StGB § 266a Verjährungsbeginn

BGH, Beschl. v. 01.09.2020 – 1 StR 58/19

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. September 2020 nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. und hinsichtlich der Verfahrenseinstellung der Fälle 68. bis 72. der Urteilsgründe auf dessen Antrag gem. § 206a Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1.  Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29. August 2018 wird

a)  das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung sowie in den Fällen 1. bis 17. und 63. der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b)  das vorgenannte Urteil

aa)  dahin geändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 49 Fällen und der Steuerhinterziehung in 31 Fällen schuldig ist;

bb)  im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 73. bis 103. der Urteilsgründe mit den zu- gehörigen Feststellungen und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.

2.  Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3.  Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 67 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und von der Strafe zwei Monate (wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung) für vollstreckt erklärt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel er- sichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte setzte als Geschäftsführer der H. GmbH in den Jahren 2007 bis 2012 zur Erbringung von Bauleistungen illegal beschäftigte Mitarbeiter ein und verschleierte dies durch Abdeckrechnungen. Die „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer meldete er nicht bei der jeweils zuständigen Einzugsstelle zur Sozialversicherung, obwohl er seine entsprechende Verpflichtung kannte. Er enthielt dadurch Arbeitgeber und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor (Fälle 1. bis 62. der Urteilsgründe). Ebenso ließ der Angeklagte in Kenntnis seiner entsprechen- den Verpflichtung die durch die Scheinrechnungen verdeckten Schwarzlöhne nicht an die Berufsgenossenschaft Bau melden und führte infolgedessen auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht vollständig ab (Fälle 63. bis 67. der Urteilsgründe). Schließlich machte er in Bezug auf die Abdeckrechnungen gegenüber dem zuständigen Finanzamt unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen und verkürzte dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag (Fälle 68. bis 103. der Urteilsgründe).

In den Fällen 1. bis 17. der Urteilsgründe lag der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008. Im Fall 63. der Urteilsgründe erfolgte die – unvollständige – Meldung an die Berufsgenossenschaft am 6. Februar 2008. Die unrichtigen Steuererklärungen in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe gab der An- geklagte zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 ab.

Die Strafverfolgungsverjährung wurde durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel vom 25. Januar 2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen. Die Anklage ging am 28. Oktober 2016 beim Landgericht ein und das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 30. Mai 2018 eröffnet.

II.

Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.

III.

Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zur Einstellung des Verfahrens (§ 206a Abs. 1 StPO) in den Fällen 68. bis 72. sowie 1. bis 17. und 63. der Urteilsgründe und hierdurch bedingt zur Korrektur des Schuldspruchs. Ferner hat das Landgericht den Schuldumfang in den Fällen der Lohnsteuerverkürzung (73. bis 103. der Urteilsgründe) nicht zutreffend bestimmt.

1.  Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. Februar 2019 ausgeführt:

„Die Lohnsteuer ist als Fälligkeitssteuer zugleich Anmeldesteuer, § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG. Bei ihrer Hinterziehung fallen die rechtliche Vollendung und die tatsächliche Beendigung zusammen (Jäger in: Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 370 Rn. 204). Die Abgabe einer unrichtigen Steueranmeldung führt zur sofortigen Tatvollendung und -beendigung (Jäger in: Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 370 Rn. 202). Damit waren die Taten am 5. April 2007 (Tat 68), am 9. Juli 2007 (Tat 69), am 9. Oktober 2007 (Tat 70), am 9. Januar 2008 (Tat 71) und am 9. April 2008 (Tat 72) beendet.

Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, da lediglich ein unbenannter besonders schwerer Fall gemäß § 370 Abs. 3 Satz 1 AO in Betracht kommt, § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB. Der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses am 25. Januar 2012 (Bd. Ia, Bl. 24 ff.) hat zwar zunächst den Ablauf der einfachen Verjährung unterbrochen, § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB. Gleiches gilt für die Anklageerhebung am 28. Oktober 2016 (Bd. IV, Bl. 1039), § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB. Allerdings wurde die Anklage erst mit Beschluss vom 30. Mai 2018 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet (Bd. V, Bl. 1196). Absolute Verjährung der vorbezeichneten Taten trat jedoch zwischenzeitlich bereits am 5. April 2017 (Tat 68), am 9. Juli 2017 (Tat 69), am 9. Oktober 2017 (Tat 70), am 9. Januar 2018 (Tat 71) und am 9. April 2017 (Tat 72) ein, § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB. So konnte der Eröffnungsbeschluss nicht mehr zum Ruhen der Verjährung dieser Taten gemäß § 78b Abs. 4 StGB führen. Das Urteil erging erst am 29. August 2018, weshalb auch ein Ruhen der Verjährung gemäß § 78b Abs. 3 StGB nicht mehr in Betracht kam.“

Dem schließt sich der Senat an.

2.  Auch hinsichtlich der Fälle 1. bis 17. und 63. der Urteilsgründe ist Verfolgungsverjährung ein- getreten, so dass das Verfahren insoweit ebenfalls einzustellen ist. Der Senat ist – unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung – der Auffassung, dass die Verjährungsfrist bei Taten gemäß

§ 266a Abs. 1 sowie Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes nach § 23 Abs. 1 SGB IV zu laufen beginnt.

a)  Gemäß § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Die Tatbeendigung ist dabei von der ihr normalerweise vorgelagerten Vollendung der Tat abzugrenzen (NK/Saliger, StGB, 5. Aufl., § 78a Rn. 5). Die Tat ist vollendet, sobald sämtliche Merkmale des Tatbestandes vollständig verwirklicht wurden (Fischer, StGB, 67. Aufl., § 22 Rn. 4). Die Tatbeendigung tritt dagegen erst ein, wenn der Täter sein „rechtsverneinendes Tun“ insgesamt ab- schließt und das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht wurde (BGH, Ur- teil vom 19. Juni 2008 – 3 StR 90/08, BGHSt 52, 300 Rn. 6). Bei den echten Unterlassungsdelikten, zu denen § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB zählen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7.

März 2012 – 1 StR 662/11 Rn. 4 mwN), wird Tatvollendung regelmäßig bejaht, wenn die strafbewehrte Handlungspflicht erstmals hätte erfüllt werden müssen, aber nicht erfüllt worden ist (BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 379 f.). Die Tatbeendigung sieht die herrschende Meinung in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht zum Handeln entfällt, also die Strafbarkeit des Täterverhaltens endet (etwa LK/Greger/Weingarten, StGB, 13. Aufl., § 78a Rn. 12). Wann dies der Fall ist, richtet sich nach der Auslegung des einzelnen Tatbestandes. Bei § 266a StGB besteht der tatbestandsmäßige Unrechtskern im Vorenthalten der Beiträge zur Sozialversicherung (vgl. Krug/Skoupil, wistra 2016, 137, 138). Tatvollendung soll daher eintreten, sobald die versäumte Zahlungsfrist abläuft, d.h. mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts (§ 23 Abs. 1 SGB IV), ohne dass die entsprechenden Beiträge abgeführt worden sind (MK/Radtke, StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 115).

b)  In diesem Zeitpunkt sind Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB zugleich beendet, so dass die Verjährungsfrist zu laufen beginnt (so auch die inzwischen wohl überwiegende Meinung in der Literatur: LK/Greger/Weingarten aaO § 78a Rn. 12; BeckOK/Dallmeyer, StGB, 47. Ed., § 78a Rn. 7; Gercke in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 12. Teil 2. Kap. Rn. 92; Loose, Das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 StGB, 2017, 165 ff.; ders., wistra 2018, 207 f.; Krug/Skoupil aaO 137 ff.; Reichling/Winsel, JR 2014, 331 ff.; LK/Möhrenschlager, StGB, 12. Aufl., § 266a Rn. 113 f.; Hüls, ZHW 2012, 233 f.; Hüls/Reichling, StraFo 2011, 304 ff.; Bachmann, FS-Samson 2010, 233, 237 ff.; LK/Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 266a Rn. 67; ferner LG Baden-Baden, StV 2019, 759 ff.; zustimmend zum Anfragebeschluss des Senats zudem Lanzinner, NStZ 2020, 162

f.; Gercke/Hembach, wistra 2020, 113 f.; Zieglmeier, NZS 2020, 196; Binnewies/Bertrand, AG 2020, 535 f.; Stürzl-Friedlein, jurisPR-StrafR 3/2020 Anm. 3; Nolte/Neuber, jurisPR-Compl 1/2020 Anm. 2; im Ergebnis ebenso Bachmann, JR 2020, 370 ff.). An ihrer bisherigen Rechtsprechung, stattdessen an das Erlöschen der Beitragspflicht anzuknüpfen (so noch zu Abs. 1: BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 – 1 StR 444/18 Rn. 11; Beschlüsse vom 17. Dezember 2013 – 4 StR 374/13 Rn. 17; vom 7. März 2012 – 1 StR 662/11 Rn. 4; vom 18. Mai 2010 – 1 StR 111/10

Rn. 19; vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 166/08 Rn. 41 und vom 27. September 1991 – 2 StR 315/91 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. September 2016 – 4 StR 341/16 Rn. 5; zu Abs. 2 Nr. 2: Beschluss vom 7. März 2012 – 1 StR 662/11 Rn. 4; Nachweise zu dieser Auffassung in der obergerichtlichen Rspr. und Literatur im Anfragebeschluss des Senats vom 13. November 2019 Rn. 10), halten der Senat und auch die übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs nicht länger fest. Diese haben sich der Rechtsauffassung des erkennenden Senats auf Anfrage (Beschluss vom 13. November 2019) unter Aufgabe etwa entgegenstehender Rechtsprechung angeschlossen (2. Strafsenat: Beschluss vom 15. Juli 2020 – 2 ARs 9/20; 4. Strafsenat: Beschluss vom 2. Juli 2020 – 4 ARs 1/20; 5. Strafsenat: Beschluss vom 6. Februar 2020 – 5 ARs 1/20) beziehungsweise er- klärt, dass eigene Rechtsprechung nicht entgegensteht (3. Strafsenat: Beschluss vom 4. Februar 2020 – 3 ARs 1/20).

Dabei geht der Senat von folgenden Erwägungen aus:

aa)  Die Rechtsgutsverletzung ist mit Nichtzahlung im Zeitpunkt der Fälligkeit irreversibel einge- treten und wird durch weiteres Untätigbleiben nicht mehr vertieft (Gercke/Hembach aaO 113 f.; Gercke aaO Rn. 92; vgl. auch LK/Greger/Weingarten aaO § 78a Rn. 12: „Fälligkeitsdelikt“; ebenso BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2020 – 2 ARs 9/20 Rn. 2 und vom 6. Februar 2020 – 5 ARs 1/20). Die Strafbewehrung eines weiteren Unterlassens nach Vollendung des Tatbestandes ist daher nicht gerechtfertigt (Bachmann aaO 237 f.; so auch LG Baden-Baden aaO 761). Sie würde voraussetzen, dass für das jeweils geschützte Rechtsgut eine spezifische Gefahrenlage aufgrund der Unterlassung über den Zeitpunkt der Vollendung der Tat hinaus fortbesteht, was bei § 266a StGB aber nicht der Fall ist (LG Baden-Baden aaO 762). Allein eine Erhöhung des Verspätungsschadens (vgl. Schmitz, Unrecht und Zeit, 2001, 108; Krack, wistra 2015, 121, 122) ist insofern unbeachtlich und wird auch bei anderen Vermögensdelikten in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Dementsprechend entfällt mit der Vollendung des Straftatbestandes die strafbewehrte Pflicht zum Entrichten der Beiträge, so dass die Tat gleichzeitig beendet ist (so auch Gercke aaO Rn. 92; Bachmann aaO 237 ff. zu § 266a Abs. 1).

Dass die sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung zur Abführung der Beiträge und damit die Rechtsgutsbeeinträchtigung grundsätzlich bis zum Erlöschen der Beitragspflicht fortbesteht, steht der Annahme einer früheren Tatbeendigung nicht zwingend entgegen (kritisch insofern aber MK/Radtke aaO § 266a Rn. 117; Bachmann, JR 2020, 370, 373 f.). Dies zeigt die Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei Taten nach § 370 AO; auch der staatliche Steueranspruch be- steht nach den insofern angenommenen Beendigungszeitpunkten fort.

bb)  Zudem gewährleistet diese Auffassung einen weitgehenden Gleichlauf zwischen § 266a Abs. 2 StGB und § 370 Abs. 1 AO; dies erscheint angesichts des Umstands, dass § 266a Abs. 2 StGB bewusst an § 370 Abs. 1 AO angelehnt wurde – beide Delikte stimmen in der tatbestandlichen Struktur überein und treffen häufig zusammen (vgl. näher unten III.2.b)cc)(1)(b)) – ange- messen (LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114; Krug/Skoupil aaO 140 ff.). Daneben hat die Lösung den Vorteil einer einheitlichen Verjährung von Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB (vgl. Loose aaO 188 f.; Krug/Skoupil aaO 141); denn im Hinblick auf § 266a Abs. 2 Nr. 1

StGB beginnt die Verjährungsfrist ebenfalls mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts zu laufen (vgl. Anfragebeschluss Rn. 12). Dies erscheint im Hinblick auf die beiden Tatbestands- varianten von § 266a Abs. 2 StGB auch deswegen sachgerecht, da es in Bezug auf den Unrechtsgehalt keinen wesentlichen Unterschied macht, ob die zum Vorenthalten der Beiträge führende Verletzung der sozialrechtlichen Meldepflicht im Wege unrichtiger oder unvollständiger Angaben oder durch ein pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen erfolgt (Loose aaO 182). Ferner fügt sie sich friktionslos in die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Deliktsnatur des

§ 266a StGB ein und ist nicht mit Rechtsanwendungsproblemen – etwa im Hinblick auf die Rechtsfigur der omissio libera in causa – verbunden (vgl. etwa Loose aaO 154 f.). Schließlich sprechen für sie kriminalpolitische Gründe, insbesondere die „ultima-ratio“-Funktion des Straf- rechts (vgl. Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233 f.; Hüls/Reichling aaO 308).

cc)  Gegen die bisherige Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB sprechen zudem vornehmlich folgende von der Literatur angeführte Gründe, die der Senat für durchgreifend erachtet (vgl. zu weiteren Einwänden Loose aaO 182 f.; Krug/Skoupil aaO 142; Bachmann aaO 238):

(1)  Die bisherige Rechtsprechung führt zu Verwerfungen im Bereich des Verjährungssystems. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge verjähren erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Da dies auf gemäß § 266a StGB vorenthaltene Sozialbeiträge stets zutrifft, wären die entsprechenden Taten – sofern kein anderer Erlöschensgrund eingreift – nach der bisherigen Ansicht der Rechtsprechung erst nach Ablauf dieser Zeit gemäß § 78a Satz 1 StGB beendet. Die fünfjährige strafrechtliche Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) würde erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. In der Summe wären dies mithin 35 bis 36 Jahre. Diese Dauer könnte sich im Falle der Hemmung oder des Neubeginns der sozialversicherungsrechtlichen Verjährung sowie des Ruhens oder der Unterbrechung der strafrechtlichen Verjährung weiter verlängern (vgl. Loose aaO 170; LG Baden-Baden aaO 760).

Eine derart lange „Gesamtverjährungszeit“ (Hüls/Reichling aaO 307) ist unangemessen (LK/Gre- ger/Weingarten aaO § 78a Rn. 12; Lanzinner aaO 162; Gercke/Hembach aaO 113; Zieglmeier aaO; Loose aaO 171; Krug/Skoupil aaO 139 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114; Gercke aaO Rn. 92; Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233; Hüls/Reichling aaO 307 f.; Bachmann aaO 239). Sie steht in keinem Verhältnis zur Schwere der Taten gemäß § 266a StGB (Loose aaO 171; Reichling/Winsel aaO 341). Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass bei diesen Taten die gleiche Verjährungsfrist wie bei Taten gemäß § 242 Abs. 1, § 263 Abs. 1 oder § 223 Abs. 1 StGB greift, läuft durch die Anknüpfung der Tatbeendigung an das Erlöschen der Beitragspflicht ins Leere (Loose aaO 171; vgl. auch Krug/Skoupil aaO 139). Die tatsächliche Verjährungsfrist bewegt sich stattdessen im Bereich der „Schwerstkriminalität“ (Krug/Skoupil aaO 139; vgl. auch Hüls/Reichling aaO 308).

(a)  Dies läuft dem Sinn und Zweck der Verfolgungsverjährung zuwider (Loose aaO 174 f.; Krug/Skoupil aaO 140; Gercke aaO Rn. 92; Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233; Hüls/Reichling aaO 307 f.; vgl. auch Lanzinner aaO 163; Gercke/Hembach aaO 113; Binne- wies/Bertrand aaO 536):

Die Verjährung soll nach allgemeiner Meinung einerseits dem Rechtsfrieden und andererseits verfahrenspraktischen Erwägungen dienen (vgl. Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., Vor §§ 78 ff. Rn. 3; MK/Mitsch, StGB, 4. Aufl., § 78 Rn. 3 f.). Zu letzteren zählen eine Disziplinierungsfunktion gegenüber den Organen der Strafrechtspflege, die vor dem Hintergrund der drohenden Verjährung von Anfang an zu einer ökonomischen und effizienten Verfahrensgestaltung angehalten werden sollen, eine Entlastung der Justiz durch die Nichtverfolgbarkeit verjährter Taten sowie der mit der Zeit voranschreitende Beweismittelschwund (Schönke/Schröder/Bosch aaO Vor §§ 78 Rn. 3; MK/Mitsch aaO § 78 Rn. 4). Mit Verstreichen der Verjährungsfrist wird das Spannungsverhältnis zwischen Zeit und Recht dahingehend aufgelöst, dass dem eingetretenen Rechtsfrieden der Vorrang vor der Verfolgung der Straftat gewährt wird (Krug/Skoupil aaO 140); hierfür sieht das Gesetz in § 78 Abs. 3 StGB ein je nach Strafandrohung bzw. Rechtsgutsverletzung abgestuftes System vor (vgl. Krug/Skoupil aaO 137; Hüls/Reichling aaO 305).

Für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, deren Vollendung schon mehrere Jahr- zehnte zurückliegt, ist angesichts des mit fortschreitender Zeit abnehmenden Strafbedürfnisses in der Regel auch ohne die Durchführung eines Strafverfahrens bereits Rechtsfrieden eingekehrt (Hüls/Reichling aaO 307). Denn bei § 266a StGB geht mit der fortschreitenden Untätigkeit nicht wie bei anderen Dauerdelikten eine Intensivierung der Rechtsgutsverletzung einher. Der bereits eingetretene Rechtsfrieden kann durch die Durchführung eines Strafverfahrens wieder gestört werden (Loose aaO 174 f.; Gercke aaO Rn. 92; Hüls/Reichling aaO 307). Zudem gefährdet eine übermäßig lange Verjährungsdauer die genannten, hinter der Verjährung stehenden verfahrens- praktischen Erwägungen (vgl. Loose aaO 175; Schmitz aaO 224, 229; vgl. auch Lanzinner aaO 163).

(b)  Diese Unwucht im Verjährungssystem wird auch bei einem Vergleich mit der Verjährung der Lohnsteuerhinterziehung deutlich (Lanzinner aaO 163; Loose aaO 171 ff.; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.; vgl. auch Binnewies/Bertrand aaO 536; Reich- ling/Winsel aaO 341). Der Vergleich bietet sich an, da § 370 Abs. 1 AO und § 266a Abs. 2 StGB sich nicht nur – wie vom Gesetzgeber beabsichtigt (BT-Drucks. 15/2573, 28 und BR-Drucks. 155/04, 75) – in der Tatbestandsstruktur ähneln (vgl. Lanzinner aaO 163; Loose aaO 171; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114), sondern auch den gleichen Strafrahmen aufweisen (Loose aaO 171). Zudem fallen das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und die Lohnsteuerhinterziehung in der Praxis häufig zusammen (Loose aaO 171). Schließlich ist die Lohnsteuer als Anmeldungs- bzw. Fälligkeitssteuer ausgestaltet, so dass zwischen Lohnsteuer und Beitragserhebungsverfahren deutliche Parallelen bestehen (Loose aaO 171 f.).

Wird die Lohnsteuerhinterziehung durch unrichtige oder unvollständige Angaben gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht, ist diese nach allgemeiner Meinung, wenn die Steueranmeldung ein Soll aufweist, bereits mit dem Eingang der Lohnsteueranmeldung beim Finanzamt vollendet und gleichzeitig beendet; andernfalls – bei einem Guthaben des Steuerpflichtigen – ist dies erst mit Zustimmung der Finanzbehörde der Fall (§ 168 AO; vgl. etwa MK/Wulf, StGB, 3. Aufl.,

§ 376 AO Rn. 29; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl., § 376 AO Rn. 35; vgl. zur Umsatzsteuer BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – 1 StR 279/17 Rn. 9). Die Lohnsteuerhinterziehung durch ein pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen der Finanzbehörde gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nach herrschender Meinung mit Ablauf der gesetzlichen Anmeldungsfrist vollendet und beendet (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 1982 – 3 StR 421/82 Rn. 4; Klein/Jäger aaO § 370 AO Rn. 202, 204; zur Umsatzsteuer vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2011 – 1 StR 640/10 Rn. 6 f.); dann steht die „Nicht-Festsetzung“ im Sinne von § 370 Abs. 4 AO als Verkürzungserfolg fest, da bei ordnungsgemäßem Verhalten spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Steuerfestsetzung entstanden wäre (Krug/Skoupil aaO 141). Tatvollendung und -beendigung fallen somit jeweils zusammen, so dass entsprechende Taten bereits fünf Jahre nach der Tatvollendung verjähren.

Die erhebliche Diskrepanz im Hinblick auf die Verjährungszeit ist insbesondere dann befremdlich, wenn ein Täter beide Delikte zugleich verwirklicht (Loose aaO 173). Ein Grund für die unterschiedliche Behandlung ist nicht ersichtlich (Krug/Skoupil aaO 141; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.); vielmehr ist es aufgrund der genannten Parallelen zwischen den Tatbeständen geboten, dass die Taten zu annähernd gleichen Zeitpunkten verjähren (Lanzinner aaO 163; Loose aaO 174; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.; LK/Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 266a Rn. 66).

(2)  Des Weiteren spricht gegen die Anknüpfung der Tatbeendigung und des Verjährungsbeginns an das Erlöschen der Beitragspflicht, dass dies zu einer Benachteiligung einerseits von Einzelunternehmern gegenüber Vertretungsorganen und anderseits von Teilnehmern gegenüber Tätern führt (Loose aaO 175 ff.; ders., wistra 2018, 207, 208; Hüls/Reichling aaO 306 f.; Bachmann aaO 239).

(a)  Bei § 266a StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt, das nur von einem Arbeitgeber verwirklicht werden kann. Arbeitgeber können neben Einzelunternehmern auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften sein. Bei diesen wird die Arbeitgebereigenschaft gemäß § 14 Abs. 1 StGB auf die vertretungsberechtigten Organe bzw. deren Mitglieder (Nr. 1) oder auf deren vertretungsberechtigte Gesellschafter (Nr. 2) übertragen. Für diese Vertreter bestehen aber mit dem Erlöschen der Gesellschaft und dem Ausscheiden aus der Vertreterfunktion im Ver- gleich zu Einzelunternehmern weiterreichende Möglichkeiten, die Beitragsabführungspflicht entfallen zu lassen, so dass die Verjährung zu laufen beginnt (vgl. Loose aaO 176 f.; ders., wistra 2018, 207, 208; Bachmann aaO 239; LG Baden-Baden aaO 760). Die damit einhergehende Benachteiligung von Einzelunternehmern ist sachlich nicht gerechtfertigt (Gercke/Hembach aaO 113; Loose aaO 177; ders., wistra 2018, 207, 208; Bachmann aaO 239) und wird auch nicht dadurch kompensiert, dass ihnen die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) zur Verfügung steht, da diese strengen Voraussetzungen unterliegt (Loose aaO 177).

(b)  Die Verjährung von Teilnahmehandlungen beginnt grundsätzlich erst mit der Beendigung der Haupttat (vgl. Fischer aaO § 78a Rn. 4). Während aber derjenige Täter, der Vertretungsorgan einer juristischen Person, Mitglied eines solchen Organs oder vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft ist, es selbst in der Hand hat, durch sein Ausscheiden aus dieser Position seine Vertreterstellung zu beseitigen und damit seine Beitragspflicht zum Er- löschen zu bringen, ist einem Teilnehmer diese Möglichkeit verwehrt (Loose aaO 178). Dies hat die paradoxe Konsequenz, dass es in Grenzfällen von Täterschaft und Teilnahme für den Beteiligten günstiger sein kann, als Täter statt als Teilnehmer eingestuft zu werden (Loose aaO 179 f.; Hüls/Reichling aaO 306 f. mit Beispielsfall).

(3)  Wegen der erst spät eintretenden Tatbeendigung besteht schließlich die Gefahr, dass § 55 Abs. 1 StGB bei später abzuurteilenden Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB in großen Teilen leerläuft (Loose, wistra 2018, 207, 208). Da dies insbesondere Taten von Einzelunternehmern betrifft, werden diese auch bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gegenüber den in § 14 Abs. 1 StGB genannten Vertretungsorganen von juristischen Personen und vertretungsberechtigten Gesellschaftern von rechtsfähigen Personengesellschaften benachteiligt (Loose, wistra 2018, 207, 208).

d) Angesichts dessen konnte auch die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in den Fällen 1. bis 17. und 63. der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben und musste wegen Verjährung eingestellt werden. Die entsprechende Abänderung des Schuldspruchs hat der Senat vorgenommen.

3.  Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs in den Fällen 73. bis 103. der Urteilgründe wegen Steuerhinterziehung; die Bestimmung der Höhe der Verkürzungsbeträge ist – worauf bereits der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – rechtsfehlerhaft.

a)  Zwar durfte das Landgericht seiner Berechnung vorliegend – da die beschäftigten Arbeitnehmer unbekannt waren – den jeweiligen Eingangssteuersatz der Steuerklasse VI zugrunde legen (§ 39c EStG; vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 37). Es hat jedoch den Berechnungsvorgang an sich fehlerhaft durchgeführt; bei einer Rückrechnung ergeben sich stets über dem nach der eigenen Berechnungsdarstellung herangezogenen Steuersatz von 15 beziehungsweise 14% liegende Werte. Die Strafkammer gelangt daher jeweils zu einem zu hohen Verkürzungsumfang.

Die jeweiligen Schuldsprüche sind von diesem Rechtsfehler nicht berührt, weil der Senat aus- schließen kann, dass sich die fehlerhafte Berechnung der verkürzten Lohnsteuern dergestalt auf die Verwirklichung des Tatbestandes ausgewirkt hat, dass dieser entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18 aaO Rn. 43).

b)  Dagegen ist die Berechnung der vorenthaltenen Beiträge nach § 266a StGB – entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts – aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Die Darlegung der Berechnungsgrundlagen im Urteil genügt den Anforderungen, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 266a StGB stellt (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18 aaO Rn. 39 mwN) und auch die auf dieser Grundlage von der Strafkammer vorgenommene Hochrechnung der angenommen Netto auf Bruttolöhne (§ 14 Abs. 2 SGB IV) ist nachvollziehbar.

4.  Die Rechtsfehler bei der Bestimmung der Verkürzungsbeträge in den Fällen 73. bis 103. der Urteilsgründe bedingen die Aufhebung der entsprechenden Einzelfreiheitsstrafen mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies zieht auch die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich, die zudem bereits wegen des Wegfalls der Einzelstrafen in den Fällen 68. bis 72. sowie 1. bis 17. und 63. der Urteilsgründe keinen Bestand haben könnte, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei entsprechender Teileinstellung auf eine niedrigere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Die ohne Rechtsfehler ergangene Kompensationsentscheidung bleibt davon unberührt (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 1 StR 464/17 Rn. 19 mwN).