StGB § 46 Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot und fehlerhaftes Absehen von einer Unterbringung

BGH, Urt. v. 09.03.2021 – 6 StR 404/20

1. Erwägungen in der Strafzumessung, der Täter habe das Handeltreiben iSd § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit der Absicht einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation begangen, verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot

des § 46 Abs. 3 StGB.

2. Die strafschärfende Berücksichtigung einer „hochgradigen Selbstverständlichkeit“, mit der sich der Täter „auf die Taten eingelassen“ hat, stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB dar.

3. Ein fehlender Therapiewille hindert die Unterbringung nach § 64 StGB grds. nicht; das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel lässt sich nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen.

Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. März 2021 beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 24. Juni 2020 aufgehoben

a) im gesamten Strafausspruch,

b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit von einer Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte – unter Freispruch im Übrigen – wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Ihre hiergegen gerichtete, auf materiell- und verfahrensrechtliche Beanstandungen gestützte Revision hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat im Rahmen der Verneinung der Voraussetzungen des § 29a Abs. 2 StGB auch in den Fällen nur geringfügiger Überschreitung des Grenzwerts der nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln neben anderen Zumessungserwägungen zu Lasten der Angeklagten die „hochgradige Selbstverständlichkeit“ gewertet, „mit der sie sich darauf eingelassen hat, zur Verbesserung ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation – und damit letztlich gewerbsmäßig – mit Betäubungsmitteln zu handeln und dabei eine Vielzahl von Endverbrauchern zu beliefern“ (UA S. 23).

b) Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der Absicht einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation hat das Landgericht zu Lasten der Angeklagten einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, dessen Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstößt. Denn das Handeltreiben im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt stets voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256; vom 23. November 1988 – 3 StR 503/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15 mwN; vom 24. September 2009 – 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24, 25). Auch die strafschärfende Berücksichtigung der „hochgradigen Selbstverständlichkeit“, mit der sich die Angeklagte „auf die Taten eingelassen“ hat, stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 332/03 mwN). Denn damit hat das Landgericht der Angeklagten letztlich straferschwerend zur Last gelegt, die abgeurteilten Taten überhaupt begangen zu haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2016 – 3 StR 543/15 Rn. 2; vom 25. April 2017 – 3 StR 81/17 Rn. 5, StV 2018, 487).

c) Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht ohne die fehlerhaften Erwägungen auf niedrigere Einzelstrafen und eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte, und hebt daher den gesamten Strafausspruch auf. Die von dem Wertungsfehler nicht berührten Feststellungen können bestehen bleiben und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

2. Zudem ist die Begründung, mit der das Landgericht von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat, in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden.

a) Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte die Angeklagte seit 2014 Drogen. Bei ihr liegt ein schädlicher Gebrauch (ICD-10 F12.1), nicht ausschließbar ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis (ICD-10 F12.2), außerdem ein schädlicher Gebrauch von anderen Stimulantien (ICD-10 F15.1) vor. Ohne Begründung hat die Strafkammer gleichwohl „nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen“ einen Hang der Angeklagten im Sinne des § 64 StGB für fraglich gehalten (UA S. 27). Der Senat kann demgemäß nicht ausschließen, dass sie ihrer Maßregelentscheidung bereits einen zu engen Begriff des Hangs und damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2018 – 4 StR 276/18, StV 2019, 261 mwN).

b) Die Strafkammer hat sich im Folgenden der Bewertung des Sachverständigen angeschlossen, es bestehe eine „unterdurchschnittliche Wahrscheinlichkeit“, dass die Angeklagte infolge eines (möglichen) Hanges künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. In unaufgelöstem Widerspruch hierzu stehen jedoch die Ausführungen des Sachverständigen, „dass unter den bei der Angeklagten festzustellenden Risikofaktoren für eine erneute Straffälligkeit ihr Betäubungsmittelkonsum eine herausragende Rolle einnehme, und dass bei Fortsetzung dieses Betäubungsmittelkonsums und bei Unvermögen der Angeklagten, ihn auf legale Weise zu finanzieren, eine höhere Rückfallwahrscheinlichkeit anzunehmen sei“ (UA S. 27).

c) Schließlich hat die Strafkammer entscheidend darauf abgestellt, dass die Angeklagte selbst erklärt habe, „zwar gegen eine Therapie keine Einwände zu haben und sie auch auf jeden Fall machen zu wollen, jedoch selbst entscheiden zu wollen, wo und wie dies geschehe“. Die dem zu entnehmende Ablehnung der Angeklagten gegenüber einer ihr zwangsweise verordneten Therapie spreche deutlich gegen die Erfolgsaussicht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Indes hindert fehlender Therapiewille, zumal wenn er sich allein auf eine „zwangsweise verordnete Therapie“ richtet, die Unterbringung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht, auch wenn er ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein kann. Ob der Mangel an Bereitschaft, sich in einer Entziehungsanstalt behandeln zu lassen, den Schluss auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel rechtfertigt, lässt sich nur aufgrund einer – vom Landgericht nicht vorgenommenen – Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 2010 – 3 StR 502/09 Rn. 5; vom 10. November 2009 – 5 StR 413/09, NStZ-RR 2010, 42, 43; vom 30. Juli 2019 – 2 StR 172/19, NStZ-RR 2020, 71, 73).

d) Das Landgericht wird daher über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu zu entscheiden und als Grundlage hierfür neue Feststellungen zu treffen haben.