StGB § 315d: Anforderungen Urteil, Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 22.02.2021 – 3 Ss 13/21

Leitsatz: 1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.
2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.
3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.
4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.
5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.
6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der "uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.


Normen:
GG Art 103 Abs. 2
StGB § 315d Abs. 1 Nr. 3
StPO §§ 261, 267 Abs. 1 Satz 1, 358 Abs. 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(3) 161 Ss 26/21 (13/21)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 22. Februar 2021 einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Oktober 2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Zugleich hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und für die Wiedererteilung eine Sperrfrist von sechs Monaten festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, das mit der Sachrüge Erfolg hat.

1. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils entsprechen nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das bedeutet, dass der festgestellte Sachverhalt so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des Gerichts abgespielt hat; zum inneren und äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH VRS 138, 148; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1). Ein Mangel des Urteiles liegt demzufolge vor, wenn unklar bleibt, von welchem Sachverhalt das Tatgericht ausgegangen ist (vgl. BGH VRS 138). Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat NZV 2019, 314 [Volltext bei juris]).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht vollständig gerecht. Denn sie ergeben nicht, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes der angewendeten Strafvorschrift aus der Sicht des Tatrichters erfüllt werden. Dies gilt zunächst für die gesamte innere Tatseite, aber auch für das im Zusammenhang mit § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zentrale Merkmal der vom Angeklagten erreichten Höchstgeschwindigkeit.

a) Auch und gerade die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert eine gründliche Ermittlung und Darstellung der inneren Tatseite. So müssen die Feststellungen erweisen, dass der Täter nicht nur deliktisch allgemein vorsätzlich, sondern auch rücksichtslos und mit einer „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ gehandelt hat. Die im Urteil dem Abschnitt II. folgenden Feststellungen enthalten keinerlei Ausführungen zur inneren Tatseite. Weder bezeichnen sie die allgemeine Motivation des Angeklagten noch lassen sie erkennen, unter welchem Gesichtspunkt der Angeklagte tatbestandlich rücksichtslos gehandelt hat. Auch zur Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, findet sich nichts. Dabei ist es Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat. Soweit sich im Urteil bei der rechtlichen Würdigung unter IV. (UA S. 3, 4) im Hinblick auf die innere Tatseite Ausführungen finden, betreffen sie die Beweiswürdigung. Ihnen fehlt aber ein Äquivalent bei den Urteilsfeststellungen.

b) Auch die Darstellung des äußeren Tatbestands verfehlt die Voraussetzungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert, dass das Fahrverhalten des Angeklagten soweit wie möglich aufzuklären und im Urteil darzustellen ist. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist danach nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält. Hiervon hat sich zuvörderst der Tatrichter selbst ein Bild zu machen, das er im Urteil niederzulegen und dem Revisionsgericht zu vermitteln hat.

Dass die „vom Tacho des Polizeifahrzeugs abgelesene Geschwindigkeit“ auf einer innerörtlichen „Strecke von ca. 100 bis 200 m“ 120 km/h betragen habe (UA S. 2), mag ein starker Hinweis darauf sein, dass auch das verfolgte Fahrzeug des Täters viel zu schnell fuhr. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist aber nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Nur dieses kann sich dabei der Zeugen bedienen, welche die Situation in ihrer ganzen Anschaulichkeit und gegebenenfalls Vehemenz miterlebt haben und im Rahmen der Beweiserhebung rekapitulieren können. In diesem Sinn wäre bei den Urteilsfeststellungen zu schildern, welche Überzeugung das Tatgericht in Bezug auf die vom Täter gefahrene(n) (Höchst-) Geschwindigkeit(en) gewonnen hat. Bei der Beweiswürdigung wäre darzulegen, wodurch diese Überzeugung gewonnen wurde. Die Bekundungen der polizeilichen Zeugen wären hier zumindest gedrängt – jedenfalls mit der am eigenen Tachometer abgelesenen Geschwindigkeit – wiederzugeben. Ob sich dabei der Abstand z. B. drastisch verringert hat, was auf eine deutlich langsamere Geschwindigkeit des Täters schließen ließe, wäre mitzuteilen.

Auch dass es „Verkehrsteilnehmer“ gab, „die ihre Warnblinkanlage anschalteten und anhielten“ (UA S. 3), mag als Indiz für das dem Angeklagten angelastete strafbare Kraftfahrzeugrennen geeignet sein, ersetzt aber keine Beschreibung der konkreten Tathandlung.

2. Auch die Beweiswürdigung, aufgrund derer sich das Amtsgericht die Überzeugung von der Tat verschafft hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft. Wenn das Tatgericht aus bestimmten Sachverhaltselementen Schlüsse auf die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens ziehen will, so muss es diese so weit wie möglich aufklären und im Urteil darstellen. In diesem Sinne unklar ist etwa eine Formulierung des angefochtenen Urteils, „einige der so überholten Verkehrsteilnehmer“ hätten „wegen der Fahrweise des Angeklagten ihre Fahrzeuge stark abbremsen“ müssen (UA S. 2). Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeit, den hier von polizeilichen Zeugen beobachteten Vorgang zu konkretisieren. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung aber auch nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken. Hält das Tatgericht den Vorgang, dass andere „Verkehrsteilnehmer“ abbremsen mussten, für relevant, so hat es diesen klarer darzustellen, namentlich um welche Verkehrsteilnehmer (LKW-/PKW-/Motorrad-/Fahrradfahrer, Fußgänger) es sich handelte, in welcher Verkehrssituation sie sich befanden und ob das Abbremsen aus höherer oder niedrigerer Geschwindigkeit erfolgte und ob es marginal (im Sinne etwa eines Antippens des Bremspedals) oder deutlich war. Insbesondere sind Einzelheiten zur Art der konkreten Begegnungen der Fahrzeuge mitzuteilen; die vom Tatgericht (im Rahmen der Strafzumessung) verwendete Formulierung, es sei zu „Gefahrenbremsungen“ (UA S. 3) und „Unfallvermeidungsreaktionen“ (UA S. 4) gekommen, darf sich jedenfalls nicht als bloße Bewertung erweisen, die einer hinreichenden Tatsachengrundlage gerade entbehrt (vgl. Senat StV 2016, 297; BGH JA 2014, 72). Bei versierten polizeilichen Zeugen, die zudem, wie hier ausdrücklich festgestellt, zur Verkehrsüberwachung eingesetzt sind (UA S. 2), können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten (vgl. allg. BayObLG NZV 2001, 139; OLG Hamm NZV 1998, 169) und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.

Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es zudem gelten, wenn sich bei einem, wie hier, höchst komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“ (UA S. 3). Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.

3. Erweist sich in der erneuten Hauptverhandlung, dass es tatsächlich zu „Gefahrenbremsungen“ (UA S. 3) gekommen ist, so kommt eine Verurteilung nach § 315d Abs. 2, 4 StGB, gegebenenfalls in Tateinheit begangen mit § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, in Betracht, an der das Tatgericht nicht durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO gehindert ist.