StGB § 241 Bedrohung – Eindruck der Ernstlichkeit
BGH, Beschl. v. 15.01.2015 - 4 StR 419/14 - BeckRS 2015, 02499
Der Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB, der in erster Linie dem Schutz des Rechtsfriedens des Einzelnen dient, setzt das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person voraus, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken. Ob einer Erklärung oder einem schlüssigen Verhalten die objektive Eignung zur Störung des individuellen Rechtsfriedens zukommt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines durchschnittlich empfindenden Beobachters, wobei auch Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 2. Dezember 2013, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen
a) hinsichtlich der Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und
b) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz in vier Fällen, Bedrohung in sechs Fällen und Beleidigung in zwei Fällen zu der Jugendstrafe von acht Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen: Der zu den Tatzeiten 18 und 19 Jahre alt gewesene, nicht vorbestrafte Angeklagte leidet an einer leichten Intelligenzminderung (Intelligenzquotient von 50) sowie an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, die insbesondere in einer gestörten Empathiefähigkeit ihren Ausdruck findet. Er steht unter u.a. die Aufgabenbereiche Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungs-, Vermögens- und Behördenangelegenheiten umfassender Betreuung und lebte seit Mai 2012 bis zu seiner auf landesrechtlicher Grundlage erfolgten Unterbringung am 11. Januar 2013 in einer Einrichtung der evangelischen Stiftung U. in B., wo es von Beginn an zu Konflikten zwischen dem Angeklagten und anderen Bewohnern der Einrichtung kam, die im Vergleich zu auch in früheren Wohngruppen des Angeklagten vorkommenden Konflikten von größerer Intensität waren. Am 6., 11. und 17. Mai 2012 sandte der Angeklagte u.a. fünf SMS-Nachrichten an seinen leiblichen Vater, von denen eine Nachricht eine beleidigende Äußerung enthielt und vier
Nachrichten Tötungsdrohungen zum Gegenstand hatten, die sich gegen den Vater des Angeklagten oder dessen Mutter richteten (II. 1 der Urteilsgründe). Zwischen dem 21. und 23. September 2012 begab sich der Angeklagte in den auf dem Gelände der Stiftung befindlichen Pferdestall und brachte einem dort untergebrachten Pferd mittels eines kleinen Butterflymessers mit 4 cm langer Klinge am Oberschenkel des linken Vorderbeins eine 4 cm tiefe Stichverletzung bei, deren Stichkanal bis zum Knochen reichte (II. 2 der Urteilsgründe). Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Übergriff auf das Pferd wurde der Angeklagte auf einen Igel aufmerksam, auf den er mit seinem Butterflymesser einstach. Anschließend verpackte er den blutenden Igel in eine Plastiktüte und legte ihn im Pferdestall der Einrichtung ab (II. 3 der Urteilsgründe). Bei anderer Gelegenheit, vermutlich Ende September 2012, bemerkten der Angeklagte und drei andere auf dem Gelände der Einrichtung einen Igel, den sie gemeinsam u.a. durch Schläge mit einer Krücke so schwer verletzten, dass er verendete. Der Angeklagte beteiligte sich an dem Geschehen, indem er mindestens einmal auf den Igel trat (II. 4 der Urteilsgründe). Am 13. Oktober 2012 bezeichnete der Angeklagte einen an ihm vorbeigehenden Bewohner der Einrichtung ohne erkennbaren Anlass als „Arschloch“ und erklärte, er habe seine Mutter und seine Freundin „gefickt“ (II. 5 der Urteilsgründe). Nachdem es am Vortag auf Nachfrage seines Bezugsbetreuers zu einer Erörterung über die Herkunft eines beim Angeklagten aufgefallenen ungewöhnlich hohen Bargeldbetrages gekommen war und der Angeklagte das Thema unmittelbar nach dem Aufstehen am Morgen des 6. Januar 2013 gegenüber dem Betreuer im sehr aufgeregten Zustand wieder angesprochen hatte, kam der Angeklagte dem Betreuer kurze Zeit später mit einem Tafelmesser in der Hand entgegen und erklärte sinngemäß „ich stech dich ab, ich bring mich um“. Im weiteren Verlauf legte der Angeklagte auf Aufforderung des Betreuers das Messer mit dem Griff in dessen Richtung auf den Boden. Um sich gleich wieder mit dem Betreuer zu versöhnen, kam der Angeklagte auf diesen zu und wollte ihn umarmen (II. 6 der Urteilsgründe). Am selben Tag begab sich der Angeklagte zusammen mit einem anderen auf dem Gelände der Stiftung zu dem von ihm bereits zuvor verletzten Pferd. Mit einem von seinem Begleiter übergebenen Messer brachte er dem Pferd eine ca. 4 cm lange oberflächliche Schnittverletzung an der Außenseite des rechten Oberschenkels bei (II. 7 der Urteilsgründe). Schließlich sollte der Bezugsbetreuer des Angeklagten diesen am 11. Januar 2013 zur neuen medikamentösen Einstellung des Angeklagten zu einer Psychiaterin nach B. bringen. Der Angeklagte, der frei entscheiden konnte, ob er zur Psychiaterin fahren wollte oder nicht, lehnte die ihm bereits am Vorabend angekündigte Fahrt zunächst ab, entschied sich dann aber anders und erklärte, doch fahren zu wollen. Im Laufe der anschließenden Autofahrt änderte der Angeklagte noch mehrfach seine Meinung. Zum Teil gab er an, wenn man bei der Ärztin ankomme, werde er nicht aussteigen. Da es dem Angeklagten freistand, die Psychiaterin aufzusuchen oder nicht, ging der Betreuer jedes Mal, wenn der Angeklagte angab, nicht fahren zu wollen, darauf ein und erklärte umzudrehen, woraufhin sich der Angeklagte wieder anders entschied.
Obwohl der Betreuer jedes Mal auf die Meinungsänderung des Angeklagten reagierte, war dieser während der Fahrt sehr aufgebracht und bedrohte und beleidigte den Betreuer. Er erklärte, er wolle nicht zur Psychiaterin und bräuchte auch nicht dorthin zu fahren, wenn er das müsse, dann würde er die Psychiaterin und den Betreuer abstechen. Auch gab er an, sich selbst umzubringen. Nachdem er darüber hinaus geäußert hatte, er werde dem Betreuer ins Lenkrad fassen, und sich auch in diese Richtung bewegt hatte, brach der Betreuer die Fahrt ab und fuhr zur Einrichtung zurück (II. 8 der Urteilsgründe). Aufgrund der beim Angeklagten vorliegenden Intelligenzminderung und der kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat am 13. Oktober 2012 nicht ausschließbar, bei den übrigen Taten sicher erheblich herabgesetzt. Die Annahme, dass vom Angeklagten infolge seines Zustands mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades gewalttätige Übergriffe auf beliebige Menschen ggf. unter Zuhilfenahme von Werkzeugen oder Waffen zu erwarten sind, stützt die Jugendkammer – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – maßgeblich darauf, dass der Angeklagte zwei wesentliche Hemmschwellen überschritten habe. Zum einen liege mit der Verletzung von Pferden und Igeln ein wichtiger Prädiktor für Gewaltdelikte gegen Menschen vor. Darüber hinaus habe der Angeklagte mit seinen Selbstverletzungen auch die Grenze zur Verletzung von Menschen überschritten. Hierzu bedürfe es keines Angriffs auf eine andere Person. Bereits eine Selbstverletzung bedeute ein hohes Risiko, dass der Angeklagte diese Schwelle zur Verletzung von Menschen erneut – und dann auch durch Verletzung anderer Personen – überschreite.
II. 1. Die Verurteilung wegen Bedrohung im Fall II. 8 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Wertung des Landgerichts, bei der Äußerung des Angeklagten gegenüber seinem Betreuer habe es sich um eine objektiv ernstzunehmende Drohung gehandelt, auf einer unvollständigen tatrichterlichen Wertung beruht. Der Tatbestand der Bedrohung in § 241 Abs. 1 StGB, der in erster Linie dem Schutz des Rechtsfriedens des Einzelnen dient (vgl. BVerfG, NJW 1995, 2776, 2777; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 241 Rn. 2), setzt das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen der Begehung eines Verbrechens gegen den Drohungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person voraus, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken (vgl. BVerfG aaO; OLG Naumburg, StV 2013, 637; OLG Koblenz, NStZ-RR 2007, 175; Sinn in MükoStGB, 2. Aufl., § 241 Rn. 2, 4; Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 241 Rn. 2, 4). Ob einer Erklärung oder einem schlüssigen Verhalten die objektive Eignung zur Störung des individuellen Rechtsfriedens zukommt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls aus Sicht eines durchschnittlich empfindenden Beobachters, wobei auch Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können (vgl. Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 241 Rn. 10; Sinn aaO Rn. 5; Eser/Eisele aaO). Zwar kann eine Bedrohung auch in der Weise erfolgen, dass die Begehung des Verbrechens vom künftigen Eintritt oder Nichteintritt eines weiteren Umstands abhängen soll (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1961 – 1 StR 288/61, BGHSt 16, 386, 387), so dass die Verknüpfung der Todesdrohung des Angeklagten mit einem zwangsweisen Verbringen zu seiner Psychiaterin grundsätzlich der Erfüllung des Tatbestands des § 241 Abs. 1 StGB nicht entgegensteht. Im vorliegenden Fall sollte nach den Feststellungen jedoch gerade kein Arztbesuch gegen den Willen des Angeklagten durchgesetzt werden.
Vielmehr konnte der Angeklagte den in seinem Belieben stehenden Arztbesuch jederzeit ablehnen, was er während der Fahrt auch wiederholt tat. Der Betreuer ging auch jeweils auf die entsprechenden Willensäußerungen ein und erklärte umzudrehen. Es stand daher schon bei der Äußerung des Angeklagten fest, dass der Umstand, von dem die Tötungsdrohung nach dem Wortlaut der Äußerung abhängen sollte, nicht eintreten würde. Diesen für die Bestimmung des Erklärungsgehalts der Äußerung bedeutsamen situativen Kontext hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, da eine tatrichterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung der Jugendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist. Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die angeordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang
nicht zu entnehmen.
3. Schließlich begegnet auch der Maßregelausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 63 StGB nicht tragfähig begründet. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244; vom 30. Juli 2014 – 4 StR 183/14 Rn. 5). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Gefährlichkeitsprognose nicht gerecht. Soweit die Jugendkammer die Gefährlichkeit des Angeklagten maßgeblich damit begründet, dass er mit seinen Selbstverletzungen auch die Grenze zur Verletzung von Menschen überschritten habe, entbehren die Erwägungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Das Urteil gibt insoweit lediglich die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen wieder, wonach aufgrund der ansonsten widersprüchlichen Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration, die aber hinsichtlich der Schilderung von Schnitten in den Unterarm wegen der am Unterarm zu erkennenden Narbenbildung stimmig gewesen seien, von einem Impuls zur Selbstverletzung beim Angeklagten auszugehen sei. Konkrete Feststellungen zu Selbstverletzungen des Angeklagten in der Vergangenheit hat das Landgericht aber nicht getroffen. Die Urteilsgründe verhalten sich weder zu Zeitpunkt, Ausmaß und Häufigkeit von selbstverletzenden Handlungen des Angeklagten noch dazu, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Selbstverletzungen und dem psychischen Defektzustand des Angeklagten besteht. Entsprechende Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob einem entsprechenden Verhalten des Angeklagten indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose beigemessen werden kann. Die Unterbringungsanordnung bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der eher geringfügigen Anlasstaten, die während des Tatzeitraums keine Steigerung der Deliktschwere erkennen lassen, wird der neue Tatrichter im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose – eingehender, als bisher geschehen, – die vom Angeklagten in verschiedenen Einrichtungen gezeigten aggressiven Verhaltensweisen in den Blick zu nehmen und sich mit der im angefochtenen Urteil offen gebliebenen Frage zu befassen haben, inwieweit dieses Verhalten des Angeklagten bereits zu tätlichen Übergriffen auf andere Personen geführt hat. Der Senat weist ferner darauf hin, dass zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zur Begründung der Gefährlichkeit des Angeklagten herangezogen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2004 – 4 StR 452/04). Schließlich wird angesichts der besonders gelagerten Sachlage die Hinzuziehung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigen zu erwägen sein.
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