StGB § 184 Abs. 1 Nr. 1 Verschicken ist kein Verbreiten von Jugendpornografie
StGB § 184 Abs. 1 Nr. 1 Verschicken ist kein Verbreiten
BGH, Beschl. v. 22.01.2015 - 3 StR 490/14 - NStZ-RR 2015, 139
1. Für den Tatbestand des Verbreitens im Sinne von § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB reicht der gezielte Versand von Bildern mit jugendpornographischen Inhalts an Einzelpersonen nicht aus, vielmehr muss der Täter dafür eine Schrift einer nicht mehr individualisierbaren Vielzahl von Personen weitergeben.
2. Die auf der Festplatte eines Smartphones gespeicherten Daten, die durch das Gerät wahrnehmbar gemacht werden können, verkörpern gedankliche Inhalte und unterfallen deshalb dem Begriff des Datenspeichers, der durch § 11 Abs. 3 StGB den Schriften gleichgestellt wird.
3. Die gleichzeitige Verletzung sowohl von § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 StGB führt zur Annahme gleichartiger Tateinheit.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Januar 2015 gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 30. April 2014 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen III. 4., 8., 10.-11. und 14. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Ver-fahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, der Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen und der Bedrohung schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Revisionsverfahren findet nicht statt.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit dem Verbreiten kinderpornographischer Schriften, wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, wegen der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen, wegen Verbreitung jugendpornographischer Schriften in drei Fällen sowie wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Senat hat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts in den Fällen III. 4., 8., 10.-11. und 14. Der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen eingestellt. In den Fällen III. 4., 10. und 11. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung wegen Verbreitens jugendpornographischer Schriften rechtlichen Bedenken, weil sich den Feststellungen der Strafkammer nur entnehmen lässt, dass der Angeklagte Bilder mit jugendpornographischem Inhalt gezielt an Einzelpersonen versandte; dies reicht für die Annahme des Tatbestandsmerkmals des Verbreitens im Sinne von § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB indes nicht aus, vielmehr muss der Täter dafür eine Schrift einer nicht mehr individualisierbaren Vielzahl von Personen weitergeben (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 184c Rn. 6, § 184b Rn. 8). In den Fällen III. 8. und 14. der Urteilsgründe ergeben die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte über das bloße Versenden von Bildern pornographischen Inhalts hinaus auch auf die Kinder, die Empfänger seiner Chatnachrichten waren, im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB einwirkte, was eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art erfordert (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2010 - 3 StR 177/10, NStZ 2011, 455).
2. Der Schuldspruch hält darüber hinaus in den folgenden Fällen rechtlicher Überprüfung nicht stand:
a) In den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit die Strafkammer von zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 3 StGB ausgegangen ist. Nach den Feststellungen übersandte der Angeklagte innerhalb eines Chats über die Anwendung WhatsApp einem elfjährigen Mädchen zunächst ein pornographisches Bild und erklärte anschließend mehrfach, dass er es zum Orgasmus bringen wolle. Da der Angeklagte die Bild- und Textnachrichten in dem gleichen Chat am selben Tag übermittelte, stellen sich diese rechtsgutsverletzenden Handlungen bei natürlicher Betrachtungsweise als Einheit dar, so dass entgegen der Annahme des Landgerichts zwischen der Übersendung des Bildes und derjenigen der anschließenden Textnachrichten Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB (natürliche Handlungseinheit, vgl. dazu Fischer, aaO, vor § 52 Rn. 3 mwN) gegeben ist. Die Wertung allein der Übersendung des Bildes als sexueller Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB ist zudem nicht rechtsbedenkenfrei, weil für ein "Einwirken" im Sinne der Vorschrift - wie dargelegt - eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art erforderlich ist, die etwa beim bloßen Vorzeigen eines pornographischen Bildes in aller Regel nicht vorliegt (BGH aaO). Ob und gegebenenfalls wodurch die Übersendung des Bildes zu einer solchen Einflussnahme führte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Allerdings wirkte der Angeklagte durch die anschließende Versendung der Textnachrichten weiter auf das Kind ein; jedenfalls in Verbindung mit diesen sexualbezogenen Nachrichten stellte die Übersendung des Bildes ein im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB tatbestandsmäßiges Einwirken des Angeklagten auf sein Opfer dar (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1976 - 4 StR 174/76, NJW 1976, 1984). Zugleich erfüllte der Angeklagte sowohl durch die Übermittlung des digitalen Bildes als auch durch die anschließenden Textnachrichten die Voraussetzungen von § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB, weil er so durch Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB auf sein kindliches Opfer einwirkte, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die er an dem Mädchen vornehmen wollte. Die auf der Festplatte des Smartphones des Mädchens gespeicherten Daten, die durch das Gerät wahrnehmbar gemacht werden können, verkörpern gedankliche Inhalte und unterfallen deshalb dem Begriff des Datenspeichers, der durch § 11 Abs. 3 StGB den Schriften gleichgestellt wird (vgl. BT-Drucks. 13/7385, S. 36; s. zum Ganzen auch S/S-Eser/Hecker, StGB, 29. Aufl., § 11 Rn. 74 mwN). Die gleichzeitige Verletzung sowohl von § 176 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 StGB führt zur Annahme gleichartiger Tateinheit (LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176 Rn. 120 mwN; aA MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 176 Rn. 63).
b) Im Fall III. 9. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Allerdings wird die tateinheitliche Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen; diese entfällt. Abgesehen davon, dass die rechtliche Würdigung widersprüchlich erscheint, weil der Angeklagte dasselbe Bild auch im Fall III. 10. der Urteilsgründe versandte, die Strafkammer insoweit aber von einem jugendpornographischen Inhalt ausgegangen ist, lag auch in diesem Fall lediglich eine gezielte Übersendung des Bildes an eine einzelne Person vor; dies erfüllt - wie dargelegt - den Tatbestand des Verbreitens einer Schrift nicht.
3. Die teilweise Einstellung des Verfahrens und die Schuldspruchänderung in den Fällen III. 2. und 3. der Urteilsgründe führen zum Wegfall einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten und fünf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Monaten. Im Fall III. 9. der Urteilsgründe bedingt der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften die Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafe. Insoweit kann der Senat jedoch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO für diesen Fall die Einzelstrafe auf eine Freiheitsstrafe von vier Monaten festsetzen: Wie die vom Landgericht für vergleichbare Taten des Angeklagten verhängten Strafen zeigen, hätte es - wäre ihm der Rechtsfehler nicht unterlaufen - jedenfalls eine Einzelstrafe in dieser Höhe verhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007 - 1 StR 267/07, juris). Trotz des Wegfalls von Einzelstrafen und der Verringerung einer derselben kann die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren bestehen bleiben. Die verhängten Einzelfreiheitsstrafen betragen zwei Mal ein Jahr und neun Monate, ein Jahr und sechs Monate, drei Mal sechs Monate und drei Mal vier Monate. Angesichts des verbleibenden erheblichen Schuldumfangs sowie des vom Landgericht vorgenommenen straffen Zusammenzugs der Einzelfreiheitsstrafen kann der Senat ausschließen, dass es ausgehend von der Einsatzstrafe von einem Jahr und neun Monaten eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
4. Auch die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat Bestand. Sie erweist sich insbesondere mit Blick auf die Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB und die Gefahrenprognose, nach der der Angeklagte ohne den Vollzug der Maßregel in Zukunft auch solche schwerwiegenden Taten begehen wird, nicht als unverhältnismäßig im Sinne von § 62 StGB. 5. Die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen waren dem Angeklagten nicht aufzuerlegen, weil die Revision des Nebenklägers ebenfalls erfolglos war (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 473 Rn. 10a).