StGB § 46; EMRK Art. 6 Vollendung der Umsatzsteuerhinterziehung

BGH, Urt. v. 27.10.2020 – 1 StR 148/20

1. Bei der Straftat der Steuerhinterziehung, bei der es sich nicht lediglich um ein Erklärungsdelikt, sondern um ein Erfolgsdelikt handelt, tritt Vollendung erst dann ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 I AO). Betreffen die Taten – wie vorliegend – die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe inhaltlich unzutreffender Steueranmeldungen, hängt die Tatvollendung davon ab, ob die unrichtigen Anmeldungen (§ 150 I 3 AO iVm § 18 I 1 bzw. § 18 III UStG) zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung geführt haben.

2. Zwar steht eine Steueranmeldung gem.. § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Führt allerdings die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer zu einer Steuervergütung, so gilt dies erst dann, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat ( (§ 168 Satz 2 AO). Das Tatgericht muss daher Feststellungen dazu treffen, ob die jeweilige Steueranmeldung eine Zahllast zugestimmt haben.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts zu 1.a) und b) sowie zu 2. auf dessen Antrag – am 27. Oktober 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2019 aufgehoben

a) im Schuldspruch betreffend die Hinterziehung von Umsatzsteuer der B. GmbH für die Monate Januar bis August 2012 (Taten 14 bis 21 der Anklage);

b) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen;

c) im Ausspruch über die Kompensationsentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen, Steuerhinterziehung in 20 Fällen und Urkundenfälschung in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt, wovon zwei Monate „als Entschädigung für überlange Verfahrensdauer“ als vollstreckt gelten. Die auf die Beanstandung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrüge dringt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer der B. GmbH (Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis August 2012; Taten 14 bis 21 der Anklage) hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Jahr 2012 Geschäftsführer der B. GmbH. Diese erzielte im Tatzeitraum u.a. erhebliche Umsätze mit Hoch- und Tiefbauarbeiten. Bei der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis August 2012 - 42 - machte der Angeklagte unberechtigt Vorsteuerabzüge aus gefälschten Rechnungen von an den Bauvorhaben nicht beteiligten Firmen steuermindernd geltend.

b) Die insoweit erfolgte Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeter Steuerhinterziehung in acht Fällen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist rechtsfehlerhaft, weil die vom Landgericht getroffenen Feststellungen keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Beantwortung der Frage enthalten, ob Tatvollendung eingetreten ist.

aa) Bei der Straftat der Steuerhinterziehung, bei der es sich nicht lediglich um ein Erklärungsdelikt, sondern um ein Erfolgsdelikt handelt, tritt Vollendung erst dann ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 1 AO). Betreffen die Taten – wie vorliegend – die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe inhaltlich unzutreffender Steueranmeldungen, hängt die Tatvollendung davon ab, ob die unrichtigen Anmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 18 Abs. 3 UStG) zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung geführt haben.

Zwar steht eine Steueranmeldung gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Führt allerdings die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer zu einer Steuervergütung, so gilt dies erst dann, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat (§ 168 Satz 2 AO). Das Tatgericht muss daher Feststellungen dazu treffen, ob die jeweilige Steueranmeldung eine Zahllast oder eine Steuervergütung zum Inhalt hatte und – im Falle der Steuervergütung – ob die Finanzbehörden dieser zugestimmt haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. August 2017 – 1 StR 625/16 Rn. 22 und vom 25. Januar 2018 – 1 StR 264/17 Rn. 4). Daran fehlt es hier.

bb) Zwar hat das Landgericht die Höhe der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuer rechtsfehlerfrei festgestellt. Demgegenüber fehlen aber Feststellungen dazu, ob in den einzelnen Steueranmeldungen insgesamt eine Zahllast oder ein Vergütungsbetrag angemeldet wurde und ob das Finanzamt gegebenenfalls einer solchen zugestimmt hat. Insbesondere lassen sich die erforderlichen Feststellungen nicht den im Urteil eingefügten Tabellen entnehmen. Daher kann der Senat nicht überprüfen, ob Tatvollendung eingetreten ist.

c) Dieser Rechtsfehler hat die Aufhebung des Schuldspruchs in den betroffenen Fällen zur Folge und zieht die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Einer Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es nicht, da diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das neue Tatgericht wird jedoch insoweit zum Inhalt der verfahrensgegenständlichen Umsatzsteuervoranmeldungen ergänzende Feststellungen zu treffen haben.

3. Die Strafzumessung des Landgerichts weist darüber hinaus einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Wirtschaftsstrafkammer hat das straffreie Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) als bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) bei der Straffindung unberücksichtigt gelassen. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen.

4. Auch die Kompensationsentscheidung wegen rechtstaatswidriger Verfahrensverzögerung (Art. 6 MRK) leidet an einem Rechtsfehler. Den Urteilsgründen (UA S. 135 f.) ist bereits nicht zu entnehmen, für welche Zeiträume und Dauer das Landgericht eine solche Verfahrensverzögerung annimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 54 ff.). Die festgesetzte Kompensation von zwei Monaten Freiheitsstrafe kann daher revisionsgerichtlich nicht überprüft werden.

5. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.