StGB § 249 Abs. 1 Raubspezifische Einheit von Nötigung und Wegnahme

BGH, Urteil v. 22. Juni 2016 – 5 StR 98/16 (BGHSt)

Für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme ist maßgeblich, ob es zu einer – vom Täter erkannten – nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 30. Oktober 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. –

Von Rechts wegen - Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der zur Tatzeit 58 Jahre alte Angeklagte morgens seine Mutter in deren Wohnung. Spätestens nach Beendigung eines gemeinsamen Kaffeetrinkens gegen 8:40 Uhr fasste er den Entschluss, ihr Bargeld, Schmuck und das Auto zu entwenden. Einen Widerstand seiner Mutter gegen die Wegnahme der Gegenstände wollte er von vornherein gewaltsam verhindern. Er bat sie unter einem Vorwand, die Augen zu schließen. Als sie der Aufforderung nachkam, versetzte er ihr mit einem stumpfen Gegenstand einen wuchtigen Schlag gegen den Kopf. Hierdurch erlitt sie eine Impressionsfraktur des Schädels mit kleineren Knochenbruchstücken, Lufteinschlüssen und mehreren Blutungen. Allerdings verlor sie nicht das Bewusstsein, sondern war lediglich benommen und kurzzeitig in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt. Der Angeklagte bemerkte, dass seine Mutter zwar die blutende Wunde an ihrem Kopf wahrgenommen, aber nicht realisiert hatte, dass er die Verletzung durch seinen Schlag verursacht hatte. Er verständigte den Rettungsdienst und erkannte die Möglichkeit, seinen Tatplan modifiziert doch noch zu verwirklichen. Er wollte nunmehr den Krankenhausaufenthalt seiner Mutter zur Vollendung der Tat nutzen. Um wieder in die Wohnung gelangen zu können, steckte er ihren Wohnungstürschlüssel ein, als die Rettungskräfte die von ihm begleitete Geschädigte gegen 9:40 Uhr ins Krankenhaus transportierten. In Fortführung seines Vorhabens begab er sich alsbald nach der gegen 10:00 Uhr erfolgten stationären Aufnahme der Geschädigten zurück in die Wohnung. Dort entwendete er mindestens 4.500 Euro Bargeld sowie Goldschmuck. Außerdem nahm er den Schlüssel zum Auto seiner Mutter an sich, mit dem er wegfuhr.

2. Die Strafkammer hat den Tatbestand eines vollendeten besonders schweren Raubes als erfüllt angesehen. Der erforderliche zeitlich-räumliche Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahme sei durch den dazwischen liegenden Zeitraum, insbesondere durch die Mitfahrt des Angeklagten ins Krankenhaus, nicht in Frage gestellt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Gewaltwirkung zum Zeitpunkt der Wegnahme wegen der erforderlichen intensivmedizinischen Versorgung der Geschädigten im Krankenhaus noch angedauert habe. Der Irrtum des Angeklagten über den objektiven Kausalverlauf sei nicht als erheblich zu werten. Zwar habe die Geschädigte entgegen seiner ursprünglichen Vorstellung nach der Gewaltanwendung nicht das Bewusstsein verloren, sodass er eine Bewusstlosigkeit nicht unmittelbar zur Wegnahme habe ausnutzen können. Letztlich habe er dieses Ziel aber dennoch zeitnah als Folge seiner Gewaltanwendung erreicht.

II. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts erweist sich entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten (besonders) schweren Raubes im Ergebnis als rechtsfehlerfrei.

1. Notwendige Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen Raubes ist nach ständiger Rechtsprechung zunächst eine subjektiv-finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz des qualifizierten Nötigungsmittels und der Wegnahme. Gewalt oder Drohung müssen aus Sicht des Täters das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. Nach seiner Vorstellung soll mit dem Nötigungsmittel körperlicher Widerstand überwunden oder aufgrund der Zwangswirkung unterlassen und es ihm hierdurch ermöglicht werden, den Gewahrsam zu brechen (BGH, Urteile vom 19. April 1963 – 4 StR 92/63, BGHSt 18, 329, 331, und vom 6. Oktober 1992 – 1 StR 554/92, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 5). Hier handelte der Angeklagte während seiner Gewaltanwendung mit Wegnahmevorsatz und Zueignungsabsicht. Er wollte gegen das Opfer Gewalt ausüben, um anschließend ungehindert Wertgegenstände aus der Wohnung entwenden zu können. Die zum Zeitpunkt des Gewalteinsatzes bestehende subjektiv-finale Verknüpfung von Nötigungshandlung und Wegnahme ist durch die Fehlvorstellung des Angeklagten von der Wirkungsweise seiner Gewalthandlung, die zum Eintritt der Bewusstlosigkeit der Geschädigten führen sollte (UA S. 25), auch nicht aufgehoben worden. Aufgrund der von ihm verübten Gewalt und der hierdurch bewirkten schweren Verletzungen, die eine Krankenhausbehandlung erforderten, war die Geschädigte nicht mehr in der Lage, sich dem Gewahrsamsbruch zu widersetzen. Diesen führte der Angeklagte bei ununterbrochen fortbestehendem Wegnahmevorsatz nachfolgend durch. Die Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Finalverlauf ist deshalb unerheblich. Sie hat sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren gehalten und rechtfertigt keine andere Bewertung der Tat (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, Rn. 21 ff., zum Abdruck in BGHSt vorgesehen).

2. Über die finale Verknüpfung von Nötigungshandlung und Wegnahme hinaus müssen beide den Raubtatbestand konstituierenden Elemente in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang stehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 4 StR 640/83, bei Holtz, MDR 1984, 276, mit Anm. Seier, JA 1984, 441, 442; Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 366/05, NStZ 2006, 38). Für diesen Zusammenhang ist allerdings nicht erforderlich, dass der Ort der Nötigungshandlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind (vgl. BGH, aaO). Auch lassen sich verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme nicht benennen (vgl. MüKo-StGB/Sander, 2. Aufl., § 249 Rn. 27). Vielmehr entscheiden die Umstände des Einzelfalls. Maßgeblich für die raubspezifische Einheit von qualifizierter Nötigung und Wegnahme ist vielmehr, ob es zu einer – vom Täter erkannten – nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 – 1 StR 398/15, Rn. 27, wo allerdings der vermögensrechtliche Begriff der Dispositionsfreiheit verwendet wird; siehe auch Albrecht, Die Struktur des Raubtatbestandes, 2011, S. 134, 141, 147). Das in § 252 StGB enthaltene Erfordernis „auf frischer Tat“ steht dieser Auslegung schon im Hinblick auf die andersartige Struktur dieses Tatbestands nicht entgegen. Mit der nötigungsbedingten Beseitigung der Fähigkeit der Geschädigten, die in ihrer Gewahrsamssphäre befindlichen Wertsachen zu verteidigen, hat nach den Urteilsfeststellungen ein raubspezifischer Zusammenhang zwischen der Gewalthandlung des Angeklagten und seiner nachfolgenden Wegnahme der Tatobjekte vorgelegen. Die Geschädigte war aufgrund ihrer schweren Verletzungen nach der deswegen erforderlichen Verbringung ins Krankenhaus ähnlich wie bei einer Bewusstlosigkeit schon nicht mehr in der Lage, einen gegen den Gewahrsamsbruch des Angeklagten gerichteten Abwehrwillen zu bilden. Diesen von ihm im Wege der Modifizierung des Tatplans nachvollzogenen Umstand nutzte der Angeklagte auch „alsbald“ nach der Aufnahme der Geschädigten im Krankenhaus aus (UA S. 8). Mit der Einlieferung ins Krankenhaus erlangte er nach seiner Vorstellung erst den ungehinderten Zugriff auf die Wertsachen in der Wohnung seiner Mutter. Dabei betrug nach den zu den Zeitpunkten der Gewalthandlung und der Krankenhauseinlieferung sowie zur Dauer des Transports der Geschädigten von ihrer Wohnung zum Krankenhaus getroffenen Feststellungen (UA S. 7 f.) – entgegen der hierzu in der rechtlichen Würdigung des Landgerichts enthaltenen missverständlichen Formulierung (UA S. 25) – die zeitliche Differenz zwischen der Gewaltanwendung und den Wegnahmehandlungen jedenfalls nicht mehr als zwei Stunden. Deshalb bilden beide Tatbestandselemente noch die das typische Tatbild eines Raubes begründende Einheit.