StGB § 216 Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens
StGB § 216 Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens
Zur Voraussetzung der Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens i.S.d. § 216 Abs. 1 StGB.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 30. September 2010 in der Sitzung am 7. Oktober 2010 für Recht erkannt: Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 13. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.
Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin, die einen Schuldspruch wegen Mordes erstrebt. Nach ihrer Auffassung ist das Landgericht zu Unrecht zu der Annahme gelangt, dass der Angeklagte durch ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Tatopfers zu dessen Tötung bestimmt wurde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen war der zur Tatzeit 74 Jahre alte Angeklagte mit dem späteren Tatopfer, der 53 Jahre alt gewordenen B. , seit 1986 in vierter Ehe verheiratet. Frau B. litt seit mehreren Jahren an einem Myom, das auf eine Masse von 1.885 Gramm herangewachsen war, fast die gesamte Bauchhöhle ausfüllte und infolge seiner Verhärtung von außen unter der Bauchdecke ertastbar war. Es verursachte zumindest unbestimmte Unterleibsschmerzen sowie Verdauungsstörungen und Harndrang. Frau B. hatte die Tumorerkrankung erkannt, verheimlichte sie aber vor ihrem persönlichen Umfeld; auch dem Angeklagten offenbarte sie erst wenige Tage vor der Tat, dass sie an Unterleibsschmerzen leide, ohne auf Nachfragen weiter einzugehen. Ob sie sich in ärztliche Behandlung begeben hatte, konnte das Landgericht nicht feststellen. Da sie Handwerker erwarteten, standen die Eheleute am 3. Juni 2009 früh auf. Zwischen ihnen entwickelte sich ein Gespräch, in dem Frau B. dem Angeklagten eröffnete, sie leide an einem bösartigen Unterleibsgeschwür, habe starke Schmerzen, die sie nicht mehr ertragen könne, und fühle sich körperlich am Ende. Sie hatte "zu diesem Zeitpunkt" ihren Lebensmut verloren und wollte sterben. Deshalb äußerte sie "ernsthaft und eindeutig" den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Sie bat den Angeklagten sie zu erschießen. Zwischen den Eheleuten "entspann sich daraufhin eine längere Diskussion", in deren Verlauf der Angeklagte sich schließlich bereiterklärte, Frau B. "ihrem dringend vorgetragenen Wunsch entsprechend" zu töten; er wolle dann aber "mit ihr gehen". Er versprach, auch den gemeinsamen Hund und anschließend sich selbst zu töten. Frau B. legte ordentliche Kleidung und Schmuck an, schminkte sich und legte sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Der Angeklagte trat von hinten an sie heran und schoss ihr mit einem im Scheitelbereich aufgesetzten Revolver in den Kopf. Frau B. verstarb nach wenigen Minuten. Anschließend tötete der Angeklagte den Hund; wenig später schoss er sich mit einer aufgesetzten Pistole in die linke Brustseite. Er überlebte mit schweren Verletzungen.
2. Das angefochtene Urteil hält in zweifacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zum einen ist die Beweiswürdigung wegen lückenhafter Darlegungen zur Überzeugungsbildung des Landgerichts für den Senat nicht insgesamt nachvollziehbar, zum anderen ermöglichen die getroffenen Feststellungen dem Senat nicht die Prüfung, ob das Tötungsverlangen des Tatopfers ernstlich im Sinne des § 216 Abs. 1 StGB war.
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Tötungsverlangen des Opfers beruhen auf den entsprechenden Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die er durch seinen Verteidiger verlesen ließ, als seine Einlassung bestätigte und mündlich ergänzte. Die Strafkammer hat nach einer "Gesamtbewertung sämtlicher vorhandener Indizien" nicht auszuschließen vermocht, dass sich das Tatgeschehen so abspielte, wie vom Angeklagten geschildert, und hat ihn daher in Anwendung des Zweifelssatzes nach § 216 StGB schuldig gesprochen. Ob das Landgericht bei der dem zugrunde liegenden Überzeugungsbildung den Beweisstoff in dem gebotenen Umfang ausgeschöpft hat, bleibt indes in einem entscheidenden Punkt offen. Dies führt zur Aufhebung des Urteils (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 337 Rn. 26 f.). Im Einzelnen: Das Landgericht hat zum Vorgeschehen der Tat, insbesondere zur Kenntnis der Ehefrau des Angeklagten von der genauen Art ihrer Erkrankung und deren Verheimlichung vor ihrem persönlichen Umfeld keine Feststellungen zu treffen vermocht, die es als unvereinbar mit der Einlassung des Angeklagten ansieht. Auch für ein abweichendes Tatmotiv des Angeklagten hat es keine hinreichenden Belege gesehen. Vor diesem Hintergrund hat es die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zunächst dadurch gestützt gefunden, dass sich das objektive Spurenbild mit seinen Angaben in Einklang bringen lässt. Auch die Einlassung zu seinem - durch eine Panikattacke veranlassten - Verhalten zwischen der Tat und seinem Selbstmordversuch finde eine Entsprechung in der von mehreren Zeugen geschilderten Auffindesituation (Gartentor und Haustüren offen). Hinzu komme die emotionale Betroffenheit des Angeklagten während der Verlesung der Erklärung durch seinen Verteidiger. Demgegenüber hat das Landgericht mehrere Beweisanzeichen festgestellt, die gegen die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten sprechen können. So wollten die Eheleute Mitte Juli 2009 die Mutter von Frau B. in Süddeutschland besuchen und während der anschließenden Ferien die Enkelkinder des Tatopfers bei sich aufnehmen. Zudem hatten sie selbst eine Urlaubsreise in Aussicht genommen. Zunächst sollte jedoch am 3. Juni 2009, dem Tattag, die schon länger geplante Renovierung des gemeinsamen Wohnhauses beginnen, auf die Frau B. sich freute, die ihr wegen des vorgesehenen Umfangs der Arbeiten aber auch Angst machte. Die Handwerker wurden für den Morgen des Tattages erwartet. In der Nacht zuvor arbeitete Frau B. ihrer Gewohnheit entsprechend bis kurz vor 1.00 Uhr am Computer, las aktuelle Nachrichten und bearbeitete Bilder von ihrem Garten. Hinzu kommt, dass der Angeklagte erstmals am vierten Hauptverhandlungstag das Tötungsverlangen seiner Ehefrau behauptete, nachdem zuvor das rechtsmedizinische Gutachten über das Obduktionsergebnis erstattet worden war. Das Landgericht hat zwar die Beweisbedeutung dieser Indizien nicht verkannt; es hat sie jedoch nicht für derart gewichtig erachtet, dass sie geeignet wären, die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zu widerlegen. Deren Glaubhaftigkeit werde insbesondere nicht dadurch erschüttert, dass er weder bei den Explorationsgesprächen mit dem psychiatrischen Sachverständigen noch bei der mündlichen Haftprüfung durch das Landgericht und in dem sich anschließenden Haftbeschwerdeverfahren die in der Hauptverhandlung behauptete Tatversion vorgetragen habe; denn dies lasse sich durch die physischen und psychischen Folgen des Selbstmordversuchs erklären. Die Strafkammer gehe daher zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er aufgrund seines Krankheitszustandes zunächst zu einer Einlassung überhaupt nicht in der Lage gewesen sei. Diese Würdigung leidet an einem durchgreifenden Mangel. Angesichts der besonderen Beweissituation musste sich das Landgericht mit dem genauen Inhalt der früheren Einlassungen des Angeklagten im Verfahren im Einzelnen auseinandersetzen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber nur, dass sich der Angeklagte offensichtlich vor Beginn der Hauptverhandlung bereits mehrfach zur Sache eingelassen hatte und diese Einlassungen nicht mit seinen Angaben in der Hauptverhandlung übereinstimmten. Was er ursprünglich zum Tatgeschehen geäußert hatte, teilt das Urteil hingegen nicht mit. Nur bei näherer Betrachtung der früheren Behauptungen zum Tatgeschehen kann jedoch nachvollzogen werden, ob der Schluss des Landgerichts, das abweichende Einlassungsverhalten des Angeklagten sei mit seinem wechselnden Gesundheitszustand erklärbar, frei von Rechtsfehlern ist. Schon dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
b) Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung der Tötung auf Verlangen voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, das den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. Während die Ausdrücklichkeit bestimmte Anforderungen an den Inhalt des Verlangens stellt, grenzt die Ernstlichkeit unter normativen Gesichtspunkten rechtlich anzuerkennende Beweggründe des Tatopfers für sein Tötungsverlangen von solchen ab, denen die Rechtsordnung eine privilegierende Wirkung versagt. Wo insoweit die Grenze zu ziehen ist, ist indessen streitig. aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. Januar 1981 (4 StR 480/80, NJW 1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 StGB nur ein Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft besitzen, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und abzuwägen. Es komme deshalb auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker oder Jugendlicher (s. aber auch BGH, Urteil vom 14. August 1963 - 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, zum "ernstlichen und in vollem Bewusstsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten" Todesverlangen eines 16jährigen, "über sein Alter hinaus gereifte(n) Mädchen(s)"), der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so fehle es an einem ernstlichen Verlangen. Dem entsprechend hat er im Urteil vom 22. April 2005 - nicht tragend - einem Tötungsverlangen die Anerkennung versagt, weil das Tatopfer durch eine krankhafte seelische Störung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht rational überblickte (2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, Rn. 5, 37). Damit sind indessen lediglich die grundlegenden Voraussetzungen umschrieben, die für jeden Verzicht des Betroffenen auf ein persönliches Rechts-gut zu fordern sind und die ungeachtet dessen, dass ihr Vorliegen keinen die Straflosigkeit begründenden Rechtfertigungsgrund für die Tötung eines Menschen zu schaffen vermag, auch für § 216 StGB Geltung beanspruchen. Dass ein Tötungsverlangen von vornherein nur dann Anerkennung verdient, wenn das Opfer die zureichende natürliche Einsichts-und Urteilsfähigkeit besitzt, um frei verantwortlich entscheiden sowie die Bedeutung und die Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig überblicken und abwägen zu können, ist unumstritten. Auch das Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung, wenn dem Opfer diese Fähigkeit - etwa infolge alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen - fehlt (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 216 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 216 Rn. 2; LK-Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 216 Rn. 7; MünchKommStGB/Schneider § 216 Rn. 21; S/S-Eser, StGB, 26. Aufl., § 216 Rn. 8; SK-StGB/Horn, 6. Aufl., § 216 Rn. 8). Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung eigener Suizidabsicht (Fischer aaO; Jähnke aaO; Eser aaO; Schneider aaO Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1985 - 5 StR 637/85, JZ 1987, 474). bb) Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens. Der Senat stimmt insoweit im Grundsatz der im strafrechtlichen Schrifttum einhellig geäußerten Auffassung zu, dass einem Todesbegehren die privilegierende Wirkung mangels Ernstlichkeit auch dann zu versagen sein kann, wenn es auf einem Entschluss des Opfers beruhte, der nach obigen Maßstäben frei von Willensmängeln war. Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Teils wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen, wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl aaO), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben. Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; Jähnke; Eser; Horn; jeweils aaO). Gelegentlich wird der Wunsch des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Eser; Horn; jeweils aaO). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es grundsätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gezeichnete innere Haltung des Lebensmüden, die einem beiläufig oder leichthin artikulierten Tötungsverlangen fehle (Schneider aaO Rn. 19 f.). Der Senat muss sich nicht im Einzelnen festlegen, welcher dieser Ansichten zu folgen ist. Selbst die Auffassung, nach der ein frei von Willensmängeln geäußerter Todeswunsch die weitestgehende Anerkennung verdient, lässt ein Verlangen in depressiver Augenblicksstimmung jedenfalls dann nicht genügen, wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird (Schneider aaO). Dem schließt sich der Senat insoweit an, als damit eine Voraussetzung umschrieben ist, welcher ein Tötungsverlangen mindestens zu genügen hat, um als ernstlich zu gelten. Bereits bei Anlegung eines solchen Maßstabs reichen die Feststellungen indes nicht aus, um beurteilen zu können, ob das Verlangen der Getöteten ernstlich war; denn das Urteil beschränkt sich insoweit im Wesentlichen darauf, den Gesetzeswortlaut zu wiederholen. Es teilt weder den Inhalt des Gesprächs wenige Tage vor der Tat noch insbesondere den Inhalt der längeren Diskussion zwischen dem Angeklagtem und seiner Ehefrau unmittelbar vor der Tat mit. Ebenso wenig setzt es sich mit den genannten weiteren Beweisanzeichen auseinander, die gegen einen von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Todeswunsch sprechen, insbesondere dass das Tatopfer bereits seit geraumer Zeit an seiner Erkrankung litt, was es aber nicht hinderte, konkrete Planungen für die nähere Zukunft anzustellen und bis kurz vor der Tat seinen gewohnten Alltagsbeschäftigungen nachzugehen.