StGB § 21 Wahn irrelevant bei Verfehlen des Wahnthemas durch die Tat

 BGH, Urt. v. 25.02.2015 - 2 StR 495/13 - NStZ-RR 2015, 168

Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit auswirken, wenn Tatmotiv und Tathandlung nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema standen, ist alleine aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Februar 2015 für Recht erkannt: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2013 wird verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet. Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen die Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels bleibt einer abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten dazu verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass der Angeklagte dazu verpflichtet ist, ihr allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Ein Beil hat es eingezogen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Erfolg; die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch ist zurückzustellen.

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Ehe des Angeklagten mit der Nebenklägerin vielfach zu Gewalthandlungen und zu Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Die Nebenklägerin vermochte sich aber nicht von dem Angeklagten zu trennen. Dieser litt unter einer wahnhaften Störung in Form eines isolierten Eifersuchtswahns.

Deshalb befand er sich in ambulanter, zeitweise auch in stationärer psychiatrischer Behandlung. Im September 2010 vollzog der Angeklagte gegen den Willen der Nebenklägerin mit ihr den Geschlechtsverkehr, wobei er sie gegen ihren Widerstand auszog und mit seinem Körpergewicht auf das Bett drückte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Im Oktober 2011 wollte er seine Tochter I. dazu veranlassen auf die Nebenklägerin einzuwirken, damit sie sich mit ihm versöhne. Nachdem die Tochter dies abgelehnt hatte, hielt er ihr ein Brotmesser an den Hals und verlangte erneut deren Beitrag zur Herbeiführung einer Versöhnung. Dabei wurde die Tochter leicht am Hals verletzt. Der Angeklagte ließ von ihr ab, weil er glaubte, er habe sie genügend eingeschüchtert, um sein Ziel zu erreichen (Fall II.2. der Urteilsgründe).

Am 28. Dezember 2011 wurde der Angeklagte morgens von der Nebenklägerin aus ihrem Zimmer verwiesen. Er fühlte sich als bisheriges Oberhaupt aus der Familie ausgeschlossen und beschloss, die Nebenklägerin dafür zu bestrafen und sie zu töten. Er verließ die Wohnung, holte aus dem Keller ein Beil, versteckte sich hinter einem Mauervorsprung vor dem Haus und wartete, bis die Nebenklägerin das Haus verließ. Dann folgte er ihr und holte zu einem Schlag mit dem Beil auf ihren Kopf aus. Die Nebenklägerin nahm ihn im letzten Augenblick wahr und drehte sich um, so dass der Schlag sie seitlich am Kopf traf. In rascher Folge schlug der Angeklagte dann weiter auf sie ein, so dass sie zu Boden ging. Der Angeklagte ließ erst von ihr ab, als er glaubte, sie sei tot. Tatsächlich hatte sie keine konkret lebensgefährlichen Verletzungen erlitten, wohl aber eine Skalpierungsverletzung am Kopf, eine Durchtrennung der rechten Achillessehne, den Verlust des linken Zeigefingers und weitere Hieb- und Schnittverletzungen am ganzen Körper (Fall II.3. der Urteilsgründe). Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, der Angeklagte sei bei der Begehung der Taten jeweils in seiner Fähigkeit, das Unrecht einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht erheblich beeinträchtigt gewesen.

II. Die Revision des Angeklagten gegen den Schuld- und Strafausspruch ist unbegründet.

1. Der Schuldspruch begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das gilt auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Tochter im Fall II.2. der Urteilsgründe bedingt vorsätzlich mit dem Messer verletzt (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Zwar hat er ihr nur eine leichte Hautverletzung beigebracht, jedoch übersteigt diese Verletzung nach den Gesamtumständen die Bagatellgrenze zur Erfüllung des Körperverletzungstatbestands. Da er der Tochter "ohne Vorwarnung" ein Messer mit gezackter Klinge an den Hals hielt, ist auch die dem

Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmende Feststellung bedingten Verletzungsvorsatzes nicht rechtsfehlerhaft.

2. Der Strafausspruch ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für die Annahme des Landgerichts, § 21 StGB greife unbeschadet des isolierten Eifersuchtswahns (vgl. Winckler/Foerster NStZ 1997, 297, 298) als schwerer seelischer Abartigkeit nicht ein. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit auswirken (vgl. Kröber in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 330; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181). Dies war aber nach den Urteilsfeststellungen zur jeweiligen Tatzeit nicht der Fall. Wenn Tatmotiv und Tathandlung nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema standen, ist alleine aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten (vgl. Müller-Isberner/Venzlaff in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 180 f.). Weder die Vergewaltigung der Nebenklägerin noch die gefährliche Körperverletzung und versuchte Nötigung der Tochter wurden unmittelbar aus einem Eifersuchtsmotiv heraus begangen. Von den beschriebenen Wahnvorstellungen über angebliche eheliche Verfehlungen der Nebenklägerin abgesehen, kam es bei dem Angeklagten nicht zu einem Realitätsverlust. Hinweise auf psychotische Situationsverkennungen sind in den Urteilsfeststellungen zum Tatgeschehen nicht vorhanden. Das gilt insbesondere auch für den Fall des Versuchs der heimtückischen Tötung der Nebenklägerin. Bei der Begehung dieser Tat fühlte sich der Angeklagte aus der Familie ausgestoßen und respektlos behandelt. Er ging planmäßig vor, indem er das Beil aus dem Keller holte, sich hinter einem Mauervorsprung versteckte und die Nebenklägerin von hinten angriff, nachdem sie vorbeigegangen war.

3. Die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch ist zurückzustellen. Der Senat hat mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14 - bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs und bei dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt, ob an Rechtsprechung festgehalten wird, die bei der Bemessung  des Schmerzensgeldes eine Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse von Schädiger und Geschädigtem fordert. Der Senat möchte diese Rechtsprechung aufgeben. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Frage auch im vorliegenden Fall Bedeutung besitzt. Daher kann der Senat mit Blick auf das Anfrageverfahren derzeit nicht über den Adhäsionsausspruch entscheiden. Weil insoweit eine Entscheidung nicht in absehbarer Zeit erfolgen kann, ist über den bereits entscheidungsreifen strafrechtlichen Teil des Revisionsverfahrens vorab zu befinden. Eine solche Teilerledigung des Rechtsmittels ist, wie der Senat im genannten Anfragebeschluss erläutert hat, ausnahmsweise zulässig.

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