StGB § 47 Abs. 1 Kurze Freiheitsstrafe „unerlässlich“ grenzt zu Geldstrafe ab.

StGB § 47 Abs. 1 Kurze Freiheitsstrafe „unerlässlich“ grenzt zu Geldstrafe ab.

BGH, Beschl. vom 06.12.2006 – 2 StR 497/06

"Unerlässlichkeit" kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB bezieht sich nicht auf die Abgrenzung zu längeren Freiheitsstrafen, sondern zu Geldstrafen; im Übrigen dürfte eine Frei­heitsstrafe statt einer (schuldangemessenen) Geldstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, um dem Täter eine "Therapie" zuteil werden zu lassen.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 6. Dezember 2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Mai2006 a) hinsichtlich des Angeklagten Ch. mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Ange­klagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist; b) hinsichtlich der Angeklagten P. im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.  Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten Ch. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 74 Fällen und Handel­treibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jah­ren und drei Monaten und die Angeklagte P. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 11 Fällen und Handel­treiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben nur in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. 

1. Die Revision des Angeklagten Ch. ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafaus­spruch richtet. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht aber nicht erörtert, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen war. Dies drängte sich nach den Feststellungen auf, denn das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte "benötige" mehrere Gramm Kokain wöchentlich (UA S. 11) und sei "betäubungsmittel­süchtig" (UA S. 52); seine Abhängigkeit hat es ausdrücklich strafmildernd gewertet. Da es sich bei den abgeurteilten Taten ersichtlich um Symptomtaten des Hangs handelt, wäre § 64 StGB zu erörtern gewesen; Gründe, die einer Maß­regelanordnung entgegen stehen konnten, sind aus dem Urteil nicht ersichtlich.

2. Die Revision der Angeklagten P. ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet. Der Strafausspruch kann hingegen nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat in 11 der 12 abgeurteilten Fälle auf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Monaten erkannt. Zu § 47 Abs. 1 StGB hat es ausgeführt, es seien Freiheits­strafen unter sechs Monaten geboten gewesen, da es längerer Freiheitsstrafen nicht bedürfe, "sondern vor allem einer Therapie" (UA S. 56). Das ist rechtsfehlerhaft, denn die "Unerlässlichkeit" kurzer Freiheitsstrafen im Sinne von § 47Abs. 1 StGB bezieht sich nicht auf die Abgrenzung zu längeren Freiheitsstrafen, sondern zu Geldstrafen; im Übrigen dürfte eine Freiheitsstrafe statt einer (schuldangemessenen) Geldstrafe nicht allein deshalb verhängt werden, um dem Täter eine "Therapie" zuteil werden zu lassen. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs insgesamt. Auch bei der Angeklagten P. hat das Landgericht darüber hinaus rechtsfehlerhaft die Anordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB nicht geprüft. Die Angeklagte ist nach den Feststellungen seit Jahren betäubungsmittelabhängig. Die Taten beging sie, um ihren Eigenkonsum zu finanzieren. Das Landgericht hat - auch insoweit unklar - im Rah­men der Prüfung einer Strafaussetzung zur Bewährung ausdrücklich ausgeführt, es halte "lediglich den Weg des § 35 BtMG für gangbar" (UA S. 58). Das zeigt, dass auch der Tatrichter die Voraussetzungen des § 64 StGB grundsätz­lich für gegeben gehalten hat. Von der in diesem Fall zwingenden Maßregelanordnung darf aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht allein im Hinblick auf eine mögliche Maßnahme nach §§ 35, 36BtMG abgesehen werden (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 54. Aufl. § 64 Rdn.19 f. mit Nachw. zur Rspr.). Über den Rechtsfolgenausspruch ist daher insgesamt neu zu entscheiden.

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