StGB § 303b Abs. 1 Tatbestandliche Reichweite der Computersabotage bei Angriff auf illegales Konkurrenzportal kinox.to
BGH, Beschluss v. 11. Januar 2017 – 5 StR 164/16
Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 303 b I StGB ist es unerheblich, ob der betroffene Datenverarbeitungsvorgang rechtmäßigen oder rechtswidrigen Zwecken dient. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 14. Dezember 2015 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte im Fall II.A der Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken in 601 tateinheitlichen Fällen schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken in 606 tateinheitlichen Fällen, wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken in 2.284 tateinheitlichen Fällen, wegen Computersabotage, wegen Beihilfe zur Computersabotage und wegen Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt sowie Verfalls- und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf Sachbeanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen bleibt sie erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
1.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zu den Taten II.A und II.D wirkte der Angeklagte an dem Internetportal k. und dem Nachfolgeportal ki. mit, die jeweils in großer Zahl zielführende Querverweise (Links), zu im Internet bereitgestellten Raubkopien von überwiegend aktuellen, sämtlich urheberrechtlich geschützten Kinofilmen und Fernsehserien anboten. Die Portale boten Dritten (Uploadern), die sich Raubkopien verschafft hatten, die Möglichkeit, nach einer Registrierung Links zu den für die Verbreitung über die Portale bearbeiteten und sodann hochgeladenen Raubkopien (Upload) in das Angebot des jeweiligen Internetportals einzustellen, wo sie nach einer Überprüfung im Auftrag der Plattformbetreiber freigeschaltet und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die Plattformen boten ihren Nutzern die illegal kopierten Filme und Fernsehserien zum Herunterladen (Download), vor allem aber auch zum Ansehen im Internet (Streaming) an, bei dem nicht der gesamte Film heruntergeladen wird, sondern beim Nutzer in beständigem Fluss kleine Datenpakete ankommen, zeitweise gespeichert und zur Wiedergabe genutzt werden. Durch den Betrieb der Portale wurden erhebliche Gewinne aus Werbeeinnahmen erzielt. Bei der Tat II.A unterstützte der Angeklagte die gesondert verfolgten Betreiber des Internetportals k. ab März 2009 in 601 Fällen insbesondere dadurch, dass er unter Nutzung seiner umfangreichen IT-Kenntnisse erhebliche Sicherheitslücken des Portals schloss, Aktualisierungen (Updates) auf zwei Servern vornahm und ein Konzept zur Erstellung von Sicherungskopien von den Inhalten des Portals entwickelte und mit ausführte. Nach Abschaltung dieses Internetportals schuf und betrieb der Angeklagte selbst federführend mit zwei weiteren gesondert verfolgten Mittätern das vergleichbare, in der Aufmachung sehr ähnliche Nachfolgeportal ki. , das ebenfalls darauf ausgerichtet war, hohe Gewinne aus Werbeeinnahmen abzuwerfen (Tat II.D).
b) Das Landgericht hat das arbeitsteilige Vorgehen der jeweiligen Betreiber der Internetportale insbesondere gemeinsam mit den Uploadern als mittäterschaftliche Verwirklichung der (gewerbsmäßigen) unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken in der Tatbestandsvariante des Vervielfältigens gewertet (§ 106 Abs. 1 Variante 1 UrhG). Dem gemeinschaftlichen Handeln lag nach Auffassung des Landgerichts ein gemeinsamer, der Umsetzung des Geschäftskonzepts der Zurverfügungstellung von Raubkopien im Internet dienender Tatentschluss zugrunde. Es hat den Betreibern des Portals daher die von den Uploadern vorgenommenen Vervielfältigungshandlungen gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet und den Angeklagten wegen seiner Unterstützungshandlungen bei der Tat II.A als Gehilfen, bei der Tat II.D angesichts seiner Tätigkeit als Portalbetreiber als Mittäter der gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken verurteilt.
2.
a) Zur Tat II.C hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte unter Einsatz seiner ausgeprägten IT-Fähigkeiten und seiner Erfahrungen als Computer-Hacker die Zugangsdaten für die Internetadresse des ebenfalls den Zugang zu Raubkopien bietenden Hauptkonkurrenzportals m. verschaffte. Diese gab er einem der gesondert verfolgten Betreiber von k. weiter, der damit Manipulationen an der IP-Adresse des anderen Portals vornahm oder vornehmen ließ. Diese führten dazu, dass das Konkurrenzportal an den besonders besucherstarken Weihnachtstagen des Jahres 2010 für Internetnutzer nicht erreichbar war, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm. Bei der Tat II.E führte der Angeklagte zusammen mit einem der gesondert verfolgten Mitbetreiber von KI. gezielte Angriffe zur Überlastung des Zugangs zu dem gleichermaßen auf urheberrechtswidrige Inhalte bezogenen Konkurrenzportal v. aus („Distributed Reflected Denial of Service [DRDoS]“ Angriffe), in deren Folge diese Internetplattform während eines nicht unerheblichen Zeitraums im Juni 2011 für Internetnutzer nicht erreichbar war.
b) Das Tätigwerden des Angeklagten bei den Taten II.C und II.E hat das Landgericht als Computersabotage gemäß § 303b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB (Tat II.E) bzw. als Beihilfe zur Computersabotage nach § 303b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 303a Abs. 1 StGB (Tat II.C) gewertet. Für eine Strafbarkeit nach § 303b StGB sei unerheblich, dass es sich bei den beeinträchtigten Internetportalen um solche gehandelt habe, die Zugang zu rechtswidrig vervielfältigten Inhalten geboten hätten. Auch darauf beziehe sich der strafrechtliche Schutz (UA S. 156, 165). II. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Die Annahme einer mittäterschaftlich begangenen (gewerbsmäßigen) unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken (in der Tatbestandsvariante des Vervielfältigens) im Fall II.D und der Beihilfe hierzu im Fall II.A hält rechtlicher Überprüfung stand.
a) Das Landgericht hat in zutreffender Weise das Hochladen der Videodateien durch die Uploader als (erste) Vervielfältigungshandlung im Sinne von § 106 Abs. 1 Variante 1 UrhG angesehen (vgl. Reinbacher, NStZ 2014, 57, 60 f.; demgegenüber hatte das Landgericht Leipzig, ZUM 2013, 338, 345 die Tatbestandsvariante der öffentlichen Wiedergabe bejaht). Hieran hat sich der Angeklagte im Fall II.D als Mittäter beteiligt; im Fall II.A war er Gehilfe der ihrerseits in Mittäterschaft mit den Uploadern tätigen Plattformbetreiber von k. .
b) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat das Tatgericht auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt (BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 – 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137; vom 4. Februar 2016 – 1 StR 424/15, NStZ 2016, 400, 401; vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6, 7 mwN).
c) Gemessen hieran begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Betreibern der Internetportale die von den Uploadern vorgenommenen Vervielfältigungshandlungen nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet und den Angeklagten im Fall II.D wegen mittäterschaftlicher Verwirklichung der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke (§ 106 Abs. 1 Variante 1 UrhG) verurteilt hat. In seine umfassende Gesamtwürdigung hat das Landgericht insbesondere eingestellt, dass der Angeklagte und die beiden weiteren Portalbetreiber mit den bei ihnen registrierten, oft seit vielen Jahren gewerblich als Raubkopierer tätigen Uploadern (UA S. 46) in der Weise arbeitsteilig zusammenwirkten, dass sie mit ki. eine Nachfolgeplattform zu k. bereitstellten und betrieben und die von ihnen oder in ihrem Auftrag geprüften und freigeschalteten Links zu von den Uploadern zu diesem Zwecke vervielfältigten Filmen dort präsentierten. Diese Handlungen dienten dem gemeinsamen Ziel, sich mit der Verwirklichung des allen Beteiligten bekannten Geschäftsmodells, nämlich der Generierung erheblicher Werbeeinnahmen durch kostenlose Versorgung von Nutzern mit neuesten Filmen (UA S. 145 f.) unter Verletzung der jeweiligen Urheberrechte, in großem Stil persönlich zu bereichern. Ohne die Tatbeiträge der Betreiber der Internetplattform waren die Vervielfältigungshandlungen der Uploader zwar möglich, aber bezogen auf das verfolgte Ziel sinnlos. Denn ohne die Bekanntgabe der jeweiligen Zieladressen (Links) waren die vervielfältigten Filme im Internet nicht ohne Weiteres auffindbar (vgl. Reinbacher aaO). Erst durch die Herstellung der Abrufmöglichkeit durch Veröffentlichung der Links auf ki. materialisierte sich die durch den Upload der Raubkopien zwar bereits vollendete, bis dahin aber faktisch folgenlose Urheberrechtsverletzung in der digitalen Außenwelt. Auch die konkurrenzrechtliche Behandlung dieser unter anderem aus Aufbau und Betrieb des Internetportals bestehenden Tatbeiträge (UA S. 162) als – uneigentliches – Organisationsdelikt hält rechtlicher Prüfung stand (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2014 – 3 StR 365/14, NStZ 2015, 334). d) Vor diesem Hintergrund begegnet es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Angeklagten wegen der Tat II.A der Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung von urheberrechtlich geschützten Werken schuldig gesprochen hat. Seine Unterstützungshandlungen für den von ihm als rechtswidrig erkannten und gewollten Betrieb der Streaming-Plattform bezogen sich auf die (tateinheitlich zusammentreffende) mittäterschaftliche Verwirklichung des § 106 Abs. 1 UrhG durch deren Betreiber und sind vom Landgericht rechtlich zutreffend als eine Beihilfetat gewürdigt worden (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112; LKStGB/Schünemann, 12. Aufl., § 27 Rn. 22 f.; LK-StGB/Roxin, 11. Aufl., § 27 Rn. 16 ff.).
2. Die Verurteilung wegen (Beihilfe zur) Computersabotage bei den Taten II.C und II.E hält rechtlicher Überprüfung stand. Sie fußt auf der zutreffenden rechtlichen Erwägung des Landgerichts, dass es für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 303b StGB unerheblich ist, ob sich die Sabotagehandlungen auf Datenverarbeitungsvorgänge zu rechtmäßigen oder rechtswidrigen Zwecken beziehen. Für das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründen bietet der festgestellte Sachverhalt keinen Anhalt.
a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass § 303b StGB nur auf Datenverarbeitungsvorgänge im Zusammenhang mit rechtstreuem Verhalten Anwendung finden soll. Die Gesetzesbegründung benennt als Schutzgut „das Interesse der Betreiber und Nutzer von Datenverarbeitungen allgemein an deren ordnungsgemäßer Funktionsweise“ und führt beispielhaft für das Merkmal der „wesentlichen Bedeutung“ für den Geschädigten an, dass dies bei der Datenverarbeitung im Rahmen einer Erwerbstätigkeit anzunehmen sein werde. Eine vom Gesetzgeber vorgesehene Beschränkung dahin, dass dies nur bei rechtmäßigen Tätigkeiten gelten solle, ist nicht erkennbar (BT-Drucks. 16/3656 S. 13).
b) Auch das der Neufassung des § 303b StGB durch das „41. Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität“ vom 7. August 2007 (BGBl. I 1786) zugrunde liegende „Übereinkommen des Europarates über Computerkriminalität vom 23. November 2001“ (ratifiziert durch Gesetz vom 5. November 2008, BGBl. II S. 1242) lässt nicht die Zielsetzung erkennen, Datenverarbeitung nur im legalen Kontext gegen kriminellen Zugriff schützen zu wollen. Es umfasst die Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestimmte Eingriffe in Computersysteme unter Strafe zu stellen; eine Möglichkeit, strafrechtliche Ahndung auf die Beeinträchtigung legal genutzter Computersysteme zu beschränken, ist dort nicht eröffnet (Art. 3 und 5 des Übereinkommens). In gleicher Weise verlangen es der durch die Neufassung des § 303b StGB ebenfalls umgesetzte Rahmenbeschluss 2005/222/JI vom 24. Februar 2005 (ABl. EU L 69 vom 16. März 2005, S. 67) und die diesen Rechtsakt ersetzende Richtlinie 2013/40/EU vom 12. August 2013 (ABl. EU L218 vom 14. August 2013, S. 8) einschränkungslos, unbefugte Eingriffe in Informationssysteme ohne Differenzierung nach der Rechtmäßigkeit des Einsatzzwecks des Systems unter Strafe zu stellen. Entsprechende Einschränkungen wären auch mit den Zielen dieser Rechtsakte unvereinbar, die Sicherheit der Netze und Informationen umfassend zu gewährleisten und eine sichere Informationsgesellschaft zu schaffen (vgl. die jeweiligen Erwägungsgründe).
3. Aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist der Schuldspruch allerdings in der vorgenommenen Weise zu ändern, wobei der Senat angesichts der verbleibenden Vielzahl der tateinheitlich verwirklichten Urheberrechtsverletzungen ausschließt, dass die Strafkammer für diese Tat auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte.