StGB § 258 Abs. 1 Anforderungen an den Vorsatz bei Strafvereitelung

BGH, Urt. v. 10.09.2015 – 4 StR 151/15 – NStZ 2015, 702

Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen  einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestandes bezieht. Bei der Strafvereitelung nach § 258 Abs. 1 StGB ist dabei in Bezug auf die Tathandlung und den Vereitelungserfolg direkter Vorsatz („absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, während für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz ausreicht. Eine genaue Vorstellung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ist dabei nicht erforderlich (vgl. Jahn in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 258 Rn. 29). Die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme einer versuchten Strafvereitelung liegen daher vor, wenn der Täter es – ungeachtet fortbestehender Zweifel – nur für möglich gehalten hat, dass eine Straftat begangen worden ist und die von ihm daraufhin ins Auge gefasste Handlung darauf abzielt, für den Fall, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, eine Bestrafung des Vortäters zumindest für geraume Zeit zu verhindern Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. September 2015 für Recht erkannt: Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 16. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte nicht auch wegen versuchter Strafvereitelung gemäß § 258 StGB verurteilt worden ist. Das von dem Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte ist Leitender Polizeidirektor. Seit Mitte Juni 2011 ist er bei der Kreispolizeibehörde P. als „Leiter Polizei“ tätig. Anfang Januar 2014 ging bei der von ihm geleiteten Polizeibehörde das Schreiben eines angeblichen M. ein. Darin wurde behauptet, dass beim polizeiärztlichen Dienst sowie auch bei der Verkehrspolizei in D. „seit Jahren“ bekannt sei, dass der Verwaltungsleiter der Polizei L. , W. , über Jahre kostenlos Medizin von dem Leiter des polizeiärztlichen Dienstes in D. , Dr.K. , erhalten habe, obwohl ihm dies nicht zugestanden habe. Um strafrechtliche Bewertung dieses Verhaltens und weitere Veranlassung werde gebeten. W. leitete die Direktion Zentrale Aufgaben bei der D. Polizei und hatte als Angehöriger der Kreisverwaltung zu keiner Zeit Anspruch auf freie Heilfürsorge und Medikamente aus dem polizeiärztlichen Dienst. Das Schreiben wurde dem Angeklagten in seiner Eigenschaft als Leiter der Kreispolizeibehörde von einem Beamten der Kriminalpolizei am 9. Januar 2014 vorgelegt. Er erklärte daraufhin, sich selbst um die Angelegenheit kümmern zu wollen. Nach einer vorläufigen Bewertung gelangte er zu dem Ergebnis, dass die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe letztlich haltlos sein würden und hielt die Unterstellungen in dem Schreiben für belanglos. Ihm war aber auch klar, dass aufgrund der in dem Schreiben benannten Personen und Tatsachen strafrechtliche Ermittlungen gegen Dr. K. geführt werden würden und auch die polizeiinternen Vorgänge bei der geschilderten Medikamentenabgabe aufgeklärt werden mussten. Zugleich sorgte sich der Angeklagte um den ihm seit Jahren als zuverlässig und vertrauenswürdig bekannten Dr. K. , weil dieser aus anderem Anlass kurz zuvor – aus Sicht des Angeklagten unberechtigt – in der Presse massiv kritisiert worden war. Er befürchtete, dass der unter der Berichterstattung in den Medien sehr leidende Dr.K. aufgrund der Vorwürfe in dem anonymen Schreiben erneut in die Schusslinie der Presse geraten könnte. Daneben fühlte er sich Dr. K. auch deshalb verpflichtet, weil ihm dieser in einer Personalangelegenheit schnell und unbürokratisch geholfen hatte. Der Angeklagte entschloss sich daher spontan dazu, Dr. K. von dem Schreiben und dem darin gegen ihn erhobenen, nach Meinung des Angeklagten unberechtigten, Vorwurf zu unterrichten. Dabei war er sich darüber im Klaren, dass er in seiner dienstlichen Eigenschaft als Leitender Polizeidirektor in dieser Angelegenheit zur Verschwiegenheit verpflichtet war und deshalb mit Dr. K. nicht über das anonyme Schreiben und dessen Inhalt sprechen durfte. Über seine Dienstpflichten setzte sich der Angeklagte jedoch ganz bewusst hinweg, weil es ihm wichtiger war, Dr. K. zu warnen. Dabei war ihm als erfahrenem Polizeibeamten auch bewusst, dass die Staatsanwaltschaft möglicherweise gleichwohl ein Ermittlungsverfahren einleiten würde und er dieses gefährdete, weil er Dr. K. durch seine Vorabinformation die Möglichkeit eröffnete, rechtzeitig etwaige Beweismittel zur Seite zu schaffen und eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Dies nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte rief daher am 10. Januar 2014 Dr. K. an, unterrichtete ihn über den Eingang des anonymen Schreibens und verriet ihm dessen Inhalt. Dabei machte er deutlich, dass die Medikamentenabgabe in seinen Augen rechtlich nicht zu beanstanden sei. Im weiteren Gesprächsverlauf sprachen der Angeklagte und Dr. K. auch darüber, dass die Vorfälle schon Jahre zurücklägen. Der Angeklagte meinte dazu, dass etwaige Straftaten dann ja ohnehin verjährt seien. Selbst wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden würde, werde die Staatsanwaltschaft es letzten Endes sicher auch so sehen, „dass an der Sache nichts dran sei“. Gleichwohl müsse er das Schreiben an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Noch am 10. Januar 2014 unterrichtete der Angeklagte den Leiter der Staatsanwaltschaft P. telefonisch über den Inhalt des anonymen Schreibens. Am 15. Januar 2014 übergab er das Schreiben persönlich dem Leitenden Oberstaatsanwalt. Die Staatsanwaltschaft P . leitete das Schreiben zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft D. weiter, die daraufhin am 24. Januar 2014 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue gegen Dr. K. einleitete. Nachdem Dr. K. anlässlich eines in anderer Sache geführten Gesprächs mit der Polizeipräsidentin in B. darüber berichtet hatte, dass er von dem Angeklagten über das anonyme Schreiben informiert worden sei, wurde auch gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am 18. März 2014 wurde bei dem Angeklagten, Dr. K. und W. gleichzeitig durchsucht. Mit Verfügung vom 15.August 2014 stellte die Staatsanwaltschaft D. das Ermittlungsverfahren gegen Dr. K. nach § 153 StPO ein, weil die Konkretisierung des von Dr. K. in nicht verjährter Zeit verursachten Schadens weiterer Ermittlungen bedurft hätte, die zum möglichen Schadensumfang außer Verhältnis gestanden hätten. Das Ermittlungsverfahren gegen W. wurde am 15.August 2014 von der Staatsanwaltschaft D. gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 4.500 Euro nach § 153a StPO vorläufig eingestellt.

2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als vorsätzliche Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß §353b Abs.1 StGB bewertet. Eine versuchte Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 und 4, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB liege nicht vor, weil sich eine von Dr. K. in unverjährter Zeit begangene Vortat nicht feststellen lasse. Auch sei „der für § 258 Abs. 1 StGB erforderliche (direkte) Vorsatz zur Strafvereitelung nicht feststellbar“. Die Einlassung des Angeklagten, er habe in dem Vorwurf gegen Dr. K. kein strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen, sei nicht widerlegbar. Die insofern gegen den Angeklagten sprechenden Umstände – langjährige Berufserfahrung, juristische Kenntnisse, Erwartung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens – begründeten selbst in ihrer Gesamtschau nicht die für eine Verurteilung erforderliche sichere Überzeugung von einem Strafvereitelungsvorsatz.

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht die Annahme einer versuchten Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 und 4, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB verneint hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Erwägungen zur inneren Tatseite lassen besorgen, dass die Strafkammer bei der Bewertung des Beweisergebnisses teilweise von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.

aa) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestandes bezieht. Bei der Strafvereitelung nach § 258 Abs. 1 StGB ist dabei in Bezug auf die Tathandlung und den Verei- telungserfolg direkter Vorsatz („absichtlich oder wissentlich“) erforderlich, während für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1999 – 2 StR 86/99, BGHSt 45, 97, 100; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 258 Rn. 33; Walter in: LKStGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 112 f. mwN). Eine genaue Vorstellung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ist dabei nicht erforderlich (vgl. Jahn in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 258 Rn. 29). Die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme einer versuchten Strafvereitelung liegen daher vor, wenn der Täter es – ungeachtet fortbestehender Zweifel – nur für möglich gehalten hat, dass eine Straftat begangen worden ist und die von ihm daraufhin ins Auge gefasste Handlung darauf abzielt, für den Fall, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, eine Bestrafung des Vortäters zumindest für geraume Zeit zu verhindern (vgl. RG, Urteil vom 19. November 1920 – II 1176/20, RGSt 55, 126 zu § 257 StGB aF).

bb) Diese Abstufung der Vorsatzformen hat das Landgericht nicht erkennbar beachtet. Seine Wendung, dass „der für § 258 Abs. 1 StGB erforderliche (direkte) Vorsatz zur Strafvereitelung nicht feststellbar“ sei, weil die Einlassung des Angeklagten, kein strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen zu haben, nicht widerlegt werden könne, legt nahe, dass das Landgericht auch in Bezug auf die Kenntnis von der Vortat angenommen hat, es müsse ein direkter Vorsatz nachweisbar sein. Da die Strafkammer nicht positiv festzustellen vermochte, dass der Angeklagte „kein strafrechtsrelevantes Verhalten gesehen“ hat, sondern sich lediglich nicht in der Lage sah, die für eine Verurteilung erforderliche „sichere Überzeugung“ vom Vorliegen des zuvor von ihm geforderten direkten Vorsatzes zu gewinnen, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie das Beweisergebnis unter der zutreffenden Prämisse (ob der Angeklagte eine Straftat des Dr. K. im Zusammenhang mit dem angezeigten Sachverhalt für möglich gehalten hat) bewertet hätte.

b) Außerdem hat das Landgericht in diesem Zusammenhang nicht erkennbar bedacht, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Strafvereitelung selbst dann in Betracht kommen kann, wenn er die Begehung einer Vortat nur irrtümlich für möglich gehalten hat. In diesem Fall läge lediglich ein untauglicher Versuch vor (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 402/60, BGHSt 15, 210 zur Begünstigung im Amt gemäß § 346 StGB aF; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 143 f.; Jahn in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 258 Rn. 30; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 258 Rn. 37 mwN).

2. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils auch zugunsten des Angeklagten hat keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Da zwischen einer möglichen Verurteilung nach § 258 StGB und der – an sich rechtsfehlerfreien – Verurteilung wegen § 353b StGB Tatidentität bestünde, ist auch diese aufzuheben. Denn nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass der nicht vom Rechtsfehler betroffene Teil in Rechtskraft erwächst, was einer weiteren Verfolgung derselben Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, der Anlass zur Aufhebung gegeben hat, wegen des Verbots aus Art. 103 Abs. 3 GG entgegenstünde (BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch für die Strafvereitelung gemäß § 258 StGB Täterschaft und Teilnahme grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln abzugrenzen sind (vgl. Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 159 mwN). Eine versuchte Strafvereitelung kann – unbeschadet der weiteren Voraussetzungen – in Betracht kommen, wenn der Angeklagte die Vorstellung hatte, den Vereitelungserfolg als Täter herbeizuführen und es ihm nicht lediglich darum ging, den Vortäter bei Selbstschutzmaß- nahmen zu unterstützen (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 1983 – 4 StR 378/83, NJW 1984, 135; Walter in: LK-StGB, 12. Aufl., § 258 Rn. 162 mwN). In Fällen, in denen der Täter dem Vortäter erstmals Kenntnis von einem gegen ihn anhängigen oder anhängig werdenden Ermittlungsverfahren vermittelt, liegt eine täterschaftliche Begehungsweise nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1990 – 2 StR 38/90, Rn. 16, zitiert nach juris).Mit Blick auf eine mögliche Verurteilung wegen eines untauglichen Versuchs wird der neue Tatrichter gegebenenfalls auch konkrete Feststellungen zu den in Betracht kommenden Vortaten zu treffen haben. Für den Fall, dass eine versuchte Strafvereitelung zu bejahen ist, wird er sich auch zu § 258a StGB verhalten müssen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1990 – 2 StR 38/90, Rn. 27, zitiert nach juris).