StGB § 211 Verdeckungsabsicht-Anforderung an andere Tat
StGB § 211 Verdeckungsabsicht-Anforderung an andere Tat
BGH, Beschl. v. 14. März 2017 – 2 StR 370/16
1. Will der Täter im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg zusätzlich herbeiführen, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken, ist für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat. In diesem Fall macht allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat.
2. Anders liegt es hingegen bei einer äußerlich wahrnehmbaren Zäsur zwischen einer Tötungshandlung und einer weiteren mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen Tötungshandlung. In den Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur schon in diesem Vorsatzwechsel selbst. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 14. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 2. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub und gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von elf Jahren (U. und C. , diesen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer anderen Entscheidung) bzw. zehn Jahren (D. und P. ) verurteilt. Außerdem hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die Revisionen der vier Angeklagten sind aufgrund der jeweils erhobenen Sachrüge erfolgreich. Zwar umfasst der Revisionsantrag des Angeklagten D. nur den Strafausspruch, jedoch ergibt sich aus der Revisionsbegründung, dass auch der Schuldspruch angefochten werden soll. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhren die Angeklagten am Nachmittag des 13. Juni 2014 zu dem Wohnanwesen F. Straße in G. , wo die Nebenklägerin der Prostitution nachging. Spätestens auf der Fahrt nach G. vereinbarten die Angeklagten, die Nebenklägerin auszurauben und sie hierzu durch körperliche Gewalt außer Gefecht zu setzen, um in Ruhe die Wohnung durchsuchen zu können. Nachdem sich die Angeklagten längere Zeit vor dem Anwesen aufgehalten und sich einen Überblick über die Örtlichkeit verschafft hatten, klingelte der Angeklagte U. gegen 22.00 Uhr absprachegemäß bei der Nebenklägerin, die ihn in der Annahme, es handele sich um einen Freier, einließ. Als solcher gab sich der Angeklagte U. aus und bezahlte 50 Euro für sexuelle Dienstleistungen. Er suchte zunächst das Badezimmer der Wohnung auf, um dort zu duschen und das von der Straßenseite abgelegene Fenster im Badezimmer zu öffnen. Sodann begab er sich nackt in das Freierzimmer der Wohnung, legte sich auf das Bett, während die Nebenklägerin sich mit dem Rücken zur Tür vor ihm auf das Bett setzte. Währenddessen stiegen die Angeklagten D. , P. und C. über das geöffnete Badezimmerfenster unbemerkt in die Wohnung ein und begaben sich in das Freierzimmer. Einer der drei – um welchen Angeklagten es sich handelte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen – schlug der Nebenklägerin sodann völlig überraschend mit der Faust von hinten in ihr Gesicht. Sie verlor dadurch kurzzeitig das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich gekommen war, schlugen die Angeklagten erneut massiv auf sie ein, wobei das Landgericht nicht festzustellen vermochte, welcher Angeklagte welche Gewalthandlung ausführte. So wurde die Nebenklägerin durch neun massive Gewalteinwirkungen in Form von kräftigen Faustschlägen, möglicherweise auch Fußtritten, verletzt und – vermutlich mit einem Stoffteil – gewürgt. Sie erlitt Verletzungen im Gesicht, an Hals, Rumpf und Handgelenken, insbesondere trug sie komplexe Mittelgesichtsfrakturen, mehrfache Brüche der Begrenzungen von Augenhöhlen und Kieferhöhle, einen Bruch des Oberkiefers mit gelockerten Zähnen, mehrfache Brüche des Jochbeins, eine Nasenbeinfraktur und einen Mehrfachbruch des Unterkiefers davon. Die Verletzungen führten zu starken Blutungen im Mundbereich. Die Nebenklägerin verlor infolge der Gewalteinwirkungen wiederholt das Bewusstsein. In diesem Zustand fesselten die Angeklagten U. und C. – möglicherweise unter Mitwirkung der weiteren Angeklagten, jedenfalls aber mit ihrer Billigung – die Nebenklägerin, wobei ihr ein Satinstoffteil mindestens einmal um den Hals gewickelt und darüber ein nasses Handtuch angebracht wurde. Mit einem Samtstoffdekoschal fesselten sie darüber hinaus ihre Hände auf dem Rücken und verknoteten mit einem weiteren Band die Fesseln an den Händen mit dem Stoffteil, welches um den Hals gelegt war. Es bestand konkrete Lebensgefahr, nicht nur aufgrund der durch die Verletzungen bedingten starken Blutungen und Schwellungen im Mund- und Nasenbereich, sondern auch, weil sich die Nebenklägerin bei unwillkürlichen Bewegungen – insbesondere infolge ihres Erschöpfungszustandes und bei Bewusstlosigkeit – durch die Übertragung von Zugkräften der Fesselung an den Händen auf die um den Hals gelegten Stoffteile selbst zu Tode hätte strangulieren können. Die Angeklagten legten die so gefesselte Geschädigte auf dem Bett im Freierzimmer ab und nahmen billigend in Kauf, dass sie durch eintretende Atembehinderungen versterben könnte. Sie handelten in Verdeckungsabsicht. Nachfolgend durchsuchten die Angeklagten die Wohnung der Nebenklägerin nach Wertgegenständen und nahmen unter anderem 700 Euro Bargeld, zwei Handys, drei goldene Fingerringe und Schmuck im Wert von ca. 300 Euro an sich. Im Anschluss trafen die Angeklagten Vorkehrungen, um eine alsbaldige Entdeckung des Raubes zu verhindern und es der Nebenklägerin unmöglich zu machen, Hilfe herbeizuführen. So schnitten sie unter anderem an einzelnen Fenstern die Zugbänder der Außenrollos durch und verschlossen die Wohnungseingangstüre.
2. Das Landgericht geht in seiner rechtlichen Würdigung davon aus, die Angeklagten hätten das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht, denn diese hätten gehandelt, um den zuvor verübten Raub einschließlich der schweren Misshandlung der Nebenklägerin zu verdecken. Diese rechtliche Würdigung wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Als zu verdeckende Vortat kommt entgegen der Ansicht des Landgerichts der von den Angeklagten begangene Raub nicht in Betracht. Denn die Angeklagten durchsuchten die Wohnung der Geschädigten nach Wertgegenständen erst, nachdem sie diese durch die ihr beigebrachten Verletzungen und die Fesselungen in eine konkrete Lebensgefahr gebracht und dabei ihren Tod billigend in Kauf genommen hatten. Soweit das Landgericht die Begründung der Verdeckungsabsicht auch auf die Verdeckung der zunächst der Geschädigten beigebrachten schweren Misshandlungen stützt, tragen die Urteilsfeststellungen auch insoweit den Schuldspruch nicht. Zwar steht der Annahme eines Verdeckungsmordes grundsätzlich nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen Leib und Leben des Opfers richtet (BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116; vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 185/02, NStZ 2003, 259 Rn. 15 mwN). Um eine andere – zu verdeckende – Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Will der Täter im Zuge der Tatausführung den Tötungserfolg zusätzlich herbeiführen, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken, ist daher für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat. In diesem Fall macht allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 185/02, NStZ 2003, 259 Rn. 15 mwN). Anders ist die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn zwischen einer vorsätzlichen Tötungshandlung und einer mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen weiteren Tötungshandlung eine deutliche Zäsur liegt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 185/02, NStZ 2003, 259 Rn. 16). In den Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur schon in diesem Vorsatzwechsel selbst (Senat, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 464/14, NJW 2016, 179 Rn. 16). Kommt danach die Annahme von Verdeckungsabsicht grundsätzlich nur in Betracht, wenn entweder zwischen einer vorsätzlichen Tötungshandlung und einer mit Verdeckungsabsicht begangenen weiteren Tötungshandlung eine äußerlich wahrnehmbare Zäsur liegt oder ein mit Körperverletzungsvorsatz begonnenes Tun in ein vorsätzliches Tötungsgeschehen umschlägt, hat es das Landgericht versäumt, diese Voraussetzungen im Urteil darzutun. Selbst wenn vorliegend aus der Feststellung des Landgerichts, die Angeklagten hätten spätestens auf der Fahrt nach G. vereinbart, die Nebenklägerin mit körperlicher Gewalt außer Gefecht zu setzen, um so in Ruhe die Wohnung durchsuchen zu können, geschlossen werden könnte, die Angeklagten hätten ursprünglich nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt, so geht aus den Feststellungen des Landgerichts nicht hinreichend hervor, wann und warum es zu einem entsprechenden Vorsatzwechsel der Angeklagten kam. Im Übrigen ergeben sich aus den Feststellungen keine Hinweise auf eine deutliche äußere Zäsur, die bei möglicherweise bestehendem Tötungsvorsatz bei Einwirkung auf die Nebenklägerin für die Annahme einer „anderen Tat“ sprechen könnte, die die Angeklagten verdecken wollten. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen ist die Annahme des Mordmerkmals „Ermöglichungsabsicht“ in Betracht zu ziehen. Allerdings ist den Feststellungen nicht hinreichend sicher zu entnehmen, dass sich die Angeklagten für die (bedingt) vorsätzliche Tötungshandlung entschieden haben, um auf diese Weise die spätere Straftat des Raubes schneller oder leichter begehen zu können (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 211 Rn. 64). Entsprechende Feststellungen zur Motivation der Angeklagten hat die Strafkammer, die insoweit von einer „Verdeckungsabsicht“ und gerade nicht von einer „Ermöglichungsabsicht“ ausgegangen ist, nicht getroffen. Im Übrigen stünde der Annahme einer Verurteilung wegen „Ermöglichungsabsicht“ § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Die Angeklagten hatten bisher keine Gelegenheit, sich gegen eine Annahme des Mordmerkmales „Ermöglichungsabsicht“ angemessen zu verteidigen. Aus diesem Grund ist die angegriffene Entscheidung aufzuheben, auch soweit die an sich rechtsfehlerfrei angenommenen tateinheitlich verwirklichten Tatbestände des (besonders) schweren Raubes und der gefährlichen Körperverletzung betroffen sind. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das Landgericht im Falle einer erneuten Verurteilung der Angeklagten seine Überzeugung von der Täterschaft derselben erneut auf tatrelevante DNA-Spuren stützen, wird es bei der Darstellung der Ergebnisse der DNAAuswertung die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung beachten müssen (vgl. dazu Senat, Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490 mwN). Die bisherige Darstellung genügt diesen Anforderungen nicht.