StGB § 46 Abs. 3 Strafschärfende Berücksichtigung des Berufs
StGB § 46 Abs. 3 Strafschärfende Berücksichtigung des Berufs
BGH, Beschluss v. 25. Januar 2017 -1 StR 570/16
Die strafschärfende Erwägung, der Täter eines sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174 c StGB) habe des gesamten pflegerisch tätigen Berufsstand sehr stark in Misskredit gebracht, verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1b und 3 auf dessen Antrag - am 25. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgericht München I vom 23. Juni 2016 aufgehoben
a) im Strafausspruch in Bezug auf die Taten I und II der Urteilsgründe sowie Gesamtstrafenausspruch, b) im Maßregelausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Weiter hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen des Maßregelausspruchs die Ausübung eines Heilberufs und der damit verbundenen Hilfstätigkeiten für immer verboten. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. Dezember 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts in Bezug auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Taten I und II der Urteilsgründe (Schuldsprüche wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) halten revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat die diesen beiden Taten strafschärfend berücksichtigt, dass „der Angeklagte durch seine Taten seinen gesamten pflegerischen tätigen Berufsstand sehr stark in Misskredit gebracht „ (UA S. 87) habe. Damit hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Zwar dient § 174c StGB in erster Linie dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen, in denen dieses Rechtsgut aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der durch Krankheit oder Behinderung belasteten Rechtsgutsträger und der Eigenart von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischer Weise besonders gefährdet ist (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 24/16, NJW 2016, 2965 mwN). Der Tatbestand schützt aber auch „das hohe Berufsethos der Heilberufe und das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Gesundheitswesen“ (BT-Drucks. 12/2203, S. 5), so dass dieses dem gesetzlichen Tatbestand zu Grunde liegende Merkmal bei der Strafzumessung nicht nochmals zu Lasten des Angeklagten berücksichtig werden durfte. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer Nichtberücksichtigung dieses Umstands auf eine niedrigere Einzelstrafe bei den Taten I und II der Urteilsgründe erkannt hätte. Die Strafe für die Tat III (Verstoß gegen das Berufsverbot - § 145c StGB) ist davon aber nicht betroffen und kann deshalb bestehen bleiben. Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt daher zur Aufhebung der betroffenen beiden Einzelstrafaussprüche und des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Die insoweit getroffenen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), da sie von dem aufgezeigten Wertungsfehler bei der Strafzumessung nicht betroffen sind.
II. Auch die Anordnung eines lebenslangen Berufsverbots als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 70 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, da sie im Rahmen der Gefahrenprognose tragend auf eine Verwertung im Bundeszentralregister bereits getilgter Vorahndungen gestützt wird.
1. Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit oder auch nur ein bestimmter Personenkreis vor weiterer Gefährdung geschützt werden sollen (BGH, Urteil vom 12. Mai 1975 – AnwST (R) 8/74, NJW 1975, 1712). Es darf daher nur verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Ausübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird (BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12, StV 2013, 699 mwN). Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte - Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12, StV 2013, 699 ; Beschluss vom 2. August 1978 – StB 171/78, BGHSt 28, 84, 85f.; Urteil vom 22. Oktober 1981 – 4 StR 429/81, wistra 1982, 66, 67).
2. Diesen Maßstab hat das Landgericht im Ansatz zutreffend angewendet, jedoch bei der Gesamtwürdigung im Rahmen der Gefahrprognose rechtsfehlerhaft bereits getilgte Vorstrafen des Angeklagten aus den Jahren 1999 und 2001 wegen sexueller Übergriffe (UA S. 89) berücksichtigt.
a) Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG darf dem Angeklagten eine Tat und die entsprechende Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Register bereits getilgt worden oder zu tilgen ist. Durch diese Regelung wird ein Verurteilter von dem mit seiner Verurteilung verbundenen Strafmakel befreit und durch die umfassende Wirkung der Tilgung die mit der Verurteilung einhergehende Stigmatisierung endgültig beseitigt. Das Vorhalte- und Verwertungsverbot der Eintragung im Register bedeutet einen Schutz des Angeklagten auch in den Fällen, in denen seine frühere Verurteilung auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt wird, etwa durch Mitteilungen von dritter Seite - wie hier durch die Zeugenaussage der Kriminalbeamtin (UA S. 89) oder den Angeklagten selbst (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; Urteil vom 8. Dezember 2011 - 4 StR 428/11, NStZ-RR 2012, 143, 144 mwN). Dieses Vorhalte- und Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Strafzumessung; danach darf eine getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe nicht zum Nachteil des Angeklagten, insbesondere nicht strafschärfend berücksichtigt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468 mwN).Das Vorhalte- und Verwertungsverbot tilgungsreifer Bestrafungen und der zugrundeliegenden Taten gilt aber grundsätzlich auch für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, sofern nicht eine der in § 52 BZRG aufgeführten Ausnahmen gegeben ist (BGH, Beschlüsse vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff. und vom 21. August 2012 - 4 StR 247/12 - NStZ-RR 2013, 84), und damit auch für das hier maßgebliche Berufsverbot gemäß § 70 StGB.
b) Eine Ausnahme vom Verwertungsverbot ist hier nicht gegeben, da weder ein Fall des § 52 Abs. 1 Nr. 2 noch des § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG vorliegt. Nach der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG ist die Verwertung getilgter Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten bei Begutachtungen über den Geisteszustand des Betroffenen gestattet. Da ein Gutachten zum Bestehen eines Hanges im Sinne von § 66 StGB und einer darauf beruhenden Gefährlichkeit eines Angeklagten kein Gutachten über den Geisteszustand im Sinne des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG ist (BGH, Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 - 2 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 120 und vom 28. August 2012 - 3 StR 309/12, BGHSt 57, 300, 302 ff.), kann für ein Berufsverbot gemäß § 70 StGB nichts anderes gelten. Auch hier steht eine wertende Feststellung der persönlichen Eigenschaften des Angeklagten im Mittelpunkt. § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG greift als ebenfalls eng auszulegende Ausnahmevorschrift nur dann ein, wenn der Betroffene den Zugang zu einer bestimmten Betätigung oder die Aufhebung einer die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes untersagenden Entscheidung beantragt; die Regelung gilt damit aber gerade nicht für Maßnahmen, welche die betreffenden Betätigungen beenden (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 2 B 109/13) und damit auch nicht - wie hier - im Fall einer Anordnung eines Berufsverbots nach § 70 StGB.
3. Da das Landgericht sich zur Gefahrprognose im Rahmen des § 70 StGB mehrfach auf die strafrechtliche Delinquenz des Angeklagten über einen Zeitraum von zwanzig Jahren stützt, kann der Senat nicht ausschließen, dass die Maßregelanordnung auf dem auf gezeigten Rechtsfehler beruht. Die Anordnung der Maßregel der Besserung und Sicherung kann daher keinen Bestand haben. Die dazugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine in sich widerspruchsfreie Entscheidung über das Berufsverbot zu ermöglichen.