StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung Schutzbef. Beweiswürdigung

BGH, Beschl. v. 24.02.2015 - 4 StR 11/15 - BeckRS 2015, 06440

Zur Auslegung des § 225 Abs. 1 StGB.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Februar 2015 gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen verurteilt worden ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen und wegen Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er – verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist – auf die Sachrüge stützt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Die Revision führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener und der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Dem Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 27. Januar 2015 dargelegten Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Damit ist der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.

2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung in 24 Fällen zum Nachteil seiner früheren Ehefrau richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie hinsichtlich der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen Erfolg.

a) Insofern begegnet schon die Beweiswürdigung zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss auf das festgestellte Geschehen zulassen müssen. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich.

Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. März 2000 – 3 StR 585/99; vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 38, § 337 Rn. 26 jeweils mwN).

bb) Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. nicht gerecht. Nach den insofern getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte in den Jahren 2008 bis 2011 (auch) diese Kinder „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, überwiegend mit der flachen Hand auf das Gesäß, aber auch in das Gesicht, außerdem mit den Fäusten auf den Körper, so dass die Kinder erhebliche Schmerzen, Blutergüsse, Schwellungen und Nasenbluten erlitten“ (UA S. 11); darüber hinaus schloss der Angeklagte die Kinder mehrfach in ihrem Zimmer ein (UA S. 12). Konkrete Ereignisse zum Nachteil dieser Kinder teilen die Urteilsfeststellungen – anders als bei E. und Ja. – nicht mit. Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, seine Kinder etwa jeden dritten Monat „mal“ mit der flachen Hand geschlagen zu haben, alle anderen Vorwürfe bestreitet er indes.

Seine Überzeugung, dass der Angeklagte (auch) J. und R. misshandelt habe, stützt die Strafkammer im Wesentlichen auf die Angaben der früheren Ehefrau des Angeklagten, wonach dieser „sie und die Kinder oft geschlagen“ habe, „die Kinder hätten drei- bis viermal in der Woche Schläge bekommen, zeitweise auch täglich“, dabei habe es „ordentlich gerumst“ (UA S. 15); J. und R. hätten „auch mal einen ‚Klaps auf den Arsch‘ und auch mal eine flache Hand ins Gesicht bekommen“ (UA S. 15 und 18). Auf Grund dieser hinsichtlich der Häufigkeit und der Art sowie der Intensität der Schläge widersprüchlichen, zudem Faustschläge auf den Körper, die auch bei J. und R. zu „erheblichen Schmerzen, Blutergüssen, Schwellungen und Nasenbluten“ geführt haben, nicht bestätigenden Angaben der Zeugin ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer die Feststellungen zu diesen Misshandlungen von J. und R. getroffen hat. Die Feststellungen hierzu werden auch nicht dadurch plausibel, dass der damals drei bis sechs Jahre alte Ja. bestätigt hat, dass „auch alle anderen Geschwister“ vom Angeklagten geschlagen worden seien (UA S. 21) und ein (lediglich) verlesener Bericht des Jugendamts mitteilt, dass im Kindergarten bemerkt worden sei, dass J. häufig blaue Flecken gehabt und dazu einmal geäußert habe, dass ihr Vater sie geschlagen und getreten habe (UA S. 23). Denn insbesondere hinsichtlich der häufigen blauen Flecke kann Bedeutung haben, dass die Zeugin selbst eingeräumt hat, ihre Kinder – auch mit einem Kochlöffel – geschlagen zu haben (UA S. 19).

b) Im Übrigen begegnet aber – hinsichtlich aller vier Fälle – die rechtliche Bewertung der Misshandlungen der Kinder durch den Angeklagten als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Diese rechtliche Bewertung stützt die Strafkammer neben den „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ alle vier Kinder betreffenden Schlägen sowie dem Einsperren für den Tatzeitraum von 2008 bis 2011 konkret lediglich auf einen Vorfall zum Nachteil von Ja. und E. (Schläge auf das Gesäß, so dass diese kaum mehr laufen konnten) und vier weitere Vorfälle zum Nachteil von Ja. (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand, Verabreichen von Bier).

bb) Damit ist ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt.

(1) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst. Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren. In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 m. Anm. Renzikowski/ Sick mwN).

(2) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen vier Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die Gewalthandlungen jeweils zu länger andauernden Schmerzen geführt haben, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind; als Folgen der Misshandlungen hat es vielmehr „Verhaltensauffälligkeiten“ bei allen Kindern und eine posttraumatische Belastungsstörung bei Ja. aufgeführt. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist, begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten „Einzeltaten“ zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt; mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können (BGH aaO). Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts, wonach der Angeklagte von 2008 bis 2011 „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ seine Kinder geschlagen hat, mag zwar ausreichen, um objektiv die Annahme einer sich über vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen, sie ist aber für sich genommen nicht geeignet, auch die innere Tatseite einer Handlungseinheit tragfähig zu belegen. Denn nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, „seine Wut abzureagieren“ (UA S. 11). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag. Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.

c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die rechtliche Würdigung der Strafkammer auch, soweit sie bei Ja. neben dem Quälen den Tatbestand der rohen Misshandlung (§ 225 Abs. 1 StGB) bejaht. Insofern verweist das Landgericht zwar auf drei der Misshandlungen des Kindes (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand), die Ausführungen lassen es aber als jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es dabei – zumal es hinsichtlich Ja. lediglich eine Misshandlung Schutzbefohlener angenommen hat – davon ausgegangen ist, die drei Körperverletzungen seien erst in ihrer Gesamtheit als eine rohe Misshandlung zu bewerten. Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des § 225 Abs. 1 StGB jedoch stets auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405).

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