StGB § 211 Mordmerkmal der Grausamkeit bei Verbrennen des Opfers
StGB § 211 Mordmerkmal der Grausamkeit bei Verbrennen des Opfers
BGH, Beschluss v. 8. November 2016 - 5 StR 390/16
Bei der regelmäßig mit der Auslösung von „Vernichtungsschmerzen“ verbundenen Tötung durch Verbrennen kann ein Zeitraum von wenigen Sekunden genügen, um das Mordmerkmal der Grausamkeit zu erfüllen.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. November 2016 beschlossen: Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2016 werden nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass die Feststellung besonderer Schwere der Schuld im Urteilstenor jeweils entfällt. Es wird davon abgesehen, den Angeklagten durch ihre Rechtsmittel entstandene Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Sie haben jedoch die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Schwangerschaftsabbruch jeweils zu einer Jugendstrafe von 14 Jahren verurteilt und die besondere Schwere der Schuld im Sinne des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG festgestellt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen der Angeklagten. Der Angeklagte T. macht eine Verletzung sachlichen Rechts insbesondere hinsichtlich der Annahme des Mordmerkmals der Grausamkeit geltend und beanstandet das Verfahren. Der Angeklagte M. erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revisionen führen lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Korrektur des Urteilstenors. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen in den Antrags-schriften des Generalbundesanwalts vom 10. Oktober 2016 nur Folgendes:
1. Die Annahme des Mordmerkmals der Grausamkeit hat die Jugend-kammer rechtsfehlerfrei begründet. a) Nach den Feststellungen lockten die Angeklagten die vom Angeklagten T. im achten Monat schwangere 19- jährige P. nachts in einem einsamen Waldstück in einen Hinterhalt, um sie zu töten. Motiv des Angeklagten T. war es dabei, sich seinen Verpflichtungen als Vater nach der Geburt des Kindes zu entziehen. Der Angeklagte M. wirkte an der Tat mit, weil er wissen wollte, wie es sei, einen Menschen zu töten. Er versetzte der wehrlosen Frau drei bis vier Messerstiche in den Oberkörper. Danach hielt er sie fest, während der Angeklagte T. aus einem Benzinkanister etwa einen Liter Benzin über ihren Kopf und Oberkörper schüttete. Der Angeklagte T . entzündete das Benzin, worauf die junge Frau sofort in Brand geriet. Trotz überaus heftiger Schmerzen konnte sie noch einige Meter laufen und versuchte vergeblich, die brennende Jacke auszuziehen. Sie verstarb frühestens eine Minute nach Brandbeginn. b) Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des Gutachtens einer rechtsmedizinischen Sachverständigen davon überzeugt, dass eine – womöglich – vor dem Versterben des Opfers eingetretene Bewusstlosigkeit „Folge des nun eintretenden unerträglichen Schmerzes“ gewesen sei, der „vom körpereigenen Schutzmechanismus – dem ausgeschütteten Adrenalin – nicht mehr länger unterdrückt werden konnte“ (UA S. 70). Sie hat ferner ihre in einschlägigen Verfahren gewonnene eigene Sachkunde herangezogen, nach der gemäß der Auffassung aller ihr bekannter Rechtsmediziner bei Bewusstsein gebliebene Brandopfer „vor der sie erlösenden Ohnmacht bzw. Bewusstlosigkeit eine StGB § 212 Bedingt vorsätzlicher Totschlags eines Säuglings nach der Geburt BGH, Urteil v. 11. Oktober 2016 – 1 StR 248/16 Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des BGH voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen.
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 11. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam die Angeklagte am 17. Juni 2015 aus Polen nach Deutschland, um in P. als Saisonarbeiterin für zwei Monate Gurken zu sortieren. Schon bald nach ihrer Ankunft wurde die Angeklagte von einer Mitarbeiterin aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes darauf angesprochen, ob sie schwanger sei, was die Angeklagte aber verneinte. Tatsächlich war sie jedoch im neunten oder zehnten Monat schwanger. Kindsbewegungen hatte sie bis dahin nicht verspürt; solche bemerkte sie zum ersten Mal Ende Juni 2015, wobei sie selbst dann mit einer Schwangerschaft im vierten oder fünften Monat rechnete. Am frühen Morgen des 2.Juli 2015 begab sich die Angeklagte zwischen 2.00 und 3.00 Uhr nachts wegen Rückenschmerzen und Harndrang auf die Toilette, wobei sie die Herrentoilette benutzte, weil bei der Damentoilette der äußere Türgriff abgefallen war. Nachdem sie die Blase entleert hatte, rechnete sie auch mit Stuhlgang. Sie presste und brachte daraufhin einen voll entwickelten, reifen und lebensfähigen männlichen Säugling mit einem Körpergewicht von 3200 g und einer Körperlänge von 50 cm „zur Welt“, welcher zunächst atmete und auch ein Quietschen von sich gab. Der Neugeborene fiel in die Toilettenschüssel, einen Tiefspüler, sodass ein Plumpsen hörbar war. Die Angeklagte presste dann ein weiteres Mal, woraufhin auch die Plazenta in die Toilettenschüssel fiel. In der Folge unternahm die Angeklagte für einen Zeitraum von mindestens drei Minuten nichts, obgleich ihr als bereits zweifache Mutter beim Austritt des Kindes klar geworden war, dass sie ein Kind zur Welt gebracht hatte. Frühestens nach drei Minuten schaute die Angeklagte in die Toilettenschüssel und sah den darin befindlichen Säugling, auf dem die Plazenta lag. Erst dann zog die Angeklagte den Säugling an den Füßen aus der Toilettenschüssel und nahm ihn auf den Arm, wobei sie feststellte, dass der Neugeborene leblos war, nicht atmete und sich auch der Brustkorb nicht hob oder senkte. Die Augen des Neugeborenen waren geschlossen. Daraufhin legte die Angeklagte das leblose Kind und die Plazenta auf dem Toilettendeckel ab und verließ den Toilettenraum. Aus der Unterkunft holte sie eine Schere, ging unter Mitnahme eines orangefarbenen Eimers aus dem Vorraum in die Toilette zurück, ohne aber die Beleuchtung einzuschalten. Dort trennte sie die Nabelschnur zwischen dem toten Säugling und der Plazenta mittels der Schere. Noch während die Angeklagte sich in der Toilette aufhielt, kam gegen 3.15 Uhr die Zeugin G. in die Toilettenanlage, schaltete das Licht ein, bemerkte dass die Herrentoilette besetzt war, und fragte die darin befindliche Person, ob alles in Ordnung sei. Die Angeklagte erwiderte, dass sie ihre Tage habe und sich nicht wohl fühle. Die Zeugin machte sich daraufhin Sorgen und verwickelte die Angeklagte in ein Gespräch, welche aber darauf hinwies, dass sie für sich selbst sorgen könne. Weil sie sich dennoch große Sorgen machte, ging die Zeugin nicht weg und verblieb deshalb insgesamt nahezu zwei Stunden im Toilettenvorraum, obgleich die Angeklagte sie mehrfach zum Gehen aufforderte. Gegen 5.00 Uhr morgens kam die Angeklagte aus der Toilette heraus und schickte die Zeugin nunmehr endgültig weg. Allerdings konnte die Zeugin nicht einschlafen, weshalb sie nach 15 Minuten zurückkam. Als sie die Toilette betrat, fand sie dort nichts mehr vor und der Boden war sauber. Zwischenzeitlich hatte sich die Angeklagte nach draußen begeben, die Plazenta in einen in der Nähe befindlichen Abfallcontainer geworfen und den toten nackten Säugling mit bloßen Händen am Rande des Betriebsgrundstückes auf einem Rübenfeld verscharrt. Im Laufe des Tages fiel einer Mitarbeiterin auf, dass die Angeklagte etwa alle zwei Stunden zur Toilette ging und auch deren Bauch kleiner geworden war. Die danach befragte Angeklagte äußerte schließlich, eine Fehlgeburt im ca. vierten Schwangerschaftsmonat erlitten zu haben, worauf der hierüber informierte Arbeitgeber einen Notarzt rief, der einen Transport der Angeklagten in das Klinikum Deggendorf veranlasste. Dort wurde aufgrund einer Geburtsverletzung, eines Dammrisses, festgestellt, dass die Angeklagte entgegen ihrer Informationen von einem größeren reifen Kind entbunden hatte. Das Landgericht hat zudem festgestellt, dass der Neugeborene in der Zeit von mindestens drei, wahrscheinlich aber sieben bis neun Minuten, erstickt bzw. durch Sauerstoffmangel schwer geschädigt wurde. Entweder sei durch das Liegen in der engen Toilettenschüssel der Thorax des Neugeborenen durch das eigene Körpergewicht so komprimiert worden, dass ein gleichzeitiges Verlegen der Atemwege die Atmung des Kindes behinderte, oder das Kind habe sich in der Toilettenschüssel mit den Atemöffnungen unter Wasser befunden. Durch sofortiges Herausnehmen des Kindes aus der Toilettenschüssel wäre es mit Sicherheit gerettet worden. Für die Angeklagte wäre durch ein sofortiges Nachsehen in der Toilettenschüssel erkennbar gewesen, dass der Neugeborene ohne sofortige Hilfe an der Gesundheit geschädigt werde oder gar versterben könne. Trotz ihres Zustandes und ihrer Empfindungen unmittelbar nach der Geburt hätte die Angeklagte dies auch erkennen können. Insoweit hat das Landgericht weiter festgestellt, dass die Angeklagte sich nach der unerwartet erfolgten Geburt in einem Zustand einer innerlichen Starre und Betäubung befunden habe. Sie habe Angst vor der Reaktion ihres Umfelds empfunden und sich verzweifelt und hilflos gefühlt. Sie sei depressiv und in ihrem Zeitgefühl beeinträchtigt gewesen.
2. Das Landgericht konnte sich vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes nicht überzeugen. Es sei bereits zweifelhaft, ob bei der Angeklagten das kognitive Element, also das Bewusstsein, dass das Liegenlassen in der engen Toilettenschüssel über mehrere Minuten zu einer Beeinträchtigung des Gesundheitszustands des Säuglings bis hin zu dessen Tod führen kann, gegeben war. Ob ihr die Todesgefahr für den Säugling tatsächlich bewusst geworden sei, habe die Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung der Kammer ergeben. Dass die Angeklagte den Tod des Säuglings billigend in Kauf genommen hätte, könne nach den Feststellungen der Kammer zwar nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, eine fahrlässige Tatbegehung stelle „jedoch eine nicht bloß gleichwertige, sondern sogar wesentlich wahrscheinlichere Sachverhaltsalternative dar“ (UA S. 29 f.).
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst, wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2011 – 2 StR 467/10). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – 1 StR 231/08). Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204) voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement), weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher, aber kein ausschließlicher Indikator. Auch kann das Wissens- oder Willenselement des Vorsatzes im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko einer Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung oder alkoholischen Beeinflussung zur Tatzeit nicht bewusst ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27.Oktober 2011 – 3 StR 351/11, NStZ 2012, 151). Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz vorliegt, erfordert bei Tötungsdelikten insbesondere dann, wenn das Tatgericht allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. insbesondere zur Würdigung des voluntativen Vorsatzelements BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 188 Rn. 29; vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216und vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80, jeweils mwN), wobei schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes rechtfertigt (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204; MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 212 StGB Rn. 67 mwN).
2. Die Beweiswürdigung ist bereits hinsichtlich des vom Landgericht bezweifelten Vorliegens des Wissenselementes nicht nachvollziehbar. Die Kammer geht nämlich davon aus, dass die Angeklagte spätestens ab dem Zeitpunkt, in dem sie den Kopf des Kindes während des Geburtsvorgangs zwischen den Beinen spüren konnte, wusste, dass sie ein Kind geboren hatte (UA S. 7). Damit hätte in den Blick genommen werden müssen, dass sich der Angeklagten aufdrängen musste, dass das Kind in die Toilettenschüssel gefallen war, zumal sie ein Plumpsen gehört hatte. Insoweit stellt es einen Rechtsfehler dar, wenn das Schwurgericht davon ausgeht, dass (erst) durch ein sofortiges Nachsehen in der Toilettenschüssel für die Angeklagte erkennbar gewesen wäre, dass das Neugeborene in der Toilettenschüssel zum Liegen gekommen war und ohne sofortige Hilfe an der Gesundheit geschädigt werden oder gar versterben könnte (UA S. 7). Dass die Angeklagte dabei davon ausging, für den mit dem Kopf nach unten in die Toilettenschüssel gefallenen Neugeborenen sei die entstandene Situation ungefährlich, hat das Landgericht nicht festgestellt. 3. Auch die Ausführungen der Schwurgerichtskammer zur Willenskomponente sind nicht frei von Widerspruch und damit rechtsfehlerhaft. Das Landgericht vermochte zwar einen bedingten Tötungsvorsatz nicht auszuschließen (UA S. 29 f.), war aber offenbar auch von einer fahrlässigen Tatbegehung nicht überzeugt, wenn es eine solche als „nicht bloß gleichwertige, sondern sogar wesentlich wahrscheinlichere Sachverhaltsalternative“ angenommen hat (UA S. 30). Dabei verkennt die Schwurgerichtskammer, dass das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit weder eine Frage der Gleichwertigkeit noch der Wahrscheinlichkeit ist. Ein und dieselbe Rechtsgutsverletzung kann nicht zugleich vorsätzlich und fahrlässig geschehen (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 15 Rn.2). Vielmehr wäre der Tatrichter gehalten gewesen, darzulegen, weshalb der mit dem Kopf voraus in den Tiefspüler gestürzte Neugeborene sich nach Auffassung der Angeklagten nicht in Todesgefahr befand und sie mit einem Überleben rechnen konnte, wenn sie ihn in dieser Lage für mindestens drei Minuten beließ. Außerdem hätte das Landgericht, nachdem es keinen bedingten Tötungsvorsatz festzustellen vermochte, zumindest prüfen müssen, ob sich die Angeklagte nicht auch wegen einer Aussetzung (§ 221 Abs. 1, 3 StGB) strafbar gemacht hat. Im Übrigen ist auf Grund der bezeichneten Ausführungen der Schwurgerichtskammer zu besorgen, dass diese überspannte Anforderungen an die für die Feststellung eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten ausschließende Gewissheit im Sinne einer nach den Formulierungen des Landgerichts nicht mehr gegebenen Gleichwertigkeit oder einer stärkeren Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Der Tatrichter ist also nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, wenn diese tragfähig sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. März 2004 – 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238).