StGB § 225 Abs.1 Quälen durch Unterlassen
BGH, Urt. v. 04.08.2015 – 1 StR 624/14 – NStZ 2016, 95
Quälen bedeutet das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden. Erfasst hiervon sind auch seelische Leiden, denn neben der körperlichen Unversehrtheit wird von § 225 Abs. 1 StGB auch die psychische Integrität einer unter besonderen Schutzverhältnissen stehenden Person geschützt. Das Merkmal „quälen“ erfordert über den Vorsatz hinaus keine besondere subjektive Beziehung des Täters zur Tat im Sinne eines Handelns aus Lust an der Schmerzzufügung, aus niedriger Gesinnung oder aus Böswilligkeit; es reicht eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der am 7. Juli 2015 begonnenen Hauptverhandlung in der Sitzung vom 4. August 2015 für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. August 2014 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagten jeweils der „schweren“ Misshandlung eines Schutzbefohlenen schuldig sind.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
I. 1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Die Angeklagte B. ist die Mutter des Nebenklägers. Dieser leidet seit frühester Kindheit an der Erbkrankheit Mukoviszidose. Es handelt sich dabei um eine nicht kausal therapierbare, progredient verlaufende chronische Erkrankung mit einer beschränkten Lebenserwartung. Weil durch die Krankheit die Sekrete exokriner Drüsen besonders zähflüssig werden, kommt es zu Funktionsstörungen der jeweiligen Organe, insbesondere der Lunge. Der Nebenkläger benötigt krankheitsbedingt eine permanente medikamentöse, krankengymnastische und ärztliche Behandlung, die sich sehr aufwändig gestaltet: Mehrfach täglich muss er inhalieren, täglich eine autogene Drainage (besondere Atemtechnik für lungenkranke Patienten zum Abhusten von Bronchialsekret) durchführen, zudem ist eine ständige antibiotische Behandlung mit einem Antibiotikum notwendig. Um ausreichend Nahrungsfette verdauen zu können, muss der Nebenkläger zu jeder Mahlzeit Pankreasenzympräparate (Kreon) einnehmen. Generell benötigt er aufgrund unzureichender Verdauung und drohender Untergewichtigkeit eine hyperkalorische Ernährung durch hohen Kalorienreichtum und Anreicherung der Nahrung. Die Verbesserung der körperlichen Fitness erfordert eine hohe sportliche Aktivität, auch sind drei- bis viermal jährlich Blut- und Sputumuntersuchungen notwendig, um die konkret notwendige Therapie stets anpassen zu können. Selbst bei optimaler Behandlung nimmt die Lungenfunktion jährlich ab, im statistischen Mittel zwischen 3 und 4 %. Je länger durch entsprechende Zugabe von Kreon und die Zuführung hochkalorischer Nahrung ein normales, altersentsprechendes Gewicht gehalten wird, umso günstiger wirkt sich dies auf die Lungenfunktion aus. Die Angeklagte B. kümmerte sich bis zum Sommer 1999 stets und ausdauernd um die adäquate Behandlung des im Januar 1987 geborenen Nebenklägers; sie wusste über die Krankheit und die Behandlungsnotwendigkeit Bescheid. Der Nebenkläger wurde bis zu diesem Zeitpunkt mit den erforderlichen Medikamenten versorgt und inhalierte täglich. Nachdem die Angeklagte B. Anfang Juli 1999 den Angeklagten L. kennengelernt hatte, zog sie Anfang November 1999 mit ihren drei Kindern (einschließlich des Nebenklägers) bei ihm ein.
Der Angeklagte L. , der sich seit vielen Jahren für spirituelle, esoterische, theosophische und religiöse Themen interessiert, lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Wohngemeinschaft in einem Haus in Lo. , Ortsteil A. . Beide Angeklagte sahen nach dem Zusammenzug im spirituellen Bereich ihren Lebensmittelpunkt. Hierzu gehörten regelmäßige Meditationen, bei denen auch Interessierte von außen hinzukamen. Die Angeklagten pflegten eine einfache, natürliche Lebensweise mit vegetarischer Ernährung, vorwiegend mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Schulmedizin lehnten sie nicht grundsätzlich ab, bevorzugten aber alternative Heilmethoden und natürliche Medikamente. Dass der auch als „Guru von A. “ oder „Guru von Lo. “ bezeichnete Angeklagte L. Mitglied oder Anführer einer Sekte war oder die Angeklagten der „Neuen Gruppe der Weltdiener“ zugehören, wie in den Medien verbreitet wurde, hat das Landgericht nicht festgestellt. Nach dem Einzug der Angeklagten B. in die Wohngemeinschaft des Angeklagten L. in Lo. /A. übernahm der Angeklagte L. neben der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Fürsorge für den Nebenkläger und seine Geschwister. Er stand der auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft vor, fühlte sich für das Wohl und Wehe des Nebenklägers mitverantwortlich, übernahm in Absprache mit der Angeklagten B. Erziehungsaufgaben und behandelte deren Kinder wie seine eigenen. Insgesamt war er das bestimmende Familienoberhaupt, das sich in jeden Bereich des täglichen Zusammenlebens und der gesamten Lebensgestaltung der Kinder einmischte und als zweiter „Erziehungsberechtigter“ die Zeugnisse unterschrieb. Über die Erkrankung des Nebenklägers wurde der Angeklagte L. im Sommer 1999 umfassend aufgeklärt, er wusste seitdem von der dringenden und andauernden Behandlungsbedürftigkeit und der Art und Weise, wie die Krankheit zu behandeln ist.
Nachdem der zu diesem Zeitpunkt 12-jährige Nebenkläger mit der Angeklagten B. und zwei Geschwistern in A. eingezogen war, wurde ihm kein für Inhalationen geeignetes Gerät mehr zur Verfügung gestellt. Neue Medikamente wurden nicht besorgt, die letztmals im Juli 1999 verschriebenen waren Ende 1999 aufgebraucht. Einem Arzt wurde der Nebenkläger nicht mehr vorgestellt, es wurde vielmehr ihm überlassen, ob er Medikamente einnimmt und zum Arzt geht.
Weder wurde das Gewicht des Nebenklägers kontrolliert noch, ob er täglich die notwendige autogene Drainage durchführt. Auf eine hochkalorische Nahrung wirkten die Angeklagten nicht hin, der Nebenkläger musste sich weitgehend vegetarisch ernähren. Der Angeklagte L. stellte dem Nebenkläger in Aussicht, dass die Mukoviszidose-Krankheit bis spätestens zu seinem 18. Geburtstag geheilt werde, wenn er mit ihm mehrmals täglich meditiere; der Nebenkläger glaubte dies.
Der Nebenkläger, der an einer Spritzenphobie leidet, war froh, ohne die lästigen Prozeduren leben zu können und keine Ärzte oder Krankenhäuser mehr besuchen zu müssen. Er verlangte deshalb aus eigenem Antrieb nicht die Behandlung seiner Erkrankung gegenüber den Angeklagten.
Vielmehr kam er dem Verlangen des Angeklagten L. nach täglicher Meditation nach, zumal ihm dieser bei unzureichender Mitwirkung mit einem Krankenhausbesuch drohte, der auch Spritzen umfassen würde. Aufgrund seines Alters konnte der Nebenkläger die negativen Konsequenzen des Behandlungsabbruchs für seine Gesundheit nicht überblicken und bewerten, auch weil diese schleichend und über einen relativ langen Zeitraum eintraten; vielmehr vertraute er darauf, durch Meditationen geheilt zu werden.
Der Kontakt des Nebenklägers zu seinem leiblichen Vater wurde konsequent unterbunden, der Vater als „Teufel“ dargestellt, der das Böse verkörpere. Von der AOK erhielt die Angeklagte B. für den Nebenkläger bis Ende September 2001 Pflegegeld der Stufe 2. Weil sie keine Überprüfungsnachweise über die Behandlung beibrachte, wurde die Zahlung von Pflegegeld schließlich eingestellt. Noch im März 2000 hatte die Angeklagte bei der Überprüfung der Pflegevoraussetzungen falsche Angaben gemacht. Ende 2001 kündigte die Angeklagte B. im Einvernehmen mit dem Angeklagten L. ihre Krankenversicherung. Beide gingen davon aus, dass der Nebenkläger nunmehr auch nicht mehr krankenversichert sei, und überließen ihm die Entscheidung, eine Krankenversicherung abzuschließen. Der Zustand des Nebenklägers verschlechterte sich nach seinem Einzug in A. durch die Unterbrechung der Behandlung – wie bei dieser Krankheit üblich – nicht rapide, sondern fortdauernd über die Jahre 2000, 2001 und 2002 hinweg. Im Sport in der Schule war er nach anfänglich guten Leistungen im Jahr 1998/99 bald nur noch „befriedigend“. Im Mai 2000 fuhr er letztmals auf einen Ausflug ins Schullandheim mit und konnte noch eine sechs Kilometer lange Wanderung absolvieren. Ab dem Schuljahr 2000/2001 musste er dann krankheitsbedingt vom Sportunterricht befreit werden. In diesem Schuljahr kam er oft abgeschlagen und müde zum Unterricht oder fehlte ganz, weil sein Gesundheitszustand auffällig schlechter war als zuvor. Ab spätestens Mitte 2001 traten wegen der nicht mehr behandelten Mukoviszidose Beschwerden (Atemnot) und Schmerzen (Kopfschmerzen) auf. Im Dezember 2002 hatte der Nebenkläger bei den geringsten körperlichen Anstrengungen erhebliche Atembeschwerden; aufgrund seiner Atemnot litt er zudem ständig unter heftigen Kopfschmerzen. Im gesamten Zeitraum von Ende 1999 bis Ende 2002 legte er nicht an Gewicht zu. Die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Nebenklägers erkannten beide Angeklagte; dennoch änderten sie ihr Verhalten nicht.
Als der dann 15-jährige Nebenkläger Ende 2002 die Wohngemeinschaft in A. verließ und nach gerichtlicher Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf seinen Vater zu diesem zog, waren mangels Behandlung seine Bronchien stark verschleimt, die Lungenfunktion stark eingeschränkt und die Sauerstoffsättigung im Blut nicht mehr ausreichend. Er litt bei geringster körperlicher Betätigung unter Atemnot, unter permanenten Kopfschmerzen und blauen Fingerkuppen (Zyanose). Atemnot und Kopfschmerzen waren spätestens seit Mitte 2001 aufgetreten und nahmen dann kontinuierlich zu. Die Möglichkeit damit verbundener länger anhaltender Schmerzen erkannten die Angeklagten und nahmen dies billigend in Kauf; gleichwohl änderten sie ihr Verhalten nicht.
Der Nebenkläger war Ende 2002 massiv unterernährt und wog bei einer Größe von 159 cm nur noch 30,5 kg. Sein Zustand war insgesamt extrem besorgniserregend und potentiell lebensbedrohlich; bei weiterer Nichtbehandlung hätte die fortschreitende Verschleimung seiner Organe binnen weniger Wochen zum Tode geführt. Es bestand deshalb die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung seiner körperlichen Entwicklung.
Der Verlust seiner Lungenfunktion ist überdurchschnittlich und irreversibel. Obwohl die Angeklagten den fortschreitenden körperlichen Abbau bei dem Nebenkläger bemerkten, unterließen sie es, ihm die notwendige medikamentöse, therapeutische und ärztliche Behandlung zukommen zu lassen und die Medikamenteneinnahme sowie den Gesundheitszustand engmaschig zu kontrollieren, obwohl ihnen all dies, wie sie wussten, möglich und zumutbar war.
Hätten die Angeklagten dem Nebenkläger die notwendige Behandlung zuteil werden lassen, hätte sich sein Gesundheitszustand stabilisiert und die Krankheit wäre nicht so rasant fortgeschritten.
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in rechtlicher Hinsicht als Quälen eines Schutzbefohlenen durch Unterlassen nach § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 13 StGB bewertet und ist zudem vom Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 und Nr. 2 Alt. 1 StGB ausgegangen, weil der Nebenkläger durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung gebracht worden sei. Das Merkmal des „Quälens“ hat das Landgericht dadurch als verwirklicht angesehen, dass dem Nebenkläger durch das Unterlassen der gebotenen und möglichen Behandlung über einen Zeitraum von knapp drei Jahren unnötige erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt worden seien. Spätestens ab Mitte 2001 bis Ende 2002 sei es zu einer zunehmenden Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung gekommen, wodurch permanente Kopfschmerzen und schließlich am Ende blaue Fingerkuppen aufgetreten seien. Insgesamt habe die Leistungsfähigkeit immer mehr abgenommen, sodass dem Nebenkläger am Ende jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen bereitet habe. In Kenntnis aller Umstände hätten die Angeklagten die geschilderten Schmerzen und Leiden billigend in Kauf genommen, ebenso den Eintritt der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung.
Den Einwand der Angeklagten, sie hätten gegen den Willen des Nebenklägers eine ärztliche Behandlung oder Medikamenteneinnahme ebenso wenig durchsetzen können wie Kontrollen, ob er täglich inhaliert, Medikamente eingenommen oder eine autogene Drainage gemacht habe, hat das Landgericht entgegengesetzt, dass die Angeklagten den minderjährigen Nebenkläger notfalls gegen seinen Willen, ggfs. unter Einschaltung der zuständigen Behörden, zur notwendigen Behandlung hätten zwingen müssen.
3. Im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung hat das Landgericht ausgeführt, die Angeklagten propagierten und lebten auf der Grundlage theosophischer und buddhistischer Theorien zwar eine eigenwillige Weltanschauung mit einer einfachen, natürlichen Lebensweise und dem Glauben an das Gesetz des Karma und an Reinkarnation. Dass beide dem knapp 13-jährigen Nebenkläger die Verantwortung für seine Weiterbehandlung übertragen und sich nicht weiter darum gekümmert hätten, fuße aber nicht auf einer weltanschaulichen Wahnvorstellung der Angeklagten, sondern sei als bloßes Scheuen weiterer unangenehmer Auseinandersetzungen mit dem pubertär schwierigen Nebenkläger zu werten. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Weltanschauung der Angeklagten und der Verweigerung einer schulmedizinischen Behandlung für den Nebenkläger, wie dies in den Medien propagiert werde, könne nach den Feststellungen nicht tragfähig belegt werden.
4. Bei der Strafzumessung hat das Gericht aufgrund des langen Tatzeitraums und der bleibenden Folgen für den Nebenkläger keinen Anlass gesehen, einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener anzunehmen. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 13, 49 Abs. 1 StGB hat die Strafkammer aus den gleichen Gründen abgelehnt. Bei der Strafzumessung im Einzelnen hat das Landgericht zugunsten der Angeklagten u.a. gewürdigt, dass die bislang unbestraften und teilgeständigen Angeklagten mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen gehandelt haben. Zudem seien sie durch eine Fernsehreportage mit erheblichem Medienecho in der Öffentlichkeit vorverurteilt und stigmatisiert und durch Einträge in sozialen Medien sowie durch Mahnwachen vor ihrem Haus öffentlich geächtet worden. Zu Lasten der Angeklagten wurde jeweils der lange Tatzeitraum mit der Leidenszeit des Nebenklägers spätestens ab Mitte 2001 gewertet, wobei sich der Gesundheitszustand kontinuierlich verschlechtert habe und sich dadurch die Schmerzen kontinuierlich gesteigert hätten.
II. Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig, weil es – wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift im Einzelnen ausgeführt hat – jeweils entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Mitteilung in Bezug genommener Schriftstücke fehlt, deren Kenntnis für die Rügeprüfung notwendig wäre.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der von den Angeklagten jeweils näher ausgeführten Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten:
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. Senat aaO mwN).????Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht.
Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse sind tragfähig begründet und nachvollziehbar.
aa) Dies gilt insbesondere auch für den Schluss der Kammer auf einen bedingten Vorsatz beider Angeklagter. Die Kammer hat sich (zwar unter teilweise abweichender Formulierung, vgl. UA S. 16, 37: „konnten ... erkennen“) davon überzeugt, dass die Angeklagten genau alle Umstände gekannt haben, die zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu Schmerzen und unnötigen Leiden führen mussten (UA S. 50), dass sie die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes erkannten (UA S. 15) und den fortschreitenden körperlichen Abbau bemerkten (UA S. 18) sowie dass sie auch alle für die eingetretene konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und der erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung des Nebenklägers kannten (UA S. 50). Diese Schlussfolgerung liegt angesichts des festgestellten Krankheitsverlaufs auch überaus nahe, war der Nebenkläger Ende 2002 doch schon durch massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen und gravierende Lungenfunktionseinschränkung gleichsam vom nahenden Tod gezeichnet. Zudem haben – worauf das Landgericht zutreffend abstellt – sämtliche Zeugen (Geschwister, Lehrer) den kontinuierlichen und besorgniserregenden körperlichen Leistungsabbau ab Mitte 2001 bei dem Nebenkläger bemerkt, so dass nichts dafür spricht, dass lediglich die Angeklagten insoweit ahnungslos gewesen sind. All dies rechtfertigt im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen auch den Schluss der Kammer, die Angeklagten hätten – weil sie weitere unangenehme Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Jungen scheuten – die durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes entstandenen Schmerzen und Leiden des Nebenklägers ebenso billigend in Kauf genommen wie die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung und deshalb jeweils mit Eventualvorsatz gehandelt.
bb) Anders als die Revision der Angeklagten B. meint, sind auch die Feststellungen zum Fehlen von Medikamenten und einem Inhalationsgerät tragfähig mit den Angaben des Apothekers und der Geschwister des Nebenklägers belegt, zumal die Angeklagte B. ohnehin eingeräumt hat, seit Ende Juli 1999 mit dem Nebenkläger nicht mehr bei einem Arzt gewesen zu sein, so dass auch keine neuen Medikamente mehr verschrieben werden konnten.
cc) Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Nebenklägers sowie zu den Auswirkungen des Unterlassens jeder gebotenen Behandlung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf die ausführlichen Angaben zweier Sachverständiger – eines Rechtsmediziners und eines Spezialisten für die Behandlung von Mukoviszidose – gestützt.
b) Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen den Schuldspruch.
aa) Der minderjährige Nebenkläger befand sich nach seinem Einzug in im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fürsorge und der Obhut der sorgeberechtigten Angeklagten B. als seiner Mutter und des Ange- klagten L. , der im Einvernehmen mit der Angeklagten B. tatsächlich die Erziehung und Sorge für den in seinem Haushalt lebenden Nebenkläger übernommen hatte (vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 2 StR 109/93).
bb) Die Angeklagten haben den Nebenkläger durch Unterlassen der gebotenen medizinischen und therapeutischen Behandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB „gequält“. Quälen bedeutet das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden (st. Rspr.; vgl. nur RG, Urteil vom 23. Mai 1938 - 5 D 271/38, JW 1938, 1879; BGH, Urteile vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Beschlüsse vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466; vom 24. Februar 2015 – 4 StR 11/15; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 225 Rn. 8a; Hirsch in LK, 11. Aufl., § 225 Rn. 12; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo- StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 11; Momsen/Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 13; Eschelbach in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 16). Erfasst hiervon sind auch seelische Leiden, denn neben der körperlichen Unversehrtheit wird von § 225 Abs. 1 StGB auch die psychische Integrität einer unter besonderen Schutzverhältnissen stehenden Person geschützt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13; Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; Hirsch aaO Rn. 1; Fischer aaO Rn. 2; Hardtung aaO Rn. 1).
Das Merkmal „quälen“ erfordert über den Vorsatz hinaus keine besondere subjektive Beziehung des Täters zur Tat im Sinne eines Handelns aus Lust an der Schmerzzufügung, aus niedriger Gesinnung oder aus Böswilligkeit; es reicht eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197). Der Bundesgerichtshof lässt – wie die herrschende Auffassung in der Literatur – für die Tathandlung „quälen“ ausreichen, dass der Täter dem Schutzbefohlenen vorsätzlich länger andauernde oder sich wiederholende (erhebliche) Schmerzen oder Leiden zufügt (s.o.). Demgegenüber verlangt eine andere Auffassung in der Literatur für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „quälen“, dass die Tat aus einer gefühllosunbarmherzigen Gesinnung begangen wird (Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 13; Wolters in SK-StGB, § 225 Rn. 10). Zur Begründung verweist diese Auffassung auf historisch genetische Argumente (insb. Paeffgen aaO) und den innertatbestandlichen Vergleich mit den zwei weiteren Begehungsweisen des § 225 Abs. 1 StGB (insb. Wolters aaO). Beides überzeugt nicht: Die Tatbestandsfassung des heutigen § 225 Abs. 1 StGB geht zurück auf das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 (RGBl. I 295). Mit diesem Gesetz wurde § 223b RStGB als Vorgängervorschrift des heutigen § 225 StGB neu in das RStGB eingeführt; die Beschreibung der drei verschiedenen Begehungsweisen ist bis heute unverändert geblieben. § 223b RStGB ersetzte § 223a Abs. 2 RStGB, der durch Gesetz vom 19. Juni 1912 (RGBl. 395) eingeführt wurde und erstmals eine besondere Strafbarkeit für die Misshandlung Schutzbefohlener im RStGB vorsah. Strafbar war nach § 223a Abs. 2 RStGB aF (1912) die Begehung von Körperverletzungen gegenüber Schutzbefohlenen „mittels grausamer oder boshafter Behandlung“ (zur Gesetzesentstehung ausführlich Korn, Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB, Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933, 2003, S. 253 ff.). Während der Reformdiskussion, die der Änderung 1912 voranging, war erwogen worden, als Tathandlung das „boshafte Quälen“ einzuführen (vgl. Korn aaO S. 263); durchgesetzt hatte sich dieser Vorschlag damals nicht.
Wenige Monate nach Inkrafttreten des § 223b RStGB wurde das Tierschutzgesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I 987) verkündet. Gemäß § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 wurde bestraft, wer ein Tier unnötig quält oder roh misshandelt. Eine Legaldefinition des „Quälens“ enthielt § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzgesetz 1933: „Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht.“ In diesem Sinn legte auch das Reichsgericht den Begriff des Quälens aus, nämlich als „die Verursachung länger fortdauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden“ (RG, Urteil vom 23. Mai 1938 – 5 D 271/38, JW 1938, 1879). Demgegenüber definierte § 1 Abs. 2 Satz 2 Tierschutzgesetz 1933 den Begriff der rohen Misshandlung als Verursachung erheblicher Schmerzen aus roher Gesinnung (vgl. hierzu auch RG aaO). Diese Unterscheidung liegt auch noch der heutigen Strafvorschrift in § 17 Nr. 2 TierSchG zugrunde; an der bis dahin geltenden Strafbarkeit wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 17 TierSchG, der § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 ablöste, offensichtlich nichts ändern (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. VI/2558 S. 12 f.); lediglich gesetzestechnisch wurde anstelle des Begriffs „Quälen“ der Inhalt der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzge- setz 1933 zum Tatbestandsmerkmal in § 17 Nr. 2 Buchstabe b TierSchG gemacht (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – 2 StR 159/86, NStZ 1987, 511). Die historische Auslegung ergibt damit, dass der Gesetzgeber den Begriff „quälen“ als Verursachung länger andauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden versteht, darüber hinaus eine besondere subjektive Einstellung des Täters – anders als bei der rohen Misshandlung oder der böswilligen Vernachlässigung – aber gerade nicht verlangt.
Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die unterschiedliche Formulierung der drei Tathandlungsvarianten in § 225 Abs. 1 StGB: Gerade weil der Gesetzgeber bei der Formulierung ausdrücklich zwischen Begehungsweisen mit besonderer subjektiver Beziehung zur Tat („rohe Misshandlung“, „böswillige Vernachlässigung“) und solchen ohne derartigen Zusatz unterscheidet, ergibt sich im Umkehrschluss, dass bei der Variante des „Quälens“ keine weiteren subjektiven Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26).
Wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, standen dem Gesetzgeber Formulierungen zur Verfügung, mit denen er eine weitere subjektive Voraussetzung auch bei der Tatvariante des „Quälens“ hätte formulieren können („boshaftes Quälen“); solche Formulierungen hat er aber nicht gewählt. Gegenüber den zwei anderen Varianten des § 225 Abs. 1 StGB zeichnet sich die Tatvariante des „Quälens“ durch besondere Anforderungen an den Körperverletzungserfolg aus; dies rechtfertigt es, insoweit keine weiteren einschränkenden subjektiven Elemente zu verlangen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26). Mit dem Wortlaut ist diese Auslegung, die auf das Verursachen körperlicher und seelischer Qualen bei dem Opfer abstellt, ohne weiteres vereinbar (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, 3. Aufl., Band 7, Stichwort „quälen“).
All dies gilt auch für das Quälen durch Unterlassen (vgl. insb. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61). Quälen kann nach heute nahezu allgemeiner Meinung auch durch Unterlassen begangen werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 5. März 2008 – 2 StR 626/07, BGHSt 52, 153, 156; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 – 3 StR 64/02 für die Variante des rohen Misshandelns; ebenso Fischer, 62. Aufl., § 225 Rn. 8; Hirsch in LK, 12. Aufl., § 225 Rn. 17; Stree/Sternberg- Lieben in Schönke/ Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2, 15; Momsen/ Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 12; Eschelbach in BeckOK-StGB, § 225 Rn. 16; Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 18). Insbesondere wer es unterlässt, für sein Kind leidensvermindernde ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann dieses durch Unterlassen quälen (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Urteile vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 5. März 2008 – 2 StR 626/07, BGHSt 52, 153, 159; OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 269). Für die Unterlassungstäterschaft im Rahmen des § 225 StGB reicht – wie auch sonst – bedingter Vorsatz aus (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03).
Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat das Unterlassen der gebotenen medikamentösen, therapeutischen und ärztlichen Behandlung beim Nebenkläger zu fortschreitendem Leistungsabbau, erheblicher Abnahme der Lungenfunktion, massiver Mangelernährung, anhaltenden Kopfschmerzen und schließlich sogar blauen Fingerkuppen infolge Sauerstoffmangels geführt, wobei Beschwerden und Schmerzen spätestens ab Mitte 2001 auftraten und sich kontinuierlich steigerten. Die zunehmende Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung, die massive Mangelernährung und der hierdurch bewirkte Abbau seiner Leistungsfähigkeit stellten ein erhebliches Leiden für den Nebenkläger dar. Zudem litt er aufgrund der unzureichenden Sauerstoffsättigung permanent an Kopfschmerzen, hatte also erhebliche Schmerzen im Sinne der oben genannten Definition; zuletzt bereitete ihm nach den Feststellungen des Landgerichts zudem jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen.
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung und Strafzumessung hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Tatzeitraum des Unterlassens gebotener medizinischer Behandlung und Therapie knapp drei Jahre umfasst (UA S. 48, 49, 51), sich die Verschlechterung des Gesundheitszustandes und dadurch bedingte Schmerzen des Nebenklägers während dieses Tatzeitraums kontinuierlich aufbauten und steigerten und der Taterfolg – die Leidenszeit des Nebenklägers – spätestens ab Mitte 2001 eintrat (UA S. 48, 54).
cc) Das Unterlassen der Angeklagten entspricht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB auch der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun. Voraussetzung hierfür ist, dass das Unterlassen im konkreten Fall dem Unrechtsgehalt aktiver Tatbestandsverwirklichung so nahe kommt, dass es sich dem Unrechtstypus des Tatbestands einfügt (sog. Modalitätenäquivalenz, vgl. Fischer aaO, § 13 Rn. 83 f. mwN). Eine Gleichstellung des Unterlassens mit der Verwirklichung des Handelns durch aktives Tun kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dem Unterlassen der Erfolgsunwert fehlt (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 1979 – 1 StR 648/78, BGHSt 28, 300, 307) oder es an begehungstäterbezogenen Qualifikationsmerkmalen mangelt (ausführlich hierzu Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 239 ff. mwN). Bei reinen Erfolgsdelikten wie etwa § 212 StGB kommt der Entsprechensklausel dagegen keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. Fischer aaO Rn. 86 mwN; Weigend in LK, 12. Aufl., § 13 Rn. 77; ausführlich hierzu Roxin aaO, § 32 Rn. 218 ff. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. November 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 96).
Bei § 225 Abs. 1 StGB handelt es sich in der Variante des „Quälens“ um ein reines Erfolgsdelikt in Form eines Verletzungsdelikts (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2). Der Taterfolg besteht in der Verursachung von Schmerzen und Leiden des Tatopfers, den Qualen. Anders als bei der Variante der „rohen Misshandlung“ (vgl. hierzu im Kontext von § 13 StGB auch Weigend aaO § 13 Rn. 77) oder der „böswilligen Vernachlässigung“ ist eine besondere Begehungsweise nicht vorausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZRR 1996, 197). Vorliegend entsprach deshalb das Unterlassen der gebotenen Behandlung einer Tatbegehung durch aktives Tun. Auf die Frage, ob die vom Angeklagten L. angesichts seines Wissens um das Krankheitsbild naheliegend mit Eventualvorsatz begangene Täuschung des Nebenklägers über die Wirksamkeit täglicher Meditation als Therapieersatz eher als eine Tatbegehung durch aktives Tun einzuordnen ist, kommt es deshalb nicht an.
dd) Durch die objektiv gebotenen Handlungen der Angeklagten – Fort- führen der notwendigen ständigen Behandlung durch Zurverfügungstellung der notwendigen Medikamente und Hilfsmittel, ärztliche und therapeutische Betreuung und Kontrolle, Angebot hochkalorischer Nahrung, notfalls Erzwingen der Behandlung – wären nach den durch Sachverständigenangaben belegten tragfähigen Feststellungen der Strafkammer die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die damit einhergehenden erheblichen Leiden und Schmerzen des Nebenklägers vermieden worden (hypothetische Kausalität). Dies folgt auch daraus, dass der Nebenkläger bereits kurz nach Wiederaufnahme der medizinischen und therapeutischen Behandlung im Dezember 2002 wieder bessere Werte bei Sauerstoffsättigung, Lungenfunktion und Gewicht aufwies und die durch die Sauerstoffunterversorgung hervorgerufenen Folgen (Kopfweh, Zyanose) verschwanden.
ee) Die Vornahme der rechtlich gebotenen Handlungen war den Angeklagten auch möglich und zumutbar.
Die Angeklagten konnten dem Nebenkläger ohne weiteres eine regelmäßige ärztliche und therapeutische Behandlung und Kontrolle organisieren und den Nebenkläger zur Mitwirkung motivieren – die Angeklagte B. im Rahmen ihrer elterlichen Sorge, der Angeklagte L. als faktischer „Haushaltsvorstand“, der die tatsächliche Fürsorge für den ihm schutzbefohlenen Nebenkläger übernommen hatte. Hierfür erhielt die Angeklagte B. sogar bis Ende September 2001 von der AOK Pflegegeld der Stufe 2.
Nach den Feststellungen des Landgerichts deutet nichts darauf hin, dass sich der Nebenkläger bei gebotener Einwirkung der Angeklagten der Fortführung seiner Therapie nach dem Einzug in A. verschlossen hätte. Denn er hat bis dahin stets vollumfänglich bei der aufwändigen Therapie mitgewirkt, sämtliche notwendigen Medikamente genommen, inhaliert, die autogene Drainage durchgeführt und sich regelmäßig ärztlich untersuchen und therapeutisch behandeln lassen. Zudem hat er nach dem Auszug aus der Wohngemeinschaft Ende 2002 sofort mit der notwendigen Medikation und Therapie wieder begonnen, was eine spürbare und erhebliche Verbesserung seines Gesundheitszustandes und das Ende seiner Schmerzen und Leiden zur Folge hatte. Dass auch der Angeklagte L. über entsprechenden Einfluss auf das Verhalten des Nebenklägers verfügte, ergibt sich schon daraus, dass sich der Nebenkläger anderen Anweisungen des Angeklagten L. , etwa hinsichtlich der Meditation, gefügt hat.
Selbst wenn sich der Nebenkläger – was nach den Feststellungen des Landgerichts ohnehin nicht der Fall war – geweigert hätte, sich weiterbehandeln zu lassen, hätten die Angeklagten die notwendige Behandlung des minderjährigen Nebenklägers auch gegen seinen Willen erzwingen müssen:
Die Angeklagte B. konnte sich ihrer elterlichen Sorge für die Person des Nebenklägers nicht dadurch entledigen, dass sie diesem die Verantwortung für die Behandlung seiner schweren Erkrankung übertrug. Nach § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB haben die Eltern das Recht und die Pflicht, für ein minderjähriges Kind zu sorgen. Dies umfasst insbesondere auch die Sorge um das körperliche und seelische Wohl des Kindes (Personensorge, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Gemäß § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB berücksichtigen die Sorgeberechtigten zwar die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen deshalb mit dem Kind, soweit dies nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an (§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies alles findet seine Grenze aber im Schutz des Minderjährigen vor konkreten Gefahren für Leib und Leben, wie auch § 1666 BGB zeigt. Das „Kindeswohl“ ist Schutzgegenstand des § 1666 BGB, weil das Kind nach der gesetzlichen Konzeption zu einer Selbstbestimmung seiner Interessen rechtlich nicht in der Lage ist und deshalb sein objektiv bestimmtes „wohlverstandenes Interesse“ in den Vordergrund tritt; bei der Bestimmung dieses „Wohls“ ist allerdings der subjektive Wille des Kindes, gerade auch bei Jugendlichen, beachtlich (vgl. hierzu ausführlich Coester, in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 74 ff. mwN). In Fällen notwendiger Heilbehandlung gegen den Willen eines älteren Kindes oder Jugendlichen kommt es auf die Schwere und Bedeutung des Eingriffs in die körperliche Integrität des Kindes, die objektive (medizinische) Notwendigkeit und die Gründe für die Haltung des Kindes an (vgl. Coester aaO Rn. 154; vgl. auch Olzen in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 77 ff. mwN). Nach diesen Maßstäben unterliegt es keinem Zweifel, dass die Angeklagte B. einem etwaigen Nichtbehandlungswunsch des Nebenklägers (hätte er überhaupt vorgelegen) keine durchgreifende Relevanz hätte zukommen lassen dürfen, denn die schwerwiegenden, irreversiblen und potentiell tödlichen Folgen einer Nichtweiterbehandlung der Mukoviszidose standen in keinem Verhältnis zu den notwendigen ärztlichen und therapeutischen Maßnahmen. Zudem ist es bei diesem Krankheitsbild naheliegend (was auch das Landgericht betreffend den Nebenkläger festgestellt hat), dass ein Minderjähriger die schweren Folgen der sich über Jahre hinziehenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht hinreichend überblicken und deshalb insoweit keine eigenverantwortliche Entscheidung über einen Behandlungsabbruch treffen kann.
Die Angeklagte B. hätte als sorgeberechtigte Mutter des Nebenklägers notfalls einen Antrag bei dem Familiengericht nach § 1631b BGB auf Genehmigung einer mit Freiheitsentzug verbundenen Unterbringung des Nebenklägers stellen müssen, wenn nur durch eine solche Unterbringung in einer Klinik die Durch- und Weiterführung einer dringend notwendigen Behandlung des Kindes mit Medikamenten sichergestellt und eine erhebliche Selbstgefährdung hätte verhindert werden können (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 8. November 2012 – 26 UF 158/12). Zuvor hätte die Angeklagte B. – ebenso wie der Angeklagte L. – aber alle Möglichkeiten der Einwirkung auf den minderjährigen Nebenkläger, auch unter Einschaltung des Jugendamts, nutzen müssen, um den Nebenkläger zur Fortführung der Medikation und Therapie zu bewegen.
Der Angeklagte L. hätte als Fürsorgepflichtiger notfalls auch gegen den Willen der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Gerichte bzw. Behörden einschalten müssen, die – wie es letztlich auch geschehen ist – bei Kenntnis von den Umständen der unzureichenden Betreuung des Nebenklägers zur Erhaltung von dessen Gesundheit tätig geworden wären. Wird das körperliche Wohl eines Kindes gefährdet, etwa durch Nichtbehandlung einer behandlungsbedürftigen schweren Krankheit, und sind die Erziehungsberechtigten nicht gewillt oder in der Lage, diese Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden, trifft gemäß § 1666 Abs. 1 BGB das Familiengericht die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr. Das Verfahren wird von Amts wegen eingeleitet; insoweit muss das Familiengericht auch plausiblen Anzeigen Dritter nachgehen (Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 261 mwN). Auch ein Hinweis des Angeklagten L. an das zuständige Jugendamt hätte entweder zur Herausnahme des Nebenklägers aus der Wohngemeinschaft durch das Jugendamt direkt oder zum Eingreifen des Jugendgerichts auf Antrag des Jugendamts geführt (vgl. § 8a Abs. 2 SGB VIII; vgl. auch Olzen, in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 213). Zu den möglichen gerichtlichen Maßnahmen des Jugendgerichts gehören etwa das Gebot, öffentliche Hilfen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, oder die – vorliegend auch erfolgte – Entziehung des Sorgerechts (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1, 6 BGB). Die Einschaltung von Gerichten oder Behörden war auch erfolgversprechend, wie der weitere Verlauf des vorliegenden Falls zeigt. Allein schon die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Nebenklägers und das Verlassen der Wohngemeinschaft in A. haben Ende 2002 die Wiederaufnahme der notwendigen Therapie und die Beseitigung der Leiden und Schmerzen des Nebenklägers zur Folge gehabt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten indes das Gegenteil des rechtlich Gebotenen getan: Sie haben dem Nebenkläger weder Medikamente noch ein Inhalationsgerät zur Verfügung gestellt, noch ihn Ärzten oder Therapeuten zugeführt noch auf ihn eingewirkt, zu solchen zu gehen; zudem haben sie jeden Kontakt des Nebenklägers zu seinem Vater unterbunden.
Schließlich hat der Angeklagte L. dem minderjährigen Nebenkläger, der dies glaubte, vorgespiegelt, er könne seine Krankheit durch Meditation besiegen.
c) Die Strafzumessung ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 127 mwN). Das gilt auch, soweit die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 26. Juli 2006 – 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339, 340; BGH, Urteil vom 16. April 2015 – 3 StR 638/14).
Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht tragfähig mit der Länge des Tatzeitraums, dem Alter des Nebenklägers und der Schwere seines körperlichen Leidens am Ende des Tatzeitraums begründet und aus den gleichen Gründen einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener abgelehnt. In einer derartigen Konstellation erweist es sich nicht als rechtsfehlerhaft, dass sich das Landgericht bei der Prüfung des minder schweren Falls nicht ausdrücklich mit dem Vorliegen des vertypten, aber konkret nicht zur Strafrahmenverschiebung führenden Milderungsgrundes auseinandergesetzt hat, zumal es die „Nichtbehandlung“ der Krankheit des Nebenklägers auch an dieser Stelle in den Vordergrund gestellt hat.
Nicht aus dem Blick geraten ist der Strafkammer bei der Strafzumessung im Einzelnen zudem, dass die Leidenszeit (Taterfolg) nicht sogleich, sondern ab spätestens Mitte 2001 eintrat, die Tat lange zurückliegt und die Angeklagten durch eine Vorverurteilung und Stigmatisierung in Medienberichten sowie die öffentliche Ächtung in sozialen Medien und durch Mahnwachen vor ihrem Haus erheblich beeinträchtigt wurden.
III. Der Tenor war im Schuldspruch zu berichtigen, weil die Verbrechensqualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB als „schwerer“ Fall der Misshandlung von Schutzbefohlenen in der Urteilsformel kenntlich zu machen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13). Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert daran nicht, denn das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO gilt schon seinem Wortlaut nach nur für den Rechtsfolgenausspruch.