StGB § 30 Abs. 2 Variante 1, StGB § 211 Abs. 2 StGB: Anstiften zur Beteiligung an einem Verbrechen

§ 30 Abs. 2 Variante 1, § 211 Abs. 2 StGB

BGH, Beschluss vom 17. Februar 2022 – 4 StR 282/21 –, juris

Verfahrensgang vorgehend LG Detmold, 12. März 2021, 21 Ks 3/21

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 12. März 2021, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe

1 Das Landgericht hat den Angeklagten ‒ bei Freispruch im Übrigen ‒ wegen „Sichbereiterklärens zu einem Verbrechen“, eines Mordes, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der 25 Jahre alte, mit einem IQ von 95 unterdurchschnittlich intelligente und seit Mai 2020 unter Betreuung stehende Angeklagte leidet seit Anfang des Jahres 2020 „auf der Basis des DiGeorge-Syndroms“ an „multiplen Störungen der Sexualpräferenz“ und entwickelte auf dieser Grundlage ein sexuelles Interesse an Kindern. Im Internet suchte er nach Nacktbildern von Kindern und Abbildungen kindlicher Geschlechtsorgane. Er hegte sadistische Fantasien und stellte sich vor, ein Kind zu verletzen oder zu töten. Er beschloss, seine Fantasien in die Tat umzusetzen und eines Kindes „habhaft zu werden“, um es zu misshandeln und zu töten; er nahm deshalb über das Internet Kontakt zu Müttern auf und hoffte, dass diese ihm eines ihrer Kinder überlassen würden. Am 12. Februar 2020 trat der Angeklagte über die Internetplattform ebay Kleinanzeigen in Kontakt zu S. , der Mutter der fünf Jahre alten M. . Im Verlaufe der bis zum 26. Februar 2020 dauernden Kommunikation übersandte der Angeklagte S. eine Vielzahl von Nachrichten, die sich mit Überlegungen zum „Ankauf“, der Misshandlung und der Tötung der fünfjährigen M. befassten. In einer Nachricht vom 12. Februar 2020 bot der Angeklagte S. an, M. zum Preis von 1.000 € zu kaufen. Nachdem S. zum Schein auf dieses Angebot eingegangen war, überwies der Angeklagte noch am selben Tag eine Anzahlung in Höhe von 10 € und teilte ihr seinen Namen und als „Lieferanschrift“ eine Packstation in D. mit. Weiterhin bat er sie darum, ihm das Kind in einen gelben Sack verpackt zuzuschicken. Im weiteren Chatverlauf kündigte der Angeklagte an, er werde „Experimente“ mit dem Kind durchführen und beispielsweise einen Ball in den Anus des Kindes einführen, den er sodann aufpumpen werde; auch werde er das Kind für eine Stunde bei 50 Grad Celsius in den Backofen schieben. Weiterhin bat er S. um Erlaubnis, M. bestrafen und in einen Müllsack stecken zu dürfen, wenn sie ihr Zimmer nicht aufräume oder nicht auf ihn höre.

„Ab dem 13.02.2020“ bot der Angeklagte S. an, ihre Tochter M. zu töten, wenn sie dies wünsche. Konkret erklärte er sich ihr gegenüber dazu bereit, ihre Tochter an deren Geburtstag, dem 17. Mai 2020, zu „zerschreddern“. Alternativ bot er an, sie in einem Kaminofen oder im Garten zu verbrennen. Dabei hatte der Angeklagte ernsthaft vor, seine Tötungsfantasien in die Tat umzusetzen, und war entschlossen, das Kind auf eine mit besonderen Schmerzen und Qualen verbundene Weise zu töten. Durch seine wiederholten, ernst gemeinten Angebote wollte er S. dazu bewegen, ihre Einwilligung in die Ausführung der Tat zu erteilen. Der Angeklagte erkannte zwar das Unrecht seines Tuns; seine Steuerungsfähigkeit war jedoch aufgrund einer „auf den multiplen Störungen der Sexualpräferenz beruhenden Impulskontrollstörung“ erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert.

Nachdem S. ab dem 15. Februar 2020 auf seine Nachrichten nicht mehr antwortete, zweifelte der Angeklagte daran, dass sie ihm ihre Tochter tatsächlich „übersenden“ würde. Er fragte sie deshalb ab dem 15. Februar 2020 auch danach, ob sie selbst mit ihrer Tochter Experimente durchführen und diese „in den Backofen schieben“ und ihr dabei „ein Stofftier oder Puppe in den Po schieben“ würde; für die Durchführung dieses „Experiments“ bot er die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von rund 1.100 € an. Mit diesen Nachrichten wollte der Angeklagte S. nicht dazu veranlassen, die „Experimente“ tatsächlich durchzuführen und sie ‒ wie in der Anklageschrift angenommen ‒ zur Tötung ihrer Tochter anstiften; vielmehr kam es ihm allein darauf an, seine sadistischen Phantasien auf diese Weise mit ihr zu teilen und sich dadurch sexuell zu erregen. Das Landgericht hat den Angeklagten daher unter anderem wegen dieses Tatvorwurfs freigesprochen.

2. Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte sich durch das am 13. Februar 2020 erstmals ausgesprochene und in der Folgezeit mehrfach wiederholte Angebot, ihre Tochter an ihrem Geburtstag zu „zerschreddern“, wenn sie dies wünsche, gegenüber S. ernsthaft bereit erklärt habe, ihre Tochter grausam zu töten (§ 30 Abs. 2 Variante 1, § 211 Abs. 2 StGB).

II.

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1. Zwar ist das Landgericht in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte sich wegen Sich-bereit-Erklärens zu einem Mord in Form des Sich-Erbietens schuldig gemacht hätte, wenn er sich S. gegenüber ernsthaft und mit Bindungswillen bereiterklärt hätte, ihre Tochter zu töten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2017 ‒ 3 StR 260/16, BGHSt 62, 96, 99; Beschluss vom 18. Februar 2016 ‒ AK 3/16, Rn.13; Beschluss vom 7. Juli 1993 ‒ 3 StR 275/93, BGHR StGB § 30 Beteiligung 1; RG, Urteil vom 7. Juni 1929 ‒ g. W. I 3/29, RGSt 63, 197, 199). Dabei kann der Senat offenlassen, ob § 30 Abs. 2 Variante 1 StGB voraussetzt, dass der Erbietende als präsumtiver Täter seinen Tatentschluss unter die Bedingung der Annahme seines Erbietens stellt (sogenanntes „echtes“ Erbieten, vgl. nur Rogall in: Festschrift für Puppe, 2011, S. 859, 869; LK-StGB/Schünemann/Greco, 13. Aufl., § 30 Rn. 92), oder ob die Strafvorschrift auch Anwendung findet, wenn der Täter bei Kundgabe seiner Bereitschaft bereits fest zur Tat entschlossen ist (str.; befürwortend MüKo-StGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl., § 30 Rn. 44; a.A. Rogall, aaO, S. 869 Fn. 94 mwN). Denn nach den Feststellungen hat der Angeklagte seine Bereitschaft zur Tötung des Kindes von der Zustimmung von S. abhängig gemacht, seinen Tatentschluss also unter die Bedingung der Annahme seines Erbietens gestellt. 

Erforderlich ist aber, dass der Angeklagte sein Erbieten ernst gemeint hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2017 ‒ 3 StR 260/16, BGHSt 62, 96, 99; Beschluss vom 7. Juli 1993 ‒ 3 StR 275/93, BGHR StGB § 30 Beteiligung 1; Urteil vom 11. Mai 1954 ‒ StE 125/52, BGHSt 6, 346, 347; ebenso bereits RG, Urteil vom 10. Dezember 1925 ‒ g. Sch. II 368/25, RGSt 63, 197, 199; RGSt 60, 23, 25). Die bloße Kundgabe, ein Verbrechen begehen zu wollen, erfüllt den Tatbestand des § 30 Abs. 2 Variante 1 StGB nicht. Der Tatbestand wäre daher nicht erfüllt, wenn der Angeklagte seine Äußerungen nicht ernst gemeint, sondern mit ihnen allein das Ziel verfolgt hätte, seine Tötungsfantasien mit einem Dritten zu teilen und sich dadurch sexuell zu erregen.

2. Die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich gegenüber S. „ab dem 13.02.2020“ ernsthaft dazu bereit erklärt, ihre Tochter grausam zu töten, ist nicht tragfähig belegt.

a) Mit dem psychiatrischen Sachverständigen Dr. Da. ist das Landgericht auf der Grundlage der bei dem Angeklagten „seit Anfang 2020“ bestehenden „extrem ausgeprägte[n] Sexualstörung“ zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte seinen Sexualtrieb nicht habe „ausleben“ können und dies zu einem „Anstau“ geführt habe, der sich „in der Tat entladen habe“. Zum Tatzeitpunkt sei die Triebhaftigkeit des Angeklagten „bereits so stark gewesen“, dass die bloße Äußerung von Fantasien dem Angeklagten nicht ausgereicht habe. Die geleistete Anzahlung dokumentiere, dass er „sich ernsthaft an seiner Erklärung“ habe „festhalten lassen“ wollen. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat habe er sich mit der Frage beschäftigt, wie man ein Kind mit der Post versenden könne. Auch die Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit, mit der er sein Anliegen weiterverfolgt habe, obwohl S. ihm ab dem 15. Februar 2020 nicht mehr geantwortet habe, spreche für die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens. 

b) Die tatgerichtlichen Beweiserwägungen sind lückenhaft. 

aa) Das Landgericht hat sich nicht mit den Gründen auseinandergesetzt, die ‒ unter anderem ‒ zum Freispruch vom Tatvorwurf der versuchten Anstiftung zum Mord geführt haben. Insoweit ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte S. ab dem 16. Februar 2020 zwar wiederholt aufgefordert habe, mit ihrer Tochter „Experimente“ durchzuführen, sie etwa in den Backofen zu schieben und zu töten. Es ist jedoch ‒ auch insoweit dem Sachverständigen folgend ‒ zu der Überzeugung gelangt, dass diese Äußerungen nicht ernst gemeint, sondern Ausdruck von „Allmachtsphantasien“ gewesen seien. Dem Angeklagten habe es bereits Erregung bereitet, sie auszusprechen, ohne dass es ihm darauf angekommen wäre, dass die Handlungen auch in die Tat umgesetzt würden. Vor diesem Hintergrund erschließt sich ohne nähere Erörterung nicht, dass es sich bei seinen vom 13. Februar 2020 an erfolgten Äußerungen anders verhalten haben sollte. Die sachverständige Wertung, bei den „ab dem 13.02.2020“ gegenüber S. ausgesprochenen Angeboten des Angeklagten, ihre Tochter töten zu wollen, handele es sich um ein ernstliches Angebot, weil ihm die „bloße Äußerung von Fantasien“ nicht mehr ausgereicht habe, ist mit dieser zum Teilfreispruch des Angeklagten führenden tatgerichtlichen Wertung ohne nähere Ausführungen nicht vereinbar.

bb) Weiterhin lassen die Beweiserwägungen nicht erkennen, inwieweit der Umstand, dass der Angeklagte am 12. Februar 2020 und damit zeitlich vor dem am 13. Februar 2020 gefassten Tatentschluss eine Anzahlung in Höhe von 10 € geleistet und Vorkehrungen zu Erwerb und Versand des Kindes getroffen hat, Indizwert für die Ernsthaftigkeit seiner späteren Erklärungen, das Kind zu töten, entfalten soll.

3. Der Senat sieht Anlass, die Sache nicht erneut an das Landgericht Detmold zu verweisen. Er macht deshalb von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative StPO Gebrauch und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Münster zurück.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird sich eingehender als bisher geschehen mit dem Inhalt der Textnachrichten des Angeklagten auseinanderzusetzen haben. Die Nachrichten des Angeklagten werden nach prozessordnungsgemäßer Einführung im Wege förmlicher Verlesung ‒ die Einführung im Wege des Vorhalts ist unter den hier gegebenen Vorzeichen ungeeignet (zu den Grenzen der Einführung von Urkunden im Wege des Vorhalts vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. Juni 2021 ‒ 3 StR 156/21, NStZ 2022, 119) ‒ einer eingehenden Auslegung zu unterziehen sein, die in den schriftlichen Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen sein wird.

Weiterhin dürfte es sich angesichts des nicht alltäglichen, erst Anfang des Jahres 2020 aufgetretenen, komplexen Störungsbilds empfehlen, die Ausprägung dieser Störung sowie ihren Einfluss auf die Handlungsmöglichkeit des Angeklagten in der Tatsituation ‒ erforderlichenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen ‒ sorgfältiger als bisher geschehen in den Blick zu nehmen.