StGB § 46, BtmG § 29 Strafzumessung bei polizeilich gesteuerten BtmG-Delikten

BGH, Beschl. v. 01.03.2011 - 3 StR 28/11 -BeckRS 2011, 06568

Wird das beabsichtigte Betäubungsmittelgeschäft maßgeblich von der Polizei initiiert, vorangetrie­ben und überwacht, so verringert sich das Gewicht, das Art und Menge des Rauschgifts als Straf­zumessungsfaktoren zukommt.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts ­zu 2. auf dessen Antrag - am 1. März 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Oktober 2010 im Straf­ausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. 

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen bean­standen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben zum Strafausspruch Erfolg; zum Schuldspruch sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der jeweilige Strafausspruch hält sachlich recht­licher Nachprüfung nicht stand; denn das Landgericht hat bei beiden Angeklagten rechtsfehlerhaft einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint und die Strafe stattdessen aus dem nach § 27 Abs. 2 StGB und § 31 BtMG, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB, zweifach gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen.

Im Einzelnen: 

1. Die Entscheidung, ob der Strafrahmen eines minder schweren Falles Anwendung finden kann, ist auf Grund einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommenden Umstände danach zu treffen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Regelstraf­rahmens nicht mehr angemessen ist. Es ist Sache des Tatgerichts, die Erschwerungs- und Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen; denn das Tatgericht ist am ehesten in der Lage, sich auf Grund der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen. Seine Wertung ist deshalb in der Revisionsinstanz nur begrenzt nachprüfbar. Das Revisionsgericht kann daher -wie bei der Strafhöhenbemessung - nur eingreifen, wenn die durch das Tatgericht vorgenommene Beurteilung Rechtsfehler erkennen lässt, etwa weil die maßgeblichen Erwägungen rechtlich anerkannten Strafzumessungsgrundsätzen zuwider laufen, in sich widersprüchlich oder in dem Sinne lückenhaft sind, dass naheliegende, sich aufdrängende Gesichts­punkte nicht erkennbar bedacht sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 - 3 StR 145/91, NStZ 1991, 529).

2. Auch bei Anlegung dieses begrenzten Prüfungsmaßstabs begegnet die Wertung des Landgerichts durchgreifenden Bedenken. a) Die Strafkammer hat ausweislich der Urteilsgründe bei der Strafrahmenwahl eine Vielzahl -jedenfalls teilweise ­gewichtiger Strafmilderungsgründe aufgezählt, darunter etwa die folgenden: Beide Angeklagte waren bereits zu einem frühen Zeitpunkt geständig und haben ihre Angaben in der Hauptverhandlung noch vertieft; dadurch haben sie die Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme entbehrlich gemacht. Sie sind nicht (G. ) bzw. nicht ein­schlägig (S. ) vorbestraft und begingen die Tat aufgrund finanzieller Schwierigkeiten. Wegen ihrer Verurteilung droht ihnen die Abschiebung. Das von den Angeklagten geförderte Drogengeschäft wurde durch verdeckte Ermittler der Polizei provoziert, vorangetrieben und in der Folge auch polizeilich überwacht. Da es sich bei den vermeintli­chen Käufern um verdeckte Ermittler handelte, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, dass die Drogen selbst im Falle der Durchführung des Geschäfts in den Handel kommen konnten. Unabhängig hiervon kam es jedoch nicht einmal zu einer Übergabe des Rauschgifts. Das Geschäft scheiterte vielmehr schon früher; die Angeklagten stellten ihre Förderungsbemühungen zu einem bestimmten Zeitpunkt ein. Die Qualität der Drogen war vergleichsweise schlecht. Zu Gunsten des Angeklagten G. hat die Strafkammer weiter eine Erkrankung berücksichtigt; bei dem An­geklagten S. hat sie als Milderungsgrund angeführt, er habe in erheblichem Umfang Untersuchungshaft verbüßt, was ihn besonders hart getroffen habe. Hinzu kommen für beide Angeklagte jeweils zwei vertypte Milderungsgründe, namentlich die Beihilfe nach § 27 StGB sowie die Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG. Erschwerend hat das Landge­richt lediglich angeführt, es sei bei dem Drogengeschäft um die gefährliche Droge Heroin gegangen und die nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 BtMG sei um mehr als das 1.600-fache überschritten worden. Dabei sei nicht zu verkennen, dass beide Angeklagten hinsichtlich des Wirkstoffgehalts und der Angeklagte S. bezüglich der Art der Droge nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt hätten. b) Auf dieser Grundlage besorgt der Senat, dass die Strafkammer keine wirkliche Abwägung aller relevanten Um­stände vorgenommen, sondern sich bei der Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft allein an Art und Menge der Betäubungsmittel orientiert hat. Denn die Ausführungen des Landgerichts zur Strafrahmenwahl erschöpfen sich in einer Aufzählung und Gegenüberstellung der angeführten Zumessungstatsachen, ohne dass - was hier im Hinblick auf Anzahl und Gewicht der mildernden Gesichtspunkte unerlässlich war - dargelegt wird, aus welchen Gründen trotz dieser, die Annahme eines minder schweren Falles nahelegenden Umstände die Heranziehung des Normalstraf­rahmens des § 29a Abs. 1 BtMG angemessen ist. Der Senat verkennt nicht, dass bei unerlaubtem Betäubungsmittel­handel Art und Menge des Rauschgifts regelmäßig den Unrechtsgehalt der Tat wesentlich prägen und als bestim­mende Gründe in die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts einzustellen sind. Gleichwohl verlieren die allge­meinen Grundsätze der Strafzumessung nach den §§ 46 ff. StGB im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht ihre Bedeutung. Danach ist auch bei Rauschgiftgeschäften die Strafe jedes von mehreren Tatbeteiligten vor allem nach dem Maß seiner individuellen Schuld zuzumessen; maßgeblich für die Bemessung der Strafe eines Gehilfen ist das im Gewicht seines Tatbeitrages zum Ausdruck kommende Maß seiner Schuld, wenn auch unter Berücksichti­gung des ihm zurechenbaren Umfangs und der Folgen der Haupttat (BGH, Beschluss vom 14. März 2002 - 3 StR 26/02). Eine reine "Mengenrechtsprechung" wäre mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das beabsichtigte Betäubungsmittelgeschäft maßgeblich von der Polizei initiiert, vorangetrieben und überwacht wurde. Die verdeckten Ermittler hatten auch Art und Menge des Rauschgifts vorgegeben; dadurch verringert sich das Gewicht dieser Umstände als den Angeklagten nachteilige Strafzumessungsfaktoren. 

3. Der jeweilige Strafausspruch beruht auf dem aufgezeigten Rechtsmangel. Der Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG ist geringer als der zweifach nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG; die konkret verhängten Strafen sind die Höchststrafen des rechtsfehlerhaft abgelehnten minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG. 

4. Die Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widerspre­chen. 

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