StGB § 46, AO § 370: Strafzumessung gerechter Schuldausgleich

BGH; Urt. vom 29.11.2006 - 5 StR 324/06  

Einen gerechten Schuldausgleich stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jedenfalls dann grund­sätzlich nicht mehr dar, wenn die Täter mit einem auf Dauer angelegten, gut organisierten und an veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszah­lung hoher Geldbeträge bewirken und damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 7., 27. und 29. November 2006, am 29. November 2006 für Recht erkannt:  

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2005, soweit es die Angeklagten A. , G. , S. , R. , O. und Av. betrifft, jeweils im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. 

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.  G rü n d e Das Landgericht hat – neben einem geringer verurteilten Mitangeklagten, der am Revisionsverfahren nicht beteiligt ist – den Angeklagten A. wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 13 Fällen, den Angeklagten S. wegen Steuerhinterziehung in 33 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterzie­hung in 15 Fällen sowie den Angeklagten O. wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren verurteilt. Es hat gegen den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 20 Fällen, gegen den Angeklagten R. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie gegen den Angeklagten Av. wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen, wegen Anstiftung zur Steuerhinterzie­hung in 15 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 14 Fällen Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und neun Monaten verhängt. Die Vollstreckung sämtlicher Freiheitsstrafen hat das Landgericht zur Be­währung ausgesetzt. Mit ihren auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revisionen, die von der Bundesanwaltschaft vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die verhängten Einzel- und Gesamtstrafen als nicht mehr schuldangemessen niedrig. Zudem wendet sie sich gegen die Aussetzung der verhängten Gesamtstra­fen zur Bewährung. Die Rechtsmittel haben Erfolg. 

I. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Ab 1996 unterhielten die Angeklagten A., G. , S. und O. in unterschiedlicher Besetzung mehrere nur zum Schein als Bauunternehmen auftretende Gesell­schaften, welche sie ausnahmslos als sogenannte „Serviceunternehmen“ verschiedenen Kolonnenschiebern zur Ver­schleierung von deren unternehmerischer Tätigkeit bereitstellten. Diese auf Initiative und unter wechselnder Beteili­gung gesondert verfolgter weiterer Täter betriebenen Firmen traten nach außen an die Stelle der Kolonnenschieber und nahmen formal, unter Vorlage steuerlicher, berufs- und krankenkassenrechtlicher Unbedenklichkeitsbescheini­gungen, deren Rechte und Pflichten aus den Bautätigkeiten wahr. So ermöglichten die Angeklagten den Kolonnen­schiebern, darunter auch dem selbst als Kolonnenschieber tätigen Angeklagten Av. , ihre Bauleistungen unter Einsatz nicht ordnungsgemäß bei den Krankenkassen und Finanzämtern gemeldeter Arbeitnehmer „schwarz“ zu erbringen und den Tatbestand der illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu verdecken. Zu keinem Zeitpunkt war geplant, dass die Unternehmen selbst Bauleistungen ausführen sollten. Zu den „Dienstleistungen“ der Angeklagten gehörte auch, den Kolonnenschiebern die für den Anschein eines tätigen Bauunternehmens notwendigen, teilweise sogar notariell be­glaubigten Firmenunterlagen und die Nachweise über den erforderlichen Konzessionsträger in einem Paket zusam­menzustellen. Die Angeklagten waren dazu imstande, ihre Serviceunternehmen, die sie zur Erschwerung der Ver­folgbarkeit jeweils nach kurzer Zeit durch andere Firmen mit gleicher Funktion austauschten, sich ändernden tatsäch­lichen oder rechtlichen Gegebenheiten anzupassen. So setzten sie beispielsweise aufgrund von Bedenken der Auf­traggeber der Bauleistungen nur noch deutsche Geschäftsführer ein und passten die Vertragsunterlagen den Vorga­ben des Arbeitnehmerentsendegesetzes an. Die im Rahmen ihrer „Servicegeschäftstätigkeit“ anfallenden Aufgaben wie Rechnungschreiben, Kassenführung und Verhandlung mit den Kolonnenschiebern teilten die Angeklagten unter sich auf. Die Serviceunternehmen erstellten unter ihrem Namen nach Vorgabe der Kolonnenschieber Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis an die Auftraggeber. Die bezahlten Beträge übergaben die Angeklagten nach Abzug eines Entgelts in Höhe der vereinnahmten, aber nicht an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuer bar an die Kolonnen­schieber zur Entlohnung der Schwarzarbeiter. Bei der Einlösung von Schecks kamen sogenannte Scheckwechsler zum Einsatz, zu denen zeitweise auch der Angeklagte Av. gehörte. Der aus der einbehaltenen Umsatzsteuer finan­zierte Gewinn, der sich für jeden Angeklagten wöchentlich auf bis zu 2.500 DM belief, war so erheblich, dass der Angeklagte R. 1997 einen Betrag von 100.000 DM aufwenden musste, um sich in die Serviceunternehmensgruppe einkaufen zu können. Die von den Angeklagten angeworbenen und geleiteten Scheingeschäftsführer wurden mit einmaligen Beträgen bis zu 100.000 DM neben einer Kostenpauschale von 400 DM wöchentlich entlohnt. Dem Hinterziehungssystem entsprechend unterließen es die Angeklagten pflichtwidrig, für die Serviceunternehmen Um­satzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1996 bis 1999 abzugeben, obwohl sie in den jeweiligen Anmeldezeiträu­men zahlreiche Ausgangsrechnungen erstellt und von den Auftraggebern auch bezahlt erhalten hatten. Zudem erklär­ten die Angeklagten das vereinnahmte Entgelt für das Zurverfügungstellen der Firmenmäntel und das Schreiben der Rechnungen – jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen – gegenüber den Finanzbehörden nicht. In ins­gesamt sieben Fällen betrug die durch die Nichtanmeldung von Umsätzen und Rechnungsbeträgen verursachte Steu­erverkürzung jeweils mehr als 500.000 DM, davon in drei Fällen mehr als 1 Mio. DM (S. H. GmbH 1996 und 1997 sowie A. B. GmbH 1998), in zwei Fällen sogar mehr als 2 Mio. DM (G. H. GmbH 1997) bzw. 4,5 Mio. DM (I. B. GmbH 1998). Als im März 1999 der Geschäftsführer einer der Scheinfirmen festgenommen wurde, legten die Ange­klagten die von ihnen gegründeten Gesellschaften still und erbrachten – in unterschiedlicher Beteiligung und Dauer – ihre „Servicetätigkeiten“ nunmehr über von Dritten erworbene Firmenmäntel. Sie gaben auch für diese Firmen weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2000 noch Voranmeldungen für die Monate Januar bis November 2001 ab und begingen dadurch weitere Steuerhinterziehungen. Entsprechend einer vorherigen Absprache für den Fall der Festnahme eines der Tatbeteiligten verschaffte die Tätergruppe dem festgenommenen Geschäftsführer einen Verteidiger und unterstützte seine Familie finanziell, wofür sie monatlich insgesamt 4.000 DM aufwandte. Die Betreiber dreier weiterer Unternehmen konnten von den Angeklagten dafür gewonnen werden, nach den Vorgaben der Kolonnenschieber unter der jeweiligen Firma Scheinrechnungen auszustellen, die dann von den Angeklagten an die Kolonnenschieber weitergegeben wurden. Die für diese Firmen Verantwortlichen gaben, von den Angeklagten dazu bestimmt, weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1999 bzw. 2000 noch Voranmeldungen für Januar bis November 2001 ab und bewirkten damit weitere Steuerverkürzungen. Auch in diesen Anmeldezeiträumen verein­nahmten die Angeklagten jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen für ihre Vermittlungstätigkeiten, die sie mit den Firmeninhabern teilten. Gleichwohl gaben sie auch insoweit keine Umsatzsteuererklärungen ab. Insge­samt verursachte der Angeklagte A. einen Umsatzsteuerschaden von über 14,7 Mio. DM, der Angeklagte G. von fast 7,8 Mio. DM, der Angeklagte S. von fast 15,7 Mio. DM, der Angeklagte O. von fast 13 Mio. DM, der Angeklagte R. – der zudem ohne entsprechende Erlaubnis im Besitz eines Revolvers mit Munition war – von fast 9,4 Mio. DM und der Angeklagte Av. von fast 5,5 Mio. DM. Mit den aus der vereinnahmten Umsatzsteuer erzielten Gewinnen finan­zierten die Angeklagten ihren hohen Lebensstandard und bildeten Vermögen. Zum Teil verloren sie ihre Einnahmen aber auch durch Spekulationen und Glücksspiele. Zur Schadenswiedergutmachung ließen die Angeklagten, die sich – mit Ausnahme des Angeklagten O. – zwischen sieben und fast zehn Monaten (R. ) in Untersuchungshaft befanden, dem Fiskus Kautionen und Vermögenswerte von rund 40.000 € (jeweils A. und G. ), 20.000 € (S. ), 35.000 € sowie eine Arresthypothek (R. ) und 17.500 € (Av. ) zukommen. Das Finanzamt konnte hieraus bislang knapp 43.000 € erlösen.

2. Das Landgericht hat in den sieben Fällen mit einem Steuersschaden von über 500.000 DM das Vorliegen des Re­gelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bejaht und aus dem erhöhten Strafrahmen – für die Angeklagten stets gleichlautend, soweit ihnen der gesamte Steuerschaden des jeweiligen Erklärungszeitraums zugerechnet wurde – (fiktive) Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten (A. B. GmbH 1999), von elf Monaten (K. –H. GmbH 2000), zweimal einem Jahr (S. H. GmbH 1997 und A. B. GmbH 1998), zweimal einem Jahr zwei Monaten (S. H. GmbH 1996 und G. H. GmbH 1997) sowie von einem Jahr sechs Monaten (I. B. GmbH 1998) verhängt. Als besonders strafmildernd hat das Landgericht dabei die bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgegebenen umfassenden Geständnisse der Angeklagten und das lange Zurückliegen der Taten gewertet. Um eine um zwei Jahre verzögerte überlange Verfahrensdauer kompensatorisch zu berücksichtigen, hat das Landgericht die vorgenannten Einzelstrafen auf sechs Monate, sieben Monate, zweimal acht Monate, zweimal neun Monate und ein Jahr reduziert. Dabei hat es neben der Belastung durch das schwebende Verfahren vor allem auf die Schwierigkeiten für die Ange­klagten, einen Arbeitsplatz zu finden, abgestellt. In den übrigen Fällen hat das Landgericht ausgehend von dem Straf­rahmen des Grundtatbestandes des § 370 Abs. 1 AO Freiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sechs Monaten gebil­det und die kurzen Freiheitsstrafen unter Berufung auf die Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB mit general-präventiven Erwägungen begründet. Unter dem Gesichtspunkt der rechts-staatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landge­richt in diesen Fällen das Strafmaß auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen vier Monaten und einem Monat bzw. auf Geldstrafen reduziert. Ohne Verfahrensverzögerung hätte das Landgericht aus den unverminderten Einzelstrafen für die Angeklagten A. , S. und O. Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten sowie für die Ange­klagten G. , R. und Av. von jeweils drei Jahren gebildet. Die Strafaussetzung zur Bewährung hat das Landgericht vor allem damit begründet, dass die Angeklagten seit der drei Jahre zuvor erfolgten Entlassung aus der Untersuchungs­haft keine Straftaten mehr begangen, sich somit von der Haft und dem Strafverfahren beeindruckt gezeigt und zum Teil wieder Arbeit gefunden haben. Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hat das Landgericht im Wesentlichen in den Geständnissen, den Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und dem weiten Zurück­liegen der Taten gesehen. 

II. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.  

1. Eine weitergehende konkludente Beschränkung der Revisionen auf einzelne Strafen liegt nicht vor. Zwar wendet sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift primär nur gegen die Bemessung der Einzelstrafen für die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 AO und gegen die Strafausset­zung zur Bewährung. Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft ihr ausdrücklich bezeichnetes Anfechtungsziel, die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, weiter einschränken wollte. Maßgeblich ist in solchen Fällen der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers entsprechende Wille (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 1997,3322 m.w.N.). Diese Auslegung ergibt hier, auch im Einklang mit dem gestellten Antrag Folgendes: Die Staatsanwaltschaft hat gezielt die Einzelstrafen in den beson­ders schwerwiegenden Fällen herausgegriffen und als unvertretbar mild beanstandet; im Übrigen erstrebt sie aber eine insgesamt neue Strafzumessung, auch bezogen auf die weiteren, an den gravierendsten Einzelstrafen orientierten Strafen im Rahmen eines einheitlichen Komplexes, damit bei der Strafzumessung keine Wertungswidersprüche entstehen und die Relation der Einzelstrafen zueinander gewahrt bleibt. 

2. Die Strafzumessung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes als in dem Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte derselben Täter­gruppe, die das Senats-urteil vom 8. August 2006 – 5 StR 189/06 (wistra 2006, 428) behandelt: Jedenfalls das Aus­maß der den Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer zugebilligten Strafabschläge ist nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat ihnen – für sich nicht beanstandenswert – eine Verfahrensverzögerung von zwei Jahren zugrun­de gelegt. Neben der überlangen Konfrontation mit der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens hat das Land­gericht als zusätzliche, durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verursachte Belastungen allein erhebliche Schwierigkeiten der zum Zeitpunkt der Verfahrensverzögerung bereits nicht mehr in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten bei ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Diese Belastungen und die Dauer der Ver­fahrensverzögerung lassen indes auch bei uneingeschränkter Achtung des tatgerichtlichen Beurteilungsspielraums eine derart hohe Reduzierung der vom Landgericht ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen für ange­messen erachteten Strafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte nicht zu. Dies gilt insbesondere auch für das Ergebnis der Gesamtstrafreduzierung. Allein die festgestellten Belastungen vermögen nicht zu rechtfertigen, dass anstelle von zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren sechs Monaten bzw. drei Jahren, die bei dem Gewicht der Taten nicht zuletzt schon unter Berücksichtigung des Zeitfaktors mild bemessen sind, aber im Ergebnis doch noch eine gravierende Sanktion darstellen, nur noch zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafen ver­hängt wurden. Ohnehin widerstreitet eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer, zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. BGHSt 50, 299,308 f.). Besonders misslich ist es, wenn das zu einer Strafmilderung verpflichtete Tatgericht gar durch eigenes unsachgemäßes Verhalten maßgebliche Ursachen für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Gerade vor diesem Hintergrund darf das Revisionsgericht einen überzogenen Strafabschlag, wie er hier zu konstatieren ist, nicht hinnehmen. 

b) Daneben bedarf auch hier die Frage letztlich keiner Entscheidung, ob die Erwägungen der Strafkammer dem Um­stand ausreichend Rechnung tragen, dass die Angeklagten ein hochkriminelles und gut durchorganisiertes überaus profitables Steuerhinterziehungssystem installierten und betrieben, das ihnen ermöglichte, jahrelang allein von den einbehaltenen Umsatzsteuern zu leben und damit einen Lebensstil von gehobenem Niveau zu finanzieren. Dies liegt jedoch nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts durch den Senat außerordentlich fern. Wie bei den soge­nannten Umsatzsteuerkarussellgeschäften sind Kettengeschäfte unter Einschaltung von Serviceunternehmen im Be­reich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen dadurch geprägt, dass zumindest die Betreiber der Firmen allein von dem Handel mit Scheinrechnungen leben und damit die „Steuerhinterziehung als Gewerbe“ betreiben (vgl. BGH wistra 2005, 30, 31; Joecks wistra 2002, 201,203 f.). Damit unterscheiden sich solche Erscheinungsformen der Steu­erhinterziehung gravierend von den Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger dem Fiskus rechtmäßig erzielte Einkünfte verschweigt, um sie ungeschmälert für sich verwenden zu können. Bereits in derartigen Fällen ist es äußerst fraglich, ob eine zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe noch dem Unrechtsgehalt einer Steuerhinterziehung gerecht werden kann, wenn der Hinterziehungsschaden deutlich im Millionenbereich liegt und nicht erhebliche Strafmilderungsgründe vorhanden sind, wie etwa eine weitgehende Schadenswiedergutmachung. Einen gerechten Schuldaus­gleich stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jedenfalls dann grundsätzlich nicht mehr dar, wenn die Täter – wie hier über den Umweg des Vorsteuerabzugs der Auftraggeber – mit einem auf Dauer angelegten, gut organisierten und an veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszahlung hoher Geldbeträge bewirken und damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen. Hinzu kommen weitere Schäden im Bereich der Lohnsteuer und der Sozialabgaben sowie die Schädigung der – durch solches verbreitet mehr oder weniger stillschweigend geduldetes Verhalten immer stärker zurückgedrängten – legal arbeitenden Bauwirtschaft, deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird (vgl. insgesamt zur Einschätzung der sozialschädlichen Auswirkun­gen der illegal agierenden Subunternehmerketten im Baugewerbe den Bericht des Bundesrechnungshofs vom 3. September 2003, BT-Drucks. 15/1495, S. 3, 10 ff.). Serviceunternehmen schädigen das Steueraufkommen letztlich in ähnlicher Weise wie Umsatzsteuerkarussellgeschäfte, bei denen über Vorsteuererstattungen auf der Grundlage von Scheinrechnungen in großem Umfang Steuergelder betrügerisch erlangt werden (vgl. hierzu Kemper ZRP 2006, 205, 207). Zweifelhaft sind auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Höhe des entstandenen Steuerschadens relativiert hat, da die Haftung der Angeklagten allein auf das Ausstellen der Scheinrechungen zurückzuführen sei und dies bereits Straf- und Sanktionscharakter habe. Damit hat das Landgericht das erhebliche Gefährdungspotential außer Acht gelassen, das die Erstellung entsprechender Scheinrechnungen birgt (vgl. BGHSt 47, 343,346 f. mit näheren Erläuterungen). 

c) Dass das Ergebnis etwa auf eine Förderung der Erledigung durch eine vom Landgericht ohne Einbeziehung der Staatsanwaltschaft herbeigeführte Verständigung zurückginge (vgl. zur „Zusage“ einer Strafobergrenze ohne staats­anwaltliche Zustimmung: BGH wistra 2006, 394), hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht geltend gemacht. Hier­gegen hätte sie sich gegebenenfalls mit den gebotenen prozessualen Mitteln zur Wehr setzen müssen (vgl. BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung15 m.w.N.). Auf der anderen Seite können die Angeklagten aus dem gerichtlichen Vorgehen für sich keine günstige Position im Sinne eines Vertrauenstatbestandes herleiten (vgl. BGHR aaO). Ausweislich des Protokolls ist vor Abgabe der Geständnisse in der Hauptverhandlung ein in Beschlussform gefasster gerichtlicher Hinweis erteilt worden, dass „jeweils Bewährungsstrafen in Betracht kommen“. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft, die in der Hauptverhandlung zu vollstreckende Freiheitsstrafen bean­tragt hat, diesen Hinweis als gerichtliche Zusage von Bewährungsstrafen verstanden hätte und hierauf in einer Zu­stimmung signalisierenden Weise untätig geblieben wäre. Insbesondere hatten die Angeklagten weitgehend bereits im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt. Jedenfalls bei dieser Sachlage besteht kein Anlass zu erwägen, mit Aufhebung der Rechtsfolgenaussprüche etwa aus Fairnessgründen auch die Schuldsprüche mitaufzuheben (vgl. dazu Schlothauer StV 2003, 481). 

3. Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es bei den erkannten Wertungsfehlern nicht. Das neue Tatgericht wird auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen fiktive und wegen eines Versto­ßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kompensierte Einzel- und Gesamtstrafen (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16) neu festzusetzen haben. Das Landgericht darf seiner Bewertung weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zugrunde legen. Auch unter Berücksichtigung der durch die neue Verhandlung verlängerten Verfahrensdauer erscheint es allerdings kaum vorstellbar, dass erneut verhängte Bewährungsstrafen den genannten Strafschärfungsgründen gerecht werden könnten. Dies gilt umso mehr, als die bislang für den fiktiven Fall fristgerechter Sacherledigung, allerdings ihrerseits schon unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstands zwischen Tat und Aburteilung festgesetzten Strafen an der unteren Grenze des Vertretbaren liegen.

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