StGB § 20: Keine Einweisung in Psychiatrie wegen Versuchs, sich der Einweisung zu entziehen.

BGH, Beschl. vom 07.03.2007 – 2 StR 52/07 

Dass ein Beschuldigter versucht, sich der Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu entziehen, ist eine an sich nachvollziehbare Handlungsweise, die als solche fehlende Unrechtseinsicht nicht belegt.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. März 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 18. Oktober 2006 mit den Fest­stellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts­mittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Gründe: Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dage­gen richtet sich die Revision des Beschuldigten mit der Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. 

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils fuhr der Beschuldigte am 24. April 2005 mit einem Radlader im Fahrsilo des elterlichen landwirtschaftlichen Betriebs hin und her. Als sein Vater ihm in den Silo folgte, um zu sehen, was er tat, fuhr der Beschuldigte mit dem Radlader auf ihn zu, um ihn zum Verlassen des Silos zu bewegen. Der Vater verließ daraufhin aus Angst, von dem Fahrzeug erfasst zu werden, den Silo (Fall 1 der Urteilsgründe). Am 27. April 2005 bat der Vater des Beschuldigten dessen Schwager, einen Traktor aus dem Stall zu fahren. Der Be­schuldigte verbot seinem Schwager, in den Stall zu gehen, packte ihn dann plötzlich und schob seinen Kopf mit einer brennenden Zigarette im Mund mehrfach ruckartig in die Nähe des Gesichts seines Schwagers. Dem gelang es, sich aus dem Griff zu befreien (Fall 2 der Urteilsgründe). Während der Schwager die Polizei informierte, fuhr der Be­schuldigte mit einem Pkw auf einem frei zugänglichen Wirtschaftsweg umher, obwohl er wusste, dass der Wagen nicht zugelassen war und dass er keine Fahrerlaubnis hatte (Fall 3 der Urteilsgründe). Am 30. April 2005 befuhr der Beschuldigte mit einem Unimog mit etwa 20 –25 km/hGeschwindigkeit die Landstraße von H. Richtung S. . An der Hinterseite des Fahrzeugs hatte er mit Kuhmist ein Schild „6 km/h“ angeklebt. Dem Beschuldigten war klar, dass das Fahrzeug weder zugelassen noch versichert war und dass er nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte. Als ihn ein Polizeifahrzeug anhalten wollte, indem es sich als Barriere quer über die Straße stellte, fuhr der Beschuldigte scharf links durch die Böschung daran vorbei und verhinderte ein Überholen, indem er den Unimog auf die Fahrbahnmitte steuerte und nur bei Gegenverkehr kurzzeitig nach rechts fuhr. Nach etwa 15 Minuten konnte der Be­schuldigte durch einen zweiten Streifenwagen angehalten werden, der erneut eine Barriere auf der Straße errichtet hatte (Fall 4 der Urteilsgründe). Am 19. Januar 2006 sollte der Beschuldigte aufgrund eines Unterbringungsbeschlus­ses des Amtsgerichts von fünf Polizeibeamten vom elterlichen Hof in die psychiatrische Klinik gebracht werden. Der Beschuldigte flüchtete zunächst in die Stallungen. Als er sah, dass ihm zwei Polizeibeamte folgten, rannte er weiter, ergriff aus einer Traktorschaufel einen mit Eis gefüllten, etwa4,5 kgschweren Stahlhelm und warf ihn in Richtung des nächsten Polizeibeamten, der dem Anprall ausweichen konnte. Der Beschuldigte ergriff nun eine Schaufel, wur­de aber von zwei Polizeibeamten niedergerungen. Dabei wurde einer der Beamten leicht verletzt (Fall 5 der Urteils­gründe). Nach der Überzeugung des Landgerichts war bei allen Taten die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten auf­grund einer chronischen paranoidschizophrenen Psychose aufgehoben. Aufgrund seiner Erkrankung empfinde er Verhaltensweisen der Außenwelt als ungerechtfertigt und gegen ihn gerichtet und setze sich – auch mit Gewalt – hiergegen zur Wehr. 

2. Die Annahme des Landgerichts, dem Beschuldigten habe bei der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten die Einsicht gefehlt, Unrecht zu tun, wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Widerspruch dazu heißt es in den Urteilsgründen zu den Fällen 3 und 4, dass er gewusst habe, dass die benutzten Fahrzeuge nicht zugelassen seien und dass er keine Fahrerlaubnis habe. Für eine Unrechtseinsicht im Fall 4 spricht auch, dass der Beschuldigte ein Schild „6 km/h“ mit Kuhmist am Fahrzeug angebracht und sich dahin eingelassen hat, dass das Fahrzeug ohnehin nur6 km/hhabe fahren können. Damit wollte er offenbar geltend machen, er habe gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 FeV den Unimog ohne Fahrerlaubnis führen dürfen, welcher gemäß § 18 Abs. 1 StVZO keiner Zulassung bedurft habe. Die Urteilsgründe weisen insofern aus, dass der Beschuldigte grundsätzlich die Rechtslage kannte; dass er aufgrund seiner Erkrankung verkannt haben könnte, dass die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit des Unimog deutlich über6 km/hlag, oder er sich krankheitsbedingt zu den Fahrten für berechtigt gehalten haben könnte, ist den Feststellun­gen nicht zu entnehmen. Der Beschuldigte hat in den Fällen 1 und 2 sein Verhalten damit begründet, dass er seinen Vater aus dem Gefahrenbereich des Silos habe heraushalten wollen bzw. dass sein Schwager ihn beim Streit, ob der Traktor aus dem Stall herausgefahren werden dürfe, zuerst am Arm gepackt und festgehalten habe. Das Landgericht hat diese Einlassung als widerlegt angesehen. Es hat nicht festgestellt, dass der Beschuldigte den tatsächlichen Geschehensablauf aufgrund seiner Erkrankung verkannt hat und sich deshalb zu Unrecht angegriffen gefühlt hat. Der Zusammenhang der Urteilsgründe legt vielmehr nahe, dass der Beschuldigte durch Schutzbehauptungen sein Verhal­ten rechtfertigen wollte. Auch dies spricht dafür, dass er die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens erkannt hatte. Dass der Beschuldigte schließlich im Fall 5 versucht hat, sich der Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu entziehen, ist eine an sich nachvollziehbare Handlungsweise, die als solche fehlende Unrechtseinsicht nicht belegt. 

3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, auch die Frage der Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allge­meinheit und der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut zu prüfen und dabei auch das Verhalten des Beschuldigten nach seiner Entlassung aus der einstweiligen Unterbringung einzu­beziehen.

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