StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2b Falsches Überholen – Kölner Autoraser

BGH, Beschluss v. 22. November 2016 – 4 StR 501/16 Das Tatbestandsmerkmal des falschen Überholens i. S. v. § 315 c I Nr. 2 b StGB ist erfüllt, wenn die während des Überholmanövers gefahrene Geschwindigkeit es nicht mehr zulässt, dass innerhalb einer übersehbaren Strecke gehalten werden kann bzw. wenn während des Überholmanövers gegen die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften verstoßen wird, sofern durch diese Regelverstöße das Überholen als solches gefährlicher wird.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. November 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 23. Mai 2016 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 10. Juli 2015 um 20.16 Uhr mit einem geliehenen Pkw der Marke BMW „mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit“ die zwei Richtungsfahrbahnen aufweisende A. Straße im Stadtzentrum von K. . Dabei nahm er bei „moderatem Verkehrsaufkommen“ in schneller Folge mehrere Spurwechsel vor, um vorschriftsmäßig fahrende Fahrzeuge überholen zu können. Unmittelbar nach einem Überholmanöver nahm der zu diesem Zeitpunkt auf der linken Fahrspur fahrende Angeklagte wahr, dass die nur noch rund 30 bis 40 Meter entfernte Lichtzeichenanlage an der Kreuzung A. Straße/ Ka. straße/U. straße auf Gelblicht umsprang. Etwa 40 Meter vor der Kreuzung eröffnet rechts auf der A. Straße ein dritter Geradeausstreifen, der 100 Meter nach der Kreuzung zu einer Rechtsabbiegespur wird. Der Angeklagte beabsichtigte, die Kreuzung noch vor einem Umschalten auf Rotlicht zu passieren, um nicht vor der Ampel warten zu müssen. Da sich jedoch vor ihm auf der linken wie auch der rechts daneben führenden Fahrspur Fahrzeuge befanden, die ihre Geschwindigkeit angesichts der Gelblicht zeigenden Lichtzeichenanlage verringerten und demnach deutlich langsamer fuhren als der Angeklagte, nahm er einen durchgängigen Spurwechsel von der linken über die mittlere auf die wenige Meter zuvor neu hinzugekommene und zu diesem Zeitpunkt freie Geradeausspur vor, die er wenige Fahrzeuglängen vor der Haltelinie erreichte. Der Angeklagte fuhr nun mit einer Geschwindigkeit von mindestens 109 km/h auf die Kreuzung zu. Zum gleichen Zeitpunkt befuhr die Zeugin Ku. mit einem BMW Mini Cooper (Zeitwert rund 9.000 Euro) die mittlere Fahrspur. Die Zeugin beabsichtigte auf den rechten Fahrstreifen zu wechseln. Nachdem sie sich durch einen Schulterblick vergewissert hatte, dass sich auf dem neu hinzugekommenen Geradeausstreifen kein Fahrzeug befand, betätigte sie den Blinker und setzte nach einem erneuten Schulterblick zum Wechsel auf die rechte Fahrspur an. Ihre dabei gefahrene Geschwindigkeit betrug in Vorbereitung eines Halts an der Haltelinie noch 30 km/h. Im selben Moment näherte sich der Pkw des Angeklagten, der sich im Zeitpunkt des Schulterblicks der Zeugin Ku. noch auf der linken oder der mittleren Geradeausspur befunden hatte und deshalb von ihr nicht wahrgenommen werden konnte, von hinten an. Wegen der durch den Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit war es ihm nicht möglich, auf den von der Zeugin Ku. eingeleiteten Spurwechsel rechtzeitig zu reagieren. Es kam deshalb zu einer spitzwinkligen Streifkollision zwischen beiden Fahrzeugen. In deren Folge stellte sich der BMW des Angeklagten nach rechts auf und geriet in eine rotierende Flugbewegung. In der Folge schleuderte das Fahrzeug über den Kreuzungsbereich, prallte gegen den Mast einer Lichtzeichenanlage und erfasste etwa 75 Meter nach dem Ausgangspunkt der Kollision den an einem anderen Lichtzeichenmast auf seinem Fahrrad wartenden 26-jährigen F. . Der Geschädigte wurde etwa 11 Meter durch die Luft geschleudert und erlitt tödliche Verletzungen. Der neben dem Geschädigten stehende Zeuge L. konnte sich durch einen Sprung retten und blieb unversehrt. An der Lichtzeichenanlage entstand ein Sachschaden in Höhe von 14.848,82 Euro. Der Pkw der Zeugin Ku. erlitt einen Totalschaden. Sie selbst blieb unverletzt. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte das Setzen des Blinkers durch die Zeugin Ku. sowohl aufgrund des erst kurz vor dem Überholvorgang erfolgten Einfahrens auf die rechte Geradeausspur als auch wegen der deutlich überhöhten Geschwindigkeit und des bestehenden Geschwindigkeitsunterschiedes nicht sehen konnte (UA 58).

b) Diese Feststellungen belegen, dass der Angeklagte bei einem Überholvorgang falsch gefahren ist (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB).

aa) Ein falsches Fahren bei einem Überholvorgang liegt vor, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. Februar 1993 – 2 St RR 244/92, DAR 1993, 269, 271; Urteil vom 7. Februar 1968 – 1 b St 404/67, VRS 35, 280, 282; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. April 1989 – 5 Ss 86/89, VRS 77, 280, 281; Urteil vom 28. Juli 1981 – 2 Ss 433/81, VRS 62, 44, 46; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 96, 99 f.; Sternberg-Lieben/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 315c Rn. 18; Ernemann in: SSW-StGB, 2. Aufl., § 315c Rn. 16).

bb) Daran gemessen ist der Angeklagte bei seinem Überholen schon deshalb falsch gefahren, weil die gefahrene Geschwindigkeit ihm ein Anhalten innerhalb der übersehbaren Strecke unmöglich machte (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) und gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO (zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften) verstieß. Durch diese Regelverstöße wurde das Überholen als solches erheblich gefährlicher gemacht, denn der Angeklagte konnte deshalb nicht mehr auf den durch das Setzen des Blinkers angezeigten Spurwechsel der Zeugin Ku. reagieren. Dass diese Vorschriften auch dazu bestimmt sind, (innerörtliche) Überholvorgänge zu schützen steht außer Frage. Der Senat braucht unter diesen Umständen nicht zu entscheiden, ob die Feststellungen auch die Annahme einer unklaren Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO tragen.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).