StGB §§ 20, 21 Anforderungen an die Feststellung zur verminderten Schuldfähigkeit

StGB §§ 20, 21 Anforderungen an die Feststellung zur verminderten Schuldfähigkeit
BGH, Beschluss v. 2. August 2016 – 2 StR 574/15

Bei der Anwendung der §§ 20, 21 StGB darf regelmäßig nicht offen bleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB gegeben ist. Vielmehr hat sich das Tatgericht darüber Klarheit zu verschaffen, ob die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. August 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 28. Juli 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die unter

II.
1. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf- mit Ausnahme der Feststellungen im Fall II. 5 der Urteilsgründe - aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, Raubes, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und exhibitionistischer Handlung, wegen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, versuchten Diebstahls und wegen exhibitionistischer Handlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Vom Vorwurf der fahrlässigen Brandstiftung hat die Strafkammer den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. März 2016 ohne Erfolg. 2. Die Schuldfähigkeitsprüfung ist nicht rechtsfehlerfrei.

a) Das sachverständig beratene Landgericht hat zum Zustand des Angeklagten festgestellt, dass er an einer paranoiden Schizophrenie, an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und an einer Alkoholabhängigkeit leide. Insbesondere aufgrund der Schizophrenie des Angeklagten sei dessen Schuldfähigkeit in den Fällen II. 2 bis 5 der Urteilsgründe „zweifelsfrei“ erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB gewesen, „in den übrigen Fällen“ (Fälle II. 1, 6 bis 8 der Urteilsgründe) könne eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe könne zudem der Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht ausgeschlossen werden.

b) Diese Wertungen sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB schon regelmäßig nicht offen bleiben, welche der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB gegeben ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Der Tatrichter ist gehalten, konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zu treffen (vgl. § 20 StGB). Deswegen darf auch nicht offen bleiben, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war (vgl. Senat, aaO, BGHSt 49, 347, 356 ff.). Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2002 - 2 StR 198/02, NStZ-RR 2002, 328; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6) während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273; Senat, Urteil vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4 mwN). Im Gegensatz dazu führt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des § 21 StGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich deshalb Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15; NStZ-RR 2015, 273, 274; Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6). Das hat das Landgericht versäumt. Es ist durchgängig von „zweifelsfrei“ feststehender oder nicht ausschließbar erheblich verminderter Schuldfähigkeit bzw. nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit ausgegangen, ohne sich festzulegen, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vermindert oder aufgehoben war Zudem hat das Landgericht offen gelassen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte paranoide Schizophrenie des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten erheblich vermindert war oder er das Unrecht tatsächlich eingesehen hatte, aber auch nicht, dass er keine Einsichtsfähigkeit hatte und ob ihm das vorzuwerfen ist. Auf dieser Grundlage kann der Senat nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB beim Angeklagten in sämtlichen Fällen vorlagen, wenn dies auch nicht naheliegt.

c) Dies führt zur Aufhebung des gesamten Urteils. Angesichts der gegen die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts bestehenden Bedenken sind auch die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt. Dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert deshalb nicht, auch den Freispruch im Fall II. 5 der Urteilsgründe aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Von der Aufhebung ausgenommen sind allerdings die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf in den Fällen II. 1 bis 4, 6 bis 8 der Urteilsgründe. Lediglich im Fall II. 5 der Urteilsgründe sind auch die getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufzuheben. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe nicht festzustellen vermocht, durch welches Verhalten der Angeklagte das Feuer verursacht hat. Damit lässt sich aber schon nicht beurteilen, ob und inwieweit das Verhalten des Angeklagten sorgfaltswidrig und damit fahrlässig war.