StGB § 153 Verletzung der Wahrheitspflicht bei Zeugenaussage und Gegenstand der Vernehmung
BGH, Urt. v. 23.11.2020 – 5 StR 172/20
1. Ein Zeuge verletzt seine Wahrheitspflicht, wenn er Tatsachen, die für den Gegenstand der Vernehmung erheblich sind, falsch wiedergibt oder – sofern sie mit der Beweisfrage für ihn erkennbar im Zusammenhang stehen – verschweigt.
2. Eine Aussage im Sinne des § 153 StGB umfasst alle zum Zeitpunkt der Äußerung potenziell erheblichen Tatsachen, die mit der Tat im Sinne des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können. Anders als im Zivilprozess existiert im Strafprozess eine Begrenzung des Umfangs der Zeugnispflicht auf die im Beweisbeschluss in bestimmter Form bezeichnete Beweisfrage nicht. Gegenstand der Vernehmung zur Sache ist hier allgemein der „Gegenstand der Untersuchung“ nach § 69 Abs. 1 StPO, der dem Zeugen vor seiner Vernehmung zu bezeichnen ist.
3. Eine zum Gegenstand der Vernehmung gehörige, für die Entscheidung erhebliche Tatsache muss mitgeteilt werden, selbst wenn der Zeuge nicht ausdrücklich danach gefragt wird. Er hat von sich aus alles anzugeben, was er in diesem Zusammenhang als wesentlich erkennt. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 23. November 2020 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 19. November 2019 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten bleibt erfolglos.
I.
Nach den Feststellungen und Wertungen hatte die Angeklagte als Oberstaatsanwältin Ermittlungen gegen eine im Raum Leipzig aktive Tätergruppe wegen Betäubungsmitteldelikten geleitet und im Frühjahr 2015 beim Landgericht Leipzig Anklage gegen zwei Täter erhoben. Diesen wurde u.a. die Übernahme einer großen Menge Methamphetamin zur Last gelegt. Insoweit stützte sich der Tatnachweis ausschließlich auf Angaben eines Belastungszeugen, der am 4. Februar 2015 durch Beamte des BKA vernommen worden war. Zu den Umständen des Zustandekommens und des Ablaufs dieser Vernehmung wurde die Angeklagte in der Hauptverhandlung des Landgerichts Leipzig am 18. Dezember 2015 als Zeugin vernommen. Hierbei erklärte sie - auch auf ausdrückliche Nachfrage des Vorsitzenden, wie es zu der Vernehmung durch das BKA gekommen sei -, mit der Vernehmung „nichts zu tun“ gehabt zu haben. Tatsächlich hatte jedoch unmittelbar vor der polizeilichen Vernehmung am 4. Februar 2015 ein Vorgespräch von ca. 45 Minuten Dauer unter Beteiligung der Angeklagten, des Belastungszeugen, seines Verteidigers, Vernehmungsbeamten des BKA und weiterer Polizisten stattgefunden. Obwohl die Angeklagte wusste, dass ihre Angaben für die Sachverhaltsaufklärung im Verfahren der 8. Strafkammer hinsichtlich Aussagemotivation und Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen von Bedeutung waren, erwähnte sie das Vorgespräch nicht.
II.
Die Revision der Angeklagten ist unbegründet.
1. Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung (vgl. zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab:
BGH, Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741) beruhenden Feststellungen und Wertungen tragen den Schuldspruch wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB).
a) Ein Zeuge verletzt seine Wahrheitspflicht, wenn er Tatsachen, die für den Gegenstand der Vernehmung erheblich sind, falsch wiedergibt oder - sofern sie mit der Beweisfrage für ihn erkennbar im Zusammenhang stehen - verschweigt (BGH, Urteil vom 11. November 1954 - 3 StR 422/54, BGHSt 7, 127 f.). Eine Aussage im Sinne des § 153 StGB umfasst alle zum Zeitpunkt der Äußerung potentiell erheblichen Tatsachen, die mit der Tat im Sinne des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können (BGH, Urteil vom 17. Februar 1976 - 1 StR 756/75). Anders als im Zivilprozess existiert im Strafprozess eine Begrenzung des Umfangs der Zeugnispflicht auf die im Beweisbeschluss in bestimmter Form bezeichnete Beweisfrage nicht. Gegenstand der Vernehmung zur Sache ist hier allgemein der „Gegenstand der Untersuchung“ nach § 69 Abs. 1 StPO, der dem Zeugen vor seiner Vernehmung zu bezeichnen ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1976 - 1 StR 756/75; RGSt 57, 152 ff.; Ruß in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff. Rn. 20a; MüKoStGB/Müller, 3. Aufl., § 153 Rn. 21). Eine zum Gegenstand der Vernehmung gehörige, für die Entscheidung erhebliche Tatsache muss mitgeteilt werden, selbst wenn der Zeuge nicht ausdrücklich danach gefragt wird. Er hat von sich aus alles anzugeben, was er in diesem Zusammenhang als wesentlich erkennt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1951 - 1 StR 505/51, BGHSt 2, 90 ff.; Beschluss vom 6. September 1989 - 2 StR 428/89; Matt/Renzikowski/Norouzi, StGB, 2. Aufl., § 153 Rn. 6; Mückenberger in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar, StGB, 3. Aufl., § 153 Rn. 26).
b) Nach diesen Maßstäben hätte die Angeklagte das Vorgespräch vom 4. Februar 2015 erwähnen müssen. Ein einer förmlichen Vernehmung unmittelbar vorgelagertes Gespräch der Aussageperson mit den Ermittlungsbeamten ist mit der Vernehmung eng verknüpft. Denn aus dem Vorgespräch können sich Rückschlüsse auf Befragungs- und Aussagemotivation ergeben, die für die Belastbarkeit der Vernehmungsergebnisse beachtlich sein können. Hieran vermag auch eine informelle Ausgestaltung eines solchen Gesprächs nichts zu ändern. Entsprechend einem dahingehenden Aufklärungsinteresse ist der Gegenstand der Untersuchung im Sinne des § 69 Abs. 1 StPO ausdrücklich auch auf Umstände des Zustandekommens und des Ablaufs der Vernehmung erstreckt und als solcher bezeichnet worden. Zudem war die Angeklagte vom Vorsitzenden der Strafkammer danach gefragt worden, wie es zur Vernehmung durch das Bundeskriminalamt gekommen sei. Angesichts dessen erweist sich ihre Angabe, mit der Vernehmung nichts zu tun gehabt zu haben, als falsch.
c) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch die subjektiven Voraussetzungen der uneidlichen Falschaussage bejaht. Soweit es darauf abgestellt hat, dass für die Angeklagte als Beamtin der Staatsanwaltschaft die Bedeutung des Vorgesprächs aufgrund des bezeichneten Gegenstands der Untersuchung als wesentlicher, mit dem Vernehmungsgegenstand untrennbar zusammenhängender Teil offen zu Tage lag, ist dies nicht zu beanstanden. Dies galt zumal, da die Wesentlichkeit der mitzuteilenden Tatsache durch weitere Fragen, z.B. nach eventuellen Zusagen der Ermittlungsbehörden gegenüber dem Zeugen, konkretisiert und der Angeklagten dadurch weiter verdeutlicht wurde. Angesichts dessen, dass zwischen dem Zusammentreffen im Februar 2015 und der Aussage der Angeklagten in der Hauptverhandlung lediglich zehn Monate vergangen waren und mit Blick auf die sonstigen vom Landgericht herausgearbeiteten markanten Details zu den näheren Umständen des Treffens, hat es nachvollziehbar ausgeschlossen, dass die Angeklagte das Vorgespräch vergessen oder dessen Erheblichkeit für die Wahrheitserforschung des Prozessgerichts, insbesondere im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit des Belastungszeugen, verkannt haben könnte.
d) Dass das Landgericht kein Tatmotiv festzustellen vermochte, steht der Tatbestandsverwirklichung - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - nicht entgegen.
2. Die Strafzumessung hält ebenfalls revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Das Landgericht hat einen zutreffenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Eine Strafrahmenverschiebung über § 158 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht. Als Sonderfall der tätigen Reue eröffnet die Vorschrift die Möglichkeit, von der Verhängung einer Strafe abzusehen oder diese zu mildern. Die Voraussetzungen lagen indes nicht vor. Das Landgericht musste die Angeklagte auch nicht erneut als Zeugin vernehmen, um ihr eine Aussagekorrektur zu ermöglichen. Das Risiko, eine falsche Aussage noch rechtzeitig im Sinne des § 158 Abs. 2 StGB berichtigen zu können, trägt der Täter. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat begünstigende und belastende Strafzumessungsgesichtspunkte, denen es bestimmenden Charakter im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zugemessen hat, erörtert (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16; vgl. zur Verpflichtung lediglich die bestimmenden Umstände darzulegen, BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15 mwN). Zwar sind festgestellte und erörterte Umstände, die die Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen können - die Aufklärung des Sachverhalts ist durch das Verhalten der Angeklagten ersichtlich nicht erschwert worden, die Tat scheint ganz maßgeblich durch persönliche Befindlichkeiten zwischen der Angeklagten und den Richtern der erkennenden Strafkammer begünstigt worden zu sein und ihr ist keine Gelegenheit gegeben worden, die Angaben noch rechtzeitig im Sinne des § 158 Abs. 2 StGB zu berichtigen - in der Strafzumessung nicht mehr ausdrücklich angeführt worden. Daraus kann aber nicht ohne Weiteres geschlossen werden, das Landgericht habe diese Umstände nicht gesehen oder nicht gewertet (vgl. BGH, Urteile vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12; vom 31. Juli 2014 - 4 StR 216/14).
Denn eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Im Hinblick auf die trotz des beachtlichen Strafschärfungsgrundes der Tatbegehung bei Ausübung der staatsanwaltlichen Aufgaben nur knapp über der angedrohten Mindeststrafe angesiedelten und mithin milden Strafe besorgt der Senat nicht, dass das Landgericht diese Aspekte aus dem Blick verloren hat.