StGB § 24 Abs. 1 Korrektur des Rücktrittshorizontes: Ein unbeendeter Versuch kommt in Betracht, wenn der Täter nach seiner letzten Tathandlung den Eintritt des Taterfolgs zunächst für möglich hält,
BGH, Beschluss v. 8. Dezember 2016 – 2 StR 440/16
Für die Frage, ob ein Versuch fehlgeschlagen ist, kommt es nicht auf den ursprünglichen Tatplan des Angeklagten, sondern auf seine Vorstellung im Zeitpunkt des Rücktritts an, sog. Rücktrittshorizont. Hält der Täter die Vollendung der Tat - wenn auch mit anderen Mitteln - ohne zeitliche Zäsur noch für möglich, so ist sein Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3 auf dessen Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22. Juni 2016, soweit er verurteilt wurde,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung und des vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe schuldig ist,
b) im Strafausspruch wegen des Körperverletzungsdelikts und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere - allgemeine - Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und einer Woche verurteilt. Die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Einen Schlagring hat es eingezogen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte mit der Nebenklägerin eine Beziehung, die durch seine Eifersucht belastet war. Am 18. August 2015 fuhr die Nebenklägerin nachts mit ihrer Schwester nach G., um dort zu essen und eine Spielhalle aufzusuchen. Gegen 03.00 Uhr am nächsten Morgen kehrten sie nach Hause zurück. Der Angeklagte vermutete, dass sich die Nebenklägerin mit einem anderen Mann getroffen habe. Sie ging ihm wegen seiner Eifersucht aus dem Weg und hielt sich im Schlafzimmer ihres Bruders auf, der nicht zuhause war. Sie setzte sich dort auf das Bett und rauchte. Der Angeklagte holte aus der Küche ein Schlachtermesser und hebelte damit die Tür auf. Dann kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, worauf der Angeklagte dabei mit dem Schlachtermesser neben der Nebenklägerin in die Matratze stach. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob dies mit einem Vorsatz zur Verletzung oder sogar zur Tötung der Nebenklägerin geschah. Die Nebenklägerin warf dem Angeklagten eine Bierflasche an den Kopf. Dann kam ihre Schwester hinzu und es entwickelte sich ein Handgemenge. Der Angeklagte nahm die Schwester der Nebenklägerin in den „Schwitzkasten“, aus dem sie sich mit einem Biss befreien konnte. Der Angeklagte sah sich dann beiden Schwestern gegenüber und stieß diese zu Boden. Anschließend griff er mit der rechten Hand hinter einen Fernseher, der auf einem in der Nähe befindlichen Schrank stand. Er warf den Fernseher auf die am Boden liegenden Schwestern. Der Fernseher verfehlte die Nebenklägerin knapp, traf aber deren Schwester an der Hüfte. Diese rief ihre Eltern, um weitere Eskalationen zu verhindern. Während dessen trat der Angeklagte gegen einen anderen Fernseher, der beschädigt wurde. Als die Eltern der Nebenklägerin und ihrer Schwester erschienen, hatte sich der Angeklagte auf eine Couch gelegt. Er wurde aufgefordert, am Morgen das Haus zu verlassen. Bei einer späteren Durchsuchung durch die Polizei wurde im Rucksack des Angeklagten ein ihm gehörender Schlagring gefunden. Das Landgericht hat den Wurf mit dem Fernseher als gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin und als versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil ihrer Schwester gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte sei nicht strafbefreiend von dem tateinheitlich begangenen Versuch zurückgetreten, „denn der Versuch war fehlgeschlagen, nachdem der Fernseher die Nebenklägerin knapp verfehlt hatte.“
II.
1. Diese Würdigung hinsichtlich der tateinheitlich versuchten gefährlichen Körperverletzung ist rechtlich zu beanstanden. Der Versuch der Tat ist unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist. In Fällen unbeendeten Versuchs genügt bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung und Nichtweiterhandeln, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen. Abzugrenzen sind die Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs, in denen entweder der Erfolgseintritt objektiv nicht mehr möglich ist oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält. Beim fehlgeschlagenen Versuch ist der Rücktritt ausgeschlossen. Ein Fall des fehlgeschlagenen Versuchs liegt jedoch nicht vor, wenn der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits ei gesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228). Das Landgericht hat zum Rücktrittshorizont des Angeklagten keine Feststellungen getroffen. Objektiv hatte er die Möglichkeit, weiter auf die Nebenklägerin einzuwirken, zumal er nach der Körperverletzungshandlung mit dem einen Fernseher einen zweiten Fernseher beschädigte, der ihm auch als Tatwerkzeug zur Verfügung gestanden hätte. Der Senat schließt aus, dass bei dieser Sachlage noch Feststellungen zum Rücktrittshorizont getroffen werden können, aus denen sich ein Fall des fehlgeschlagenen Versuchs der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin ergeben würde. Er ändert deshalb den Schuldspruch dahin ab, dass eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Schwester der Nebenklägerin verbleibt. Die Verurteilung wegen des Waffendelikts weist keinen Rechtsfehler auf.
2. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der Einzelstrafe wegen des Körperverletzungsdelikts zur Folge. Damit entfällt auch die Gesamtfreiheitsstrafe.