StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16

BGH, Beschl. vom 12.09.2006 – 4 StR 279/06 -

Ist bei der wiederholten Tatbegehung zum Nachteil desselben Tatopfers die Hemmschwelle für die Begehung der späteren Taten - aus dem Angeklagten nicht voll anzulastenden Gründen - von Tat zu Tat niedriger geworden, so ist die erneute Tatbegehung jedenfalls nicht ohne Weiteres Ausdruck einer sich steigernden rechtsfeindlichen Gesinnung oder einer erhöhten kriminellen Intensität.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 24. Februar 2006 im Strafaus­spruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.  Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuel­lem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung und in zwei Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tat­einheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Tatopfer war in allen Fällen die leibliche Tochter des Angeklagten. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist zum Schuldspruch offensicht­lich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie zum Strafausspruch Erfolg. Die Begründung der Einzelstra­fen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat bei Bemessung sämtlicher Einzelstrafen zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass die "Mehrzahl und Abfolge der Taten (…) ein nicht unbeträchtliches Maß an krimi­neller Energie und Rücksichtslosigkeit" belege. Demgegenüber hält sie im Rahmen der Begründung der Gesamtfrei­heitsstrafe dem Angeklagten den "recht engen zeitlichen und situativen Zusammenhang der Taten, in deren Abfolge mit hoher Wahrscheinlichkeit die Dynamik des Geschehens die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt (ha­be)" zugute. Diese Erwägungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Ist, wie hier, bei der wiederholten Tatbegehung zum Nachteil desselben Tatopfers die Hemmschwelle für die Begehung der späteren Taten - aus dem Angeklagten nicht voll anzulastenden Gründen -von Tat zu Tat niedriger geworden, so ist entgegen der Auffassung des Landgerichts die erneute Tatbegehung jedenfalls nicht ohne Weiteres Ausdruck einer sich steigernden rechts­feindlichen Gesinnung oder einer erhöhten kriminellen Intensität (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16). Ein gesteigertes Maß an krimineller Energie lässt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus der Abfolge der Taten herleiten. Feststellungen, in welcher zeitlichen Reihenfolge der Angeklagte die Taten beging, hat das Landgericht nicht zu treffen vermocht. Zu Gunsten des Angeklagten ist deshalb davon auszugehen, dass sich die schwerwiegen­deren Vorfälle am Ende der Tatserie ereigneten, mithin zu einem Zeitpunkt, als die Hemmschwelle des Angeklagten bereits herabgesetzt war. Die Urteilsfeststellungen lassen nicht erkennen, dass sich das Landgericht dieser möglichen Wertungswidersprüche bewusst war. Es ist deshalb, nicht zuletzt mit Blick auf die für die Taten des nicht vorbestraf­ten, im Ermittlungsverfahren teilgeständigen Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 3, 6 und 7 verhängten, vergleichs­weise hohen Einzelstrafen, nicht auszuschließen, dass der gesamte Strafausspruch von dem Rechtsfehler beeinflusst ist. Die Strafen müssen deshalb insgesamt neu zugemessen werden.

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