StGB § 182 Abs. 2 Nr. 1 - fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung
BGH, Beschl. vom 17.10.2006 – 4 StR 341/06
Eine Strafbarkeit gem. § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall voraus. Dies bedarf auch dann konkreter Feststellung, wenn das Opfer entgegen der irrigen Annahme des Täters noch keine 14 Jahre alt gewesen ist.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 17. Oktober 2006 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landau (Pfalz) vom 15. März 2006 werden als unbegründet verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Gründe: Das Landgericht hat die Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen jeweils zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen, sind unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat. Der näheren Erörterung bedarf nur folgendes: Nach den Feststellungen hatten der zur Tatzeit 31 Jahre alte Angeklagte L. , der 28 Jahre alte Angeklagte S. und der 25 Jahre alte Angeklagte K. nacheinander mit der damals 13 Jahre und 11 Monate alten Nebenklägerin Geschlechtsverkehr. Sie nahmen an, dass die Nebenklägerin noch nicht 16 Jahre alt war. Ihnen war „im Hinblick auf das Verhalten der Nebenklägerin jedenfalls die Möglichkeit bewusst, dass diese ihnen die Vornahme der sexuellen Handlungen nur aufgrund ihrer fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung gestattete, was sich die Angeklagten aus dem Wunsch sexueller Bedürfnisbefriedigung heraus jeweils auch bewusst zunutze machten." Das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass die Angeklagten wussten oder zumindest billigend in Kauf nahmen, dass die Nebenklägerin noch nicht 14 Jahre alt war. Die Verurteilung der Angeklagten jeweils wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand: § 182 StGB ist auch anwendbar, wenn das Tatopfer noch nicht 14 Jahre alt ist (vgl. BGHSt 42, 27, 29; 42, 51, 55; BGH NStZ 2000, 644). Daher kann ein Täter, der sich – wie hier - über das Alter des kindlichen Tatopfers irrt, nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB, der andernfalls im Wege der Gesetzeskonkurrenz von § 176 StGB verdrängt wird (vgl. BGHSt 42, 27), bestraft werden, sofern die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen (vgl. BGHSt 42, 27, 29 und 51, 55). Das hat das Landgericht, auch soweit § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB voraussetzt, dass der Täter bei der Vornahme der sexuellen Handlungen die fehlende Fähigkeit des Tatopfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, für jeden der Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt. Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings die von den Revisionen der Angeklagten L. und K. zu Recht beanstandete Erwägung des Landgerichts, die 13-jährige Nebenklägerin sei schon deshalb objektiv zur hinreichenden Selbstbestimmung nicht in der Lage gewesen, weil das Gesetz, wie sich aus § 176 StGB ergebe, hiervon bei Kindern unwiderleglich ausgehe. Dies trifft zwar für § 176 StGB zu (vgl. BGHSt 42, 27, 28 f.; BGH NStZ-RR 1997, 98, 99). Anders verhält es sich aber, wenn der Täter mangels Vorsatzes in Bezug auf das kindliche Alter des Opfers nicht nach § 176 StGB, sondern nur nach § 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB bestraft werden kann. Da diese Vorschrift das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung im Einzelfall voraussetzt (vgl. BGHSt 42, 27, 29; BGH NStZ-RR 1997, 98, 99), bedarf dies auch dann konkreter Feststellung, wenn das Opfer entgegen der irrigen Annahme des Täters noch keine 14 Jahre alt gewesen ist. Allein auf das kindliche Alter des Opfers durfte das Landgericht schon deshalb nicht abstellen, weil sich der – zumindest bedingte – Vorsatz auf die Umstände beziehen muss, aus denen sich die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ergibt (vgl. Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 182 Rn. 13), die Angeklagten im Hinblick auf das Alter aber irrtumsbedingt nicht vorsätzlich handelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Der aufgezeigte Rechtfehler gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht. Vielmehr ist die fehlende Fähigkeit der Nebenklägerin aufgrund ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung Bedeutung und Tragweite der konkreten sexuellen Handlung zu erfassen (vgl. BT-Drucks. 12/4584 S. 8; Wolters/Horn in SK-StGB § 182 Rn. 13), durch die getroffenen Feststellungen hinreichend belegt. Das Landgericht hat sich mit diesen Umständen im Rahmen der rechtlichen Würdigung zur inneren Tatseite im Einzelnen auseinandergesetzt. Es hat recht-fehlerfrei dargelegt, dass das zum Teil bizarre Tatgeschehen unabhängig vom genauen Alter der Nebenklägerin belegt, dass sie die Tragweite der sexuellen Handlungen „nicht zu überblicken und in reifer Weise zu bewerten in der Lage war und sie dem Begehren der Angeklagten nur deshalb nachgab, weil sie nicht über die notwendige Urteilsfähigkeit verfügt hat“. Von den diese Annahme begründenden Tatumständen hatten die Angeklagten nach den Feststellungen Kenntnis (UA 39). Der vom Landgericht daraus gezogene Schluss, „dass die Angeklagten es (zumindest) billigend in Kauf nahmen, dass die Nebenklägerin nur aus Unreife und fehlender Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung bereit war, die von ihnen gewählte Sexualpraktik zu dulden und sie deshalb unter Ausnutzung dieser Unreife ihren Wunsch nach sexueller Betätigung umsetzen konnten“, ist möglich und damit rechtlich nicht zu beanstanden.
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