StGB § 263 Abs. 1 Offenbarungspflicht bei Vertragsabschluss (Täuschung durch Unterlassen)
BGH, Urteil v. 4. August 2016 – 4 StR 523/15
1. Es besteht grundsätzlich keine Pflicht dahin, bei Vertragsschluss unaufgefordert alle für den anderen Teil irgendwie erheblichen Tatsachen zu offenbaren.
2. Anderes kann mit Blick auf das hierfür notwendige Vertrauen aber etwa dann gelten, wenn eine bestehende Rechtsanwaltsgesellschaft, bei der bereits eine Liquiditätskrise besteht, mit neu hinzutretenden Rechtsanwälten „Partnerschaftsverträge“ abschließt, nach denen diese „Gesellschafterdarlehen“ zur Verfügung stellen müssen und damit de facto Gesellschafter werden.
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 29. April 2015 in den Fällen II. 10 – 15 der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die nach teilweiser Rücknahme der Revisionen verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Soweit die Revisionen der Staatsanwaltschaft zurückgenommen worden sind, trägt die Staatskasse die Kosten der Rechtsmittel und die notwendigen Auslagen der Angeklagten.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des Betruges in 15 Fällen, des Bankrotts in zwei Fällen sowie der Verletzung der Buchführungspflicht freigesprochen und von einer Entscheidung über Adhäsionsanträge abgesehen. Nach teilweiser Rücknahme der zunächst umfassend eingelegten Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft noch gegen die Freisprüche vom Vorwurf des Betruges in den Fällen II. 10 – 15 der Urteilsgründe (Vorstellungsgespräche und Vertragsschlüsse ab November 2006) Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.
I.
1. Mit den unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklagen wurde dem Angeklagten B. als Hauptgesellschafter und Geschäftsführer und dem Angeklagten A. als sogenanntem Chief Financial Officer der E. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH u. a. zur Last gelegt, bei der Anwerbung neuer Partner diese über eine bestehende Liquiditätskrise und drohende Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft getäuscht bzw. diesen Umstand bewusst verschwiegen zu haben. Den neuen Partnern sei durch die vertragsgemäße Zahlung eines Gesellschafterdarlehens in Höhe von jeweils 50.000 € eine schadensgleiche Vermögensgefährdung entstanden, die sich infolge der anschließenden Insolvenz der Gesellschaft in einem Vermögensschaden konkretisiert habe.
2. Das Landgericht hat dazu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte B. erwarb 2003 die Geschäftsanteile der B. GmbH und bestellte sich zum Geschäftsführer. Ab dem 22. Januar 2004 firmierte die Gesellschaft unter E. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. In der Folgezeit wurden nach und nach bundesweit 34 Niederlassungen mit einem einheitlichen Erscheinungsbild eröffnet. In den Niederlassungen waren jeweils mindestens drei Rechtsanwälte tätig. Der Angeklagte A. war Mitentwickler des Firmenkonzepts und für die ökonomische Planung, das Marketing sowie die Expansion der Gesellschaft verantwortlich. Mit den für sie arbeitenden Rechtsanwälten schloss die Gesellschaft „Partnerschaftsverträge“, in denen sich der neue Partner jeweils verpflichtete, der Gesellschaft ein gegenüber außenstehenden Gesellschaftsgläubigern nachrangiges Gesellschafterdarlehen – wie es im Vertrag heißt: kapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen – in Höhe von 50.000 € zur Verfügung zu stellen. Die Partner waren berechtigt, Entnahmen von bis zu 1.667,67 € monatlich aus dem Gesellschafterdarlehen zu tätigen, solange sie geringere Honorarprovisionen erwirtschafteten. Die Rechtsanwaltsgesellschaft stellte ihrerseits dem Partner eingerichtete Büroräumlichkeiten und eine zentralisierte Verwaltungs- und Mahnabteilung zur Verfügung. Bewerber, die an einer Partnerschaft interessiert waren, erhielten eine Broschüre, in der u.a. darauf hingewiesen wurde, dass es sich um ein echtes unternehmerisches Engagement handele, was die Gefahr eines unternehmerischen Scheiterns und eines Verlustes der an die Gesellschaft erbrachten Leistungen beinhalte. Mit den Interessenten wurden Vorstellungsgespräche geführt, regelmäßig vom Angeklagten A. , der Angeklagte B. kam zumeist später hinzu. Im Rahmen der Vorstellungsgespräche wurde die wirtschaftliche Situation der Rechtsanwaltsgesellschaft in allgemeiner Form positiv dargestellt. Anfang 2006 geriet die Gesellschaft in Liquiditätsprobleme. Im März 2006 wurde den Partnern mitgeteilt, dass eine Auszahlung der Gewinne aus dem Vorjahr für die Gesellschaft nicht tragbar sei; die Auszahlung der Honorare für den laufenden Monat werde sich ähnlich wie bereits im Februar verzögern. Im April 2006 erhöhte die Sparkasse D. die Kreditlinie der Gesellschaft auf insgesamt 400.000 €. Im Juni 2006 erstattete eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Gutachten, wonach im September 2006 eine Überschreitung dieser Kreditlinie zu erwarten sei, und schlug Maßnahmen zur Verbesserung des Liquiditätszuflusses vor. Im September 2006 erhielt die Gesellschaft von der Sparkasse D. zur Stabilisierung der Liquiditätslage zwei weitere Darlehen über insgesamt 500.000 €; für eines der Darlehen in Höhe von 250.000 € verbürgte sich der Angeklagte B. . Am 29. November 2006 gingen beim Amtsgericht Dortmund Insolvenzanträge eines Partners ein, die später jedoch nicht weiterverfolgt wurden. Im Frühjahr 2007 wurde eine andere Unternehmensberatung beauftragt, der Rechtsanwaltsgesellschaft bei der Bewältigung der angespannten Liquiditätssituation beratend zur Seite zu stehen und – aufgrund der Dringlichkeit der Situation – ein Unternehmenskonzept zu erstellen. Ab dem 19. April 2007 gingen beim Amtsgericht Dortmund weitere Insolvenzanträge ein, u. a. am 26. Juni 2007 der Insolvenzantrag des Angeklagten B.. Es eröffnete mit Beschluss vom 1. September 2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Rechtsanwaltsgesellschaft. 3. Das Landgericht hat die Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Eine ausdrückliche Täuschung über die finanzielle Situation der Rechtsanwaltsgesellschaft habe nicht festgestellt werden können. Auch liege in keinem der Fälle eine konkludente Täuschung vor. Soweit die Rechtsanwaltsgesellschaft in den Bewerbungsgesprächen als gut gehendes, in schnellem Wachstum befindliches Unternehmen mit guten Zukunftsperspektiven bezeichnet worden sei, sei dies aus dem Empfängerhorizont der juristisch vorgebildeten Bewerber nicht dahin zu verstehen gewesen, dass eine tatsächlich in dieser Form nicht bestehende wirtschaftliche Lage der Rechtsanwaltsgesellschaft konkludent miterklärt worden sei. Den Bewerbern hätte als Volljuristen das wirtschaftliche Risiko der unternehmerischen Beteiligung bekannt sein müssen. Auch eine Täuschung durch Unterlassen komme nicht in Betracht, da keine Pflicht zur Aufklärung über die bestehenden Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft bestanden habe. Die Anbahnung und der Abschluss eines Austauschvertrages begründeten in der Regel keine Offenbarungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, die in die Risikosphäre eines Partners fielen. Aufklärungspflichten, die sich aus dem Vertrag als Nebenpflicht ergäben, setzten ein besonderes Vertrauensverhältnis voraus. Hier hätten die Bewerber das unternehmerische Risiko gekannt. Eine Verbindung, die auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis beruhe und nach der Rechtsprechung zu besonderen Offenbarungspflichten führen könne, betreffe in erster Linie langjährige Geschäftsbeziehungen. Eine solche Sachlage sei hier ersichtlich nicht gegeben. Ferner fehle es am Vorsatz. Angesichts der „positiven Begleitung“ durch die Sparkasse D. und den von Wirtschaftsprüfungs- bzw.Unternehmensberatungsgesellschaften in Aussicht gestellten günstigen Fortführungsprognosen hätten die Angeklagten die zweifelsohne bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten als nur vorübergehend beurteilen dürfen.
II. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft führen im verbleibenden Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Urteils. Die Begründung des Landgerichts für den Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Soweit das Landgericht keine ausdrücklichen Täuschungshandlungen festzustellen vermocht hat, zeigen die Revisionen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Einwendungen der Revisionen gegen die Beweiswürdigung greifen hinsichtlich des Ablaufs der Bewerbungsgespräche nicht durch.
2. Demgegenüber begegnen die Ausführungen des Landgerichts jedenfalls zur Täuschung durch Unterlassen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten der Angeklagten bei Anbahnung oder Abschluss der Verträge mit den Bewerbern als Betrug durch Unterlassen zu qualifizieren ist, einen zu engen rechtlichen Maßstab angelegt und deshalb nur lückenhafte Feststellungen getroffen hat, die es zudem fehlerhaft gewürdigt hat.
a) Das Landgericht hat die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage des Betrugs durch Unterlassen bei Vertragsverhältnissen an sich zutreffend mitgeteilt. Danach ist der Vertragspartner zwar im Allgemeinen nicht ohne weiteres verpflichtet, bei Vertragsschluss unaufgefordert alle für den anderen Teil irgendwie erheblichen Tatsachen zu offenbaren. Eine Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung jedoch außer bei bestehenden Vertrauensverhältnissen auch für die Anbahnung besonderer, auf gegenseitigem Vertrauen beruhender Verbindungen, bei denen Treu und Glauben und die Verkehrssitte die Offenbarung der für die Entschließung des anderen Teils wichtigen Umstände gebieten (vgl. RGSt 70, 151, 155 ff.; BGH, Beschluss vom 22. März 1988 – 1 StR 106/88, wistra 1988, 262, 263; Urteile vom 16. November 1993 – 4 StR 648/93, BGHSt 39, 392, 399 und vom 15. Juni 1966 – 4 StR 162/66, GA 1967, 94 mwN; Beschlüsse vom 8. November 2000 – 5 StR 433/00, BGHSt 46, 196, 203 und vom 2. Februar 2010 – 4 StR 345/09, NStZ 2010, 502). Ein solcher Fall kann nach der jüngeren Rechtsprechung etwa auch bei Vorliegen „besonderer Umstände im zwischenmenschlichen Bereich“ gegeben sein (BGH, Urteil vom 16. November 1993 aaO S. 401). Soweit das Landgericht die „Partnerschaftsverträge“ schlichten Austauschverträgen gleichsetzt und ein wissensmäßiges Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Bewerbern und den Angeklagten verneint, wird es diesem rechtlichen Ansatz nicht gerecht. Das Landgericht lässt bereits nähere Feststellungen zur Ausgestaltung der „Partnerschaftsverträge“ vermissen, so dass der Senat die Annahme, es lägen schlichte Austauschverträge vor, nicht überprüfen kann. Da nach den Urteilsfeststellungen die Rechtsanwälte nicht als Angestellte für die E. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH tätig wurden und eine Rechtsanwaltsgesellschaft sich nicht an Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung beteiligen darf (§ 59c Abs. 2 BRAO), liegt es nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht fern, dass die Bewerber Gesellschafter der Rechtsanwaltsgesellschaft werden sollten, wofür auch die Bezeichnung der Einlagen als Gesellschafterdarlehen spricht. Strebten die Bewerber aber die Beteiligung an der Rechtsanwaltsgesellschaft als Gesellschafter an, wäre die Einordnung der geschlossenen Verträge als reine Austauschverträge unter Beteiligten mit gleichem Wissensstand nicht gerechtfertigt. In diesem Falle griffe auch die Argumentation des Landgerichts, eine langjährige Geschäftsbeziehung sei hier ersichtlich nicht gegeben, zu kurz. Sie lässt darüber hinaus außer Acht, dass die Aufklärungspflicht auch bei der Anbahnung besonderer Verbindungen besteht. Eine solche besondere Verbindung, die auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis beruht und auf langjährige Zusammenarbeit angelegt ist, liegt im Regelfall nahe unter den Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und erst recht unter den Gesellschaftern einer Rechtsanwaltsgesellschaft, die sich in dieser Form zur gemeinsamen Berufsausübung verbunden haben. Für die besondere Personenbezogenheit der Verträge spricht im vorliegenden Fall, dass die Partner aus ihrem eigenen Darlehen bezahlt werden sollten, soweit sie keine hinreichenden Honoraransprüche erwirtschafteten, die Darlehen mithin auch der Sicherung ihres eigenen Lebensunterhalts dienten. Das Landgericht hätte deshalb zur Ausgestaltung der mit den Bewerbern geschlossenen Verträge nähere Feststellungen treffen, sich zu deren Auslegung und rechtlichen Einordnung verhalten und sich sodann unter Zugrundelegung des gefundenen Ergebnisses mit einer möglichen Aufklärungspflicht auseinandersetzen müssen.
b) Ausgehend von seinem fehlerhaft verkürzten rechtlichen Ansatz hat das Landgericht auch keine hinreichenden Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage der E. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH im noch verfahrensgegenständlichen konkreten Tatzeitraum ab November 2006 getroffen. Sollte ein Liquiditätsengpass im Tatzeitraum dazu geführt haben, dass die fristgemäße Auszahlung der erwirtschafteten Honoraransprüche und die Entnahmen der künftigen Partner aus dem zu gewährenden nachrangigen Gesellschafterdarlehen nicht sicher waren, wäre darin ein aufklärungspflichtiger Umstand zu sehen, da damit für die neuen Partner der – dann verfolgte – Vertragszweck, den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, nachhaltig gefährdet gewesen wäre. Aus den Feststellungen lässt sich zur wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft lediglich entnehmen, dass es im Februar/März 2006 zur Verzögerung der Auszahlung der Honoraransprüche gekommen ist und auch die Auszahlung der Gewinnanteile aus 2005 nicht möglich war. Ob sich die wirtschaftliche Lage danach bis zum Tatzeitraum wieder verbessert oder verschlechtert hat, ist nicht festgestellt. Die günstige Fortführungsprognose der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft W. AG vom 30. Juni 2006 lässt keinen Schluss auf eine Verbesserung zu, denn sie stand unter dem Vorbehalt der Durchführung verschiedener Maßnahmen zur Liquiditätssteigerung, die von der E. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH offenbar nicht konsequent umgesetzt worden sind (UA 30). Auch die Unternehmensberatung R. AG hielt im April 2007 zur finanziellen Stabilisierung der Gesellschaft u. a. einen Mehrumsatz von 2.500 €/Monat je Partner für erforderlich. Mit der Frage, inwieweit die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen überhaupt realistisch war, befasst sich das Urteil jedoch nicht. Bereits am 26. Juni 2007 stellte der Angeklagte B. selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Weshalb sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Rechtsanwaltsgesellschaft aus Sicht des Angeklagten in einem so kurzen Zeitraum so maßgeblich verschlechtert hatte, lassen die Urteilsgründe offen. 3. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Die Hilfserwägung des Landgerichts, den Angeklagten fehle jedenfalls der erforderliche Betrugsvorsatz, erweist sich aus den vorstehenden nämlichen Gründen als nicht tragfähig.
4. Sollten im Tatzeitraum die fristgemäße Auszahlung der erwirtschafteten Honoraransprüche und der vertraglich vereinbarten Entnahme aus dem Gesellschafterdarlehen nicht gesichert gewesen sein, könnte, sofern dieser Umstand bei den Bewerbungsgesprächen nicht offenbart, aber die günstigen Aussichten der Gesellschaft hervorgehoben wurden, auch eine konkludente Täuschung der Bewerber vorliegen.