensverbindung nach § 4 Abs. 1 StPO nicht entgegen.
(a) Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Verfahrensverbindung einer erstinstanzlichen
landgerichtlichen Strafsache mit einer beim Landgericht anhängigen Berufungssache in analoger
Anwendung des § 4 Abs. 1 StPO nicht in Betracht kommt, wenn das mit der Berufung angefochtene
amtsgerichtliche Urteil teilweise in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. hierzu BGH, Urteil
vom 18. Januar 1990 – 4 StR 616/89, BGHSt 36, 348, 350 f.; Beschlüsse vom 24. April 1990
– 4 StR 159/90, BGHSt 37, 15, 17; vom 21. August 2019 – 3 StR 221/18, NStZ 2020, 291, 292
f.). Diese Einschränkung ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass in dieser Konstellation ein Berufungsverfahren
in ein Verfahren erster Instanz übergeleitet wird und eine solche Überleitung in
einen anderen Instanzenzug nur dann möglich ist, wenn auch über die Berufungssache insgesamt
erstinstanzlich verhandelt wird. Bei einem teilrechtskräftigen amtsgerichtlichen Urteil wäre dies
indes nur bei einem Eingriff in die Rechtskraft möglich; dies ist jedoch unzulässig (vgl. BGH,
Urteil vom 18. Januar 1990 – 4 StR 616/89, BGHSt 36, 348, 350 f.; Beschluss vom 24. April
1990 – 4 StR 159/90, BGHSt 37, 15, 17; Meyer-Goßner, DRiZ 1990, 284, 286).
(b) Anders verhält es sich bei der Verbindung eines infolge einer Einspruchsbeschränkung teilrechtskräftigen
Strafbefehls mit einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht, weil mit
dieser Verfahrensverbindung kein Eingriff in den Instanzenzug einhergeht. Bei einem nach (beschränktem)
Einspruch gegen einen Strafbefehl durchzuführenden Verfahren handelt es sich vielmehr
weiterhin um ein Verfahren im ersten Rechtszug, in welchem ein Urteil noch nicht ergangen
ist und das deshalb – wie in § 4 Abs. 1 StPO vorgesehen – mit
einem beim Landgericht als dem Gericht der höheren Ordnung anhängigen erstinstanzlichen Verfahren
verbunden und dort insgesamt erstinstanzlich weitergeführt werden kann (ebenso für eine
in die erste Instanz zurückverwiesene Sache BGH, Beschluss vom 15. November 1972 – 2 ARs
300/72, BGHSt 25, 51, 53; Urteil vom 19. Oktober 1977 – 2 StR 283/77; vgl. auch Schmitt in
MeyerGoßner/Schmitt, 63. Aufl., § 4 Rn. 3; Scheuten in KK-StPO, 8. Aufl., § 4 Rn. 2; Erb in
Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 4 Rn. 10; Ellbogen in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 4 Rn. 4). Allerdings
hat das Landgericht im weiteren Verfahren aufgrund der innerprozessualen Bindungswirkung
(vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2007 – 5 StR 305/06, BGHSt 51, 202, 204;
vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16, BGHSt 62, 202, 205; vom 21. August 2019 – 3 StR 221/18,
NStZ 2020, 291, 293) die eingetretene Teilrechtskraft zu beachten und darf in der hinzuverbundenen
Sache nur insoweit erstinstanzlich verhandeln, als Rechtskraft noch nicht eingetreten ist.
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(2) Die Verbindung von Strafsachen gemäß § 4 Abs. 1 StPO führt indes zu einer verfahrensrechtlichen
Verschmelzung mit der Folge, dass sich gemäß § 5 StPO das weitere Verfahren nach den
Vorschriften richtet, die für die zur Zuständigkeit des höheren Gerichts gehörende Strafsache gelten
(vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 1990 – 4 StR 616/89, BGHSt 36, 348; vom 21. Mai 1992
– 4 StR 81/92, BGHSt 38, 300, 301; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 5 Rn.
1).
(a) Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn ein amtsgerichtliches Strafbefehlsverfahrens zu einem
erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht hinzuverbunden wird. Das weitere Verfahren
ist in diesem Fall insgesamt als landgerichtliches Verfahren fortzusetzen. Hiervon abweichende
verfahrensrechtliche Besonderheiten des Strafbefehlsverfahrens – einschließlich der Disposition
über die Herbeiführung der Rechtskraft durch Einspruchsrücknahme – können für denhinzuverbundenen
Verfahrensteil keine Anwendung mehr finden, weil das Strafbefehlsverfahren
mit der förmlichen Verbindung in dem weiteren Prozess seine Eigenschaft als eigenständiges
Verfahren verloren hat (vgl. Meyer-Goßner, DRiZ 1990, 284, 285). Ob – wie dies in der Literatur
vertreten wird – nach einer Verfahrenstrennung das Strafbefehlsverfahren wieder auflebt (vgl.
Schmitt in MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 5 Rn. 1; Erb in Löwe-Rosenberg, StPO, 27.
Aufl., § 5 Rn. 4; Ellbogen in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 5 Rn. 5; Larcher in BeckOK-StPO, 38. Ed.
Stand 1. Oktober 2020, § 5 Rn. 2), erscheint angesichts der Wirkungen der Verfahrensverschmelzung
jedenfalls bei Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens zu einem erstinstanzlichen landgerichtlichen
Verfahren zweifelhaft, bedarf indes hier keiner Entscheidung.
(b) Von diesen Grundsätzen abzuweichen und trotz der herbeigeführten Verfahrensverschmelzung
dem Angeklagten weiterhin die Möglichkeit einer Rücknahme seines Einspruchs gegen den
Strafbefehl einzuräumen, besteht jedenfalls für die vorliegende Verfahrenskonstellation kein Anlass.
(aa) Der Bundesgerichtshof hat bislang offengelassen, ob die Verschmelzung der Verfahren nach
einer Verbindung gemäß § 4 StPO so weit geht, dass die Rücknahme eines Einspruchs gegen einen
Strafbefehl nicht mehr möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 1989 – 1 StR 632/88,
BGHSt 36, 175, 187 ff.). In der Literatur wird der Verlust der Möglichkeit zur Einspruchsrücknahme
als zwingende Konsequenz der durch die Verbindung bewirkten Verfahrensverschmelzung
angesehen (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 5 Rn. 1;
Erb in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 5 Rn. 4; Ellbogen in MüKo-StPO, 1. Aufl., § 5 Rn. 5;
Larcher in BeckOK-StPO, 38. Ed. Stand 1. Oktober 2020, § 5 Rn. 2). Dem ist jedenfalls für die
Verbindung eines Strafbefehlsverfahrens zu einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht
zuzustimmen. Ob es sich anders verhält, wenn sich die Verbindung von Verfahren nach § 4
StPO ausschließlich auf der Ebene des Amtsgerichts vollzieht, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
Bei der Verschmelzung eines Strafbefehlsverfahrens mit einem erstinstanzlichen Verfahren vor
dem Landgericht ergibt sich dies schon daraus, dass das Strafbefehlsverfahren nach § 407 Abs. 1
StPO ausschließlich den Amtsgerichten vorbehalten und dem landgerichtlichen Verfahren fremd
ist. Aber auch der Grundsatz der Klarheit des Verfahrensrechts und das Erfordernis einer einheitlichen
Prozessführung widerstreiten einer auch nur teilweisen Vermengung der Verfahrensregeln
der verbundenen Verfahren. Das summarische, auf Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung
angelegte Strafbefehlsverfahren folgt in weiten Teilen stark modifizierten
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Verfahrensgrundsätzen (Momsen in SSW, StPO, 4. Aufl., § 407 Rn. 1; vgl. auch Löwe-Rosenberg
in LöweRosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 407 Rn. 3 ff.; Eckstein in MüKo-StPO, 1. Aufl., §
407 Rn. 2 ff.), die mit den Verfahrensregeln eines erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Landgericht
nicht vereinbar sind. Dies gilt nicht zuletzt für die von § 156 StPO abweichenden weitreichenden
Möglichkeiten, den Einspruch bzw. die Klage zurücknehmen und auf diese Weise
grundlegend auf die Prozessgestaltung Einfluss nehmen zu können. Jedenfalls im erstinstanzlichen
landgerichtlichen Verfahren würde dies einen Fremdkörper darstellen.
(bb) Durch eine uneingeschränkte Verfahrensverschmelzung wird der Angeklagte auch nicht unangemessen
in seinen Rechtspositionen beeinträchtigt. Zwar wird dem Angeklagten mit einer
Verfahrensverbindung vor Beginn der Hauptverhandlung die ihm gemäß § 411 Abs. 3, § 303
StPO zustehende besondere Befugnis, bis zum Beginn der Hauptverhandlung durch Rücknahme
des Einspruchs über den Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehles allein und einseitig zu disponieren,
beschnitten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. April 1989 – 1 StR 632/88, BGHSt 36,
175, 191). Diesem Umstand wird indes dadurch Rechnung getragen, dass der Angeklagte zu der
vorgesehenen Verfahrensverbindung anzuhören ist und ihm damit Gelegenheit eingeräumt wird,
von seinem prozessualen Recht der Einspruchsrücknahme noch rechtzeitig Gebrauch zu machen.
Nach Beginn der Hauptverhandlung hätte es der Angeklagte ohnehin nicht mehr allein in der
Hand, durch die Rücknahme des Einspruchs über den Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls zu
disponieren, weil dies gemäß § 411 Abs. 3 Satz 2, § 303 Satz 1 StPO nur noch mit Zustimmung
der Staatsanwaltschaft zulässig wäre.
(3) Nach alledem konnte der Einspruch gegen den teilrechtskräftigen Strafbefehl infolge der eingetretenen
Verfahrensverschmelzung nicht mehr rechtswirksam zurückgenommen werden, mit
der Folge, dass der Strafbefehl nicht vollständig in Rechtskraft erwuchs und daher für eine nachträgliche
Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB nicht herangezogen werden konnte.
Darauf, dass das Landgericht zudem verkannt hat, dass – eine wirksame Einspruchsrücknahme
unterstellt – eine Gesamtstrafenlage mit dem Strafbefehl vom 13. Februar 2019 nicht bestanden
hätte, weil bei Rücknahme eines Einspruchs nicht der Zeitpunkt der Rechtskraft des Strafbefehls,
sondern der Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls für die Zäsurwirkung maßgeblich ist (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 1990 – 2 StR 513/90, NStZ 1991, 182, 183; vom 11. November
2008 – 5 StR 486/08), die Taten aus dem landgerichtlichen Verfahren jedoch erst nach
Erlass des Strafbefehls begangen wurden, kommt es daher nicht an.
cc) Da das Landgericht über den bei ihm anhängigen Rechtsfolgenausspruch aus dem hinzuverbundenen
Verfahren keine Entscheidung herbeigeführt hat, hat es seiner Kognitionspflicht nicht
genügt. Diese Entscheidung wird daher nachzuholen sein, wobei insoweit die bisher in dieser Sache
befasste Schwurgerichtskammer zuständig geblieben ist. Es wird allerdings in Anbetracht der
teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs im Revisionsverfahren naheliegen, die noch offenen
Verfahrensteile bei einer Strafkammer des Landgerichts zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
zusammenzuführen. Der neue Tatrichter wird zudem zu prüfen haben, ob das Verfahren
insgesamt mit der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotenen Beschleunigung betrieben
wurde.
3. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall
II.B.1 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafenbildung nicht betroffen; sie können daher bestehen
bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
- 15 -
III.
Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ergeben.