StGB § 226 Abs. 1 Nr. 2 Dauerhafter Verlust der Gebrauchsfähigkeit
StGB § 226 Abs. 1 Nr. 2 Dauerhafter Verlust der Gebrauchsfähigkeit
BGH, Urteil v. 7. Februar 2017 – 5 StR 483/16 (BGHSt)
Für die Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob das Opfer eine ihm mögliche medizinische Behandlung nicht wahrgenommen hat.
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 9. Juni 2016 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. –
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von Geldstrafen aus amtsgerichtlichen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte revidiert mit der Sachrüge gegen die Verurteilung; seine Revision ist unbegründet. Die zu Lasten des Angeklagten eingelegte, ebenfalls auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist demgegenüber innerhalb ihrer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch erfolgreich.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte und der Nebenkläger bewohnten gemeinsam ein Zimmer in einem Asylbewerberheim. Das Verhältnis zwischen ihnen verschlechterte sich, weil der Angeklagte während einer Haftzeit des Nebenklägers dessen Freundin „nachstellte“. Deshalb zog der Nebenkläger nach seiner Entlassung am 6. Juni 2013 aus dem Zimmer aus, stellte den Angeklagten jedoch bei Zusammentreffen immer wieder in aggressiver Weise zur Rede. Am 26. Juni 2013 begab sich der Nebenkläger abends mit einem Bekannten in das Asylbewerberheim zum Zimmer des Angeklagten, wo sich dieser mit seinem neuen Mitbewohner aufhielt. Der Nebenkläger wollte ein ihm gehörendes Antennenkabel mitnehmen, als der Angeklagte gerade fernsah. „Vordergründig“ deswegen kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung (UA S. 9). Der Nebenkläger sagte zum Angeklagten: „Ich ficke Deine Mutter“. Dann schlug er ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Daraufhin hieb der Angeklagte dem Nebenkläger eine Fernbedienung kräftig auf den Mund. Der Begleiter des Nebenklägers und der Mitbewohner des Angeklagten trennten die Streitenden. Während sich der Nebenkläger auf den Gang vor dem Zimmer begab, ergriff der Angeklagte ein Kü- chenmesser. Er folgte dem Nebenkläger und schlug mit dem Messer mehrere Male in Richtung seines Kopfes und Halses. Dieser hob zur Abwehr seine Hände und wurde dort durch das Messer getroffen. Er zog sich während des Angriffs in die Gemeinschaftsküche der Etage zurück. Als er den Angeklagten fragte: „Hast du genug, willst du aufhören oder weitermachen?“, ließ dieser sein Messer fallen und trat zur Seite, so dass der Nebenkläger die Küche verlassen konnte. Durch den Schlag mit der Fernbedienung erlitt der Nebenkläger einen Bruch des Oberkiefers mit Lockerung mehrerer Zähne sowie Verlust zweier weiterer Zähne im Frontbereich des Unterkiefers. Aufgrund der Messerhiebe kam es unter anderem zu Schnittverletzungen an seiner linken Hand mit Durchtrennungen aller Beugesehnen von vier Fingern einschließlich der Nerven und zu einer potentiell lebensgefährlichen Schlagaderverletzung. Der Nebenkläger musste sich einer Notoperation unterziehen. Wegen der Verletzungen ist ihm ein Faustschluss der linken Hand unmöglich, ebenso ein vollständiges Strecken der betroffenen Finger. Bei Kälte sowie bei schnellen Greifbewegungen und beim Tragen von schwereren Lasten leidet er unter stromstoßartigen Schmerzen des linken Arms. Nach den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, die das Landgericht den Feststellungen zugrunde gelegt hat, ist die linke Hand weitgehend gebrauchsunfähig. Eine wesentliche Besserung ist nicht mehr zu erwarten. Allerdings sind die Bewegungseinschränkungen der Finger zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass er auf die erforderliche Nachsorge seiner Verletzungen verzichtete. Die neuro- und handchirurgischen Konsultationen, - 166 - die nach Auffassung des Erstoperateurs erfolgen sollten, hat er ebenso wenig durchführen lassen wie die angeratene Physiotherapie. Bei „ordentlicher Physiotherapie und Revision“ wäre die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit deutlich geringer gewesen (UA S. 20).
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) angenommen, da der Nebenkläger die Finger der linken Hand dauernd nicht mehr gebrauchen könne. Bei der Strafzumessung hat es einen minder schweren Fall der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 3 StGB bejaht, weil die Tat durch eine Provokation vonseiten des Nebenklägers veranlasst worden sei. Aus demselben Grund ist es auch von einem minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Alt. 2 StGB ausgegangen. Bei der konkreten Strafzumessung hat die Schwurgerichtskammer zugunsten des Angeklagten unter anderem „die vorangegangene Provokation und Beleidigung“, das „unberechtigte Eindringen in sein Zimmer“ und den Umstand gewertet, dass die Tat lange zurückliege. Als strafschärfend hat sie gewürdigt, dass der Nebenkläger seinen Beruf als Friseur nicht mehr ausüben könne. Dabei hat sie einschränkend berücksichtigt, „dass die Folgen in ihrer heutigen konkreten Ausprägung zu einem Teil auf die mangelnde Mitwirkung des Geschädigten bei der Nachsorge und Physiotherapie zurückzuführen sind“ (UA S. 21 f.).
II. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Die Feststellungen rechtfertigen die Anwendung des § 226 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB.
a) Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob die vorsätzliche Körperverletzung den Ausfall so vieler Funktionen verursacht hat, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen; ein völliger Funktionsverlust des betroffenen Körperglieds ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2007 – 4 StR 522/06, BGHSt 51, 252, 257; vom 6. November 2008 – 4 StR 375/08 Rn. 9; Beschluss vom 15. Januar 2014 – 4 StR 509/13, NStZ 2014, 213, jeweils mwN). Nach diesen Maßgaben ist gegen die Auffassung des Landgerichts, die weitgehende Unbrauchbarkeit nicht nur der betroffenen Finger, sondern der gesamten linken Hand des Nebenklägers unterfalle § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB, rechtlich nichts zu erinnern.
b) Unzweifelhaft hat sich, was bei § 226 StGB wie im Rahmen des § 227 StGB erforderlich ist (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 226 Rn. 1), in der schweren Folge die den Schlägen mit dem Messer innewohnende Gefahr verwirklicht. Für deren Vorhersehbarkeit ist auf die konkrete Lage sowie die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters abzustellen; lag der Erfolg aus dieser Sicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, kann er dem Täter nicht zugerechnet werden (vgl. jeweils zu § 227 StGB, BGH, Urteile vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21; vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453 mwN). Daran gemessen konnte der Angeklagte den Eintritt der qualifizierenden Folge absehen. Die Gefahr, dass sich der Nebenkläger gegen die auf Hals und Kopf gerichteten heftigen Messerschläge mit den Händen schützen und hieran schwerwiegende Verletzungen erleiden würde, war für ihn offensichtlich. An der Vorhersehbarkeit vermag auch eine „Mitverursachung“ eines Teils der Bewegungseinschränkungen durch den Verzicht des Nebenklägers auf Nachbehandlungen nichts zu ändern. Denn ein aus ärztlicher Sicht womöglich unvernünftiges Verhalten eines Geschädigten nach gravierender Verletzung liegt – zumal angesichts der dem Angeklagten bekannten sozialen Lebensumstände des Nebenklägers – nicht außerhalb jeder Erfahrung (vgl. zur Körperverletzung mit Todesfolge BGH, Urteil vom 9. März 1994 – 3 StR 711/93, NStZ 1994, 394; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 69/00).
c) Nicht geprüft hat das Landgericht, ob es aus dem vorgenannten Grund etwa am Zurechnungszusammenhang in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der „dauernden“ Gebrauchsunfähigkeit fehlen könnte. Darin ist indessen entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kein Rechtsfehler zu erblicken.
aa) Allerdings wird im Schrifttum die Meinung vertreten, dass die Dauerhaftigkeit bzw. „Langwierigkeit“ der schweren Folge dem Täter nicht zugerechnet werden kann, wenn deren Beseitigung oder Abmilderung dem Opfer machbar und zumutbar gewesen wäre (eingehend MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 42; siehe auch Stree/SternbergLieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 5; LK-StGB/Hirsch, 11. Aufl., § 226 Rn. 17). Als Kriterien der anzustellenden wertenden Abwägung werden dabei namentlich die Erfolgsaussicht von (Folge-)Operationen und die damit verbundenen Risiken genannt; gegen die Zumutbarkeit könne es sprechen, wenn dem Opfer eine Finanzierung der erforderlichen ärztlichen Maßnahmen auch mit materieller Unterstützung Dritter nicht möglich sei (vgl. MüKo-StGB/Hardtung, aaO; insoweit kritisch Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 1a).
bb) Der Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Er sieht sich dabei in grundsätzlicher Übereinstimmung mit bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, BGHSt 17, 161, 164 f.; vom 8. November 1966 – 1 StR 450/66, NJW 1967, 297, 298; offen gelassen im Urteil vom 29. Februar 1972 – 5 StR 400/71, BGHSt 24, 315, 318; siehe aber auch – nicht tragend – BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 190/08, NStZ 2009, 92, 93 [zu § 227 StGB]).
(1) Die erhöhte Strafdrohung des § 226 StGB ist an das Ausmaß der vom Täter schuldhaft hervorgerufenen Rechtsgutsverletzung geknüpft. Für dessen Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend (Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 5). Die dem Angeklagten vorhersehbare Dauerhaftigkeit des Funktionsverlusts der linken Hand des Nebenklägers beruht vorliegend auf der Verletzungshandlung des Angeklagten, der ihm mit seinem Messerangriff die Beugesehnen und die Nerven von vier Fingern durchtrennt hat. Die Körperverletzung muss nicht die ausschließliche Ursache des nicht wiedergutzumachenden Schadens sein (vgl. RGSt 27, 80). Danach ist der Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB vollständig verwirklicht.
(2) Dass der Verletzte eine medizinische Behandlung zur Beseitigung oder Abmilderung der eingetretenen Beeinträchtigungen unterlässt, kann nicht dazu führen, diese vom Täter herbeigeführte gravierende Folge als Gradmesser seiner Strafwürdigkeit auszugrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Das im Anwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – hier nicht gegebene extrem gelagerte Konstellationen etwa der Böswilligkeit ausgenommen – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären. Zu nennen ist insbesondere die Furcht vor den mit jeder (Folge-)Operation verbundenen Risiken und Leiden oder auch nur vor schmerzhaften Nachbehandlungen. Es würde jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, über den Gedanken der Zurechnung eine Art Obliegenheit des Opfers zu konstruieren, sich ungeachtet dessen aus übergeordneter Sicht „zumutbaren“ (Folge-)Operationen und anderen beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen, um dem Täter eine höhere Strafe zu ersparen (vgl. auch BGH, aaO; RGSt 27, 80). Darüber hinaus würde dem irreversibel geschädigten Opfer gegebenenfalls durch Gerichtsurteil bescheinigt, es sei gar nicht auf Dauer beeinträchtigt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 1a).
(3) Hinzu kommt, dass die durch das Schrifttum angeführten Kriterien für die anzustellende wertende Betrachtung „vage“ sind (in diesem Sinne auch MüKo-StGB/Hardtung, aaO). Dementsprechend ist kein überzeugender rechtlicher Maßstab vorhanden, anhand dessen Risiken und Qualen sowie sonstige Beschwerlichkeiten gewichtet und dem Opfer dann „zugemutet“ werden könnten. Es kann in diesem Rahmen auch nicht Aufgabe der Strafjustiz sein, die ihrerseits zumeist durch viele Faktoren bedingten Motive zu bewerten, die ein Opfer von der Durchführung einer weiteren medizinischen Behandlung abgehalten haben. Der Senat hatte mehrfach über Fälle zu entscheiden, in denen Schwerstverletzte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits eine Vielzahl von Operationen über sich hatten ergehen lassen müssen. Es ist nicht ersichtlich, wie mithilfe des Kriteriums der „Zumutbarkeit“ entschieden werden könnte, ob dem hiervon erschöpften Opfer noch eine weitere Operation aufzugeben gewesen wäre, weil sie dessen Zustand nach sachverständiger Beurteilung so weit verbessert hätte, dass der von § 226 Abs. 1 StGB geforderte Schweregrad gerade nicht mehr erreicht wäre. Stellt man im Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung ferner auf die Finanzierbarkeit der dem Opfer angesonnenen Behandlungen ab und gibt ihm insoweit gar eine „vernünftige“ Verwendung etwa vorhandener eigener Mittel vor (so MüKo-StGB/Hardtung, aaO), wäre die Entscheidung endgültig dem Zufall preisgegeben (vgl. auch BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Die im Schrifttum befürwortete Anschauung ist danach geeignet, die Bestimmtheit der Strafdrohung (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB) durchgreifend in Frage zu stellen.
2. Die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung kann bestehen bleiben. Der Angeklagte hat eine schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sowie eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen. Zumindest in dieser Begehungsform steht die gefährliche Körperverletzung zur schweren Körperverletzung in Tateinheit, denn die schwere Folge des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird weder notwendig noch regelmäßig durch eine das Leben (abstrakt) gefährdende Handlung bewirkt (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24). 3. Die Strafzumessung lässt keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten erkennen. Insbesondere hat das Landgericht hier die „Mitverursachung“ der schweren Folge durch den Nebenkläger strafmildernd in die Abwägung eingestellt.
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die von der Schwurgerichtskammer vorgenommene Strafzumessung weist bereits bei der Strafrahmenwahl einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. - 168 - Die Schwurgerichtskammer hat die Annahme eines minder schweren Falls der schweren und der gefährlichen Körperverletzung unter Hinweis auf die vom Nebenkläger vor der Tat ausgehende Provokation begründet und sich dabei der Sache nach zutreffend auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt. Danach ist ein minder schwerer Fall der schweren und gefährlichen Körperverletzung regelmäßig anzunehmen, wenn der Angeklagte zu der Tat durch eine grundlose schwerwiegende Provokation veranlasst worden ist, die im Falle der Annahme eines (versuchten) Totschlags zwingend zu einer Strafrahmenmilderung nach § 213 Alt. 1 StGB hätte führen müssen (BGH, Beschluss vom 10. August 2004 – 3 StR 263/04, StV 2004, 654; Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24, jeweils mwN). Jedoch ergibt sich der für den Tatbestand § 213 Alt. 1 StGB erforderliche Zusammenhang zwischen Provokation und Tat („hierdurch“) aus den Urteilsgründen nicht. Danach war der Angeklagte, der vom Nebenkläger immer wieder wegen des Vorfalls angegangen wurde, „entschlossen, diese Sache mit dem Geschädigten an diesem Tage «ein für alle Mal zu klären»“ (UA S. 20) und verfolgte den bereits erheblich verletzten Nebenkläger, der im Zeitpunkt des Messerangriffs schon gewichen war und das Zimmer des Angeklagten verlassen hatte. Das legt nahe, dass einem Zorn des Angeklagten über die Beleidigung oder die ihm zugefügte körperliche Misshandlung keine tatauslösende Bedeutung mindestens in Bezug auf die Schläge mit dem Messer zugekommen ist (hierzu LK-StGB/Jähnke, aaO, § 213 Rn. 11 mwN). Weil sich das Landgericht hiermit nicht erkennbar befasst hat, begegnet die Wahl des Strafrahmens durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Damit ist dem gesamten Strafausspruch die Grundlage entzogen. IV. 1. Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Da ein Tötungsdelikt gemäß § 74 Abs. 2 GVG nicht mehr inmitten steht, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück.
2. Für die durchzuführende Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:
a) Sollte das neue Tatgericht abermals zur Annahme des § 213 Alt. 1 StGB gelangen, so würde eine nochmalige strafmildernde Berücksichtigung der Provokation des Nebenklägers ausscheiden. Zwar können und müssen die nach Art und Maß unterschiedlichen konkreten Umstände, die zu einer Milderung des Strafrahmens geführt haben, mit ihrem verbleibenden Gewicht bei der Strafhöhenbemessung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 1984 – 1 StR 330/84, NStZ 1984, 548; Beschlüsse vom 24. März 1976 – 2 StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; vom 8. April 1987 – 2 StR 91/87; vom 9. Dezember 1992 – 2 StR 535/92, BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 2 und 5). Der die Milderung des Strafrahmens bewirkende Grund als solcher scheidet allerdings insoweit aus (BGH, Beschluss vom 27. Juli 1987 – 3 StR 308/87; Urteil vom 6. September 1989 – 2 StR 353/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Gesamtbewertung 2 und 5).
b) Den Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen sich keine Hinweise auf ein von der Schwurgerichtskammer strafmildernd gewertetes „unberechtigtes Eindringen“ des Nebenklägers in das Zimmer des Angeklagten entnehmen.
c) Bei der Bildung der Gesamtstrafe wird auch die vom Amtsgericht Freiberg im Urteil vom 20. November 2014 verhängte Einzelfreiheitsstrafe für die Tat vom 19. November 2012 einzubeziehen sein. Denn die vorliegend zu beurteilende Tat wurde – was entgegen der Sichtweise des Landgerichts (UA S. 23) allein maßgebend ist – vor dem 20. November 2014 begangen. Den früheren Urteilen der Amtsgerichte Freiberg und Dresden kommt dabei wegen deren vollständiger Erledigung keine Zäsurwirkung (mehr) zu (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1247; Sander NStZ 2016, 584, 588).