StGB § 258 Abs. 5 Vorstellungsbild der Eigenbegünstigung
BGH, Urt. v. 23.03.2016 – 2 StR 223/15 – BeckRS 2016, 08251
Der Strafausschließungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB greift auch dann ein, wenn der Täter lediglich irrig annimmt, er sei Beteiligter der Vortat, und daher die Befürchtung eigener Strafverfolgung unbegründet ist.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. März 2016 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten I. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2014, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten I. mit Urteil vom 3. Juni 2013 wegen versuchter Strafvereitelung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe und den Mitangeklagten K. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Auf die Revision beider Angeklagter hat der Senat mit Beschluss vom 3. April 2014 das Urteil in vollem Umfang aufgehoben. Das Landgericht hat nunmehr den Mitangeklagten K. freigesprochen und den Angeklagten I. wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gerieten der Angeklagte I. und der Mitangeklagte K. mit dem später Geschädigten Kü. sowie zwei weiteren zu ihm gehörenden Personen, der Zeugin A. und dem Zeugen W. , am 30. September 2012 in einen Streit, der zu wechselseitigen Beleidigungen führte. Dabei standen sich der Mitangeklagte K. und der Geschädigte einerseits und der Angeklagte I. und der Zeuge W. andererseits gegenüber. Im Verlauf der Streitigkeit erhob der Geschädigte eine von ihm bei sich geführte Bierflasche drohend gegenüber dem Mitangeklagten K. , der – für die Beteiligten unbemerkt – ein Einhandmesser gezogen hatte und dieses geöffnet in seiner rechten Hand hielt. Der Geschädigte schlug dem Mitangeklagten K. sodann ins Gesicht, worauf sich beide gegenseitig an den Oberarmen griffen und stehend miteinander rangen. Im Verlaufe der Rangelei kamen beide zu Fall, setzten ihre Auseinandersetzung aber am Boden fort. Der Angeklagte führte das Messer nunmehr in Richtung des später Geschädigten, wobei nicht festgestellt werden konnte, dass er ihn dadurch zielgerichtet im Kopf- und Halsbereich verletzen wollte. Dem Geschädigten gelang es, die rechte Hand des Mitangeklagten K. zu ergreifen und festzuhalten. Da der Mitangeklagte K. jedoch mit seiner linken Hand in das Gesicht des Geschädigten griff, biss ihm dieser aus Angst vor Stichen in den Ringfinger der linken Hand. Zeitgleich oder unmittelbar auf den Biss folgend versetzte der Angeklagte dem weiter auf dem Boden liegenden Geschädigten mit dem Messer zwei Stiche in den Bereich des linken Mittelbauchs, wobei er den Tod des Opfers billigend in Kauf nahm. Schon zu einem Zeitpunkt, als die Beteiligten noch im Stehen miteinander rangen, war der Zeuge S. , der als Passant mit seinem Fahrzeug an dem Geschehen vorbeigefahren und darauf aufmerksam geworden war, hinzugetreten. Er hörte von einer Frauenstimme, dass der Mitangeklagte K. ein Messer habe, woraufhin er eine von ihm mitgeführte pistolenähnliche Anscheinswaffe aus seinem Auto holte, auf den Mitangeklagten K. richtete und ihn lautstark zum Aufhören aufforderte. Dieser erhob sich und verließ – das Tatmesser weiter in der Hand haltend – den Tatort. Aufforderungen zum Stehenbleiben kam er nicht nach. Er ging zu dem wenige Meter entfernt stehenden Angeklagten I. und übergab ihm schnell und wortlos das noch aufgeklappte Messer. Während dieses Geschehens gab es auch eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten I. und dem Zeugen W. , dessen genauer Verlauf nicht festgestellt werden konnte. Der Kampf fand in ummittelbarer Nähe zu dem eigentlichen Tatgeschehen statt, in dessen Anschluss sich der Angeklagte I. einige Meter vom Tatort entfernte, wo er auch das Tatmesser entgegennahm. Dabei erkannte er, dass es sich bei dem blutigen Messer um das Tatwerkzeug handelte. Er verließ den Tatort und entsorgte in der Folgezeit das Messer, um den Mitangeklagten K. zu entlasten und ihn einer späteren Strafverfolgung zu entziehen.
2. Das Landgericht hat den Mitangeklagten K. freigesprochen, weil dieser in Ansehung des Bisses in den Finger in Notwehr gehandelt habe. Den Angeklagten I. hat es wegen (untauglichen) Versuchs der Strafvereitelung zu Gunsten des Mitangeklagten K. verurteilt. Dass dieser bei der Entgegennahme des Messers und dessen anschließender Entsorgung erkannt habe, dass der Mitangeklagte in Notwehr gehandelt habe, sei nicht ersichtlich.
II. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei der Entgegennahme und Entsorgung des Tatmessers weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf; sie ist lückenhaft.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte in der Absicht, den Mitangeklagten zu entlasten und ihn einer späteren Strafverfolgung zu entziehen (UA S. 11, 50). Nicht erkennbar erwogen hat die Strafkammer, ob der Angeklagte nicht zumindest auch seine eigene Bestrafung vereiteln wollte und deshalb gemäß § 258 Abs. 5 StGB nicht zu bestrafen wäre. Für eine entsprechende Erörterung hätte hier Anlass bestanden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Strafausschließungsgrund auch eingreift, wenn der Täter lediglich irrig annimmt, er sei Beteiligter der Vortat, und daher die Befürchtung eigener Strafverfolgung unbegründet ist (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 258 Rn. 34 m. N. zur Rspr.). Eine solche Vorstellung mit einer daran anknüpfenden Absicht der Selbstbegünstigung liegt hier nicht fern, weil die tätlichen Auseinandersetzungen aus der zunächst verbal geführten Auseinandersetzung zweier Gruppen resultierten und der genaue Ablauf unter Beteiligung der Angeklagten nicht hinreichend sicher aufgeklärt werden konnte (UA S. 11). Aus Sicht des Angeklagten könnte die Befürchtung entstanden sein, Angriffe des Mitangeklagten würden ihm zugerechnet oder er sei sonst strafrechtlich (mit-)verantwortlich. Selbst wenn der Angeklagte entsprechend seiner Einlassung von einem nicht strafbaren Verhalten des Mitangeklagten ausgegangen sein sollte, könnte er angenommen haben, dass die Beweislage ungünstig ist und deshalb ein – aus seiner Sicht ungerechtfertigter – Verdacht auch im Hinblick auf eine eigene Beteiligung an dem Tatgeschehen, entsteht oder verstärkt wird, dem er durch die Entsorgung des Messers entgegenwirken wollte.
2. Auf diesem Rechtsfehler beruht auch die angefochtene Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei lückenloser Würdigung zu einer für den Angeklagten günstigeren Entscheidung gekommen und den Angeklagten freigesprochen hätte. Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist möglich, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Verurteilung des Angeklagten führen. Der Senat verweist die Sache an das mit ausreichender Strafgewalt ausgestattete Amtsgericht Frankfurt am Main zurück (§ 354 Abs. 3 StPO)