StGB § 251 Raub mit Todesfolge – Behandlungsabbruch entsprechend Patientenverfügung
BGH, Urt. v. 17.03.2020 – 3 StR 574/19
Der qualifikationsspezifische Risikozusammenhang im Sinne des § 251 StGB wird nicht dadurch unterbrochen, dass die behandelnden Ärzte mit Blick auf eine wirksame Patientenverfügung in rechtmäßiger Weise von einer Weiterbehandlung des moribunden Raubopfers absehen.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. März 2020 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 11. Juli 2019 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Der Verfahrensrüge ist aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg zu versagen. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, so dass das Rechtsmittel insgesamt unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist. Der näheren Ausführung bedarf allein die Frage des Zusammenhangs zwischen der Raubtat und dem Tod der Geschädigten.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die unter Niereninsuffizienz und Diabetes leidende 84jährige später Verstorbene war am Tattag trotz ihrer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit zu Fuß unterwegs. Neben anderen Erledigungen hob sie bei einer Bank 600 € ab. Das Geld verstaute sie in der Handtasche, die sie in den Korb ihres Rollators legte, wobei sie den Gurt um den Rollatorgriff führte. Während sie sich auf dem Heimweg befand, näherte sich ihr der Angeklagte von hinten auf seinem Fahrrad. Obgleich er die Fixierung der Tasche am Griff des Rollators erkannte, ergriff er diese und zog so kräftig an ihr, dass seinem Opfer die Gehhilfe entglitt, es das Gleichgewicht verlor und ungebremst mit dem Kopf auf das Pflaster aufschlug. Dieser Verlauf musste sich dem Angeklagten bei seinem Handeln aufdrängen. Mit der Tasche entfernte er sich vom Tatort. Die später Verstorbene erlitt durch den Sturz unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma mit einer massiven subduralen Blutung. Da diese in der Folge nicht zum Stillstand kam, musste sie sechs Tage nach der Tat zur Druckentlastung des Gehirns unter Vollnarkose operiert werden. Nach der Operation erlangte sie aufgrund einer durch den Blutverlust während der Operation und die Vorerkrankungen bedingten Kreislaufschwäche das Bewusstsein nicht wieder. Nachdem sich der Gesundheitszustand trotz weiterer Behandlungsversuche in den nächsten vier Tagen zunehmend verschlechtert hatte, beschlossen die behandelnden Ärzte zusammen mit den Angehörigen in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Patientenverfügung und vor der Operation gegenüber dem Arzt geäußerten Wünschen der später Verstorbenen, diese nur noch palliativ weiter zu behandeln. Sie verstarb 13 Tage nach der Tat.
II.
Die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Tat als Raub mit Todesfolge begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist der vom Tatbestand des § 251 StGB geforderte gefahrspezifische Zusammenhang zwischen dem vom Angeklagten begangenen Raub und dem Tod der Verstorbenen ungeachtet der nur eingeschränkten medizinischen Behandlung gegeben.
1. Die deutlich erhöhte Strafdrohung für den Raub mit Todesfolge gebietet eine einschränkende Auslegung des § 251 StGB. Eine wenigstens leichtfertige Todesverursachung durch die Tat ist danach nur dann anzunehmen, wenn nicht nur der Ursachenzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie gegeben ist, sondern sich im Tod des Opfers tatbestandsspezifische Risiken verwirklichen, die typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergehen. Dem speziellen Unrechtsgehalt des § 251 StGB ist nur genügt, wenn sich die dem Raub innewohnende Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter in einer über den bloßen Ursachenzusammenhang hinausgehenden Weise in der Todesfolge niedergeschlagen hat. Dieser qualifikationsspezifische Zusammenhang ist allerdings auch dann gegeben, wenn die den Tod des Opfers herbeiführende Handlung zwar nicht mehr in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme steht, sie mit dem Raubgeschehen aber derart eng verbunden ist, dass sich in der Todesfolge die der konkreten Raubtat eigene besondere Gefährlichkeit verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1992 - 3 StR 535/91, BGHSt 38, 295, 298; Beschlüsse vom 13. August 2002 - 3 StR 204/02, NStZ 2003, 34 Rn. 2; vom 24. April 2019 - 2 StR 469/18, NStZ 2019, 730 Rn. 8). Wird der Tod des Opfers unmittelbar durch eine Nötigungshandlung bewirkt, die der Ermöglichung der Wegnahme dient, so liegt der qualifikationsspezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 319/98, NJW 1999, 1039 f.; vom 24. April 2019 - 2 StR 469/18, NStZ 2019, 730 Rn. 9). Der geforderte Risikozusammenhang kann allerdings unterbrochen werden, wenn die tödliche Folge erst durch das Eingreifen eines Dritten (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juni 1983 - 2 StR 150/83, BGHSt 32, 25, 28; vom 23. September 1981 - 3 StR 298/81, juris Rn. 14 zu § 226 aF) oder ein eigenverantwortliches Handeln des Opfers selbst (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 190/08, NStZ 2009, 92 Rn. 14; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, BGHSt 61, 318 Rn. 16 mwN; vgl. zum Ganzen Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 227 Rn. 4 m. ausf. Nachw.) herbeigeführt wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung des § 251 StGB immer dann ausgeschlossen ist, wenn die tödliche Folge nicht unmittelbar durch die im Rahmen der Nötigung eingesetzte Gewalt, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt wird (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 - 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 99; Beschluss vom 13. August 2002 - 3 StR 204/02, NStZ 2003, 34 Rn.
2). Inwieweit solche von einem Dritten oder dem Opfer selbst verantworteten Eingriffe in den tödlichen Verlauf zur Folge haben, dass sich die Tathandlung des Grunddelikts im qualifizierten Erfolg nicht mehr niederschlägt, muss für jeden in Betracht kommenden Straftatbestand nach dessen Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung der von ihm erfassten Sachverhalte in differenzierender Wertung ermittelt werden (BGH, Urteile vom 18. September 1985 - 2 StR 378/85, BGHSt 33, 322, 323; vom 15. Mai 1992 - 3 StR 535/91, BGHSt 38, 295, 298; zum Ganzen Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 18 Rn. 4 ff. m. ausf. Nachw. auch zu den Ansätzen der Literatur). Hierbei ist das Gewicht und die Bedeutung des Eingriffs für den weiteren Geschehensablauf in Betracht zu ziehen. Insoweit ist etwa von Belang, ob die Realisierung der spezifischen Todesgefahr durch das Eingreifen des Opfers nur beschleunigt oder durch diese erst geschaffen wurde (BGH, Urteil vom 12. Februar 1992 - 3 StR 481/91, NStZ 1992, 333, 334; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. März 1992 - 5 StR 34/92, NJW 1992, 1708 f.).
Auch darf die rechtliche Bewertung einer hinzutretenden Handlung eines Dritten - etwa ein eigenständiges schuldhaftes Verhalten - oder des Opfers selbst nicht außer Betracht bleiben. Schließlich ist in den Blick zu nehmen, ob das tödliche Risiko, das in der Tat selbst seinen Ausgang nahm, sich in einem durch sie in Gang gesetzten typischen Verlauf verwirklichte (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 5 StR 435/07, NStZ 2008, 278). Denn da § 251 StGB als erfolgsqualifiziertes Delikt eine jedenfalls fahrlässige Herbeiführung der schweren Folge verlangt (§ 18 StGB), muss deren Eintritt - neben den entsprechenden subjektiven Anforderungen an die "Leichtfertigkeit" - objektiv voraussehbar, also nach der Lebenserfahrung erwartbar sein (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 - 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 100; vom 9. März 1994 - 3 StR 711/93, NStZ 1994, 394; vom 20. März 1997 -5StR617/96, NStZ-RR1997, 269, 270; vom 15.November 2007 -4StR 453/07, NStZ 2008, 686 Rn. 3).
2. Nach diesen Maßstäben ist dem Angeklagten der Tod der Verstorbenen als Folge des von ihm in Gang gesetzten Geschehens zuzurechnen. Im Einzelnen:
a) Die von der Raubhandlung ausgehende spezifische Gefahr realisierte sich in der tödlichen Folge. Denn der Angeklagte setzte mit der zur Wegnahme der Handtasche aufgewendeten Gewalt insoweit das Risiko für den tödlichen Ausgang, als das Reißen am Griff der Handtasche und damit an dem die später Verstorbene stützenden Rollator zu deren Sturz und der zum Tode führenden Kopfverletzung führte.
b) Dieser Zurechnungszusammenhang ist in der Folge nicht durch andere Ursachen unterbrochen worden.
aa) Dass der Tod im konkreten Verlauf nicht durch die Gehirnblutung selbst, sondern im Zusammenwirken mit den Vorerkrankungen des Opfers auf die durchgeführte Operation zurückzuführen ist, stellt den geforderten Gefahrzusammenhang nicht in Frage. Der im Krankenhaus unternommene Behandlungsversuch wurde mit dem Ziel durchgeführt, der mit der Tat in Gang gesetzten Risikoverwirklichung Einhalt zu gebieten. Dass diese Bemühungen fehlschlugen, beruhte nicht auf einem eigenständigen, von den behandelnden Ärzten verantworteten neuen Risiko für das Leben der dann Verstorbenen. Vielmehr war ein möglicher tödlicher Ausgang der medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Operation bereits zum Zeitpunkt der Tat in der Konstitution des Raubopfers angelegt.
bb) Ebenso wenig wurde eine selbständige neue Ursache für den Tod dadurch gesetzt, dass die behandelnden Ärzte im Einklang mit der Patientenverfügung und dem präoperativ geäußerten Willen der Verstorbenen lebensverlängernde Maßnahmen abbrachen.
(1) Das Opfer einer Gewalttat, das ärztliche Hilfe nicht in Anspruch nimmt, setzt damit keine neue Ursache für ein solches Versterben, sondern wirkt nur dem vom Täter gesetzten tödlichen Risiko nicht entgegen. Schon deshalb begründet in der Regel die Entscheidung gegen die Behandlung keine "neue" Todesgefahr. Zudem vermag die in der Patientenverfügung der Verstorbenen zum Ausdruck kommende eigenverantwortliche Entscheidung, auf eine "Maximaltherapie" im Sinne einer apparategestützten Lebensverlängerung verzichten zu wollen, bei wertender Betrachtung auch aus rechtlichen Gründen eine zurechnungsunterbrechende Wirkung nicht zu entfalten. Der eigenverantwortlich in der Patientenverfügung niedergelegte Wille der Verstorbenen ist als Ausdruck ihres verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts zu werten, wonach ein Patient in jeder Lebensphase, auch am Lebensende, das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen und auf diese Weise einem zum Tode führenden Krankheitsgeschehen seinen Lauf zu lassen (BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 u.a., NJW 2020 Rn. 205 ff., 209; vgl. schon BGH, Urteil vom 28. November 1957 – 4 StR 525/57, BGHSt 11, 111, 113 f.). Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber auch dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286, sog. Patientenverfügungsgesetz) zugrunde gelegt und die Bedeutung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts bei ärztlichen Maßnahmen für Patienten, die inzwischen einwilligungsunfähig geworden sind, in allen Lebensphasen und unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung gestärkt (§ 1901a Abs. 3, § 630d BGB; vgl. auch BGH, Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18, BGHZ 221, 352 Rn. 19). Vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen und gesetzgeberischen Wertungen ist der Wille des Opfers einer Straftat, dem durch diese in Gang gesetzten tödlichen Verlauf nicht um jeden Preis durch lebenserhaltende Maßnahmen Einhalt zu gebieten, als eine aus der Schwere der Verletzung folgende und mit der Rechtsordnung in Einklang stehende Reaktion zu werten. Der Tod der Verstorbenen ist mithin vorliegend unmittelbar auf die Körperverletzungshandlung des Angeklagten zurückzuführen und nicht nur durch einen autonomen, mit diesem Geschehen lediglich durch Kausalität verbundenen Willensbildungsprozess beeinflusst (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 5 StR 435/07, NStZ 2008, 278). Ob insoweit anders zu entscheiden ist, wenn ein durch eine Raubtat Geschädigter vernünftigen Gründen zuwider eine durchaus erfolgversprechende Behandlung ablehnt, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1994 - 3 StR 711/93, NStZ 1994, 394; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 190/08, NStZ 2009, 92 Rn. 14).
(2) Dementsprechend unterbricht das Verhalten der Ärzte, die wegen des Vorliegens einer Patientenverfügung dem Willen der Patientin folgend in rechtmäßiger Weise auf eine Weiterbehandlung verzichteten, den Risikozusammenhang ebenfalls nicht. Liegt eine wirksame Patientenverfügung vor, so bleibt auch nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit der tatsächlich geäußerte oder mutmaßliche Wille des Patienten für die Entscheidung über die Vornahme oder das Unterlassen ärztlicher Maßnahmen maßgeblich. Geht dieser Wille dahin, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen und so das Sterben zu ermöglichen, so folgt daraus ein Abwehranspruch des Patienten gegen lebensverlängernde Maßnahmen (BGH, Urteil vom 2. April 2019 - VI ZR 13/18, BGHZ 221, 352 Rn. 19; vgl. auch Beschluss vom 30. Januar 2019 - 2 StR 325/17, NStZ 2020, 29 Rn. 32). Der Arzt, der in Umsetzung einer Patientenverfügung einen moribunden Zustand nicht durch intensivmedizinische Maßnahmen verlängert, beugt sich damit in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben lediglich dem Patientenwillen. Eine Zurechnungsunterbrechung folgt hieraus nicht.
cc) Der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen lag auch im Rahmen des nach der Lebenserfahrung Erwartbaren. Damit, dass ein betagtes Opfer sich bei einer Raubhandlung wie der abgeurteilten schwere Kopfverletzungen zuzieht, ist ebenso zu rechnen wie mit dem Vorliegen einer Patientenverfügung oder dem sonst von dem Patienten geäußerten Willen, nicht an lebenserhaltende Apparate angeschlossen zu werden. Dass ein durch eine Nötigungshandlung schwer Verletzter auf lebensverlängernde Maßnahmen im Rahmen einer Patientenverfügung verzichtet, entspricht mithin einem vom Schutzzweck des § 251 StGB unterfallenden typischen Verlauf.