StGB § 176a Abs. 5 / § 177 Abs. 4 Nr. 2 a Anale Penetration schwere Misshandlung

BGH, Urt. v. 09.12.2014 – 5 StR 422/14- NStZ 2015, 152

LS: Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kindern können eine körperlich

schwere Misshandlung (§ 176a Abs. 5, § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) darstellen.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Mai 2014 im Schuldspruch

dahin abgeändert und klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen (Fall 4) und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung (Fall 8), wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen (Fälle 1, 2, 3 und 5) und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen (Fälle 6 und 7) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten führt im Fall 3 zu einer Schuldspruchänderung zu seinen Gunsten; im Übrigen bleibt sein Rechtsmittel ohne Erfolg. Im Fall 4 verschärft der Senat den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte die am 22. Oktober 1999 geborene Nebenklägerin, für die er Erziehungsaufgaben übernommen hatte, ab ihrem 11. Lebensjahr in acht Fällen, davon in einem Fall nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres. Fall 3 liegt zugrunde, dass er an der unbedeckten Scheide der Nebenklägerin leckte (Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen). Im Fall 4 ergriff er die Nebenklägerin an den Unterarmen, warf sie aufs Bett und hielt sie fest. Er rieb ihren After mit einem Gel ein und vollzog gewaltsam den Analverkehr bis zum Samenerguss, obwohl die Nebenklägerin vor Schmerzen schrie. Um die „Geräusche“ zu ersticken, drückte er ihren Kopf in ein Kissen (Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen).

2. Die Schuldsprüche begegnen in den genannten Fällen durchgreifenden Bedenken.

a) Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall 3 zu Unrecht auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. Denn es ist nicht festgestellt, dass er beim Oralverkehr in den Körper der Nebenklägerin eindrang. Mithin ist ein Fall des nicht qualifizierten sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen gegeben. Der Senat ändert den Schuldspruch zugunsten des Angeklagten entsprechend ab. Die Schuldspruchänderung führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht zur Herabsetzung der insoweit verhängten Einzelstrafe (§ 354 Abs. 1 StPO). Denn der Senat kann ein Beruhen des Einzelstrafausspruchs auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ausschließen. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, dass ihm ein Tenorierungsversehen unterlaufen sei (UA S. 12) und dass es die Einzelfreiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB entnommen habe (UA S. 42). Hieran zu zweifeln besteht kein Anlass. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Tat trotz des milderen Strafrahmens im Verhältnis zu zwei Fällen des durch die Nebenklägerin am Angeklagten ausgeführten Oralverkehrs als gleichgewichtig angesehen hat, ist frei von Rechtsfehlern.

b) Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Einzelfreiheitsstrafe in Fall 4 auf das in § 176a Abs. 2, § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB vorgesehene Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe festzusetzen (§ 354 Abs. 1 StPO), weil das Landgericht rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen habe. Dem folgt der Senat nicht. Zwar vermochte die Jugendkammer in Abweichung von den Anklagevorwürfen eine Fesselung der Nebenklägerin nicht festzustellen. Das Urteil weist jedoch zugleich einen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Denn das Landgericht hat nicht erwogen, dass die Qualifikationstatbestände der schweren körperlichen Misshandlung nach § 176a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB verwirklicht sind. Der Senat kann deswegen offen lassen, ob der Angeklagte wegen Verwendung eines gefährliches Werkzeugs (auch) den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt hat, indem er den Kopf der Nebenklägerin in ein Kissen drückte, um deren Schreie zu unterbinden.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt das Merkmal der schweren körperlichen Misshandlung einerseits nicht den Eintritt der in § 226 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung) bezeichneten gravierenden Folgen; andererseits genügt eine „nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung“ der körperlichen Unversehrtheit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1993 – 4 StR 717/93, bei Miebach NStZ 1994, 223). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die körperliche Integrität des Opfers in einer Weise verletzt wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, NStZ 1998, 461; BGH, Urteile vom 13. September 2000 – 3 StR 347/00, BGHR StGB § 177 Abs. 4 Misshandlung 1; vom 13. Februar 2007 – 1 StR 574/06; vom 15. September 2010 – 2 StR 395/10, NStZ-RR 2011, 337, 338; vgl. zu § 176a Abs. 3 Nr. 2 StGB aF BGH, Urteil vom 11. August 1993 – 3 StR 325/93). Dabei schadet es nicht, wenn die Misshandlung nicht gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird, sondern im Zuge der sexuellen Handlungen erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229).

b) Daran gemessen ist das Merkmal hier gegeben. Der Angeklagte erzwang an der zur Tatzeit allenfalls zwölfjährigen Nebenklägerin den (erstmaligen) Analverkehr bis zum Samenerguss. Hierdurch fügte er ihr derart gravierende Schmerzen zu, dass er sich veranlasst sah, ihre lauten Schreie (vgl. auch UA S. 23: „… dass sie vor Schmerzen gebrüllt habe“) zu ersticken, indem er ihren Kopf in ein Kissen drückte. Den Ausführungen der Jugendkammer ist zu entnehmen, dass sich die Misshandlung über geraume Zeit erstreckte.

aa) Der Senat verkennt nicht, dass namentlich anale Penetrationen bei Kindern auf dieser Basis nicht selten den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 5 StGB (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB) erfüllen werden. Er sieht jedoch keinen Grund, solche schwerwiegenden Taten nicht der verschärften Strafdrohung zu unterwerfen. Dem lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass mit dem Eindringen in den Körper von Kindern typischerweise Schmerzen verbunden sein werden, der Gesetzgeber für derartige Taten in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB) aber einen günstigeren Strafrahmen vorgesehen hat (vgl. dazu SK-Wolters, StGB, § 177 Rn. 33; LK-Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 84; Kudlich, JR 2001, 378, 380). Denn es existieren – wie auch die Tatserie des Angeklagten erweist – Vorgänge des Eindringens, die nicht schmerzhaft sind oder insoweit jedenfalls nicht den erforderlichen Erheblichkeitsgrad erreichen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Verursachung beträchtlicher Schmerzen regelmäßige und damit vom Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB) abschließend umfasste Begleiterscheinung der darin bezeichneten Tathandlungen ist. Dass eine Privilegierung schon für sich genommen äußerst schmerzhafter Sexualhandlungen gegenüber sonstigen körperlichen Misshandlungen wie etwa heftigen und mit Schmerzen verbundenen Schlägen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, aaO) vom Gesetzgeber intendiert gewesen sein könnte, liegt nicht nahe (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, aaO). Genauso wenig lässt sich aus dem in der Vorschrift weiter aufgeführten Qualifikationsmerkmal der Verursachung einer Todesgefahr ein plausibler Grund für eine Ausgrenzung von (höchst schmerzhaften) „Penetrationshandlungen“ gewinnen (sowohl MüKo/Renzikowski, 2. Aufl., § 176a Rn. 34). Denn es handelt sich um qualitativ unterschiedliche Merkmale mit divergierender Schutzrichtung.

bb) Allerdings bedarf es für die Annahme einer schweren körperlichen Misshandlung hinreichender Feststellungen zu Ausmaß und Dauer der Schmerzen. Anders als bei den weiteren ausgeurteilten Fällen (analer) Vergewaltigungen bzw. deren Versuch zum Nachteil der Nebenklägerin genügen die Urteilsgründe diesem Erfordernis im Fall 4.

cc) Der Senat ändert daher den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten ab; das Verschlechterungsgebot steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13 mwN; vom 22. April 2014 – 5 StR 123/14, vom 6. Mai 2014 – 5 StR 99/14). Ferner ist § 265 StPO nicht verletzt, weil nicht ersichtlich ist, dass der in der Hauptverhandlung schweigende und im Ermittlungsverfahren bestreitende Angeklagte sich anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 5 StR 365/13).

3. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die weitergehende Revision ist daher aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht im Fall 6 unter Verkennung des Gewaltbegriffs in der Ausformung durch die Rechtsprechung (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 177 Rn. 5 mit zahlreichen Nachweisen) mangels „Gegenwehr“ des Opfers nicht auch eine sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB angenommen hat. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass sich die Jugendkammer im Fall 8 hinsichtlich der durch das verabreichte Potenzmittel hervorgerufenen Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Übelkeit der Nebenklägerin) nicht von einem zumindest bedingten Vorsatz des Angeklagten und damit vom Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu überzeugen vermochte (vgl. UA S. 19). Jedoch stellt der Senat die Urteilsformel mit Blick auf die bereits vom Landgericht angenommene Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB insoweit dahingehend klar, dass der Angeklagte in diesem Fall der schweren Vergewaltigung schuldig ist.