StGB § 266 Untreue – Vermögensschaden bei Bestehen eines Gegenanspruches
BGH, Urt. v. 18.05.2021 – 1 StR 62/21
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 18. Mai 2021 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 23. Okto- ber 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Untreue in 345 Fällen zu einer Gesamtfreiheits- strafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Angeklagte S. hat es wegen Beihilfe zur Untreue in 30 Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25 Euro mit Ratenzahlungsbewilligung verhängt. Zudem hat das Landgericht jeweils Einziehungsentscheidungen getroffen. Die jeweils mit der allgemeinen Sachrüge geführten Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.
I.
1. Nach den Urteilsfeststellungen gründete der Angeklagte B im Jahr 1999 drei Fondsgesellschaften (F. Fonds), die in der Folgezeit Einlagegelder von rund 2.000 Privatanlegern einwarben. An- fang 2010 gründeten beide Angeklagte mit weiteren Beteiligten die Europäische Genossenschaft
A. (nachfolgend: A. ) mit Sitz in V. (Liechtenstein). Zweck der Genossenschaft waren unter anderem Investitionen in alternativen Anlagen, Fonds und Wertpapieren sowie in Waren, Sachwerte und Beteiligungen aller Art. Über die I. GmbH & Co. KG als geschäftsführende Direktorin der
A. brachte der Angeklagte als Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft alle F. Fonds als Mitglieder mit deren Beteiligungsgeldern in die A. ein, deren Geschäfte er von Anbeginn ihrer Gründung allein führte. Im Zeitraum 30. November 2010 bis 3. November 2014 veranlasste der Angeklagte 345 Abbuchungen in Höhe von insgesamt 227.661,26 Euro vom einzigen Geschäftskonto der A. für private Zwecke seiner Familie und einer Bürokraft. Hiervon betrafen 30 Abhebungen bzw. Überweisungen in Höhe von insgesamt 13.183,64 Euro Ausgaben seiner Ehefrau, der Angeklagten S. , der er zu diesem Zweck die EC-Karte der Genossenschaft überließ.
2. Der Angeklagte B. hat sich dahin eingelassen, dass er für die Geschäftsführertätigkeit für die
A. keine Vergütung erhalten habe. Für „Beratungsleistungen“ habe es auch keinen Vertrag oder
Abrechnungsleistungen gegeben. Die Gelder auf dem Geschäftskonto der A. hätten ihm und seiner Familie bezüglich einer bestimmten „Anteilskategorie“ zugestanden, so dass die Abhebungen und Überweisungen insoweit berechtigt erfolgt seien. Auch seien die Geschäftsführervergütungen der F. Fonds unmittelbar in diese Anteilskategorie geflossen. Auf einen Jahresabschluss der
A. habe er nicht gewartet. Eine Abrechnung der Erlöse dieser Anteilskategorie sei seiner Ansicht nach nicht erforderlich gewesen, weil er sich unmittelbar von den auf dem Geschäftskonto der Genossenschaft befindlichen Geldern habe bedienen dürfen. Ebenso wenig sei eine Genehmigung seines Geschäftsführergehalts erforderlich, weil er schließlich die Geschäfte der A. und der F. Fonds geführt habe.
3. Die Strafkammer hat jede Abhebung bzw. Überweisung des Angeklagten als pflichtwidrige Verletzung seiner Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der A. im Sinne des Untreuetatbestandes (§ 266 StGB) gewertet. Es habe weder ein vergütungspflichtiger Dienstvertrag des Angeklagten mit der A. bestanden noch habe er geleistete Dienste abgerechnet. Auch ein Einverständnis aller Genossenschaftsmitglieder zu den getätigten Entnahmen habe er nicht eingeholt. Ein Aus- schüttungsguthaben sei nicht erwirtschaftet worden, so dass der vom Angeklagten für sich beanspruchten Anteilskategorie nach den Bestimmungen der Satzung der Genossenschaft keine Erlöse zugeflossen seien. Gutschriften auf das Geschäftskonto der A. seien lediglich durch Investmentbeteiligungen privater Anleger bzw. Zeichnungen weiterer Geschäftsanteile durch die F. Fonds sowie aus Zahlungen von Geschäftsführervergütungen einer der F. Fonds zugeflossen. Letztere Zuflüsse würden jedoch auch keine Abbuchungen für private Zwecke rechtfertigen, weil die A. von den F. Fonds gemäß einer Vereinbarung vom 30. September 2011 die Geschäftsführung übernommen habe und diese Vergütungen in das allgemeine Jahresergebnis der Genossenschaft einzustellen gewesen seien und nicht in die vom Angeklagten für sich beanspruchte Anteilskategorie unmittelbar zufließen sollten.
Der Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB ergebe sich aus der Summe der Abverfügungen vom Geschäftskonto der A. . Diese Beträge seien unmittelbar aus dem Vermögen der A. und ohne Gegenleistung abgeflossen.
II.
Der Schuldspruch gegen den Angeklagten B.
wegen Untreue (§ 266 StGB) in 345 Fällen hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Schuldspruchs der wegen Beihilfehandlungen hierzu in 30 Fällen verurteilten S. .
1. Zwar begegnet die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der durch die Abverfügungen von deren Geschäftskonto zu privaten, nicht der Gesellschaft dienenden Zwecken pflichtwidrig verletzt habe – sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht – keinen Bedenken. Jedoch hat die Strafkammer das Vorliegen eines Vermögensnachteils der Genossenschaft nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
2. Der Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB ist ein selbständiges, neben den Voraussetzungen der Pflichtverletzung stehendes Tatbestandsmerkmal, das nicht in dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit aufgehen darf (sog. Verschleifungsverbot, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 221 ff.; BGH, Beschlüsse vom 13. September
2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 Rn. 43 und vom 19. September 2018 – 1 StR 194/18 Rn. 24 jeweils mwN). Er ist, abgesehen von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen, eigenständig zu
ermitteln, gegebenenfalls anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren und zu beziffern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2018 – 1 StR 194/18 Rn. 24 mwN). Vorliegend tritt ein Vermögensnachteil nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung dann nicht ein, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszu- wachs begründet. Hat der Täter einen Geldanspruch gegen das von ihm verwaltete Vermögen, so fehlt es an einem Schaden, wenn er über das Vermögen in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt (für Honoraransprüche des Rechtsanwalts bei Zugriff auf Mandantengelder: vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 StR 588/18 Rn. 22).
3. Hieran gemessen erweisen sich die Feststellungen und Ausführungen des Landgerichts als un- zureichend. Im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung stellt es zwar fest, dass der Angeklagte eine „Strafbarkeit für einen Teil der Taten hätte vermeiden können, wenn er darauf hingewirkt hätte, für seine geleisteten Geschäftsführertätigkeiten im Rahmen ei- ner vertraglichen Vereinbarung angemessen entlohnt zu werden“ (UA S. 34). Diesen Anspruch des Angeklagten auf angemessene Vergütung (vgl. u.a. § 612 Abs. 2 BGB für den Dienstvertrag,
§ 675 BGB für die entgeltliche Geschäftsbesorgung) hat die Strafkammer jedoch bei der Ermitt- lung des Vermögensnachteils nicht berücksichtigt. Unbeschadet der Frage, ob es der Einforde- rung eines Vergütungsanspruchs für die Geschäftsführertätigkeit gegenüber A. oder des Einver- ständnisses der Genossenschaftsmitglieder bedarf oder ob eine Vergütungsforderung ohne aus- drückliche Abrechnung einen werthaltigen oder zur Kompensation geeigneten Anspruch beinhal- tet, ist Voraussetzung einer nachteilsausgleichenden Kompensation, dass ein Vermögenszuwachs auf Seiten des Geschäftsherrn zu verzeichnen ist, weil er durch die Untreuehandlung von einer Verbindlichkeit befreit wird (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 StR 588/18 Rn. 23 mwN). Dafür ist es erforderlich, dass der Vergütungsanspruch entstanden ist und beziffert werden kann. Dies ist nach den bisherigen Urteilsfeststellungen möglich, wobei gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines Sachverständigen eine ortsübliche Vergütung ermittelt werden muss. III.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hat die Feststellungen insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neuprüfung der zugrundelie- genden Vertragsverhältnisse zu ermöglichen.